Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 21.02.2011


BGH 21.02.2011 - 4 BGs 2/11

Akteneinsichtsrecht des Verletzten: Versagung der Einsichtnahme in die als „VS-GEHEIM“ eingestuften Teile der Ermittlungsakte


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Ermittlungsrichter
Entscheidungsdatum:
21.02.2011
Aktenzeichen:
4 BGs 2/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

Der Antrag des Rechtsanwalts K.    vom 6. Januar 2011 auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 406e Abs. 4 Satz 2 StPO gegen die Entscheidung des Generalbundesanwalts vom 3. September 2010, dem Antragsteller A.  H.     die Akteneinsicht in die als „VS-GEHEIM“ eingestuften Aktenbestandteile zu versagen, wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.

1

1. Der Generalbundesanwalt hat ein Ermittlungsverfahren gegen die oben genannten vormaligen Beschuldigten wegen des Verdachts einer Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) und anderer Delikte geführt. Dieses Ermittlungsverfahren ist mit Verfügung des Generalbundesanwalts vom 16. April 2010 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Am 13. Oktober 2010 hat der Generalbundesanwalt eine offene Version der als geheime Verschlusssache eingestuften Einstellungsverfügung an Rechtsanwalt K.   übersandt. Dieser hatte sich als Vertreter des H.       zur Akte gemeldet, dessen beiden Söhne durch den hier verfahrensgegenständlichen Luftangriff vom 4. September 2009 in A.      ,                , getötet worden sein sollen. Gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens hat Rechtsanwalt K.   für den Antragsteller am 15. November 2010 bei dem Oberlandesgericht D.         einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 2, 3 StPO) gestellt.

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2. Mit Verfügung vom 3. September 2010 hat der Generalbundesanwalt Rechtsanwalt K.   auf dessen Antrag hin Akteneinsicht für H.          gemäß § 406e Abs. 1 StPO in die offenen und - nach Abgabe einer entsprechenden Verpflichtungserklärung - auch in die als „VS-VERTRAULICH“ eingestuften Teile der Ermittlungsakte gewährt. Eine Akteneinsicht in die als „VS-GEHEIM“ eingestuften Aktenbestandteile hat der Generalbundesanwalt gemäß § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Das Interesse der am Einsatz der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingerichteten internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force, ISAF) beteiligten Soldaten (und, wie in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts vom 25. Januar 2011 ergänzend ausgeführt: ihrer Informanten) an der Geheimhaltung der in den Akten enthaltenen militärischen Geheimnisse sei größer als das berechtigte Interesse der Verletzten, den gesamten Akteninhalt kennenzulernen. Die als „VS-GEHEIM“ eingestuften Aktenbestandteile enthielten ausschließlich militärisches Tatsachenmaterial oder setzten sich mit diesem auseinander. Gelangten diese Informationen an die Öffentlichkeit oder gar in die Hände des militärischen Gegners, führe dies zu einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben der am bewaffneten Konflikt beteiligten ISAF-Soldaten (und ihrer Informanten). Demgegenüber werde das Interesse der Verletzten, ein Klageerzwingungsverfahren zu betreiben, nicht beeinträchtigt, weil insoweit in erforderlichem Umfang Teilakteneinsicht gewährt werde. Insbesondere die offene Version des Einstellungsvermerks biete eine ausreichende Grundlage zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 3 StPO.

3

Vor seiner Entscheidung über die Akteneinsicht gemäß § 406e Abs. 1 StPO hatte der Generalbundesanwalt sowohl den Verteidigern als auch dem Bundesministerium der Verteidigung Gelegenheit gegeben, zur Frage des schutzwürdigen Interesses an der Verweigerung der Akteneinsicht Stellung zu nehmen. Von dieser Möglichkeit haben sowohl der Verteidiger von K.       als auch das Bundesministerium der Verteidigung Gebrauch gemacht. Das Bundesministerium der Verteidigung hat ausgeführt, dass als überwiegendes schutzwürdiges Interesse anderer Personen im Sinne des § 406e Absatz 2 Satz 1 StPO auch das Wohl des Bundes zu berücksichtigen sei und dass dieses im konkreten Fall gegenüber berechtigten Interessen Geschädigter überwiege.

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3. Gegen die teilweise Versagung der Akteneinsicht wendet sich der Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 406e Abs. 4 Satz 2 StPO). Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Dem Akteneinsichtsgesuch des Antragstellers stünden keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegen. Die Abwägung des Generalbundesanwalts sei bereits deshalb fehlerhaft, weil die Personengruppe der am ISAF-Einsatz beteiligten Soldaten nicht zu der in § 406e Abs. 2 Satz 1 genannten Personengruppe der anderen Personen gehöre. Hierunter fielen nur Personen, die in einem sehr engen, unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren stünden und konkret individualisiert in den Akten benannt oder beschrieben seien. Die Personengruppe der am ISAF-Einsatz beteiligten Soldaten sei demgegenüber zu weitgehend und zu abstrakt gefasst. Hinzu komme, dass der Generalbundesanwalt den Schutz allgemeiner operativer Interessen dem Schutz Dritter gleichstelle, obwohl § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO nicht dem allgemeinen strafrechtlichen Rechtsgüterschutz diene.

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Selbst bei Annahme, die am ISAF-Einsatz beteiligten Soldaten seien als andere Personen gemäß § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO anzusehen, werde aber deren schutzwürdiges Interesse, dass militärisches Tatsachenmaterial an die Öffentlichkeit oder gar in die Hände des militärischen Gegners gerate, durch die Gewährung einer vollständigen Akteneinsicht nicht berührt, da der Akteneinsicht nehmende Rechtsanwalt einer Verschwiegenheitspflicht unterliege.

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Zudem sei der Geheimschutz als solcher nicht Zweck des § 406e StPO. § 96 StPO, bei dem es sich um die einzige den Geheimschutz betreffende Norm der StPO handele, sei nicht anwendbar, wenn der Betroffene eines Ermittlungsverfahrens nach dessen Einstellung Akteneinsicht begehre. Dem Verteidiger eines Beschuldigten - und damit auch dem Vertreter eines Verletzten, der ebenfalls Verfahrensbeteiligter sei - sei auch nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens Akteneinsicht zu gewähren. Einen geheimnisbedürftigen Vorgang lediglich dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis zu bringen, sei unzulässig. Vielmehr erstrecke sich das Recht auf Akteneinsicht auf alle Vorgänge, die Aktenbestandteil geworden seien. Demgemäß ändere auch die Einstufung als Verschlusssache nichts am Bestehen eines Akteneinsichtsrechts des Verteidigers gemäß § 147 StPO; dies gelte ebenso für den Verletztenanwalt. Besonders deutlich werde dieses Ergebnis im Vergleich mit den Ausschlussgründen des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Wenn der Gesetzgeber schon in diesem Gesetz, in dem es um den - rechtlich leichter einschränkbaren - allgemeinen Informationszugang der Bürger gehe, eine gesetzliche Regelung zur Einschränkung des Informationsanspruchs für erforderlich erachtet habe, könne erst recht im Strafverfahren ohne eine solche Norm eine Akteneinsicht nicht verweigert werden.

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Überdies erschwere die Versagung der Akteneinsicht in die als „VS-GEHEIM“ eingestuften Aktenteile dem Antragsteller das Betreiben des Klageerzwingungsverfahrens in so erheblichem Maße, dass auch von daher gesehen die Annahme eines überwiegenden schutzwürdigen Interesses des Beschuldigten oder anderer Personen nicht berechtigt sei. So hätten unter anderem die Protokolle der Vernehmungen der Beschuldigten und der beiden Zeugen vor dem Verteidigungsausschuss als 1. Untersuchungsausschuss des Bundestages, der Bericht des N.         zu dem Vorfall, der Bericht des I.                  , der Bericht des G.                                   sowie ein Großteil der Anlagen zum F.                 bericht der Bundeswehr nicht eingesehen werden können. Zudem enthalte die offene Version der Einstellungsverfügung im Sachverhalt zahlreiche Streichungen, die eine Erfüllung aller gesetzlichen Anforderungen des § 172 Abs. 3 StPO zwar zuließen, wichtige Beweismittel, insbesondere zur Beurteilung der Informationsweitergabe, der Glaubhaftigkeit der Angaben des Informanten und dessen Glaubwürdigkeit, der Möglichkeit des Einsatzes milderer Mittel und der inneren Tatbestandsmerkmale, aber der gerichtlichen Überprüfung der Einstellungsentscheidung vorenthielten. Für den Antragsteller sei aufgrund der Geheimhaltung dieser Informationen insbesondere die Beweiswürdigung des Generalbundesanwalts zum Vorstellungsbild von K.   nicht überprüfbar.

II.

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1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist statthaft (§ 406e Abs. 4 Satz 2 StPO) und auch im Übrigen zulässig.

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a) Über die Gewährung der Akteneinsicht für den Verletzten entscheidet im vorbereitenden Verfahren die Staatsanwaltschaft (§ 406e Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StPO), hier mithin der Generalbundesanwalt. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft kann gemäß § 406e Abs. 4 Satz 2 StPO gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 StPO zuständige Gericht beantragt werden. Zuständig für die vorliegend beantragte gerichtliche Entscheidung ist der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes (§ 162 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO).

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b) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist statthaft. Hierzu bedarf es keiner abschließenden Entscheidung hinsichtlich der Verletzteneigenschaft des Antragstellers (§ 406e Abs. 1 StPO). Denn der Generalbundesanwalt hat diese unter Zurückstellung seiner in der Stellungnahme vom 25. Januar 2011 näher ausgeführten Restzweifel als hinreichend dargelegt angesehen und auf dieser Grundlage eine Einsichtnahme in Akte, soweit sie nicht als „VS-GEHEIM“ eingestuft ist, gewährt. Damit ist auch für die Entscheidung über den vorliegenden Antrag gemäß § 406e Abs. 4 Satz 2 StPO von der Verletzteneigenschaft des Antragstellers auszugehen.

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2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist jedoch nicht begründet.

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a) Gemäß § 406 e Abs. 1 Satz 1 StPO kann für den Verletzten ein Rechtsanwalt die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. In den in § 395 StPO genannten Fällen - und damit auch hier (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) - bedarf es einer solchen Darlegung indes nicht.

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b) Nach § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO ist die Einsicht in die Akten - zwingend - zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Dieses Abwägungsgebot gilt auch für den Nebenklageberechtigten (§ 395 StPO; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 406e Rn. 6 mwN; Löwe-Rosenberg/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 406e Rn. 2).

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Bei der Prüfung gemäß § 406 Abs. 2 Satz 1 StPO ist davon auszugehen, dass diese Vorschrift einen vertretbaren Ausgleich im schwierigen Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz, Verteidigungsinteressen, Wahrheitsfindung, Funktionsinteressen der Strafrechtspflege und dem legitimen, verfassungsrechtlich abzuleitenden Informationsanspruch des Verletzten sucht (BGH, Beschluss vom 18. Januar 1993 - 5 AR (VS) 44/92, BGHSt 39, 112, 115; Löwe-Rosenberg/Hilger, aaO Rn. 3; vgl. auch BT-Drucks. 10/5305, S. 18). Deshalb sind im Rahmen des § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO die gegenläufigen Interessen des Verletzten sowie des Beschuldigten oder anderer Personen sorgfältig gegeneinander abzuwägen, um hierdurch festzustellen, welchem Interesse im Einzelfall der Vorrang gebührt (BVerfG, NJW 2007, 1052, 1053; BVerfG, ZIP 2009, 1270 Rn. 24; vgl. auch BVerfG NJW 2003, 501, 503).

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c) Diese Grundsätze hat der Generalbundesanwalt bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Die von ihm vorgenommene Abwägung der gegenläufigen Interessen lässt keinen Fehler erkennen und ist auch im Ergebnis zutreffend. Unter Würdigung des Inhalts der Akte - einschließlich der als „VS-GEHEIM“ eingestuften Bestandteile, die dem Gericht zur Entscheidung über den Antrag gemäß § 406e Abs. 4 Satz 2 StPO vorlagen - ist in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt davon auszugehen, dass die schutzwürdigen Interessen anderer Personen, hier namentlich der Schutz von Leib und Leben der am ISAF-Einsatz beteiligten Soldaten und der Personen, die mit ihnen zusammenarbeiten, insbesondere ihrer Informanten, das Informationsinteresse des Antragstellers überwiegen. Der Generalbundesanwalt hat daher zu Recht eine Einsichtnahme in die als „VS-GEHEIM“ eingestuften Teile der Ermittlungsakte versagt.

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aa) Dabei kann die in Rechtsprechung und Literatur, soweit ersichtlich, bisher noch nicht erörterte Frage offen bleiben, ob zu den anderen Personen gemäß § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO auch die Bundesrepublik Deutschland gehört und im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung demnach das Wohl und Sicherheitsinteressen des Bundes zu berücksichtigen sind. Denn jedenfalls gehören die am ISAF-Einsatz beteiligten Soldaten sowie deren Mitarbeiter und Informanten zu dem Kreis der Personen, deren schutzwürdige Interessen im Rahmen der Abwägung gemäß § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO zu berücksichtigen sind.

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bb) Anders als der Antragsteller meint, sind andere Personen gemäß dieser Vorschrift nicht nur solche, die in einem sehr engen, unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren stehen und konkret individualisiert in den Akten benannt oder beschrieben sind. Eine solche Einschränkung des Personenkreises lässt sich weder dem Wortlaut der Vorschrift noch den Gesetzesmaterialien entnehmen. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck des § 406 Abs. 2 Satz 1 StPO.

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Nach der Gesetzesbegründung verfolgte der Gesetzgeber bei der Neugestaltung der formellen Verletztenbeteiligung am Verfahren das Ziel, dem Verletzten schon im Vorverfahren gewisse Mindestbefugnisse zu gewähren, wozu diesem unter anderem ein gesetzliches Akteneinsichtsrecht eingeräumt und gleichzeitig sichergestellt werden sollte, dass die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten und anderer Personen an der Wahrung ihrer persönlichen Daten nicht unvertretbar beeinträchtigt und Verfahrensverzögerungen vermieden werden (BT-Drs. 10/5305, S. 8; vgl. auch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, BT-Drucks. 10/6124, S. 12). Weiter wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO mit Rücksicht auf die berechtigten Schutzinteressen und Belange des Beschuldigten und Dritter vorsehe, dass eine Akteneinsicht des Verletzten im Interesse des Persönlichkeitsschutzes des Beschuldigten oder Dritter zu versagen sei, wenn deren Interesse an der Geheimhaltung ihrer in den Akten enthaltenen persönlichen Daten überwiege (BT-Drs. 10/5305, S. 18).

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Mag auch der Schwerpunkt der Gesetzesbegründung in dem Schutz des Rechts der genannten Personen auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG; vgl. BVerfG, ZIP 2009, 1270 Rn. 16 mwN) zu sehen sein (vgl. Löwe-Rosenberg/Hilger, aaO Rn. 9; KK-Engelhardt, StPO, 6. Aufl., § 406e Rn. 3), so lässt die Begründung doch keine Beschränkung der im Rahmen des § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO zu berücksichtigenden schutzwürdigen Interessen auf diesen Gesichtspunkt und damit auch keine entsprechende Beschränkung des schutzwürdigen Personenkreises auf solche Personen, deren personenbezogene Daten in der Akte enthalten sind, erkennen.

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Dem entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in den bereits erwähnten Entscheidungen ausgeführt, zu den schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten zähle auch (mithin: nicht alleine) sein Interesse an der Geheimhaltung persönlicher Daten (BVerfG, NJW 2007, 1052, 1053; BVerfG, ZIP 2009, 1270 Rn. 24). Dies gilt in gleicher Weise für die anderen in § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO genannten Personen.

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Demgemäß werden als schutzwürdige Interessen gemäß § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO neben den persönlichkeitsrechtlichen Interessen im weitesten Sinne (vgl. hierzu im Einzelnen: Löwe-Rosenberg/Hilger, aaO; vgl. auch BeckOK-Weiner, Bearb. 15. Januar 2011, § 406e Rn. 3; Meyer-Goßner, aaO) beispielsweise auch wirtschaftliche Interessen, wie etwa Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse umfasst (Löwe-Rosenberg/Hilger, aaO mwN; vgl. auch BVerfG, wistra 2002, 335, 337).

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Wenn aber bereits wirtschaftliche Interessen an der Geheimhaltung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen als schutzwürdige Interessen anerkannt sind, muss dies - wie der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme vom 25. Januar 2011 zutreffend ausgeführt hat - nach dem Sinn und Zweck des § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO auch - und erst recht - für militärische Geheimnisse gelten, die dem Schutz des durch Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Soldaten und der mit ihnen zusammenarbeiten Personen, hier insbesondere der afghanischen Informanten, gelten (so auch BeckOK/Weiner, aaO, sowohl für militärische Geheimnisse als auch für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit).

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Entgegen der Auffassung des Antragstellers erfordert die Berücksichtigung des schutzwürdigen Interesses der vorstehend genannten Personen im Rahmen der Abwägung gemäß § 406 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht, dass diese konkret individualisiert in den Akten benannt oder beschrieben sind. Denn die hier von einer Offenbarung der militärischen Geheimnisse ausgehende Gefahr für Leib oder Leben beschränkt sich nicht auf die mit dem verfahrensgegenständlichen Luftangriff unmittelbar im Zusammenhang stehenden Soldaten, Mitarbeiter und Informanten, sondern umfasst angesichts des Inhalts der als „VS-GEHEIM“ eingestuften Teile der Akte die in Afghanistan, insbesondere in der oben genannten Provinz eingesetzten ISAF-Soldaten und die mit diesen zusammenarbeitenden Personen insgesamt.

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In Übereinstimmung mit der Einschätzung des Generalbundesanwalts ist aufgrund des Inhalts des geheimhaltungsbedürftigen Teils der Akte davon auszugehen, dass die darin enthaltenen Informationen, gelangten sie der Gegenseite zur Kenntnis, dieser einen erheblichen militärischen Vorteil verschaffen würden, der insbesondere zu einem Angriff mit möglicherweise tödlichen Folgen genutzt werden könnte. Zudem bestünde eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben des Informanten, der in der Nacht des verfahrensgegenständlichen Luftangriffs die Informationen zu den auf der Sandbank sich aufhaltenden Personen geliefert hat, da der Akteninhalt Rückschlüsse auf dessen Identität zulässt und unweigerlich zu einer Namhaftmachung führen würde.

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cc) Aus den vorstehend genannten Gründen folgt auch, dass überwiegende schutzwürdige Interessen der erwähnten anderen Personen einem uneingeschränkten Akteneinsichtsrecht des Antragstellers entgegenstehen. Dabei ist im Rahmen der Abwägung der gegenläufigen Interessen auch zu berücksichtigen, dass der Verletztenvertreter, wie der Generalbundesanwalt in seiner oben genannten Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, mit der bereits gewährten (Teil-) Akteneinsicht und der offenen Version des Einstellungsvermerks, die vom Originalvermerk in geringstmöglichem Maße abweicht und keine tatsachen- oder sinnverändernden textlichen Abweichungen aufweist, ausreichende Informationen für die Fertigung eines zulässigen Klageerzwingungsantrags (vgl. hierzu BVerfG, NJW 2000, 1027 mwN) erhalten hat. Letzteres stellt auch die Antragsbegründung nicht in Abrede.

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Dass der Antragsteller darüber hinausgehend im Klageerzwingungsverfahren aufgrund der Geheimhaltung nicht umfassend zu der vom Generalbundesanwalt vorgenommenen Beweiswürdigung Stellung nehmen kann, ist angesichts des oben erwähnten Gewichts der schutzwürdigen Interessen der Soldaten, Mitarbeiter und Informanten hinnehmbar, zumal das Oberlandesgericht im Rahmen der (möglichen) Prüfung der Begründetheit des Klageerzwingungsantrags eine umfassende eigene Würdigung der Beweismittel von Amts wegen vorzunehmen haben wird.

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dd) Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, dem Rechtsanwalt des Verletzten stehe ebenso wie dem Verteidiger des Beschuldigten, soweit nicht § 96 StPO eingreife, ein uneingeschränktes, auch die geheimnisbedürftigen Teile der Akte umfassendes Akteneinsichtsrecht zu. Der Antragsteller verkennt dabei, dass der Beschuldigte in stärkerem Maße auf die Akteneinsicht angewiesen ist als der Verletzte. In der Gesetzesbegründung zu § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO wird hierzu ausgeführt, dass namentlich im Interesse der berechtigten Schutzinteressen und Belange des Beschuldigten und Dritter, aber auch im Interesse der Wahrheitsfindung und der Verfahrensökonomie das Akteneinsichtsrecht des Verletzten stärkeren Restriktionen unterliegen müsse als das des Beschuldigten nach § 147 StPO. Das Akteneinsichtsrecht sei für den Verletzten zwar ein wichtiges Informationsmittel, es sei für ihn aber nicht von der gleichen zentralen Bedeutung wie für den Beschuldigten, für dessen effektive Verteidigungsmöglichkeit es uneingeschränkt unerlässlich sei. Deshalb knüpfe das Gesetz bei § 406e StPO zwar in der Terminologie an § 147 StPO an, gestalte aber im Übrigen das Akteneinsichtsrecht des Verletzten selbständig aus (BT-Drs. 10/5305, S. 18; ebenso KK-Engelhardt, aaO Rn. 1; Meyer-Goßner, aaO Rn. 1; Löwe-Rosenberg/Hilger, aaO Rn. 3).

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ee) Auch die Ausführungen des Antragstellers zum Informationsfreiheitsgesetz (IFG) greifen nicht durch. Zwar enthält das IFG - anders als die Strafprozessordnung - unter anderem eine spezielle Regelung, wonach der gemäß § 1 IFG grundsätzlich bestehende Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen im Interesse des Schutzes besonderer öffentlicher Belange nicht besteht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift oder durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht unterliegt (§ 3 Nr. 4 IFG). Die Strafprozessordnung enthält jedoch in § 406e StPO eine umfassende Regelung des Akteneinsichtsrechts des Verletzten und ermöglicht insbesondere durch die im Rahmen der Versagungsgründe anzustellende einzelfallbezogene Abwägung der gegenläufigen Interessen (§ 406e Abs. 2 Satz 1 StPO) sowie durch die Beurteilung einer möglichen Gefährdung des Untersuchungszwecks (§ 406e Abs. 2 Satz 2 StPO) eine sachgerechte Berücksichtigung auch des Umstands der Geheimhaltungsbedürftigkeit bestimmter Aktenbestandteile.

29

ff) Angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles führt der vom Antragsteller geltend gemachte Gesichtspunkt der Verschwiegenheitspflicht seines Rechtsanwalts ebenfalls nicht zu einer Erstreckung des Akteneinsichtsrechts auf die als „VS-GEHEIM“ eingestuften Teile der Akte. Zwar ist im Rahmen der Abwägung gemäß § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO zu berücksichtigen, dass der vom Antragsteller beauftragte Rechtsanwalt, durch den Akteneinsicht genommen werden soll, als Organ der Rechtspflege in der Pflicht steht, seinem Mandanten nur die Auskünfte zukommen zu lassen, die zur Verfolgung von dessen Ansprüchen - oder hier der Klageerzwingung - dringend erforderlich sind (vgl. BVerfG, ZIP 2009, 1270 Rn. 25). Da der anwaltliche Vertreter des Verletzten jedoch aufgrund seiner verfahrensrechtlichen Funktion grundsätzlich berechtigt ist, die von ihm im Rahmen der Akteneinsicht gewonnenen Erkenntnisse an den Verletzten weiterzugeben und mit diesem zu erörtern (vgl. Löwe-Rosenberg/Hilger, aaO Rn. 4), und sich aus der Antragsbegründung ergibt, dass die Unterlagen, in die keine Akteneinsicht gewährt worden ist, als wesentlich für die Wahrnehmung des Mandats erachtet werden, liegt die Möglichkeit nicht fern, dass eine Erörterung des geheimhaltungsbedürftigen Tatsachenmaterials mit dem Antragsteller erfolgen wird.

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In diesem Zusammenhang ist zudem zu berücksichtigen, dass der Antragsteller - ungeachtet des Umstands, dass sein Verhältnis zu den T.     nicht geklärt werden konnte - in einem Dorf lebt, das von diesen kontrolliert wird. Damit bestünde bei einer uneingeschränkten Akteneinsicht jedenfalls die Gefahr, dass die T.    , erführen sie hiervon, den Antragsteller dazu bringen könnten, ihnen die ihm im Wege der Akteneinsicht bekannt gewordenen militärischen Geheimnisse mitzuteilen.

31

d) Schließlich begegnet die Versagung der Akteneinsicht in die als „VS-GEHEIM“ eingestuften Teile der Akte auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (vgl. hierzu BVerfG, NJW 2003, 501, 503; BeckOK-StPO/Weiner, aaO; KK-Engelhardt, aaO Rn. 5; Löwe-Rosenberg/Hilger, aaO Rn. 8) keinen Bedenken. Ein milderes Mittel als die vollständige Versagung einer Einsichtnahme - etwa in Gestalt einer teilweisen Schwärzung oder von Auflagen (vgl. Löwe-Rosenberg/Hilger, aaO Rn. 4) - ist angesichts des Inhalts der als „VS-GEHEIM“ eingestuften Aktenbestandteile nicht gegeben.

32

3. Die Entscheidung entspricht dem Antrag des Generalbundesanwalts.

III.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 406e Abs. 4 Satz 3 StPO in Verbindung mit § 473a StPO. Hierbei war auch (ausdrücklich) über die notwendigen Auslagen des Antragstellers zu befinden (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 464 Rn. 11a und § 473a Rn. 2).

Dr. Bünger

Richter am Bundesgerichtshof