Entscheidungsdatum: 15.03.2017
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 5. Oktober 2016 im Strafausspruch, und soweit von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Nachprüfung des Urteils zum Schuldspruch hat keinen Rechtsfehler ergeben.
2. Der Strafausspruch kann dagegen nicht bestehen bleiben. Die Strafkammer hat sowohl bei der Strafrahmenrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu Lasten des Angeklagten darauf abgestellt, dass „er zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse nach nicht auf sexuelle Handlungen mit der Nebenklägerin angewiesen war, sondern diese Bedürfnisse auch legal mit der Zeugin P. befriedigen konnte“ (UA S. 38 f.). Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft, denn dem Angeklagten wird damit im Ergebnis angelastet, dass er die Taten überhaupt begangen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2003 - 4 StR 424/03). Der Senat kann nicht ausschließen, dass ohne diesen Rechtsfehler auf niedrigere Strafen erkannt worden wäre. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung von psychischen Schäden bei einer Tatserie sexuellen Kindesmissbrauchs hin (vgl. Senat, Beschluss vom 12. April 2016 - 2 StR 483/15, NStZ-RR 2016, 242; Urteil vom 9. Juli 2014 − 2 StR 574/13, NStZ 2014, 701 mwN).
3. Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
a) Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht der Maßregel hat das Landgericht die am 1. August 2016 in Kraft getretene Neufassung des § 64 Satz 2 StGB (BGBl. I 2016 S. 1610) nicht bedacht. Das Landgericht hat die Nichtanordnung der Maßregel entscheidend damit begründet, dass beim Angeklagten die für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Therapie (§ 64 Satz 2 StGB) nicht bestehe, weil die voraussichtlich notwendige Dauer der Behandlung die in § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB genannte Frist von zwei Jahren überschreite (UA S. 35 f.). Dabei hat sich die Strafkammer an der bisherigen Rechtsprechung einiger Strafsenate des Bundesgerichtshofs zur Rechtslage vor der Gesetzesänderung orientiert, wonach die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB dann nicht vorliegen, wenn die Entzugsbehandlung voraussichtlich nicht innerhalb der in § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB für die Maßregel vorgesehenen Höchstfrist von zwei Jahren zum Erfolg führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2014 - 3 StR 48/14, NStZ-RR 2014, 212 mwN; Senat Urteil vom 20. Januar 2016 - 2 StR 378/15; Beschluss vom 8. August 2012 - 2 StR 279/12, NStZ-RR 2013, 7, 8; vgl. auch Fischer, StGB, 64. Aufl., § 64 Rn. 19a; dagegen: BGH, Urteil vom 10. April 2014 - 5 StR 37/14, NStZ 2014, 315 f.; zuletzt offengelassen: BGH, Urteil vom 10. April 2014 - 5 StR 37/14, NStZ 2014, 315, 316; vgl. zum Ganzen: Schneider, NStZ 2014, 617). Dieser - auf den Wortlaut des § 67d Satz 1 Satz 1 StGB und den Willen des Gesetzgebers gestützten - Auslegung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2012 - 3 StR 65/12, NJW 2012, 2292) ist mit der Neufassung des § 64 Satz 2 StGB im Zuge des Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuchs und zur Änderung anderer Vorschriften vom 8. Juli 2016 (BGBl. I 2016 S. 1610) die Grundlage entzogen worden (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl., § 132 Rn. 21). Denn durch diese Gesetzesänderung enthält § 64 Satz 2 StGB nun eine entsprechende Klarstellung, indem nach dem Wort „Entziehungsanstalt“ die Worte „innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3“ eingefügt wurden. Damit hat der Gesetzgeber - um eine flexiblere Handhabung des § 64 StGB für den Einzelfall zu ermöglichen (vgl. BT-Drucksache 18/7244, S. 13, 24 f.) - an die Rechtsansicht des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs angeknüpft (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2014 - 5 StR 37/14, aaO), wonach für eine erfolgversprechende Behandlung im Sinne des § 64 Satz 2 StGB grundsätzlich die bei Verhängung einer Begleitstrafe geltende verlängerte Unterbringungsfrist nach § 67d Absatz 1 Satz 3 StGB zur Verfügung steht.
b) Die Neufassung des § 64 Satz 2 StGB findet gemäß § 2 Abs. 6 StGB auch auf den vorliegenden Fall Anwendung (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2007 - 3 StR 390/07, NStZ 2008, 213). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht, das die übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB als gegeben angesehen hat, unter Berücksichtigung der Gesetzesänderung die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet hätte.
c) Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 - 2 StR 424/15; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 7 ff.). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 363; Beschluss vom 5. November 2015 - 2 StR 373/15), sondern die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ausdrücklich als rechtsfehlerhaft beanstandet.
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