Entscheidungsdatum: 14.05.2012
Ein gegenüber dem Finanzamt geltend gemachter Informationsanspruch des Insolvenzverwalters, der anschließend einen Anfechtungsanspruch durchsetzen will, wird vom Regelungsbereich der Abgabenordnung nicht umfasst. Ein Anspruch nach § 4 Abs. 1 IFG NRW (juris: InfFrG NW) ist demnach nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ausgeschlossen.
I.
Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter auf der Grundlage des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen - IFG NRW -) Einsicht in Speicherkontenauszüge, um die wirtschaftlichen und steuerlichen Verhältnisse des Insolvenzschuldners aufarbeiten und um etwaige Anfechtungsansprüche gemäß §§ 119 ff. InsO geltend machen zu können. Nach Ablehnung des Antrags durch das Finanzamt wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, Auskunft durch Herausgabe von Jahreskontenauszügen zu erteilen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Der Anspruch folge aus § 4 Abs. 1 IFG NRW. Er sei nicht durch die Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ausgeschlossen. Insbesondere liege in der Nichtregelung eines Akteneinsichtsrechts in der Abgabenordnung keine bereichsspezifische Ausschlussregelung. Ob auch nach dem Inkrafttreten der Informationsfreiheitsgesetze der Länder und des Bundes von einem absichtsvollen Regelungsverzicht auszugehen sei, könne dahinstehen. Eine anspruchsverdrängende Wirkung komme dem jedenfalls in Bezug auf einen Insolvenzverwalter nicht zu, der einen Auskunftsanspruch zum Zwecke der Anfechtung geltend mache. Die absichtsvolle Nichtregelung der Abgabenordnung und der Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters erfassten unterschiedliche Personengruppen bzw. Rechtsverhältnisse; ein umfassender Informationsanspruch laufe dem Schutzzweck des Spezialgesetzes nicht zuwider. Der Anspruch unterliege keinen Einschränkungen gemäß §§ 5 ff. IFG NRW.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Zulassung der Revision wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und sowohl für das Berufungsurteil als auch für die angestrebte Revisionsentscheidung entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt außerdem die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f. und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
Soweit die Beschwerde die Frage aufwirft,
ob der Verzicht auf Regelung des Akteneinsichtsrechts in der Abgabenordnung als absichtsvoll, also als vom Gesetzgeber bewusst gewollt anzusehen ist,
wird schon die Klärungsfähigkeit nicht dargelegt; denn das Oberverwaltungsgericht hat diese Frage ausdrücklich offen gelassen.
Die weitere Frage,
ob der absichtsvolle Regelungsverzicht in der Abgabenordnung eine besondere Regelung im Sinne des § 4 Abs. 2 IFG NRW darstellt,
rechtfertigt ebenso wenig die Zulassung der Revision.
Allerdings ist die Frage jedenfalls auch auf revisibles Recht bezogen. Zwar handelt es sich bei den allgemeinen Maßstäben, nach denen sich bestimmt, ob eine Regelung des Informationszugangs als im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW besondere und somit vorrangige, die Anwendbarkeit des Informationsfreiheitsgesetzes NRW verdrängende Rechtsvorschrift anzusehen ist, um nicht revisibles Landesrecht. Denn abgesehen davon, dass der Wortlaut der Subsidiaritätsregelung des Informationsfreiheitsgesetzes NRW nicht mit dem des § 1 Abs. 3 IFG übereinstimmt, zählen die Informationsfreiheitsgesetze nicht zum Verwaltungsverfahrensrecht im Sinne von § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO (vgl. Beschluss vom 1. November 2007 - BVerwG 7 B 37.07 - Buchholz 451.90 Sonstiges Europ. Recht Nr. 210 Rn. 6). An diesen landesrechtlichen Vorgaben, über die das Oberverwaltungsgericht für den Senat bindend entscheidet, sind aber auch bundesrechtliche Vorschriften zu messen. Diese werden dadurch nicht etwa ins Landesrecht inkorporiert; vielmehr knüpft die landesrechtliche Regelung an die vom Landesgesetzgeber vorgefundene bundesrechtliche Regelung an, deren Geltungsgrund unverändert bleibt (vgl. hierzu Beschluss vom 18. November 2010 - BVerwG 7 B 23.10 - juris Rn. 5). Das Verständnis und die Auslegung der bundesrechtlichen Bestimmungen, die bei der Subsumtion unter den landesrechtlichen Begriff der besonderen Rechtsvorschrift zugrunde zulegen sind, können Gegenstand revisionsgerichtlicher Prüfung sein (vgl. Beschluss vom 20. Mai 2010 - BVerwG 7 B 28.10 - juris Rn. 6).
Eine besondere Rechtsvorschrift nach § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW liegt nach der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts dann vor, wenn diese einen Informationsanspruch in Bezug auf denselben Sachverhalt abschließend - sei es identisch, sei es abweichend - regelt. Eine bereichsspezifische Ausschlussregelung in diesem Sinne ist dann anzunehmen, wenn ihr Anwendungsbereich in sachlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Informationen, die der Rechtsvorschrift unterfallen, und/oder in persönlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Personen, auf welche die Rechtsvorschrift Anwendung findet, beschränkt ist. Der begrenzte Informationsanspruch für einen gesonderten Sachbereich oder für bestimmte Personengruppen verdrängt den Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW, wenn ein umfassender Informationsanspruch dem Schutzzweck des Spezialgesetzes zuwiderlaufen würde (so bereits OVG Münster, Beschluss vom 31. Januar 2005 - 21 E 1487/04 - NJW 2005, 2028 Rn. 16 ff., sowie Urteile vom 9. November 2006 - 8 A 1679/04 - GewArch 2007, 113 Rn. 93 ff. und vom 9. Februar 2012 - 5 A 166/10 - DVBl 2012, 568 Rn. 35 ff.).
Dem Vorbringen des Beklagten ist demnach die entscheidungserhebliche Frage revisiblen Rechts zu entnehmen, ob vom Regelungsbereich der Abgabenordnung ein Informationsanspruch des Insolvenzverwalters, der anschließend einen Anfechtungsanspruch geltend machen will, mit umfasst ist. Diese Frage rechtfertigt indessen nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens. Sie lässt sich ohne Weiteres im Sinne der angefochtenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts beantworten.
Der Gesetzgeber hat sich beim Erlass der Abgabenordnung nur mit der Frage befasst, ob der Beteiligte eines steuerrechtlichen Verfahrens nach dem Vorbild des § 29 VwVfG einen Anspruch auf Akteneinsicht haben soll (vgl. BTDrucks 7/4292 S. 24 f.). Gegenstand der Überlegungen und der nachfolgenden Nichtregelung war demnach nur der Informationszugang im Rahmen des Besteuerungsverfahrens. Hiervon geht auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aus (vgl. etwa Beschlüsse vom 4. Juni 2003 - VII B 138/01 - BFHE 202, 231 Rn. 10 ff., 19 und vom 14. April 2011 - VII B 201/10 - BFH/NV 2011, 1296 Rn. 14 sowie Urteil vom 23. Februar 2010 - VII R 19/09 - BFHE 228, 139 Rn. 11; vgl. auch Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, AO § 91 Rn. 124, 128). Einen solchen auf ein laufendes Steuerverfahren bezogenen Anspruch macht der Kläger, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausführt, nicht geltend. Denn er handelt nicht gemäß § 34 Abs. 3 und 1 AO in Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners und um dessen Rechte zu wahren (siehe dazu BFH, Beschluss vom 15. September 2010 - II B 4/10 - BFH/NV 2011, 2 Rn. 6). Er ist vielmehr im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger tätig, zu deren Gunsten Zahlungen des Insolvenzschuldners im Wege der Anfechtung zur Insolvenzmasse gezogen werden sollen; dabei handelt es sich um ein eigenständiges Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 58/06 - ZIP 2009, 1823 Rn. 9 sowie BFH, Beschluss vom 14. April 2011 a.a.O. Rn. 13).
Entgegen der Ansicht des Beklagten kann aus der Formulierung in einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs, wonach die Nichtregelung des Akteneinsichtsrechts eine abschließende Regelung für den Umgang mit den im Besteuerungsverfahren gespeicherten Akten enthalte (BFH, Beschluss vom 4. Juni 2003 a.a.O. Rn. 19), nichts Gegenteiliges entnommen werden. Auf die Verneinung eines jeglichen Informationszugangsrechts zu den bei der Finanzverwaltung vorhandenen (Steuer-)Akten zielt diese Aussage jedenfalls nicht. Das folgt schon aus den Bestimmungen über die Gesetzgebungszuständigkeiten, aufgrund derer die Abgabenordnung erlassen worden ist. Der Gesetzgeber hat im Zusammenhang mit dem Akteneinsichtsrecht Fragen des Steuerverwaltungsverfahrens erwogen, zu dessen Regelung für die Tätigkeit der Landesbehörden der Bund nach Art. 108 Abs. 5 Satz 2 GG zuständig ist. Zum Verfahren in diesem Sinne, das dem in Art. 84 Abs. 1 GG normierten entspricht (siehe Seer, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 148), zählt indessen der voraussetzungslose und unabhängig von einem anhängigen Verwaltungsverfahren bestehende, eigenständige Anspruch nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder nicht (vgl. Beschluss vom 15. Oktober 2007 - BVerwG 7 B 9.07 - Buchholz 451.09 IHKG Nr. 20 Rn. 9 sowie Urteil vom 3. November 2011 - BVerwG 7 C 3.11 - DVBl 2012, 176 Rn. 17; siehe auch Seer, in: Tipke/Kruse, AO, FGO, § 91 AO Rn. 28 f.). Eine Sperrwirkung kommt den verfahrensrechtlichen Bestimmungen der Abgabenordnung insoweit folglich nicht zu.