Entscheidungsdatum: 26.10.2016
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 20. April 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
I. In der Hauptsache war zwischen den Beteiligten streitig, ob der Kläger als ehemaliger GmbH-Geschäftsführer ab 1.7.2011 Anspruch auf Alg hat, insbesondere ob er zu der GmbH in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat oder nicht.
Nachdem die Beklagte zunächst nach einer Sperrzeit Alg bewilligt hatte, hob sie später den Sperrzeitbescheid auf und lehnte die Gewährung von Alg ab (Bescheid vom 20.10.2011). Der Kläger erfülle die Anwartschaftszeit nicht. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Auf die Berufung des Klägers hat das LSG Hamburg mit Urteil vom 20.4.2016, das allein durch den Präsident des LSG S als Berichterstatter gefasst und verkündet wurde, das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alg ab 1.7.2011 zu gewähren.
Die Beklagte hat gegen das Urteil des LSG Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie rügt das Vorliegen eines Verfahrensmangels, nämlich der fehlerhaften Besetzung des LSG, als absoluten Revisionsgrund. Zwar habe sie im November 2015 ihr Einverständnis mit einer "Entscheidung durch den Berichterstatter" erklärt. Damaliger Berichterstatter sei aber der frühere Vizepräsident des LSG L gewesen. Zu einer Entscheidung durch diesen Berichterstatter habe sie ihr Einverständnis erteilt. Nachdem L am 31.2.2016 in den Ruhestand getreten sei, sei der Präsident des LSG S zum Vorsitzenden des 2. Senats sowie zum Berichterstatter in der Sache bestimmt worden. Auf diesen "konkreten Richter" habe sich ihr Einverständnis aber nicht bezogen. Insofern sei der absolute Revisionsgrund der nicht ordnungsgemäßen Besetzung des LSG, also eine Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG, gegeben. Im Übrigen sei das Urteil des LSG auch nicht in der erforderlichen Weise mit Entscheidungsgründen versehen (Verletzung von § 128 Abs 1 S 2 iVm § 130 Abs 1 und § 136 Abs 1 Nr 6 SGG), weil es an der Darlegung aller Voraussetzungen für das Bestehen des Anspruchs auf Alg fehle.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliegt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Dies ist hier nicht der Fall.
Die Beklagte hat den gerügten absoluten Revisionsgrund der fehlerhaften Besetzung des LSG nicht hinreichend bezeichnet. Sie hat selbst vorgetragen, dass sie im November 2015 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt hat. Diese Erklärung ist - schon ihrem Wortlaut nach - nicht auf die konkrete Person des Richters, sondern auf eine Funktion, nämlich diejenige des Berichterstatters, bezogen. Der (zum Zeitpunkt der Entscheidung zuständige) Berichterstatter hat die Entscheidung auch getroffen.
Der Umstand, dass ein früherer Berichterstatter Ende Januar 2016 aus seinem Amt ausgeschieden und daraufhin der Präsident des LSG zum neuen Vorsitzenden des Senats und zum Berichterstatter in der Sache bestimmt worden ist, lässt die Wirksamkeit der Einverständniserklärung nach § 155 Abs 3 und 4 SGG, die eine Prozesserklärung ist, nicht entfallen. Das Einverständnis bezieht sich auf den für die Entscheidung zuständigen ("gesetzlichen") Richter, nicht aber auf die konkrete Person eines Vorsitzenden oder Berichterstatters. Ein Richterwechsel verursacht deshalb keine wesentliche Änderung der Prozesslage und lässt eine früher abgegebene Erklärung auch nicht unwirksam werden. Die Einverständniserklärung kann aufgrund eines solchen Richterwechsels nicht einmal widerrufen werden (Lüdtke in HK-SGG, 4. Aufl 2012, § 155 RdNr 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 155 RdNr 12; Behn, SozVers 1994, 233).
Aus der von der Beklagten zitierten Entscheidung des BSG vom 23.8.2007 (B 4 RS 2/06 R - SozR 4-1500 § 155 Nr 1) ergibt sich nichts anderes. Zwar wird dort tatsächlich unter RdNr 17 ausgeführt, dass sich die Einverständniserklärung des Beteiligten auf einen "konkreten Richter" beziehen müsse und das Einverständnis an diesen gebunden sei. Die Erklärung müsse konkret und eindeutig sein. Diese Ausführungen beziehen sich aber - wie sich aus RdNr 18 des Urteils ergibt - auf eine andere prozessuale Situation. Dort hatte ein Beteiligter die Prozesserklärung abgegeben, er sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, durch Beschluss (§ 153 Abs 4 SGG) oder durch den Vorsitzenden (§ 155 Abs 3, 4 SGG) einverstanden; anschließend hatte der Berichterstatter entschieden. In dieser Situation erschien dem BSG die Einverständniserklärung nicht eindeutig und es nahm eine fehlerhafte Besetzung des LSG an. Bei Beachtung des Gesamtzusammenhangs ist dort aber nicht gemeint, dass sich das Einverständnis auf die konkrete Person eines Richters beziehen müsse. Vielmehr ging es darum, dass die Einverständniserklärung erkennen lassen muss, in welcher konkreten Besetzung ein Gericht die Entscheidung zu treffen hat. Eine entsprechende Auslegungsproblematik wirft der vorliegende Fall nicht auf, weil die Beklagte (allein) ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt hat.
Da der Verfahrensfehler schon nicht vorliegt, kann offenbleiben, ob sich die Klägerin nach dem auch im Prozessrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben angesichts des Ablaufs mit mündlicher Verhandlung durch den (neuen) Berichterstatter nachträglich auf den Verfahrensmangel eines fehlenden Einverständnisses zu einer Entscheidung durch den Berichterstatter als konsentierten Einzelrichter berufen kann (BSG Beschluss vom 16.6.2016 - B 13 R 35/16 B - SozR 4-1500 § 155 Nr 5).
Auch der Verfahrensfehler der mangelhaften Begründung der Entscheidung (§ 128 Abs 1 Satz 2 SGG, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG) ist nicht in der gebotenen Weise dargetan. Zwar trifft es zu, dass ein Gericht die rechtserheblichen Anspruchsvoraussetzungen prüfen muss. Die Begründung der Entscheidung muss aber nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abhandeln; vielmehr reicht als Angabe der für die richterliche Überzeugung leitenden Gründe die Darlegung der wesentlichen Gesichtspunkte aus (vgl BSG vom 12.2.2004 - B 4 RA 67/03 B - mwN; Beschluss vom 23.2.2010 - B 11 AL 121/09 B - mwN). Die Begründungspflicht ist deshalb nicht schon dann verletzt, wenn - wie die Beklagte meint - die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und tatsächlichen Gegebenheiten falsch oder nicht überzeugend sein sollten (vgl Beschluss vom 26.5.2011 - B 11 AL 145/10 B - mwN). Die Beklagte hätte aus diesem Grund darlegen müssen, dass die Entscheidung entweder überhaupt keine Begründung enthält oder dass die Gründe in so hohem Maß mangelhaft sind, dass sie ihre Funktion (Unterrichtung der Beteiligten über die dem Urteil zugrundeliegenden Erwägungen) nicht erfüllen können (vgl BSG vom 5.10.2010 - B 8 SO 62/10 B). Der Umstand, dass das LSG eine nach Lage der Akten wohl gegebene Ortsabwesenheit übersehen hat, führt nicht zu einem Mangel der Begründung. Umstände, welche das LSG nicht gesehen hat, sind für dieses auch nicht bei der Entscheidung erheblich gewesen. Dass das LSG möglicherweise dem Einzelfall des Klägers (teilweise) materiell unzutreffend beurteilt haben könnte, vermag die Zulassung der Revision nicht zu begründen.
Die nicht formgerecht begründete Beschwerde war daher nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.