Entscheidungsdatum: 16.06.2016
Sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass das von einem Beteiligten erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle des Senats nur für eine bestimmte Entscheidungssituation gelten soll, so umfasst es alle sonst vom gesamten Senat zu treffenden Entscheidungen und wird durch einen nachfolgend vom Berichterstatter erlassenen Beweisbeschluss nicht "verbraucht".
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
I. Die Klägerin begehrt im Rahmen eines Zugunstenverfahrens Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab August 2004 und wegen voller Erwerbsminderung ab August 2008.
Die im Jahr 1965 geborene Klägerin war bis zur Geburt ihres ersten Kindes im Juli 1997 als Verlagskauffrau abhängig beschäftigt. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes im November 2001 betrieb sie als Selbstständige bis Ende 2007 eine Espresso-Bar. Ihren erstmals am 22.8.2008 gestellten Rentenantrag lehnte der beklagte Rentenversicherungsträger ab, weil die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Drei-Fünftel-Belegung) nicht erfüllt seien (Bescheid vom 16.10.2009). Ein erster Überprüfungsantrag blieb ebenso erfolglos wie der hier verfahrensgegenständliche zweite Überprüfungsantrag vom 21.6.2011 (Bescheid vom 28.7.2011, Widerspruchsbescheid vom 14.9.2011, Urteil des SG vom 2.9.2013 und des LSG vom 23.12.2015). In dem von der Berichterstatterin als Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung erlassenen LSG-Urteil ist ausgeführt, das Gericht sei nicht davon überzeugt, dass der "Leistungsfall" einer Erwerbsminderung vor dem 1.1.2007 eingetreten sei. Dies sei aber Voraussetzung dafür, dass eine Rente wegen Erwerbsminderung gewährt werden könne.
Die Klägerin macht mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem LSG-Urteil ausschließlich Verfahrensmängel geltend. Sie rügt die nicht vorschriftsgemäße Besetzung des Berufungsgerichts, denn sie habe lediglich ihre Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, nicht aber zu einer derartigen Entscheidung allein durch die Berichterstatterin erteilt. Außerdem habe das LSG seine Verpflichtung zur Amtsermittlung verletzt, weil es erforderliche Ermittlungen zum Eintritt des Versicherungsfalls entsprechend ihrem im Schriftsatz vom 17.11.2015 gestellten Beweisantrag nicht durchgeführt habe.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Der von der Klägerin behauptete Verfahrensmangel einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts liegt nicht vor. Die weitere Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht ist nicht formgerecht bezeichnet und somit bereits unzulässig.
1. Die Klägerin hat den Verfahrensmangel einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts bei seiner Entscheidung formgerecht gerügt (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG). Nach der Darstellung in der Beschwerdebegründung habe sie nur ihre Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, nicht aber das gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG zusätzlich erforderliche Einverständnis für eine Entscheidung allein durch die Berichterstatterin erteilt. Mit diesem Vortrag ist der sinngemäß geltend gemachte Verfahrensmangel einer Verletzung des § 155 Abs 4 iVm § 33 Abs 1 S 1 SGG schlüssig dargetan. Ausführungen, inwiefern die Entscheidung des LSG hierauf beruhen kann, sind bei einem solchen absoluten Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) abweichend von § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 1 SGG nicht erforderlich (stRspr - zB BSG Beschluss vom 25.9.2015 - B 13 R 97/15 B - Juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 14 AS 96/15 B - Juris RdNr 6).
2. Der genannte Verfahrensmangel liegt in Wirklichkeit nicht vor.
a) Aus den Akten des Berufungsverfahrens ergibt sich, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 3.2.2014 beim LSG eine von der Klägerin persönlich unterzeichnete Erklärung eingereicht hat, sie sei mit einer Entscheidung durch "die Berichterstatterin bzw. den Berichterstatter in mündlicher Verhandlung anstelle des Senats" einverstanden (vgl zu einer solchen Erklärung Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 124 RdNr 3b). Dieselbe Erklärung hat auch die Beklagte unter dem 23.1.2014 dem Gericht übersandt. Den im Schriftsatz vom 3.2.2014 zudem erklärten Vorbehalt, die Klägerin bestehe auf einem Verhandlungstermin vor dem Senat, falls die Zustimmung dazu führe, dass das Gericht eine Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs verfolge, hat der Prozessbevollmächtigte in einem weiteren Schriftsatz vom 9.7.2014 aufgegeben und sich "mit einer Einzelrichterentscheidung ohne weitere Bedingung" einverstanden erklärt. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Einzelrichterin am 19.9.2014 und Vertagung des Rechtsstreits zur weiteren Sachaufklärung hat der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 30.11.2015 (ebenso wie die Beklagte) zusätzlich das Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) übermittelt. Das zuvor erteilte Einverständnis zu einer Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle des Senats hat er dabei nicht in Frage gestellt. Einwendungen gegen diese Verfahrensweise hat die Klägerin auch dann nicht vorgebracht, als ihr Prozessbevollmächtigter die Mitteilung des Gerichts vom 3.12.2015 erhalten hatte, dass am 18.12.2015 "im Einverständnis der Beteiligten Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung" ergehen werde.
b) Es kann hier offenbleiben, ob sich die Klägerin nach dem auch im Prozessrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben angesichts dieses Ablaufs überhaupt nachträglich auf den Verfahrensmangel eines fehlenden Einverständnisses zu einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als konsentierte Einzelrichterin berufen kann (insoweit zweifelnd BVerwG Beschluss vom 5.2.1996 - 9 B 32/96 - Buchholz 310 § 87a VwGO Nr 1, Juris RdNr 4; s aber Senatsbeschluss vom 24.10.2013 - B 13 R 240/12 B - Juris RdNr 10). Jedenfalls hat die Klägerin einen Widerruf ihrer mit Schriftsatz vom 9.7.2014 unbedingt abgegebenen Einverständniserklärung zu einer Entscheidung allein durch die Berichterstatterin weder ausdrücklich noch sinngemäß erklärt (zur ausnahmsweisen Beachtlichkeit eines solchen Widerrufs bei wesentlich geänderter Prozesslage s BGH Urteil vom 19.10.1988 - IVb ZR 10/88 - BGHZ 105, 270, 274 f; die Möglichkeit eines Widerrufs offenlassend BVerwG Beschluss vom 25.10.1996 - 11 B 73/96 - Buchholz 310 § 87a VwGO Nr 2, Juris RdNr 4 - sowie BVerwG Beschluss vom 27.2.2001 - 3 B 155/00 - Buchholz 310 § 87a VwGO Nr 5, Juris RdNr 5; ebenso BFH Beschluss vom 10.2.2011 - II S 39/10 (PKH) - BFHE 232, 310 RdNr 9 - sowie BFH Beschluss vom 12.1.2016 - X B 79/15 - BFH/NV 2016, 763 RdNr 17).
c) Das am 9.7.2014 erklärte Einverständnis der Klägerin zu einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als konsentierte Einzelrichterin hatte sich aufgrund der weiteren Entwicklung des Berufungsverfahrens nicht von selbst "verbraucht" und hierdurch zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung durch das LSG im Dezember 2015 seine Wirksamkeit verloren. Zwar hatte die Berichterstatterin am 19.9.2014 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, den Rechtsstreit dann jedoch zu weiterer Sachaufklärung vertagt und sodann am 16.10.2014 einen Beweisbeschluss erlassen. Diese gerichtlichen (Zwischen-)Entscheidungen haben aber das zuvor von den Beteiligten erklärte Einverständnis zu einer Entscheidung des Rechtsstreits durch die Berichterstatterin anstelle des Senats (§ 155 Abs 3, 4 SGG) nicht hinfällig werden lassen.
Allerdings wird für ein Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) angenommen, dass es stets nur auf die nächste anstehende Entscheidung bezogen sei und deshalb automatisch mit dem Erlass einer solchen Entscheidung entfalle (vgl BSG Urteil vom 22.9.1977 - 10 RV 79/76 - BSGE 44, 292, 294 = SozR 1500 § 124 Nr 2 S 4; BSG Urteil vom 6.10.1999 - B 1 KR 17/99 R - SozR 3-1500 § 124 Nr 4 S 8; BSG Beschluss vom 12.4.2005 - B 2 U 135/04 B - SozR 4-1500 § 124 Nr 1 RdNr 7; s auch Hauck in Hennig, SGG, § 124 RdNr 42, Stand Einzelkommentierung September 2010; Dolderer in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl 2014, § 101 RdNr 34 ff). Diese Erwägungen können auf das Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats gemäß § 155 Abs 3, 4 SGG jedoch nicht ohne Weiteres übertragen werden (zu den wesensmäßigen Unterschieden der beiden Verzichtserklärungen s Hamann, VerwArch 83 (1992), 201, 208; Bernsdorff in Hennig, SGG, § 155 RdNr 61, Stand Einzelkommentierung Mai 1997). Vielmehr muss die Reichweite eines von den Beteiligten erteilten Einverständnisses damit, dass der Berichterstatter "auch sonst" anstelle des Senats entscheide, eigenständig durch Auslegung der jeweiligen Prozesserklärung nach den hierfür geltenden allgemeinen Regeln (zusammenfassend BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 19/15 B - Juris RdNr 6) ermittelt werden.
Bei dieser Auslegung ist es nicht statthaft, der jeweiligen Einverständniserklärung - ungeachtet ihres Wortlauts und der sonstigen Umständen des Einzelfalls - von vornherein eine nur begrenzte Reichweite zuzuordnen. Vielmehr ist in Fallgestaltungen, bei denen eine Erklärung zum Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen lässt, dass sie nur für eine bestimmte Entscheidungssituation oder nur hinsichtlich eines bestimmten Streitgegenstands gelten soll, davon auszugehen, dass sie sich einschränkungslos auf alle "sonst" vom gesamten Senat zu treffenden Entscheidungen einschließlich einer das Berufungsverfahren abschließenden Sachentscheidung bezieht (vgl Bernsdorff in Hennig, SGG, § 155 RdNr 57, Stand Einzelkommentierung Mai 1997). Insbesondere kann ohne konkrete Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass die Zwischenentscheidung der Anordnung einer Begutachtung, die einer ernannten Berichterstatterin auch ohne Einverständnis der Beteiligten kraft Gesetzes allein obliegt (§ 155 Abs 1 iVm § 106 Abs 3 Nr 5 SGG), einem zuvor erklärten Einverständnis mit einer abschließenden Sachentscheidung allein durch die Berichterstatterin die Grundlage entziehen soll. Anhaltspunkte dafür, dass das Einverständnis zur Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle des Senats nur unter einer auflösenden (innerprozessualen) Bedingung erteilt werden sollte, sind hier aber nicht ersichtlich. Vielmehr hat sich die im Berufungsverfahren durch einen fachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin am 9.7.2014 zur Beschleunigung des Verfahrens ausdrücklich mit einer Einzelrichterentscheidung "ohne weitere Bedingung" einverstanden erklärt.
d) Der Senat weicht damit nicht iS des § 41 Abs 2 SGG von Entscheidungen anderer Senate ab. Soweit der 9. Senat des BSG im Urteil vom 8.11.2007 (B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 15) ausgeführt hat, dass sich die dort erteilten Einverständniserklärungen nach § 155 Abs 3, 4 SGG nicht durch eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage verbraucht hätten, da schon keine wesentliche Änderung vorgelegen habe, enthält dies keinen jene Entscheidung tragenden Rechtssatz, dass eine wesentliche Änderung der dem LSG-Urteil zugrunde liegenden Sach- und Rechtslage stets zu einem automatischen "Verbrauch" des Einverständnisses führe. Soweit der 9. Senat im Beschluss vom 14.11.2013 (B 9 SB 43/13 B - Juris RdNr 5) seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, dass eine Einverständniserklärung, "ohne mündliche Verhandlung gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG" zu entscheiden, nach Einholung eines Befundberichts infolge einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ihre Wirksamkeit verloren habe, bezieht sich dies ausdrücklich nur auf den dort allein gerügten Verfahrensmangel einer Verletzung des § 124 Abs 2 SGG. Eine Abweichung in einem vom 9. Senat zu § 155 Abs 3, 4 SGG entwickelten Rechtssatz besteht somit nicht, sodass eine Anfrage gemäß § 41 Abs 3 SGG nicht in Betracht kommt.
3. Den Verfahrensmangel einer Verletzung des § 103 SGG hat die Klägerin nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG). Sie führt zwar Aussagen aus verschiedenen Revisionsurteilen des BSG an, unter welchen Umständen eine weitere Sachaufklärung erforderlich sei. Einen konkreten Beweisantrag, den sie bis zuletzt aufrechterhalten habe und dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei, gibt sie jedoch nicht wieder. Soweit sie sich auf einen "mit Schriftsatz vom 17.11.2015 gestellten Beweisantrag" bezieht, wird aus der Beschwerdebegründung nicht erkennbar, welchen Inhalt dieser gehabt haben könnte. Ihrer Angabe, sie habe in diesem Schriftsatz "vorgetragen, dass aufgrund der eindeutigen Aussage der Frau Prof. Dr. Walter der Sachverhalt ausreichend erforscht ist" bzw "die Anhörung der behandelnden Ärzte zur Frage des Zeitpunktes des Versicherungsfalles im Falle einer positiven Entscheidung, auch im Hinblick auf die Dauer des Verfahrens, überflüssig ist", lässt sich ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag nicht entnehmen (zur Anhörung behandelnder Ärzte als sachverständige Zeugen vgl BSG Beschluss vom 6.1.2016 - B 13 R 303/15 B - Juris RdNr 7). Ein erst im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren angebrachter Antrag auf weitere Beweiserhebung (Beschwerdebegründung S 3 unter h) genügt den Anforderungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG von vornherein nicht.
4. Die teils unzulässige, teils unbegründete Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 SGG unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zurückzuweisen.