Entscheidungsdatum: 10.08.2017
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 30. November 2016 aufgehoben
a) im Ausspruch über die Gesamtstrafe; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zur Maßregelanordnung aufrechterhalten,
b) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Strafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet; von der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe hat es abgesehen. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts. Der Angeklagte beanstandet - nach wirksamer Beschränkung des Rechtsmittels in der Hauptverhandlung - mit der nicht ausgeführten Formal- und der Sachrüge den gesamten Rechtsfolgenausspruch. Beide Rechtsmittel haben betreffend den Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Maßregel Erfolg. Die weitergehende, auch die Einzelstrafe umfassende Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen weist der 30 Jahre alte, neunfach - darunter mehrfach wegen Betäubungsmitteldelikten - vorbestrafte Angeklagte dissoziale Persönlichkeitszüge auf. Er rauchte im Alter von neun Jahren erstmals Cannabis und konsumierte mit zwölf Jahren erstmals Alkohol und Ecstasy. Mit 14 Jahren begann er den Konsum von Heroin und Kokain. Es entwickelte sich eine körperliche Abhängigkeit von Alkohol und Heroin. Der Angeklagte konsumierte zuletzt täglich acht bis zehn Flaschen Bier sowie zwei bis drei Gramm Heroin, daneben Cannabis im Rahmen der Verfügbarkeit. Unterbrochen wurde der Konsum lediglich in Haftzeiten. Nach Entgiftungen wurde der Angeklagte immer wieder rückfällig. Therapiemaßnahmen auf der Grundlage des § 35 BtMG brach er nach wenigen Stunden ab. Auch während Substitutionsbehandlungen mit Methadon hatte er durchgehend Beikonsum. In der seit Januar 2016 andauernden Inhaftierung wurde der Angeklagte durch Substitutionsbehandlung von Alkohol und Heroin entgiftet.
Am Tattag, dem 19. November 2015, setzte sich der Angeklagte eine Spritze mit Kokain und Heroin. Sodann bedrohte er die 81 Jahre alte Geschädigte in deren Wohnung in einem Seniorenwohnheim mit einem Messer und den Worten: "Gib mir dein Geld oder ich stech zu." Daraufhin übergab die völlig verängstigte Geschädigte dem Angeklagten ihr Portemonnaie. Der Angeklagte entnahm diesem 250 Euro, zerschnitt das Telefonkabel und flüchtete. Von dem erbeuteten Geld kaufte er Heroin.
Das Landgericht hat wegen der hier abgeurteilten Tat auf eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten erkannt. Sodann hat es unter Einbeziehung vom Amtsgericht Mönchengladbach am 13. Juni 2016 verhängter Einzelstrafen in Höhe von einem Jahr und acht Monaten, einem Jahr und drei Monaten, einem Jahr sowie zweimal drei Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verhängt.
I. Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist auf den Ausspruch über die Maßregel sowie denjenigen betreffend die Gesamtstrafe beschränkt. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Ausweislich der Begründung des Rechtsmittels greift die Staatsanwaltschaft lediglich die Entscheidung des Landgerichts an, von der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe abzusehen. Hierzu führt sie näher aus, die Strafkammer habe die Voraussetzungen der notwendigen Erfolgsaussicht der Unterbringung bzw. der dahingehenden Prognose einerseits und der tatsächlichen Dauer der Unterbringung andererseits verkannt.
Vor diesem Hintergrund erfasst die Anfechtung des Urteils über die Nichtanordnung des Vorwegvollzugs hinaus zunächst auch die Anordnung der Maßregel als solche. Denn die Rechtswirksamkeit einer Revisionsbeschränkung setzt voraus, dass der Beschwerdepunkt nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden kann, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen, und die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 2. März 1995 - 1 StR 595/94, BGHSt 41, 57, 59; Beschluss vom 2. Dezember 2004 - 3 StR 246/04, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 16). Die Anordnung des Vorwegvollzugs und die damit einhergehende Bestimmung von dessen Dauer nach § 67 Abs. 2 StGB kommt nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Unterbringung als solche erfüllt sind. Hierzu ist u.a. erforderlich, dass die Maßregel Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB). Ist dies nicht der Fall oder zweifelhaft, lässt sich auch kein angemessener Zeitraum für die Therapie bemessen, der neben der Strafhöhe für die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs maßgebend ist. Somit ist eine getrennte revisionsrechtliche Beurteilung der tatgerichtlichen Anordnung des Vorwegvollzugs und der Bestimmung von dessen Dauer, welche die Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt außer Betracht lässt, nicht möglich (vgl. zum Verhältnis zwischen Dauer des Vorwegvollzugs und Erfolgsaussicht BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 3 StR 516/07, NStZ-RR 2009, 48, 49).
Die dem Grunde nach mögliche Beschränkung des Rechtsmittels auf den Maßregelausspruch insgesamt kommt hier ebenfalls nicht in Betracht; denn das Landgericht hat im Rahmen der Begründung der Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe ausdrücklich berücksichtigt, dass neben der Freiheitsstrafe auch noch eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist. Somit besteht im vorliegenden Fall ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Demgegenüber hat die Strafkammer bei der Bemessung der Einzelfreiheitsstrafe für die hier abgeurteilte Tat nicht auf die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgestellt. Da zudem die Ausführungen der Strafkammer zu der Bemessung der Gesamtstrafe und diejenigen zu der Bestimmung der Einzelstrafe trennbar sind, wird letztere nicht von der Anfechtung umfasst.
2. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.
a) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist rechtsfehlerhaft, denn das Landgericht hat mit Blick auf die Feststellungen zum Drogenkonsum des Angeklagten die Erfolgsaussicht der Maßregel nicht rechtsfehlerfrei begründet.
Nach § 64 Satz 2 StGB setzt die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg, mithin darauf voraus, die süchtige Person zu heilen oder über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den Rauschmittelkonsum zu bewahren (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 3 StR 513/12, BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 1). Hierfür ist es erforderlich, dass sich in Persönlichkeit und Lebensumständen des Angeklagten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie finden lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 3 StR 516/07, NStZ-RR 2009, 48, 49).
Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift unter Hinweis auf die genannte Rechtsprechung des Senats ausgeführt:
"Hieran bestehen insbesondere aufgrund der Dauer der Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten, der hinzutretenden dissozialen Persönlichkeitsstörung und der Vielzahl der bisher ohne Ausnahme nach kurzer Zeit erfolglos abgebrochenen Therapiemaßnahmen i.S.d. § 35 BtMG begründete Zweifel. Bei einem derartig verfestigten und langjährigen Drogenkonsum wird allein mit dem nicht näher ausgeführten Hinweis des Landgerichts, die Therapieabbrüche schlössen nicht aus, dass der Angeklagte sich in dem deutlich strukturierteren und begrenzteren Setting des Maßregelvollzugs längerfristig auf Therapiemaßnahmen einlasse, und der Mitteilung der Erklärung des Angeklagten, mit der Durchführung einer Maßregel nach § 64 StGB einverstanden zu sein, die konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel nicht ausreichend belegt. Soweit lediglich das Ergebnis der Ausführungen des Sachverständigen zitiert wird, er schätze die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Angeklagten im Maßregelvollzug mit 30 % ein, bleibt offen, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände von dieser Einschätzung ausgegangen wird. Im Übrigen drückt eine "Erfolgswahrscheinlichkeit" von 30 %, der sich die Kammer anschließt, nicht mehr aus als die Annahme, dass ein Behandlungserfolg nicht (gänzlich) verneint werden kann. Dies genügt aber den Anforderungen des § 64 S. 2 StGB nicht."
Dem schließt sich der Senat an.
Der Senat hebt auch die zugehörigen, zu den früheren Therapieversuchen des Angeklagten eher unpräzisen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht eine insgesamt in sich stimmige Entscheidung über die Maßregel zu ermöglichen.
b) Aufgrund des Wegfalls des Maßregelausspruchs kann hier auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe nicht bestehen bleiben, denn das Landgericht hat - wie dargelegt - bei der Bestimmung der Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe in seine Erwägungen eingestellt, dass gegen den Angeklagten neben der Strafe die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde. Hiervon sind die zur Gesamtstrafe rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen mit Ausnahme derjenigen, dass eine Maßregel angeordnet worden ist, nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
II. Revision des Angeklagten
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge denselben Erfolg wie das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Betreffend die Einzelstrafe ist sie nicht begründet. Die nicht ausgeführte Formalrüge ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Im Übrigen hat das Landgericht insbesondere rechtsfehlerfrei dargelegt, warum es die Voraussetzungen des § 21 StGB als nicht gegeben angesehen hat.
III.
Mit Blick auf das Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft weist der Senat für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass es für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 Satz 2 StGB in dessen seit dem 1. August 2016 geltender Fassung ausreicht, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, dass der Behandlungserfolg innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu erreichen ist. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist mithin, wenn daneben eine Freiheitsstrafe verhängt wird, nicht mehr auf zwei Jahre beschränkt; die Höchstfrist der Unterbringung verlängert sich in diesen Fällen vielmehr nach Maßgabe des § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB um die Dauer des nach § 67 Abs. 4 StGB anrechenbaren Teils der Freiheitsstrafe (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S. 1, 2, 24 f.; BGH, Beschlüsse vom 15. März 2017 - 2 StR 581/16, NStZ-RR 2017, 139; vom 14. Juni 2017 - 3 StR 97/17, juris Rn. 6).
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