Entscheidungsdatum: 31.08.2015
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 16. April 2015 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
I. Der Kläger begehrt Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Der Kläger wurde im August 2007 bei einer körperlichen Auseinandersetzung verletzt. Seinen Antrag, ihm deshalb Beschädigtenversorgung zu gewähren, lehnte der Beklagte ab, weil der schädigende Vorgang nicht erwiesen sei (Bescheid vom 25.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2009).
Die dagegen erhobene Klage wies das SG ebenfalls mit der Begründung ab, die anspruchsbegründenden Tatsachen seien nicht erwiesen (Urteil vom 2.11.2011). Der Kläger hat im Februar 2012 dagegen Berufung eingelegt. Er leide infolge des tätlichen Angriffs an einer Trigeminusneuralgie, die ihn gesundheitlich schwer beeinträchtige. Das LSG zog ärztliche Befundunterlagen sowie die Akten des den Kläger betreffenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft E. bei. Am 24.3.2014 erfolgte die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 16.4.2014.
Mit gesonderten, aber im Wesentlichen gleichlautenden Anträgen vom 15.4.2015 lehnte der Prozessbevollmächtigte des Klägers alle Berufsrichter des zuständigen LSG-Senats wegen Befangenheit ab. Wie er schriftsätzlich nachgewiesen habe, sei das Verfahren weder verhandlungs- noch entscheidungsreif. Die Berufsrichter des Senats hätten grob gegen § 103 SGG verstoßen, indem sämtliche Anträge auf Beweiserhebung des Antragstellers ungehört geblieben seien. Die gesamte bisherige unsachgemäße Verfahrensleitung, fortgesetzt begangene grobe Verfahrensverstöße und jahrelange Untätigkeit des Gerichts seien Ablehnungsgründe.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 16.4.2015 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Es habe trotz der noch nicht beschiedenen Befangenheitsgesuche gegen sämtliche abgelehnten Berufsrichter entscheiden können, da der Kläger sich in Kenntnis der Ablehnungsgründe im Termin zur Sache eingelassen habe. Die Befangenheitsanträge seien im Übrigen unzulässig gewesen, weil sie von Anfang an nur den Verhandlungstermin hätten verhindern sollen und der Prozessbevollmächtigte des Klägers sie zudem im eigenen Namen gestellt habe.
In der Sache sei zwar ein Angriff iS von § 1 OEG ohne Weiteres zu bejahen. Allerdings sei die Trigeminusneuralgie des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des tätlichen Angriffs. Die in zeitlicher Nähe zum Angriff erstellten ärztlichen Befundberichte dokumentierten lediglich oberflächliche Verletzungen und keine Schädigung von Nerven, die für eine Trigeminusneuralgie ursächlich sein könne. Die weiteren vom Kläger beantragten Ermittlungen wie die Anhörung seiner Ehefrau, seines Sohnes sowie die Untersuchung der Notrufverbindungen seines Netzanbieters seien nicht veranlasst, weil nicht entscheidungserheblich gewesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, es liege eine Divergenz vor und vor allem habe das LSG Verfahrensfehler begangen, indem es durch die als befangen abgelehnten Richter entschieden habe.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil keiner der behaupteten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.
a) Der Kläger hat die behauptete Verletzung von § 60 SGG iVm § 42 ZPO sowie seines Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 S 2 GG nicht hinreichend substantiiert dargetan.
Grundsätzlich unterliegen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind und - wie im Falle einer Ablehnung eines Befangenheitsantrages durch ein LSG - unanfechtbar sind (§ 177 SGG), nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts (§ 202 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO). Deshalb kommt ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 S 2 GG nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften in Betracht (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 9 f). Hier liegt der Fall indes anders, weil das LSG die Befangenheitsanträge nicht durch Zwischenentscheidung abgelehnt hat; vielmehr ist es in seinen Urteilsgründen von rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchen, die unbeachtlich seien, ausgegangen. In einem solchen Fall kann sich die fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts - anders als in den Fällen einer Zwischenentscheidung - als Verfahrensfehler erweisen, auf dem die Entscheidung beruhen kann (BSG Beschluss vom 13.8. 2009 - B 8 SO 13/09 B - Juris; vgl auch BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 S 7).
Auch eine solche fehlerhafte Anwendung einfachen Verfahrensrechts, hier § 60 SGG iVm § 42 ZPO, bei der Behandlung der Befangenheitsgesuche des Klägers hat die Beschwerde indes nicht hinreichend substantiiert dargelegt und damit noch weniger seines Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art 101 Abs 1 S 2 GG.
Zwar erscheint es zweifelhaft, ob das LSG das Befangenheitsgesuch des Klägers allein deshalb als erledigt ansehen durfte, weil sein Prozessbevollmächtigter im Termin zur mündlichen Verhandlung zur Sache verhandelt und einen Sachantrag gestellt hat. Nach § 60 SGG iVm § 43 ZPO kann ein Beteiligter einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn er sich bei ihm, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Nach dieser Vorschrift verliert der Beteiligte sein Ablehnungsrecht grundsätzlich auch dann, wenn er, nachdem er ein Ablehnungsgesuch erhoben hat, die weitere Verhandlung nicht verweigert. Dies gilt allerdings nicht, wenn ihn inkorrektes richterliches Verhalten zu einer weiteren Einlassung oder Antragstellung gezwungen hat (Gehrlein in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl 2013, § 43 RdNr 7 mwN). Nach § 47 Abs 1 ZPO hat ein abgelehnter Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. Zu diesen unaufschiebbaren Handlungen zählt es normalerweise nicht, eine vollständige mündliche Verhandlung durchzuführen, wie es das LSG getan hat.
Andererseits gilt die Wartepflicht aus § 47 ZPO nicht, wenn das Ablehnungsgesuch missbräuchlich ist (vgl Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl 2014, § 47 RdNr 1a mwN). Insoweit setzt die Beschwerde dem nachvollziehbaren Argument des LSG nichts Stichhaltiges entgegen, das Befangenheitsgesuch sei als missbräuchlich anzusehen, weil der Kläger es erst am Tag vor der mündlichen Verhandlung eingereicht hat, die er für verfrüht hielt und zugunsten weiterer Ermittlungen abwenden wollte.
Letztlich kann die Frage der Erledigung des Gesuchs aber dahinstehen, denn das LSG hat das Befangenheitsgesuch des Klägers unabhängig davon auch als unzulässig angesehen. Die Nichtzulassungsbeschwerde legt nicht hinreichend substantiiert dar, warum darin ein Verfahrensverstoß liegen sollte. Zur Begründung des Befangenheitsgesuchs wiederholt sie lediglich ihren bereits gegenüber dem LSG erhobenen Vorwurf, das LSG sei jahrelang untätig gewesen, habe grobe Fehler bei der Verfahrensleitung begangen und insbesondere die erforderlichen Ermittlungen unterlassen und damit gegen seine Amtsermittlungspflicht verstoßen. Dabei setzt sich die Beschwerde aber nicht hinreichend damit auseinander, dass ein Befangenheitsgesuch auch dann als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn es keinen oder nur einen von vornherein völlig ungeeigneten Ablehnungsgrund nennt, § 60 Abs 1 SGG iVm § 44 Abs 2 S 1 ZPO (BVerfG vom 2.6.2005 - 2 BvR 625/01 - NJW 2005, 3410, 3412), zB wenn keinerlei substantiierte Tatsachen vorgetragen werden (BVerwG NJW 1997, 3327) oder nur Tatsachen, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründen lassen (OVG Hamburg NVwZ-RR 2000, 548). Ein im Rahmen gebotener richterlicher Verfahrensweise liegendes Verhalten kann einem Ablehnungsgesuch von vornherein nicht zum Erfolg verhelfen. Selbst Fehler des Richters - sofern nicht besondere weitere Umstände hinzutreten - vermögen keine Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl BFH Beschlüsse vom 27.6.1996 - X B 84/96 - BFH/NV 1997, 122, Juris; vom 29.8.2001 - IX B 3/01 - BFH/NV 2002, 64, Juris). Es müssen vielmehr mit dem Ablehnungsgesuch Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl BFH Beschluss vom 16.2.1989 - X B 99/88, BFH/NV 1989, 708, Juris; BFH Beschluss vom 27.6.1996 - X B 84/96 - BFH/NV 1997, 122, Juris). Solche Gründe hat der Kläger weder vor dem LSG noch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt. Behaupteten Fehlern bei der Sachverhaltsaufklärung allein kann kein objektiv vernünftiger Grund für die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters entnommen werden. Soweit der Beteiligte meint, Ermittlungsdefizite festgestellt zu haben, ist diesen etwa durch entsprechende Beweisanträge zu begegnen. Ein Befangenheitsgesuch ist nicht geeignet, die gewünschten Ermittlungen zu erzwingen (BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4, SozR 4-1500 § 160 Nr 14). Die Beschwerde hat auch nicht substantiiert dargelegt, warum das LSG durch den Umgang mit den Ermittlungsanregungen des Klägers eine Parteilichkeit oder eine unsachliche Einstellung zum Ausdruck gebracht haben könnte. Anhaltspunkte für eine Willkür (vgl hierzu BFH Beschlüsse vom 28.11.2001 - VII B 67/01 und vom 19.2.2002 - X B 41/01, beide Juris) sind vom Kläger ebenfalls nicht dargetan worden. Zudem hat er sich auch, wie ausgeführt, nicht mit der nachvollziehbaren Einstufung seines Befangenheitsgesuchs als missbräuchlich durch das LSG auseinandergesetzt.
Ebenso wenig hat die Beschwerde dargetan, warum das LSG nicht ausnahmsweise abweichend von § 60 Abs 1 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO über sein offensichtlich vollständig ungeeignetes Befangenheitsgesuch unter Mitwirkung der Richter entscheiden durfte, die der Kläger für befangen hält. In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichtshöfe und des BVerfG ist anerkannt, dass rechtsmissbräuchliche oder gänzlich untaugliche Ablehnungsgesuche ausnahmsweise im vereinfachten Ablehnungsverfahren in der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Gerichts unter Beteiligung der abgelehnten Richter behandelt werden können, wenn für die Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Dies ist der Fall, wenn das Gericht einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts für sachfremde Zwecke verhindern will oder lediglich eine bloße Formalentscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Gesuch trifft, die keinerlei Beurteilung des eigenen Verhaltens durch die entscheidenden Richter und kein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (vgl BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 7; BVerfG NJW 2013, 1665; BVerfG NJW 2007, 3771; BFH NJW 2009, 3806 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 60 RdNr 10d mwN; Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 60 RdNr 79 ff; aA BVerwG, Beschluss vom 11.12.2012 - 8 B 58/12 - Juris). Mehr als eine solche bloße Formalentscheidung brauchte das LSG über das, wie ausgeführt, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erfolgversprechende Befangenheitsgesuch des Klägers nicht zu treffen. Zumal der Kläger auch dem Missbrauchsvorwurf des LSG nicht substantiiert entgegengetreten ist.
b) Ebenso wenig kann der Kläger mit Erfolg eine Verletzung von § 103 SGG der Amtsermittlungspflicht durch das LSG geltend machen. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann ein Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er in der maßgebenden mündlichen Verhandlung nicht weiter verfolgt wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten regelmäßig anzunehmen, wenn in der letzten mündlichen Verhandlung nur noch ein Sachantrag gestellt und der Beweisantrag nicht wenigstens hilfsweise wiederholt wird (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 mwN). Der Kläger behauptet selber nicht, in der letzten mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag gestellt bzw aufrechterhalten zu haben. Solche Beweisanträge lassen sich auch dem Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht entnehmen. Mit seinen umfangreichen Ausführungen zur unzureichenden Sachaufklärung durch das LSG kann der Kläger daher mangels des erforderlichen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags keinen Verfahrensmangel darlegen. Nichts anderes gilt für seinen vielfach wiederholten Vorwurf unrichtiger Tatsachenfeststellungen durch das LSG. Der Kläger wendet sich damit gegen die Beweiswürdigung des LSG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 58 mwN). Die inhaltliche Richtigkeit seiner Entscheidung im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
2. Zu den vom Kläger ebenfalls behaupteten Zulassungsgründen der Divergenz bzw grundsätzlichen Bedeutung macht die Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt keine näheren Ausführungen. Diese Nichtzulassungsgründe sind deshalb noch weniger als die behaupteten Verfahrensmängel substantiiert dargelegt.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).