Entscheidungsdatum: 24.10.2013
Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27. März 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
I. Im Streit steht der Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung ab 1.5.2005. Der im April 2005 bei der Beklagten gestellte Antrag des im Jahre 1951 geborenen Klägers blieb erfolglos (Bescheid vom 19.10.2005; Widerspruchsbescheid vom 10.10.2006). Das SG Hamburg hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.7.2010 abgewiesen. Das LSG hat diese Entscheidung bestätigt und die Berufung auf die mündliche Verhandlung vom 27.3.2012 durch die Richterin am LSG M. (M.) und zwei ehrenamtliche Richter zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger weder teilweise noch voll erwerbsgemindert sei (§ 43 SGB VI), und auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug genommen (§ 153 Abs 2 SGG).
Im Berufungsverfahren ist der nicht anwaltlich vertretene Kläger von der seinerzeit noch zuständigen Berichterstatterin gebeten worden mitzuteilen, ob er mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin gemäß § 155 Abs 3 iVm Abs 4 SGG als Einzelrichterin einverstanden sei (Verfügung vom 22.9.2010). Mit Schreiben vom 21.10.2010 hat sich der Kläger damit nicht einverstanden erklärt, dass eine Einzelrichterin das Verfahren entscheidet, sondern um eine Entscheidung durch drei Richter ("ohne Vorsitzender F.") gebeten. Mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 27.5.2011 wurde die Richterin am LSG M. unter Übertragung der Aufgaben nach §§ 104, 106 bis 108 und 120 SGG aufgrund einer senatsinternen geänderten Geschäftsverteilung zur Berichterstatterin für dieses Verfahren bestellt. Mit gerichtlichem Schreiben vom 14.12.2011 ist der nicht vertretene Kläger vom Termin zur mündlichen Verhandlung und zur Beweisaufnahme am 27.3.2012 vor der Berichterstatterin mit den ehrenamtlichen Richtern informiert worden. Nach Vernehmung des gerichtlichen Sachverständigen über den Gesundheitszustand des Klägers in der öffentlichen Sitzung des LSG Hamburg vom 27.3.2012 hat die Berichterstatterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern in Anwesenheit des Klägers die Berufung zurückgewiesen.
Mit der hiergegen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel. In seiner Beschwerdebegründung vom 17.5.2013 macht er eine Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 155 Abs 3 und 4 SGG geltend, weil die Berichterstatterin des Berufungsgerichts entschieden habe, obwohl die Voraussetzungen hierfür offensichtlich nicht vorgelegen hätten. Er beruft sich auf Rechtsprechung des BSG (ua BSG SozR 4-1500 § 155 Nr 1).
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.
Der Kläger hat den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) formgerecht (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) gerügt.
Der Verfahrensmangel liegt auch vor. Das LSG hat mit der Entscheidung über die Berufung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.3.2012 den Anspruch des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG) verletzt, weil die Berichterstatterin den Berufungsrechtsstreit zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden hat, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen.
Bei Urteilen mit und ohne mündliche Verhandlung entscheidet über das Rechtsmittel der Berufung grundsätzlich der mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern sowie zwei ehrenamtlichen Richtern besetzte Senat (§ 33 S 1 SGG). Nur unter den vom Gesetz bestimmten Voraussetzungen (§§ 153 Abs 5, 155 Abs 3 und Abs 4 SGG) darf in anderer als dieser Besetzung entschieden werden. Die Frage, ob das LSG in voller Senatsbesetzung oder in einer gesetzlich vorgesehenen anderen Besetzung entscheidet, berührt das von Verfassung wegen nach Art 101 Abs 1 S 2 GG gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter in seiner einfachrechtlichen Ausprägung (vgl BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 14 mwN).
Nach § 153 Abs 5 SGG kann der Senat in den Fällen des § 105 Abs 2 S 1 SGG (wenn das SG - wie hier - durch Gerichtsbescheid entschieden hat) durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
Hier mangelt es bereits an einem Beschluss des Senats, durch den die Berufung der Berichterstatterin zusammen mit zwei ehrenamtlichen Richtern zur Entscheidung übertragen worden ist. Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil auf keinen solchen Beschluss Bezug genommen. Der LSG-Akte kann auch nicht entnommen werden, dass ein solcher Beschluss ergangen ist, der aber Gegenstand der Akte sein müsste, weil er schriftlich abzufassen und der Geschäftsstelle zu übergeben ist (§§ 153 Abs 1, 142 Abs 1, 134 SGG). Der Beschluss hätte den Beteiligten auch zugestellt werden müssen (§§ 153 Abs 1, 133 SGG). In der LSG-Akte findet sich aber weder ein Zustellungsnachweis noch ein Anhaltspunkt dafür, dass eine Zustellung erfolgt wäre (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 8).
Der Verfahrensmangel ist auch nicht durch rügelose Einlassung (§ 202 SGG iVm § 295 ZPO) geheilt; dies gilt bereits deswegen, weil die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts zu den nicht verzichtbaren Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Verfahrens (§ 295 Abs 2 ZPO) gehört (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 8 RdNr 8). Zum anderen ist die Vorschrift des § 295 ZPO auf den Anwaltsprozess zugeschnitten und daher bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten allenfalls nach Belehrung durch den Vorsitzenden anwendbar (BSG vom 12.4.2000 - B 9 SB 2/99 R - Juris RdNr 21).
Daher durfte der Senat nur in der nach § 33 S 1 SGG vorgeschriebenen Senatsbesetzung über die Berufung des Klägers entscheiden. Das Urteil des LSG verletzt nicht nur die genannten Vorschriften des SGG, sondern auch das grundrechtsgleiche Recht des Klägers auf den gesetzlichen Richter iS von Art 101 Abs 1 S 2 GG (vgl BSG SozR 4-1500 § 155 Nr 1 mwN).
Da das Recht auf den gesetzlichen Richter zu den Grundlagen des Prozessrechts gehört, bei deren Verletzung gesetzlich vermutet wird (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), dass die ergangene Entscheidung auf der Verletzung von Verfahrensrechten beruht (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 218/12 B - Juris RdNr 11), war die Entscheidung nach § 160a Abs 5 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.