Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 23.05.2017


BSG 23.05.2017 - B 12 AL 1/15 R

Sozialversicherung - Zahlung von Pflichtbeiträgen bei Insolvenzereignis - Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Freigabe von Vermögen aus selbstständiger Tätigkeit - ununterbrochene Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers - keine Geltendmachung von Beitragsrückständen in späterem Insolvenzverfahren hinsichtlich des freigegebenen Vermögens - Europarechtskonformität


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsdatum:
23.05.2017
Aktenzeichen:
B 12 AL 1/15 R
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2017:230517UB12AL115R0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend SG Dortmund, 11. September 2013, Az: S 57 AL 703/11, Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 29. Januar 2015, Az: L 9 AL 278/13, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 2 Abs 1 EGRL 94/2008

Leitsätze

Wird ein Arbeitsverhältnis in Kenntnis der Insolvenz des Arbeitgebers im Rahmen einer Freigabe von Vermögen aus einer selbstständigen Tätigkeit unverändert fortgesetzt, kann bei ununterbrochener Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers eine spätere Insolvenz hinsichtlich des freigegebenen Vermögens keinen (erneuten) Anspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit auf Zahlung von Pflichtbeiträgen auslösen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 394,80 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Pflichtbeiträgen bei Insolvenz. Die klagende Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See begehrt als zuständige Einzugsstelle von der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen bei Insolvenzereignis gemäß § 208 SGB III in der bis zum 31.3.2012 gültigen Fassung. Dabei ist zwischen den Beteiligten im Kern streitig, ob in einem (weiteren) Insolvenzverfahren über nach § 35 Abs 2 S 1 Insolvenzordnung (InsO) in einem (früheren) Insolvenzverfahren freigegebenes Vermögen aus selbstständiger Tätigkeit (erneut) Gesamtsozialversicherungsbeiträge geltend gemacht werden können.

2

Der Beigeladene zu 2. betrieb ua ein Frühstückscafé. Die Beigeladene zu 1. war dort seit 16.3.2005 mit einem monatlichen Gehalt von 400 Euro geringfügig beschäftigt und wurde bei der Klägerin angemeldet. Auf die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) hatte die Beigeladene zu 1. verzichtet. Vom 1.7. bis 20.8.2008 erhielt die Beigeladene zu 1. kein Arbeitsentgelt.

3

Auf einen Eigenantrag des Beigeladenen zu 2. hin, der ua seinen Pflichten zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht nachgekommen war, eröffnete das Amtsgericht (AG) am 21.8.2008 über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren und bestellte einen Insolvenzverwalter. Auf Antrag der Beigeladenen zu 1. gewährte die Beklagte ihr für die Zeit vom 1.7. bis zum 20.8.2008 Insolvenzgeld. Darüber hinaus zahlte die Beklagte die im Zeitraum vom 21.5. bis zum 20.8.2008 für die Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. angefallenen und rückständig gebliebenen Beiträge in Höhe von 394,45 Euro an die Klägerin (Bescheid vom 19.8.2009). Mit Beschluss vom 11.7.2011 hob das AG das Insolvenzverfahren gemäß § 200 InsO auf, da die Schlussverteilung vollzogen sei. Bei der Schlussverteilung hatte sich Insolvenzvermögen von 0 Euro ergeben.

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Bereits zeitnah zur Eröffnung dieses Insolvenzverfahrens erklärte der Insolvenzverwalter am 25.8.2008 die Freigabe des Geschäftsbetriebes hinsichtlich des Frühstückcafés und zeigte dies gemäß § 35 Abs 3 S 1 InsO dem AG an. Der Beigeladene zu 2. betrieb daraufhin das Frühstückcafé weiter. Das Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen zu 1., die Kenntnis von der Insolvenz hatte, wurde ohne Unterbrechung fortgesetzt. In der Folgezeit kam der Beigeladene zu 2. seinen Zahlungsverpflichtungen ua gegenüber der Klägerin weiterhin nicht nach. Zum 31.12.2010 stellte er seinen Geschäftsbetrieb endgültig ein und beendete das Beschäftigungsverhältnis mit der Beigeladenen zu 1. Den daraufhin von der Klägerin gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beigeladenen zu 2. aus der freigegebenen Tätigkeit wies das AG durch Beschluss vom 5.5.2011 mangels Masse ab.

5

Am 17.5.2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die (erneute) Zahlung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen nach § 208 SGB III aF für die Beigeladene zu 1., dieses Mal für den späteren Zeitraum vom 1.10. bis 31.12.2008 iH von 394,80 Euro. Mit Bescheid vom 1.6.2011 lehnte die Agentur für Arbeit H. die Zahlung der geltend gemachten Beiträge mit der Begründung ab, bereits aufgrund der Insolvenzeröffnung am 21.8.2008 seien rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Beigeladene zu 1. entrichtet worden.

6

Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 1.6.2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin auf deren Antrag vom 17.5.2011 Gesamtsozialversicherungsbeiträge iH von 394,80 Euro zu zahlen (Urteil vom 11.9.2013). Auf die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.1.2015): Bei fortbestehender Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners könne ein Insolvenzereignis in Bezug auf das nach § 35 Abs 2 InsO freigegebene Vermögen Ansprüche nach § 208 SGB III aF nicht (erneut) begründen.

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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung von § 208 Abs 1 S 1 SGB III aF. Das LSG habe verkannt, dass es zwei voneinander unabhängige Insolvenzverfahren über zwei voneinander unabhängige Vermögensmassen gebe. Hinsichtlich des gemäß § 35 Abs 2 InsO freigegebenen "Sondervermögens" handele es sich bei der Ablehnung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse um das erste Insolvenzereignis iS des § 183 SGB III aF. Eine Sperrwirkung durch ein früheres Insolvenzereignis sei daher nicht gegeben. Die Frage einer zwischenzeitlichen Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Beigeladenen zu 2. spiele demzufolge auch keine Rolle.

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Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29.1.2015 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund vom 11.9.2013 zurückzuweisen.

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Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

11

Die übrigen Beteiligten stellen keine Anträge und äußern sich nicht.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten rechtsfehlerfrei das Urteil des SG aufgehoben und die zulässige Klage (dazu 1.) gegen den Bescheid der Beklagten vom 1.6.2011 abgewiesen. Dieser Bescheid ist rechtmäßig (dazu 2.).

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1. Die Klage ist zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1, Abs 4; § 56 SGG) statthaft, weil über einen Antrag auf Entrichtung rückständiger Beiträge durch Verwaltungsakt zu entscheiden ist, auch wenn am Verfahren zwei grundsätzlich gleichrangige Versicherungsträger beteiligt sind (vgl BSG Urteil vom 12.12.1984 - 10 RAr 7/83 - SozR 4100 § 141n Nr 10; Juris RdNr 9 mwN). Eines Vorverfahrens bedurfte es nach § 78 Abs 1 S 2 Nr 3 SGG nicht.

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2. Die Klage ist allerdings unbegründet, weil der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Die für den Beitragseinzug zuständige Klägerin, die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, hat gegen die beklagte Bundesagentur für Arbeit keinen Anspruch auf (erneute) Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2008 gemäß § 208 Abs 1 S 1 Halbs 1 SGB III aF.

15

Die Klägerin ist gemäß § 28i S 5 SGB IV Einzugsstelle hinsichtlich der aus der geringfügigen Beschäftigung abzuführenden Beiträge. Hierfür gelten die Vorschriften über Gesamtsozialversicherungsbeiträge iS von § 28d SGB IV (vgl § 249b S 1, 3 SGB V, § 172 Abs 3 S 1, Abs 4 SGB VI).

16

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch nach § 208 Abs 1 S 1 Halbs 1 SGB III aF (dazu a). Auch wenn das von ihr Anfang 2011 eingeleitete Insolvenzverfahren einen anderen Gegenstand, nämlich das nach § 35 Abs 2 S 1 InsO freigegebene Vermögen betraf (dazu b) und zivil-/insolvenzrechtlich grundsätzlich möglich war (dazu c), sind weder die Abweisung des Antrags der Klägerin auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse hinsichtlich des nach § 35 Abs 2 S 1 InsO freigegebenen Vermögens durch Beschluss des AG vom 5.5.2011 noch die Geschäftsaufgabe durch den Beigeladenen zu 2. zum 31.12.2010 ein (arbeitsförderungsrechtliches) Insolvenzereignis iS von § 183 Abs 1 S 1 SGB III aF (dazu d). Diesem Ergebnis stehen europarechtliche Vorgaben nicht entgegen (dazu e).

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a) Grundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist § 208 Abs 1 S 1 Halbs 1 SGB III in der bis 31.3.2012 gültigen alten Fassung (aF) des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl I 2848; § 175 Abs 1 S 1 SGB III in der ab dem 1.4.2012 geltenden Fassung). Danach zahlt die Agentur für Arbeit auf Antrag der zuständigen Einzugsstelle den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28d SGB IV, der auf Arbeitsentgelte für die letzten dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses entfällt und bei Eintritt des Insolvenzereignisses noch nicht gezahlt worden ist.

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b) Zu Recht macht die Revision der Klägerin geltend, dass ihr Anfang 2011 gestellter (neuer) Insolvenzantrag einen anderen Gegenstand, nämlich das nach § 35 Abs 2 S 1 InsO freigegebene Vermögen aus selbstständiger Tätigkeit, betrifft. Nach § 35 Abs 2 S 1 InsO in der bis 30.6.2014 gültigen Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007 (BGBl I 509) gilt: Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Eine entsprechende Freigabeerklärung hat zur Folge, dass das betroffene Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit ab dem Moment der Freigabe wirtschaftlich selbstständig wird (BeckOK InsO/Jilek, 6. Ed. 30.4.2017, InsO § 35 RdNr 68; Ries in Kayser/Thole, InsO, 8. Aufl 2016, § 35 RdNr 80). Hierdurch soll dem Interesse des Schuldners, sich durch eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit eine neue wirtschaftliche Existenz zu schaffen Rechnung getragen werden (vgl BT-Drucks 16/3227 S 17). Erreicht werden soll dies durch eine Art "Freigabe" des Vermögens, das der gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse (BT-Drucks aaO).

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c) Ebenso weist die Revision zu Recht darauf hin, dass hinsichtlich des nach § 35 Abs 2 S 1 InsO freigegebenen Vermögens aus selbstständiger Tätigkeit ein gesondertes (weiteres) Insolvenzverfahren zivilrechtlich möglich ist (BGH Beschluss vom 9.6.2011 - IX ZB 175/10 - Juris RdNr 7 mwN; BGH Urteil vom 9.2.2012 - IX ZR 75/11 - BGHZ 192, 322). Dem hat das AG vorliegend auch Rechnung getragen, indem es die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Beigeladenen zu 2. "handelnd unter Frühstücks-Cafe" mit Beschluss vom 5.5.2011 mangels Masse abgelehnt hat.

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d) Entgegen der Auffassung der Revision kann aus der zivil-/insolvenzrechtlichen Lage jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass es sich bei der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse durch Beschluss des AG vom 5.5.2011 bzw bei der Geschäftsaufgabe Ende 2010 auch um erneute, autarke (arbeitsförderungsrechtliche) Insolvenzereignisse iS von § 183 Abs 1 S 1 SGB III aF handelt (dazu aa). Bezogen auf das maßgebliche Arbeitsverhältnis zwischen der Beigeladenen zu 1. und dem Beigeladenen zu 2., das unverändert fortbestanden hat (dazu bb), liegt wegen der ununterbrochenen Zahlungsunfähigkeit des Beigeladenen zu 2. als Arbeitgeber kein (neues) (arbeitsförderungsrechtliches) Insolvenzereignis vor, weil es durch die Sperrwirkung des früheren Insolvenzereignisses ausgeschlossen ist (dazu cc).

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aa) Die in § 208 Abs 1 S 1 Halbs 1 SGB III aF als Anspruchsvoraussetzung genannten Insolvenzereignisse werden in § 183 Abs 1 S 1 SGB III in der bis 31.3.2012 gültigen aF des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10.12.2001 (BGBl I 3443; § 165 Abs 1 S 1 Nr 1 und 2 SGB III in der ab 1.4.2012 geltenden Fassung) legal definiert als

1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers,

2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder

3. vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.

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bb) Ausgangspunkt und Grundlage des Insolvenzgeldanspruches iS von § 183 Abs 1 S 1 SGB III aF ist das Arbeitsverhältnis (vgl Kühl in Brand, SGB III, 7. Aufl 2015, § 165 RdNr 16; Schneider in juris-PK-SGB III, § 165 SGB III RdNr 38; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, 2/16, § 165 SGB III RdNr 43 ff). Im Rahmen der Gewährung von Insolvenzgeld ist bei der Zuordnung von Entgeltansprüchen zum maßgeblichen Insolvenzgeld-Zeitraum entscheidend auf den arbeitsrechtlichen Entstehungsgrund und die Zweckbestimmung der Leistung abzustellen (vgl BSG Urteil vom 11.3.2014 - B 11 AL 21/12 R - BSGE 115, 190 = SozR 4-4300 § 185 Nr 2, RdNr 16 mwN). Entsteht ein Arbeitsverhältnis erst nach dem Insolvenzereignis, ist der Arbeitnehmer nicht durch die Vorschriften des Konkursausfallgelds (Kaug) geschützt (vgl BSG Urteil vom 22.2.1989 - 10 RAr 7/88 - SozR 4100 § 141b Nr 45 S 167; BSG Urteil vom 17.5.1989 - 10 RAr 7/89 - SozR 4100 § 141b Nr 46 S 170).

23

Dies war hier jedoch nicht der Fall, denn das Arbeitsverhältnis zwischen der Beigeladenen zu 1. und dem Beigeladenen zu 2. bestand auch nach der Freigabeerklärung nach § 35 Abs 2 InsO fort. Nach der Rechtsprechung des BAG erfasst die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs 2 S 1 InsO auch die zum Zeitpunkt ihres Zugangs bereits begründeten Arbeitsverhältnisse, die eigentlich nach § 108 Abs 1 S 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehen (vgl BAG Urteil vom 21.11.2013 - 6 AZR 979/11 - ZIP 2014, 339 mwN). Eine zusätzliche Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters zum Zweck der Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit Wirkung für die Masse ist danach nicht notwendig (BAG aaO, Juris RdNr 21; zu Dauerschuldverhältnissen allgemein vgl BGH Urteil vom 9.2.2012 - IX ZR 75/11 - BGHZ 192, 322; Juris RdNr 15 mwN). Das BAG begründet dies auch damit, dass anderenfalls - also bei Annahme einer zusätzlichen Kündigungspflicht - die Betriebsgrundlage für die Fortführung der Tätigkeit entzogen werden könnte, wenn sich nämlich Arbeitnehmer entschlössen, mit dem Schuldner kein neues Arbeitsverhältnis einzugehen (vgl BAG aaO, Juris RdNr 20). Konsequenterweise ist nach Zugang der Freigabeerklärung bei einer arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzklage nicht der Insolvenzverwalter, sondern der Schuldner passiv legitimiert (vgl BAG aaO, Juris RdNr 23; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 14. Aufl 2015, § 35 RdNr 82).

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cc) Dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf (erneute) Zahlung von Beiträgen steht jedoch entgegen, dass es mit der der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 21.8.2008 bereits ein Insolvenzereignis iS von § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III aF gab, das - neben den hier nicht im Raum stehenden Ansprüchen der Beigeladenen zu 1. auf Insolvenzgeld - einen von der Beklagten bereits erfüllten Anspruch der Klägerin auf Pflichtbeiträge nach sich gezogen hatte. Dieses auf das unverändert fortbestehende Arbeitsverhältnis bezogene frühere Insolvenzereignis entfaltet eine Sperrwirkung hinsichtlich späterer potentieller Insolvenzereignisse, weil der Beigeladene zu 2., also der Arbeitgeber der Beigeladenen zu 1., nach den ausdrücklichen Feststellungen des LSG seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 21.8.2008 durchgehend zahlungsunfähig war.

25

Nach der Rechtsprechung des 11. Senats des BSG kann ein neues (arbeitsförderungsrechtliches) Insolvenzereignis nicht eintreten, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers noch andauert. Für die Annahme wiedererlangter Zahlungsfähigkeit genügt es danach nicht, wenn der Arbeitgeber die Betriebstätigkeit fortführt und die laufenden Verbindlichkeiten, wie insbesondere die Lohnansprüche, befriedigt. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist vielmehr so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet deshalb nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelnen Zahlungsverpflichtungen wieder nachkommt (stRspr vgl zB BSG Urteil vom 17.3.2015 - B 11 AL 9/14 R - Juris RdNr 14 - NZS 2015, 591; mwN; zum früheren Kaug BSG Urteil vom 22.2.1989 - 10 Rar 7/88 - SozR 4100 § 141b Nr 45 S 167 mwN). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Soweit die Frage in den Raum gestellt wird, ob das zu einem Insolvenzplanverfahren ergangene Urteil vom 17.3.2015 (BSG aaO) auf die Situation einer Vermögensfreigabe nach § 35 Abs 2 InsO "unproblematisch" übertragen werden könne (vgl Krasney, KrV 2015, 84), ist dies mit Blick auf die Besonderheit des (arbeitsförderungsrechtlichen) Insolvenzereignisses iS von § 183 Abs 1 S 1 SGB III aF zu bejahen: Wie dargelegt knüpft dieses an das Arbeitsverhältnis und die Insolvenz des Arbeitgebers und nicht an die (weitere) Insolvenz eines bestimmten Vermögens an.

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e) Die Auslegung und Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 SGB III aF zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein früher eingetretenes Insolvenzereignis beendet ist und ein neues eintreten kann, wird durch das europäische Recht (Art 2 Abs 1 der RL 2008/94) nicht präjudiziert (vgl BSG Urteil vom 17.3.2015 - B 11 AL 9/14 R - Juris RdNr 19 f mwN).

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

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4. Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG in Höhe des Betrags der streitigen Beitrags-forderung festzusetzen.