Entscheidungsdatum: 12.02.2015
1. In der Verzögerungsrüge muss auf verfahrensfördernde Umstände hingewiesen werden, die noch nicht in das Verfahren eingeführt sind.
2. Relevante kleinste Zeiteinheit zur Berechnung der Überlänge ist der Kalendermonat (Anschluss an und Fortführung von BSG vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 3).
3. Die Entschädigung wegen Überlänge ist in Verfahren mit niedrigen Streitwerten nicht ohne Weiteres auf den Betrag des Streitwerts begrenzt (Anschluss an und Fortführung von BSG vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 5).
Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision des beklagten Landes wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. September 2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2100 Euro festgesetzt.
Streitig ist die Entschädigung von immateriellen Nachteilen wegen einer überlangen Dauer des Gerichtsverfahrens S 20 AS 2256/09 vor dem SG Speyer.
Die Klägerin stand im SGB II-Leistungsbezug. Wegen eines Meldeversäumnisses und gleichzeitig wiederholter Pflichtverletzung wurde die Regelleistung unter Abänderung des Bewilligungsbescheids für die Monate November 2009 bis Januar 2010 um 20 vH (72 Euro/Monat x 3 = 216 Euro) abgesenkt und der Kürzungsbetrag einbehalten (Bescheid vom 22.10.2009; Widerspruchsbescheid vom 1.12.2009).
Mit ihrer am 8.12.2009 beim SG Speyer erhobenen Klage wandte sich die Klägerin im Ausgangsverfahren S 20 AS 2256/09 gegen die Absenkung. Nach Aktenbeiziehung und Schriftsatzwechsel forderte das Ausgangsgericht die Klägerin seit März 2010 wiederholt zur Vorlage der Einladungen zu den Meldeterminen auf. Nachdem die Klägerin im August 2010 mitgeteilt hatte, die Einladungen seien nicht mehr auffindbar, bewilligte das Ausgangsgericht im September 2010 Prozesskostenhilfe und verfügte die Wiedervorlage zum 7.10.2010. Am 16.12.2011 erhob die Klägerin Verzögerungsrüge. Im Mai 2012 erfolgte die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 25.6.2012. Das Ausgangsverfahren S 20 AS 2256/09 endete in diesem Termin mit der Annahme eines vom Beklagten unterbreiteten Anerkenntnisses durch die Klägerin.
Am 13.12.2012 hat die Klägerin Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 2100 Euro erhoben. Das LSG hat das beklagte Land verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 216 Euro zu zahlen und die weitergehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, das Ausgangsverfahren sei seit der (letzten) Wiedervorlage zur Terminierung am 1.12.2010 bis zur Ladung am 30.5.2012 und damit 18 Monate nicht bearbeitet worden. Mit Blick auf die existenzielle Bedeutung der Angelegenheit sowie dem fehlenden rechtlichen Schwierigkeitsgrad und Umfang ergebe sich daraus eine unangemessene Überlänge. Daraus ergebe sich weiter die Vermutung eines immateriellen Nachteils, der angesichts der subjektiv erheblichen Bedeutung des Verfahrens nicht durch die bloße Feststellung der Unangemessenheit abgegolten werden könne. Der Umfang der Entschädigung sei aber zur Vermeidung von Missbrauch im Grundsatz auf das mit dem Ausgangsverfahren verfolgte finanzielle Interesse beschränkt, wenn die als Regelbetrag vorgesehene Pauschale dieses Interesse im Ausgangsverfahren - wie hier - um ein Vielfaches übersteige (Urteil vom 25.9.2013).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 198 GVG). Die Untätigkeit des Ausgangsgerichts habe bereits mit der PKH-Bewilligung begonnen und insgesamt 21 Monate gedauert. Die Abweichung vom Regelbetrag bei der Bemessung der Entschädigung sei nur in atypischen Sonderfällen möglich. Der geringe Gegenstandswert des Ausgangsverfahrens sei kein atypischer Sonderfall. Für die Annahme einer Unbilligkeit fehle es an den nötigen Tatsachenfeststellungen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. September 2013 abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, ihr wegen der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Speyer (S 20 AS 2256/09) eine Entschädigung in Höhe von weiteren 1884 Euro zu zahlen und die Anschlussrevision des beklagten Landes zurückzuweisen.
Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen, sowie im Wege der Anschlussrevision, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. September 2013 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Das beklagte Land rügt mit seiner Anschlussrevision ebenfalls eine Verletzung des § 198 GVG. Das Entschädigungsgericht habe das Verhalten der Klägerin im Ausgangsverfahren nicht in dem gebotenen Maße berücksichtigt, eine mit einem Richterwechsel verbundene notwendige Verfahrensverzögerung nicht in Abzug gebracht und selbst bei Unangemessenheit der Verfahrensdauer angesichts der zögerlichen Mitwirkung der Klägerin sowie des objektiv geringen wirtschaftlichen Interesses eine Entschädigung in Geld verneinen müssen.
Die zulässige Revision der Klägerin und die zulässige Anschlussrevision des beklagten Landes ( § 202 SGG iVm § 554 ZPO ) sind im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Entschädigungsgericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Die Entschädigungsklage ist zulässig (dazu 1.). Ob und inwieweit ein Entschädigungsanspruch der Klägerin besteht, lässt sich durch das Revisionsgericht aber nicht abschließend beantworten (dazu 2.). Zwar hat die Klägerin den richtigen Beklagten verklagt (dazu a) und die nötige Verzögerungsrüge rechtzeitig erhoben (dazu b). Es fehlen jedoch Feststellungen und eine umfassende Gesamtabwägung des LSG zur Unangemessenheit der Verfahrensdauer (dazu c). Hiervon ausgehend wird das LSG die weiteren Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen haben. Die Entschädigung wegen Überlänge ist in Verfahren mit niedrigen Streitwerten nicht ohne Weiteres auf den Betrag des Streitwerts begrenzt (dazu d bis f).
a) Der Senat hat das Begehren der Klägerin sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht an §§ 198 ff GVG zu messen, obwohl diese Vorschriften während des hier von der Klägerin als überlang gerügten Verfahrens in Kraft getreten sind (zeitlicher Anwendungsbereich des § 198 GVG). Die Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl I 2302) und damit auch die §§ 198 ff GVG finden aufgrund der Übergangsregelung des Art 23 S 1 ÜGG auch auf Verfahren Anwendung, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 (vgl Art 24 ÜGG) anhängig waren.
Dies ist hier der Fall. Das als überlang gerügte Verfahren war seit 2009 bis zu seiner Beendigung im Jahr 2012 anhängig.
b) Das LSG war für die Entscheidung funktional und örtlich zuständig. In den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten (vgl § 51 SGG) ist gemäß § 201 Abs 1 S 1 GVG iVm § 202 S 2 SGG für Klagen auf Entschädigung nach § 198 GVG gegen ein Land das für dieses Land örtlich zuständige LSG zuständig.
c) Das beklagte Land ist im Verfahren wirksam durch den Generalstaatsanwalt vertreten worden (vgl Zuständigkeit der Generalstaatsanwaltschaft nach § 1 Nr 1 Buchst c Landesverordnung über die Zuständigkeit zur Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
d) Die Entschädigungsklage vom 13.12.2012 ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 5 SGG; hierzu BSG Urteile vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 17 und - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 20 mwN). Sie ist am 13.12.2012 unter Einhaltung der Klagefrist des § 198 Abs 5 S 2 GVG innerhalb von sechs Monaten nach Verfahrenserledigung durch angenommenes Anerkenntnis vom 25.6.2012 erhoben worden.
e) Der Entschädigungsklage kann auch nicht entgegengehalten werden, sie sei nach Erhebung der Verzögerungsrüge verfrüht erhoben worden. Zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs 1 GVG kann eine Klage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden (§ 198 Abs 5 S 1 GVG). Dies gilt auch für Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 bereits anhängig waren (Art 23 S 1 ÜGG). Bei Erhebung der Entschädigungsklage am 13.12.2012 war die Sechsmonatsfrist des § 198 Abs 5 S 1 GVG bezogen auf die am 16.12.2011 angebrachte Verzögerungsrüge bereits abgelaufen und die Klage damit nicht verfrüht erhoben (zur grundsätzlichen Unheilbarkeit der Nichteinhaltung der Wartefrist und ausnahmsweisen Einräumung einer Übergangsfrist vgl BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 19 ff).
2. Ob ein Entschädigungsanspruch der Klägerin besteht, lässt sich im Revisionsverfahren nicht abschließend beantworten. Zwar hat die Klägerin den richtigen Beklagten verklagt (dazu a) und die nötige Verzögerungsrüge rechtzeitig erhoben (dazu b), jedoch fehlen Feststellungen und eine umfassende Gesamtabwägung des LSG zur Unangemessenheit der Verfahrensdauer (dazu c). Hiervon ausgehend wird das LSG die weiteren Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen haben. Die Entschädigung wegen Überlänge ist in Verfahren mit niedrigen Streitwerten nicht ohne Weiteres auf den Betrag des Streitwerts begrenzt (dazu d bis f).
a) Das beklagte Land ist für die Entschädigungsklage nach § 200 S 1 GVG passiv legitimiert, weil es danach für Nachteile haftet, die aufgrund von Verzögerungen bei seinen Gerichten entstehen; solche Nachteile macht die Klägerin aufgrund ihres bei dem SG Speyer geführten Verfahrens geltend.
b) Die am 16.12.2011 vor dem SG Speyer angebrachte Verzögerungsrüge war rechtzeitig. Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gemäß § 198 Abs 3 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge, zur Eigenschaft als materiell-rechtliche Voraussetzung BSG Beschluss vom 27.6.2013 - B 10 ÜG 9/13 B - SozR 4-1710 Art 23 Nr 1 RdNr 27; BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 = BFHE 243, 126, Juris, RdNr 24; BGH Urteil vom 17.7.2014 - III ZR 228/13 - RdNr 14 mwN). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (§ 198 Abs 3 S 2 Halbs 1 GVG). Für anhängige Verfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ÜGG am 3.12.2011 schon verzögert waren, gilt dies mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss (Art 23 S 2 ÜGG). Für die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge in bei Inkrafttreten des ÜGG bereits anhängigen Verfahren ist es ausreichend, wenn die Rüge, wie im Fall der Klägerin geschehen, spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG erfolgt (BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 26 ff). In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch auf Entschädigung auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art 23 S 3 ÜGG).
Die Klägerin hat die Verzögerungsrüge auch formgerecht erhoben. Die Dauer des Verfahrens muss bei dem mit der Sache befassten Gericht gerügt werden ( § 198 Abs 3 S 1 GVG ). Der Senat kann offenlassen, ob das Gesetz mit dieser Formulierung zugleich die Schriftform verbindet (hierzu BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 28 mwN). Denn das LSG hat noch hinreichend deutlich und unangegriffen ( § 163 SGG ) festgestellt, dass die Klägerin beim Ausgangsgericht eine schriftliche Verzögerungsrüge angebracht hat (zu den Anforderungen an die Schriftform der Klage in der Sozialgerichtsbarkeit vgl § 92 Abs 1 S 2 SGG ).
c) Die Feststellung einer Überlänge von 18 Monaten durch das Entschädigungsgericht zur unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem SG Speyer hält einer revisionsrichterlichen Überprüfung dagegen nicht vollständig Stand.
aa) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs 1 S 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl ausführlich BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 23 ff mwN).
Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die in § 198 Abs 6 Nr 1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste im Geltungsbereich des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Monat. Das Ausgangsverfahren begann am 8.12.2009, endete durch angenommenes Anerkenntnis am 25.6.2012 und erreichte damit eine Gesamtdauer von rund 30 Monaten. Das von dem Beklagten angesprochene Kostenfestsetzungsverfahren (S 6 des angegriffenen Urteils) ist nicht Bestandteil des Hauptsacheverfahrens, sondern bildet ggf ein eigenständiges Gerichtsverfahren (vgl BSG Urteil vom 10.7.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 2).
In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs 1 S 2 GVG genannten Kriterien zu messen (dazu bb bis ff).
Bei der Feststellung der Tatsachen, die zur Ausfüllung der von § 198 Abs 1 S 2 GVG genannten unbestimmten Rechtsbegriffe erforderlich sind, kommt dem Entschädigungsgericht ein erheblicher tatrichterlicher Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob das Entschädigungsgericht den Bedeutungsgehalt der unbestimmten Rechtsbegriffe aus § 198 Abs 1 S 2 GVG und damit den rechtlichen Rahmen zutreffend erkannt und ihn ausfüllend alle erforderlichen Tatsachen festgestellt und angemessen berücksichtigt hat, ohne Denkgesetze bzw allgemeine Erfahrungssätze zu verletzen (vgl BGH Urteil vom 5.12.2013 - III ZR 73/13 - BGHZ 199, 190 RdNr 47 mwN) oder gegen seine Amtsermittlungspflicht zu verstoßen. Maßgeblich ist, wie das Gericht die Lage aus seiner ex-ante-Sicht einschätzen durfte (BGH Urteil vom 13.2.2014 - III ZR 311/13 - NJW 2014, 1183, Juris RdNr 47; BVerwG Urteil vom 11.7.2013 - 5 C 23/12 D - BVerwGE 147, 146 RdNr 41).
Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 26; BGH Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 - NJW 2014, 1816, Juris RdNr 31). Dabei geht der Senat davon aus, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (dazu gg).
bb) Nicht zu beanstanden ist, dass das Entschädigungsgericht das Ausgangsverfahren gegen das - spätere - Jobcenter, in dem sich die Klägerin gegen die Absenkung ihrer Grundsicherungsleistungen wegen eines Meldeversäumnisses gewandt hatte, weder rechtlich noch tatsächlich als schwierig und umfangreich gewertet hat. Angriffe hiergegen erheben weder die Klägerin noch das beklagte Land.
cc) Das LSG hat die Bedeutung des Ausgangsverfahrens für die Klägerin im Ansatz rechtsfehlerfrei als spürbar in seine Bewertung der Angemessenheit eingestellt. Die von § 198 GVG genannte Bedeutung eines Verfahrens ergibt sich aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten (vgl ausführlich BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 29).
Hiervon ausgehend weist das Entschädigungsgericht trotz des vom beklagten Land bis zuletzt hervorgehobenen geringen Streitwerts von 216 Euro unangegriffen (§ 163 SGG) und zutreffend darauf hin, dass der objektive Umfang der streitbefangenen Grundsicherungsleistungen sich für die Klägerin anders darstellt, weil ihr Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts im Existenzminimumsbereich fehlten und durch Einsparmaßnahmen bzw die Aufnahme privater Darlehen kompensiert werden mussten. Allein dieser Umstand spricht gegen eine untergeordnete Bedeutung. Das Ausgangsverfahren musste auch nicht deshalb als weniger bedeutsam und dringlich angesehen werden, weil die Klägerin sich beim SG nicht um einstweiligen Rechtsschutz bemüht hat. Ihr Rechtsschutzbegehren mit einem Eilantrag zu verfolgen, versprach für die Klägerin spätestens nach Beendigung der dreimonatigen Absenkung im Januar 2010 nicht mehr ohne Weiteres Erfolg (vgl zu diesem Gesichtspunkt BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - RdNr 33 mwN).
dd) Das LSG hat im Ansatz zutreffend eine auch dem Verhalten der Klägerin zurechenbare Verlängerung des Ausgangsverfahrens festgestellt und Zeiten der Untätigkeit trotz mehrfacher Fristsetzungen und Erinnerungen zur Vorlage relevanter Einladungsschreiben zu Recht nicht dem Verantwortungsbereich des beklagten Landes zugeordnet.
ee) Das Entschädigungsgericht (LSG) hat schließlich im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei die Prozessleitung des Ausgangsgerichts in seine Erwägungen einbezogen. Dabei hat es auch beachtet, dass das Handeln des Ausgangsgerichts keiner rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen ist und die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber einräumt, wie es das Verfahren gestaltet und leitet (vgl BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 41 ff mwN).
ff) Ausgehend von diesen Grundsätzen tragen die Feststellungen des LSG nicht in vollem Umfang seinen Schluss, die Dauer des Verfahrens sei unangemessen gewesen. Das LSG wird deshalb nunmehr unter Beachtung der vorstehend genannten Vorgaben den Zeitraum der Unangemessenheit des Verfahrens vor dem SG konkret festzustellen und hierbei auch zu beachten haben, ob die hierfür relevanten Umstände über die Verzögerungsrüge rechtzeitig in das Ausgangsverfahren eingeführt waren oder ggf die Präklusionswirkung des § 198 Abs 3 S 3 und 4 GVG eingetreten ist (vgl hierzu Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, GVG, § 198 RdNr 117, 118). Insbesondere kann danach für die Bestimmung der Überlänge noch von Relevanz sein, ob die in der mündlichen Verhandlung zum Anerkenntnis führenden - vom LSG bisher nicht festgestellten - Umstände bereits in das Entschädigungsverfahren eingeführt waren oder nicht (§ 198 Abs 3 S 3 GVG, Art 23 S 2 ÜGG; s hierzu Urteilsumsdruck S 17). Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz bestimmt der geringe Grad der formalen Anforderungen an die Verzögerungsrüge in diesem Fall einer bisher fehlenden Verfahrenseinbindung nicht die Anforderungen an ihren Inhalt. Nicht nur der Wortlaut ist insoweit eindeutig. Auch die Warnfunktion der Rüge lässt nur die Betrachtungsweise zu, dass der Betroffene auf solche Umstände hinweisen muss, die der Verfahrensförderung dienen, aber noch nicht in das Verfahren eingeführt sind. Dies gilt auch, wenn im Übrigen keine hohen Anforderungen zu stellen sind (BT-Drucks 17/3802 S 21).
gg) Nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Entschädigungsgericht wird dieses Folgendes berücksichtigen müssen: Die Bestimmung der maximal zulässigen, noch angemessenen Verfahrenslaufzeit kann jeweils nur aufgrund einer abschließenden Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf die von § 198 Abs 1 S 2 GVG benannten Kriterien erfolgen. Dabei billigt der erkennende Senat den Ausgangsgerichten eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten je Instanz zu, die für sich genommen noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führt (näher BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 43 ff mwN).
Bei der noch ausstehenden abschließenden Gesamtabwägung darf das LSG dem Ausgangsgericht deshalb eine ausreichende Vorbereitungs- und Bedenkzeit einräumen, die nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss. In diese Zeit fallen dann allerdings auch die vom LSG in seine Bewertung eingestellten Untätigkeitszeiten aus Anlass der wiederholten Wiedervorlage zum 1.12.2010 und durch Richterwechsel (s Urteilsumdruck S 14). Das LSG wird hiernach die Zeiten, die nicht auf aktiver Verfahrensgestaltung beruhen, neu zu berechnen haben. Der Senat präzisiert dabei für die Berechnung der Überlänge die in seinen Urteilen vom 3.9.2014 (vgl ua BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 24 mwN) als kleinste Zeiteinheiten festgelegten Monate im Sinne von Kalendermonaten. Ausgehend von 19 Monaten (statt 18 Monaten) inaktiver Zeiten wird das LSG sodann zu erwägen haben, ob die vom Senat regelmäßig akzeptierte Zeitspanne von zwölf Monaten Vorbereitungs- und Bedenkzeit angemessen ist und deshalb zu einer erheblichen Unterschreitung der bisher festgestellten Überlänge führt. Hierbei wird das LSG auch noch zu prüfen haben, ob und inwieweit eine mögliche Verletzung der Hinweispflicht der Klägerin nach § 198 Abs 3 S 3 GVG iVm Art 23 S 2 ÜGG (dazu II.2.c, ff) zu einer weiteren Verkürzung der entschädigungsrelevanten Überlänge beitragen kann (§ 198 Abs 3 S 4 GVG).
d) Das LSG wird anschließend erneut die Feststellung zu treffen haben, ob die Klägerin deswegen einen Nachteil iS von § 198 Abs 1 S 1 GVG erlitten hat und dafür eine angemessene Entschädigung verlangen kann. Ein solcher Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs 2 S 1 GVG widerleglich vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat (näher BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 51 mwN).
e) Weitere Voraussetzung für den von der Klägerin verfolgten Entschädigungsanspruch ist es nach § 198 Abs 2 S 2 GVG, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Abs 4 dieser Vorschrift nicht ausreichend ist, insbesondere nicht gemäß § 198 Abs 4 S 1 GVG durch Feststellung des Entschädigungsgerichts, die Verfahrensdauer sei unangemessen lang gewesen. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, SozR 4-1500 § 202 Nr 1 mwN), kommt bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens aber nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verfahren beispielsweise für den Entschädigungskläger keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat. Hiervon hat sich das LSG leiten lassen. Der Senat weist auch angesichts des Beklagtenvortrags zur Anschlussrevision vorsorglich darauf hin, dass die vom LSG angenommene "deutlich spürbare Belastung" und die daraus abgeleitete "nicht nur untergeordnete Bedeutung" mit der Bedeutung gleichzusetzen sein dürften, welche nach der Rechtsprechung eine Entschädigung in Geld nach sich zieht.
f) Schließlich wird das Entschädigungsgericht ggf zu entscheiden haben, ob der von § 198 Abs 2 S 3 GVG vorgesehene Regelbetrag von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung nach den vom LSG festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls gemäß § 198 Abs 2 S 4 GVG unbillig ist. Entgegen der Rechtsauffassung des LSG bietet § 198 Abs 2 S 4 GVG keine Legitimation für eine grundsätzliche Kappung der Entschädigung auf den Betrag des Streitwerts in Fällen, in denen die Entschädigungspauschale den Streitwert um ein Vielfaches übersteigt. Eine Begrenzung dieser Art ist im Gesetz nicht angelegt. Auch die abstrakte Gefahr eines keineswegs zu vernachlässigenden Missbrauchs rechtfertigt danach keinen Rechtssatz, der den Entschädigungsbetrag bei geringen Streitwerten im Grundsatz auf das mit dem Ausgangsverfahren verfolgte finanzielle Interesse begrenzt (vgl Urteilsumdruck S 20). Der Senat hat im Ansatz bereits entschieden, dass S 4 nur für Ausnahmefälle die Möglichkeit eröffnet, von der jährlichen 1200-Euro-Pauschale nach oben oder nach unten abzuweichen (vgl BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 53 mwN). Der Senat präzisiert dies nunmehr dahin, dass sich mehr als ausnahmsweise Korrekturen in atypischen Sonderfällen dem Gesetz nicht entnehmen lassen. Dies ergibt sich aus Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Normzweck.
Nur wenn die Entschädigung von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung iS von § 198 Abs 2 S 3 GVG nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann nämlich das Gericht danach einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs 2 S 4 GVG). Bereits Wortlaut und Binnensystematik legen damit ein Regel-Ausnahme-Verhältnis nahe, das nicht - auch nicht für einzelne Rechtsgebiete oder Gruppen von Rechtsstreitigkeiten mit typischerweise niedrigen Streitwerten - im Wege der Rechtsfortbildung aus allgemeinen Erwägungen heraus generalisierend umgekehrt werden kann. Die gesetzliche Konzeption beruht insoweit auf einer anderen Systematik als beim Rückgriff auf die Einzelfallumstände zur Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer in § 198 Abs 1 S 2 GVG auf der Tatbestandsseite. Auf der Tatbestandsseite trägt die Anknüpfung an die Einzelfallumstände der Erkenntnis Rechnung, dass eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren übermäßig lange gedauert hat, unmöglich ist, zumal die Zügigkeit von Verfahren kein absoluter Wert ist (BT-Drucks 17/3802 S 18). Dementsprechend kann auf die Ermittlung und Gewichtung der Umstände des Einzelfalls an dieser Stelle nicht verzichtet werden. Auf der Rechtsfolgenseite soll die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pauschalierung dagegen eine zusätzliche Belastung der Gerichte bei der Bemessung der Entschädigung in Geld vermeiden und nur in Ausnahmefällen eine Abweichung ermöglichen (BT-Drucks 17/3802 S 20). Die Konzeption der Entschädigungspauschale weicht insoweit auch bewusst von der strikt einzelfallbezogenen Bemessung der Entschädigung durch den EGMR ab (vgl Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl 2011, Art 41 RdNr 21 mwN).
Diese Zielsetzung spricht dafür, die mögliche Abweichung von der Entschädigungspauschale auf besondere Umstände (vgl BGH Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 - RdNr 50, 51; Schlick, NJW 2014, 2686, 2689) bzw atypische Sonderfälle zu begrenzen, damit die verschiedenen berücksichtigungsfähigen Aspekte nicht in jedem Einzelfall ermittelt und gewichtet werden müssen (vgl Marx/Roderfeld, aaO, § 198 RdNr 82; Böcker, DStR 2011, 2173, 2177; Schenke, NVwZ 2012, 257, 262; Wehrhahn, SGb 2013, 61, 66; in der Formulierung weiter Ott in Steinbeiß-Winkelmann, GVG, 2013, § 198 RdNr 227; Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl 2013, § 198 RdNr 28). Das zu beurteilende Verfahren muss sich infolgedessen durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abheben. Der Senat schließt eine solche Atypik für Geldansprüche mit geringem Streitwert nicht ausnahmslos aus (vgl Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl 2013, § 198 RdNr 28 mwN). In Grundsicherungsangelegenheiten ist der geringe Streitwert indessen keine Besonderheit und als genereller Maßstab der Absenkung ebenso wenig tauglich wie die Verfahrensart als solche etwa als Maßstab der Anhebung der Entschädigungspauschale (vgl zur Kindschaftssache BGH Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 - RdNr 50, 51). Berücksichtigungsfähig sind etwa eine außergewöhnlich geringe Bedeutung des Verfahrens für den Betroffenen oder aber auch eine nur kurzzeitige Verzögerung (vgl Böcker, DStR 2011, 2173, 2177). Feststellungen zu atypischen Besonderheiten, insbesondere einer womöglich deutlich geringeren Überlänge als bisher angenommen, hat das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht bisher noch nicht getroffen.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
4. Die auch im Fall der Zurückverweisung vorzunehmende Streitwertfestsetzung (BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 56 mwN) beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 47, § 52 Abs 1 und 3, § 63 Abs 2 S 1 GKG.