Entscheidungsdatum: 05.10.2010
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 28. April 2010 - L 6 SO 34/09 - wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
I. Im Streit ist, ob die Beklagte höhere Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung, insbesondere unter Beachtung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs, zu gewähren hat.
Der Kläger bezieht seit Anfang 2005 Leistungen der Grundsicherung. Die monatlichen Leistungen der Beklagten setzen sich zusammen aus dem Regelsatz in Höhe von 347 Euro, einem Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen, der Grundmiete sowie den Heizkosten. Im Februar 2008 beantragte der Kläger unter Hinweis auf seinen Einkommensteuerbescheid 2006, der einen Behindertenpauschbetrag von 720 Euro jährlich ausweise, die Überprüfung aller Leistungsbescheide rückwirkend ab dem 1.1.2005 mit dem Ziel, diesen Betrag bei der Bemessung der Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) als Sonderbedarf berücksichtigt zu erhalten. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Pauschbetrag des § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) lediglich mit einer Einkommenserzielung verbundene besondere Belastungen abgelten solle (Bescheid vom 28.2.2008; Widerspruchsbescheid vom 17.6.2008). Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 15.1.2009; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger das Vorliegen eines Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) geltend. Das Urteil des LSG befasse sich nicht mit seinem - des Klägers - Schriftsatz vom 23.4.2010, in dem er auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.2.2010 (B 4 AS 29/09 R) hingewiesen habe, wonach ein besonderer atypischer Bedarf - zB auf Grund von Schwerbehinderung - vorhanden und zu decken sei. Es müsse davon ausgegangen werden, dass das LSG sein Vorbringen nicht zur Kenntnis, jedenfalls aber nicht erwogen habe. Es sei nicht auszuschließen, dass das Urteil des LSG auf diesem Verfahrensfehler beruhe. Denn das LSG wäre nicht umhingekommen, anders zu entscheiden, wenn es den Schriftsatz mit dem Hinweis auf die BSG-Entscheidung zur Kenntnis genommen hätte.
Trotz eines Hinweises des LSG auf die Möglichkeit, von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen zu können (§ 153 Abs 2 SGG), sei die Entscheidung des LSG so lückenhaft begründet, dass im Sinne eines absoluten Revisionsgrunds von einem Verstoß gegen die Begründungspflicht von Entscheidungen (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG) auszugehen sei. Die für erfüllt oder nicht erfüllt gehaltenen Tatbestandsmerkmale und die dafür ausschlaggebenden tatsächlichen und rechtlichen Gründe als zu fordernde Mindestvoraussetzungen einer Begründung müssten vorhanden sein. Diese seien aber so lückenhaft, widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, dass vom Fehlen der Entscheidungsgründe auszugehen sei.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG entscheiden.
Macht ein Kläger das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, so muss er bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34 und 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36), es sei denn, es werden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 SGG iVm § 547 Zivilprozessordnung (ZPO) der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8).
Gemäß § 202 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen des Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist. Um die Nichtzulassungsbeschwerde hierauf stützen zu können, muss ein Beschwerdeführer darlegen, dass die Entscheidung entweder überhaupt keine Begründung enthält oder dass die Gründe in so extremem Maß mangelhaft sind, dass sie ihre Funktion (Unterrichtung der Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden Erwägungen) nicht erfüllen können (Bundesverwaltungsgericht
Der Kläger behauptet nicht, dass die Entscheidung des LSG keine Begründung enthalte. Er hält die Begründung lediglich für "lückenhaft, widersprüchlich und nicht nachvollziehbar begründet", weil die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und zum tatsächlichen Geschehen unvollständig seien. Dies reicht nach der Rechtsprechung des BSG (BSG SozR 4-4300 § 223 Nr 1; BSG, Beschluss vom 12.2.2004 - B 4 RA 67/03 B) für die Bezeichnung eines Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) aber nicht aus. Auch dass die Begründung des angefochtenen Urteils den Tenor der LSG-Entscheidung nicht trage, behauptet der Kläger nicht. Dass er sie für inhaltlich unzutreffend hält, eröffnet die Revisionsinstanz nicht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Auch die bloße Behauptung, ein bestimmter Vortrag des Klägers (in seinem Schriftsatz vom 23.4.2010) sei vom LSG nicht berücksichtigt worden, genügt den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels nicht. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Gericht ist dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen auch in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Insbesondere ist es nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder der anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind (BVerfGE 96, 205, 217). Deshalb kann ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG) nicht angenommen werden, wenn das Gericht Ausführungen eines Beteiligten unerwähnt lässt, die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich haltlos sind (BVerfGE 70, 288, 293 f). Um einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darzulegen, hätte der Kläger deshalb substantiiert vortragen müssen, dass es sich bei dem Vortrag in seinem Schriftsatz vom 23.4.2010 um seinen Kernvortrag handelt und sich das LSG - auch ausgehend von seiner Rechtsansicht - damit hätte befassen müssen. Entsprechender Vortrag fehlt indes. Unter diesen Voraussetzungen ist es ohne Bedeutung, ob die Klage in diesem Verfahren nicht ohnedies mit Rücksicht auf die im Verfahren B 8 SO 61/10 B zuvor erhobene Klage wegen bereits bestehender Rechtshängigkeit unzulässig war.