Entscheidungsdatum: 30.06.2011
1. Im Verfahren auf Gewährung von Ausgleichsleistungen nach § 8 BerRehaG kann der Verfolgte eine rückwirkende Leistungsgewährung nach den Grundsätzen über den in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verlangen, wenn er aufgrund eines Beratungsfehlers der Rehabilitierungsbehörde versäumt hat, den Antrag beim zuständigen Sozialhilfeträger zu stellen.
2. Ein Beratungsfehler der Rehabilitierungsbehörde liegt regelmäßig vor, wenn sie einen Antragsteller, der bei ihr eine vorläufige Rehabilitierungsbescheinigung begehrt, nicht darauf hinweist, dass die erstrebten Ausgleichsleistungen einen weiteren Antrag beim zuständigen Sozialhilfeträger erfordern und erst ab dem auf die Antragstellung folgenden Monat gezahlt werden.
3. Die rückwirkende Leistungspflicht ist nach dem Rechtsgedanken des § 44 Abs. 4 SGB X (juris: SGB 10) auf einen Zeitraum von längstens vier Kalenderjahren vor dem Jahr, in dem die Ausgleichsleistungen beansprucht werden, begrenzt. Die Verzinsung richtet sich nach § 44 Abs. 1 SGB I (juris: SGB 1).
Der Kläger begehrt Ausgleichsleistungen nach § 8 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG).
Seine Rehabilitierung nach diesem Gesetz beantragte er am 29. Dezember 1997 beim seinerzeit zuständigen Landesamt für Rehabilitierung und Wiedergutmachung des Freistaates Thüringen. Am 27. August 1999 beantragte er dort zusätzlich eine vorläufige Rehabilitierungsbescheinigung, weil er - wie es in dem Antragsformular heißt - wegen seiner besonders beeinträchtigten wirtschaftlichen Lage Ausgleichsleistungen in Anspruch nehmen wolle. Dieser Antrag wurde nicht beschieden. Einen Antrag auf Ausgleichsleistungen beim örtlichen Sozialamt stellte der Kläger damals nicht.
Mit Rehabilitierungsbescheid vom 24. Februar 2006 erkannte das zuständig gewordene Landesamt für Soziales und Familie des Freistaates Thüringen den Kläger als Verfolgten im Sinne des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes an und setzte die Zeit vom 22. Juli 1974 bis zum 2. Oktober 1990 als Verfolgungszeit fest.
Nach mündlicher Beantragung von Ausgleichsleistungen nach § 8 BerRehaG durch die Ehefrau des Klägers am 28. Februar 2006 ging am 8. März 2006 ein schriftlicher Antrag des Klägers beim Beklagten, dem zuständigen Sozialleistungsträger, ein. Auf dem Antragsvordruck war handschriftlich vermerkt, der Antrag werde rückwirkend ab Inkrafttreten der gesetzlichen Grundlagen gestellt. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 30. März 2006 monatliche Ausgleichsleistungen ab dem 1. März 2006; Leistungen für frühere Zeiträume lehnte er ab.
Der Widerspruch des Klägers hiergegen blieb erfolglos, ebenso sein Widerspruch gegen die Einstellung der Zahlungen von Juli 2006 bis Ende Januar 2007, die der Beklagte wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten verfügt hatte. Im Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2008 führte das Thüringer Landesverwaltungsamt aus, Ausgleichsleistungen würden beginnend mit dem auf die Antragstellung folgenden Monat gezahlt. Der erforderliche schriftliche Antrag sei beim zuständigen Sozialamt erst am 8. März 2006 eingegangen. Dem Kläger seien daher Ausgleichsleistungen ab dem frühest möglichen Zeitpunkt bewilligt worden. Eine rückwirkende Gewährung der Leistungen sei nicht möglich.
Der Klage mit dem Antrag, den Beklagten zur Gewährung von Ausgleichsleistungen für die Zeiträume 29. Dezember 1997 (Stellung des Rehabilitierungsantrags) bis 28. Februar 2006 und 1. Juli 2006 bis 31. Januar 2007 zu verpflichten, hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Oktober 2009 für die letztgenannte Zeit stattgegeben; für die Zeit vor dem 1. März 2006 hat es die Klage abgewiesen und ausgeführt, es fehle insoweit der in § 8 BerRehaG vorausgesetzte förmliche Antrag. Es handele sich um eine Ausschlussfrist, deren Nichteinhaltung zum Verlust des Anspruchs für zurückliegende Monate führe. Den Beklagten treffe kein eigenes Verschulden, insbesondere habe er selbst keine Aufklärungspflichten verletzt, und er müsse sich auch das Verschulden einer fremden Behörde, die in die Leistungsgewährung eingeschaltet sei, nicht zurechnen lassen. Wiedereinsetzung könne dem Kläger nicht gewährt werden, weil es sich nicht um eine gesetzliche Frist handele. Davon abgesehen sei der Kläger nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, den Antrag bei der zuständigen Behörde früher zu stellen. In dem von ihm ausgefüllten Antragsformular sei er ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen worden, den Antrag unter Vorlage einer vorläufigen Rehabilitierungsbescheinigung bei der zuständigen Behörde zu stellen. Da dem Landesamt kein Beratungs- oder Informationsfehler unterlaufen sei, bestehe kein Anlass, auf der Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs einen früheren Leistungsbeginn festzusetzen.
Mit seiner Revision begehrt der Kläger Ausgleichsleistungen für die Zeit vom 1. September 1999 bis zum 28. Februar 2006 nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klage. Zur Begründung macht er geltend: Sein Begehren sei nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs berechtigt. Er sei von der Rehabilitierungsbehörde nicht über die Erforderlichkeit eines weiteren Antrags beim Sozialamt informiert worden, wie nach den auch im Verfahren vor der Rehabilitierungsbehörde anzuwendenden §§ 14 und 15 SGB I geboten gewesen sei. In der unterlassenen Beratung liege eine Pflichtverletzung, die zu seinem finanziellen Nachteil geführt habe. Die Beratungspflichtverletzung der Rehabilitierungsbehörde sei dem Beklagten zuzurechnen, weil die Zuständigkeitsbereiche zweier Stellen arbeitsteilig eng miteinander verknüpft seien, die Rehabilitierungsbehörde im maßgeblichen Zeitpunkt aktueller Ansprechpartner gewesen sei und anhand der ihr bekannten Umstände habe erkennen können, dass dringender Beratungsbedarf in einer wichtigen Frage bestehe. Dass das Verfahren auf zwei Behörden aufgeteilt sei, ändere nichts; denn entscheidend sei die Sicht des Antragstellers. Es könne auch nicht darauf ankommen, bei welcher Behörde zuerst ein Antrag gestellt werde. Zu einer konkreten Beratung habe hinreichender Anlass bestanden, weil er sich ersichtlich in einer angespannten wirtschaftlichen Lage befunden und deshalb Ausgleichsleistungen nach § 8 BerRehaG erstrebt habe. Das Formular der Rehabilitierungsbehörde habe jedoch den Eindruck erweckt, als sei mit dem Antrag auf Erteilung der Rehabilitierungsbescheinigung alles Erforderliche für den Erhalt von Ausgleichsleistungen getan. Abgesehen davon sei auch dieser Antrag nicht bearbeitet und das reguläre langwierige Rehabilitierungsverfahren durchgeführt worden. Er sei daher so zu stellen, als hätte er mit dem Antrag auf Erteilung der (vorläufigen) Rehabilitierungsbescheinigung gleichzeitig Ausgleichszahlungen gemäß § 8 BerRehaG beantragt. Die Gewährung nachträglicher Ausgleichsleistungen laufe auch nicht dem Gesetzeszweck zuwider, denn bei einem Hinweis der Rehabilitierungsbehörde hätte er einen rechtzeitigen Antrag gestellt und die Leistungen erhalten.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Revision hat nur zum Teil Erfolg.
Der Kläger wendet sich mit der zulässigen Revision (§ 27 Abs. 1 BerRehaG) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, soweit dort Ansprüche für die Zeit vom 1. September 1999 bis zum 28. Februar 2006 verneint worden sind. Die im Klageverfahren geltend gemachten Ansprüche für davor liegende Zeiträume verfolgt er nicht weiter; in diesem Umfang ist das Urteil rechtskräftig geworden (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 705 ZPO).
Mit der Ablehnung von Ansprüchen für die noch streitige Zeit verletzt das Urteil zwar Bundesrecht. Für die Zeit bis einschließlich 31. Dezember 2001 stellt es sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar, sodass die Revision in diesem Umfang zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 4 VwGO). Hingegen kann für die Zeit ab 1. Januar 2002 ohne weitere Tatsachenfeststellungen nicht entschieden werden, ob die Klage Erfolg hat. In diesem Umfang ist die Sache daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Ausgleichsleistungen kann der Kläger nicht unmittelbar nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 Satz 1 BerRehaG beanspruchen. Danach erhalten Verfolgte im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG unter näher bestimmten Voraussetzungen Ausgleichsleistungen in gesetzlich bestimmter Höhe. Die Leistung ist aber im Sinne von § 16 Abs. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I), das gemäß § 25 Abs. 4 BerRehaG für das Verfahren nach dem Dritten Abschnitt dieses Gesetzes (d.h. §§ 8 und 9 BerRehaG) gilt, von einem Antrag abhängig, mit dem der Verfolgte seine Bedürftigkeit verdeutlicht (vgl. auch Urteil vom 9. Februar 1984 - BVerwG 5 C 22.83 - BVerwGE 69, 5 <9> = Buchholz 436.0 § 97 BSHG Nr. 3). Dieser Antrag ist konstitutive Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs, weshalb § 8 Abs. 5 BerRehaG bestimmt, dass Ausgleichsleistungen beginnend mit dem auf die Antragstellung folgenden Monat gezahlt werden.
a) Einen förmlichen Antrag in diesem Sinne hat der Kläger erst am 8. März 2006 gestellt. Zwar spricht viel dafür, dass die gegenüber dem Landesamt im August 1999 verlangte Erteilung einer vorläufigen Rehabilitierungsbescheinigung einen solchen Antrag bereits mit umfasste. Denn Ausgleichsleistungen, die - wie unten zu zeigen - eine besondere Sozialleistung im Sinne der §§ 11 ff. SGB I sind, gelten als beantragt, wenn der Antragsteller zum Ausdruck bringt, sie in Anspruch nehmen zu wollen. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 26. August 2008 - B 8/9b SO 18/07 R - juris Rn. 22; Hauck/Noftz, SGB I, § 16 Rn. 5; Rixen, in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 16 SGB I Rn. 3). Nach der Formulierung im Antragsvordruck musste es sich der Rehabilitierungsbehörde aber aufdrängen, dass der Kläger Ausgleichsleistungen begehrte, und zwar so bald wie möglich. Denn genau darauf zielte sein Antrag auf Erteilung einer vorläufigen Rehabilitierungsbescheinigung, die gemäß § 18 Abs. 1 BerRehaG ausdrücklich Grundlage für Leistungen nach dem Dritten Abschnitt in solchen Fällen ist, in denen die Erteilung einer (endgültigen) Rehabilitierungsbescheinigung voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Wie dieser Antrag im Fall des Klägers zu verstehen war, mag aber auf sich beruhen; denn jedenfalls hat auch ein solcher Antrag nicht die für die Gewährung zuständige Stelle erreicht, was aber Voraussetzung dafür ist, um den Anspruch zu begründen (für die Sozialhilfe vgl. Urteil vom 9. Februar 1984, a.a.O. BVerwGE 69, 5 <7>). Ausgleichsleistungen nach dem Dritten Abschnitt werden gemäß § 24 Abs. 2 BerRehaG von den örtlichen Trägern der Sozialhilfe gewährt (§ 3 Abs. 2, §§ 98 und 99 Abs. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - SGB XII). Ein im Antrag auf Erteilung der vorläufigen Rehabilitierungsbescheinigung enthaltener Antrag auf Ausgleichsleistungen wäre jedoch im Bereich der Rehabilitierungsbehörde verblieben, sodass auch § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I nicht hilft. Denn die dort für den Fall der Weiterleitung vorgesehene Fiktion der Antragstellung im Zeitpunkt des Eingangs beim unzuständigen Leistungsträger setzt voraus, dass der Antrag den zuständigen Leistungsträger, hier den Beklagten, tatsächlich erreicht. Dies ist mangels Weiterleitung aber nicht geschehen.
b) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt mit Blick auf einen solchen konkludenten Antrag auf Gewährung von Ausgleichsleistungen nicht in Betracht. § 27 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), das gemäß § 25 Abs. 4 BerRehaG maßgebend ist, setzt voraus, dass der Kläger verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. § 8 Abs. 5 BerRehaG normiert indes keine gesetzliche Frist, sondern regelt lediglich das Verhältnis zwischen Leistungsbeginn und Antragstellung. Die Antragstellung ist eine Anspruchsvoraussetzung und selbst (abgesehen von § 23 BerRehaG) nicht an eine Frist gebunden; der Ausschluss der Leistungsgewährung vor dem Monat der Antragstellung stellt keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist dar (vgl. auch BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 99/10 R - juris Rn. 23 zum Antragserfordernis nach § 37 SGB II; a.A. zum Antragserfordernis nach § 27 Abs. 2 Satz 1 WoGG: BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - BVerwG 8 C 38.95 - NJW 1997, 2966 = Buchholz 454.71 § 27 WoGG Nr. 2 = NJW 1997, 2966).
2. Einen früheren Leistungsbeginn für die Gewährung der Ausgleichsleistungen kann der Kläger dem Grunde nach aber im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen. Dieser ist darauf gerichtet, in Fällen von Pflichtverletzungen eines Sozialleistungsträgers denjenigen Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zuständige Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Pflichten ordnungsgemäß erfüllt hätte (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 1979 - 12 RK 47/77 - BSGE 49, 76 <79>; umfassend zu Entstehung und Entwicklung dieses Anspruchs Schmidt-De Caluwe, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, Berlin 1992, S. 85 ff.).
a) Diese Grundsätze, die für das Sozialrecht entwickelt worden sind, sind hier anwendbar. Zwar können sie nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht unbesehen auf die Gebiete des allgemeinen Verwaltungsrechts übertragen werden (vgl. etwa Urteil vom 24. März 1988 - BVerwG 3 C 48.86 - BVerwGE 79, 192 <194>. Prinzipiellen Einwänden ist ihre Anwendung auf im Verwaltungsrecht geregelte besondere Sozialleistungsansprüche aber nicht ausgesetzt. Sie sind deshalb schon in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dort zumindest in Betracht gezogen worden, wo Pflichtverletzungen in einem sozialrechtlich geprägten Verwaltungsverfahren durch Naturrestitution auszugleichen sind und keine Spezialregelungen bestehen (vgl. - einen Herstellungsanspruch jeweils nur wegen des Fehlens einzelner Voraussetzungen verneinend - Beschluss vom 21. September 1998 - BVerwG 2 B 46.98 - Buchholz 239.1 § 15 BeamtVG Nr. 1 sowie Urteil vom 18. April 1997 a.a.O.; offen gelassen für das Recht der Ausbildungsförderung hingegen im Urteil vom 23. Februar 2010 - BVerwG 5 C 13.09 - Buchholz 436.36 § 36 BAföG Nr. 17).
Auf Leistungen nach dem Dritten Abschnitt des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes ist der Herstellungsanspruch danach anzuwenden. Sie sind ihrer Natur nach steuerfinanzierte Sozialleistungen im Sinne des § 11 Satz 1 SGB I; die Ausgleichsleistung nach § 8 BerRehaG ordnet der Gesetzgeber als "Zuschlag" zu anderen Sozialleistungen ein (vgl. Begründung des Entwurfs eines Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 19. Mai 1993, BTDrucks 12/4994 S. 46 f. zu §§ 7 und 8). Die Nähe zum Sozialrecht zeigt sich etwa darin, dass die Ausgleichsleistungen beim Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gekürzt werden (§ 8 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG). Der Leistungsbezug wurzelt mithin in einem sozialrechtlichen Verhältnis, das allein wegen seines Bezugs zur beruflichen Rehabilitierung im besonderen Verwaltungs- und nicht im Sozialrecht geregelt ist. Folgerichtig hat der Gesetzgeber in § 25 Abs. 4 BerRehaG für das Verfahren nach dem Dritten Abschnitt (§§ 8 f. BerRehaG) die Geltung des Ersten und Zehnten Buches Sozialgesetzbuch bestimmt (vgl. Begründung zum Entwurf des 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes, a.a.O. S. 52).
b) Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift ein, wenn ein Leistungsberechtigter in einem bestehenden oder angebahnten Sozialrechtsverhältnis, das auf einem Anspruch auf Sozialleistung beruht, durch die Verletzung sozialbehördlicher Pflichten einen Nachteil erlitten hat. Dabei kann es sich um Nebenpflichten handeln wie diejenigen zur Auskunft, Betreuung und Beratung (§§ 14, 15 SGB I) oder zur verständnisvollen Förderung (BSG, Urteile vom 18. Dezember 1975 - 12 RJ 88/75 - BSGE 41, 126 <127 f.>, vom 26. Juni 1991 - 8 RKn 15/90 - SozR 3-5795 § 4 VAHRG Nr. 3
Es liegt nahe, wie der Kläger betont, dass der Herstellungsanspruch hier bereits dadurch begründet wird, dass die Rehabilitierungsbehörde seinen Antrag auf Erteilung einer vorläufigen Rehabilitierungsbescheinigung nicht beschieden hat, was sie in angemessener Zeit hätte tun müssen. Die vorläufige Rehabilitierungsbescheinigung dient dazu, eine zügige Leistungsgewährung sicherzustellen, wenn die bei den Rehabilitierungsbehörden konzentrierten Verfahren nach § 1 Abs. 1 BerRehaG - wie im Fall des Klägers - längere Zeit in Anspruch nehmen; denn nur bei zügiger Gewährung können die Leistungen nach dem Zweiten oder Dritten Abschnitt ihren Zweck erfüllen (vgl. Begründung des Entwurfs eines Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes, a.a.O. S. 51 zu § 18), ähnlich wie die Sozialhilfe einen gegenwärtigen Bedarf zeitnah zu befriedigen (vgl. Urteil vom 13. November 2003 - BVerwG 5 C 26.02 - Buchholz 435.12 § 44 SGB X Nr. 10). Die Nichtbescheidung eines Antrags, der auf die Herstellung einer Anspruchsvoraussetzung für die Ausgleichsleistungen - den Nachweis der Verfolgteneigenschaft - zielt, ist jedenfalls eine hinreichende behördliche Pflichtverletzung.
Dies mag aber dahinstehen; denn jedenfalls hat die Rehabilitierungsbehörde die Pflicht verletzt, den Kläger über die Notwendigkeit zu beraten, zusätzlich zum Antrag auf vorläufige Rehabilitierungsbescheinigung beim Sozialamt einen Antrag auf Ausgleichsleistungen nach § 8 Abs. 1 BerRehaG zu stellen, um sie bei Erteilung der Bescheinigung gemäß § 8 Abs. 5 BerRehaG rückwirkend ab dem auf die Antragstellung folgenden Monat zu erhalten. Zu einer solchen Beratung war die Behörde durch § 14 Satz 1 SGB I verpflichtet, wonach jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch hat. Die Beratungspflicht greift bereits im Vorfeld eines durch Antragstellung begründeten Sozialrechtsverhältnisses, und sie verpflichtet den Leistungsträger bei Vorliegen eines konkreten Anlasses, auf klar zutage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen (BSG, Urteile vom 29. September 1987 - 7 RAr 23/86 - BSGE 62, 179 und vom 10. Dezember 2003 - B 9 VJ 2/02 R - BSGE 92, 34
Diese sozialrechtlichen Nebenpflichten trafen auch die Rehabilitierungsbehörde, obwohl sie nicht selbst der Leistungsträger war, dem gegenüber nach § 14 Satz 2 SGB I die Rechte aus § 8 Abs. 1 BerRehaG geltend zu machen waren. In Fällen, in denen eine Behörde - wie unter c) zu zeigen - arbeitsteilig in den Vorgang einer Leistungsgewährung einer anderen Behörde eingeschaltet ist, deren Verfahren sich nach dem SGB I richtet, wie es § 25 Abs. 4 BerRehaG vorsieht, entfalten die den Leistungsträger nach jenem Gesetz treffenden Pflichten Vorwirkung im Rehabilitierungsverfahren. Gerade der vorliegende Fall, in dem der Sozialleistungsträger nach der gesetzlichen Konstruktion aus Gründen, die ihrerseits Beratungspflichten auslösen würden, keine Kenntnis von den Vorgängen haben kann, zeigt, dass der Zweck der sozialrechtlichen Nebenpflichten nicht erfüllt werden könnte, wenn die Verwaltungsbehörde in ihrem Verfahren frei von ihnen wäre. Auch kann die Beratungspflicht in einem gestuften Verfahren nicht von der Zufälligkeit abhängig sein, bei welcher Behörde einer der nötigen Anträge zuerst gestellt wird.
c) Dem Beklagten ist das Verhalten der Rehabilitierungsbehörde als eigene Verletzung von Nebenpflichten zuzurechnen. Eine solche Zurechnung ist nur dann möglich, wenn eine Funktionseinheit in der Weise besteht, dass ein anderer Leistungsträger oder eine andere Behörde in den Verwaltungsablauf derjenigen Behörde arbeitsteilig eingeschaltet ist, gegen die der Herstellungsanspruch gerichtet wird, diese Behörde sich also für die Erfüllung der ihr obliegenden sozialrechtlichen Aufgabe kraft Gesetzes oder Vertrages einer anderen Behörde oder Stelle bedient (stRspr, vgl. BSG, Urteile vom 30. September 2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 <255>, vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 17/96 - BSGE 79, 177<180>, vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 69/95 - SozR 3-1200 § 14 SGB I Nr. 22
Diese Voraussetzungen treffen auf die in Rede stehenden Verwaltungsverfahren zu. Sie sind verfahrensrechtlich aufeinander bezogen und materiell-rechtlich miteinander verzahnt. Eine entsprechende Verfahrensstufung hat der Senat für das Verhältnis der Rehabilitierung zu den darauf aufbauenden Ansprüchen auf Ausgleich von Folgeschäden des rehabilitierten Eingriffs (§ 1 Abs. 1 BerRehaG) bereits angenommen (Urteil vom 9. Oktober 2003 - BVerwG 3 C 1.03 -BVerwGE 119, 102 <104 f.>). Hier gilt nichts anderes. Die Feststellung der Verfolgteneigenschaft in einer Rehabilitierungsbescheinigung ist aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens bei den auf Länderebene zentral eingerichteten Rehabilitierungsbehörden konzentriert; anderen Behörden ist eine eigenständige Prüfung insoweit verwehrt (vgl. § 22 Abs. 3 BerRehaG, § 12 Abs. 1 Satz 3 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes - VwRehaG). Demgemäß sind die Zuständigkeiten der Rehabilitierungsbehörde und des Sozialleistungsträgers so zu bestimmen, dass Doppelprüfungen mit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen möglichst vermieden werden (Beschluss vom 29. April 2004 - BVerwG 3 B 118.03 - juris Rn. 11). Dabei entfaltet die vorläufige Rehabilitierungsbescheinigung, anders als die endgültige Bescheinigung nach § 17 BerRehaG, jedoch nicht lediglich Tatbestandswirkung, die in verschiedenen Verwaltungsverfahren zum Tragen kommen kann; sie ist vielmehr ausschließlich "als Grundlage für Leistungen nach dem Zweiten oder Dritten Abschnitt" des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes vorgesehen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 BerRehaG). Aus der hier maßgeblichen Sicht des Leistungsberechtigten dienen damit beide Verwaltungsstellen der Erreichung desselben Zieles und treten ihm als Einheit gegenüber.
d) Der Herstellungsanspruch verpflichtet den Beklagten als zuständigen Sozialleistungsträger dazu, jenen Zustand herzustellen, der ohne die ihm zuzurechnende Pflichtverletzung der Rehabilitierungsbehörde bestehen würde (vgl. BSG, Urteil vom 6. März 2003 - B 4 RA 38/02 R - BSGE 91, 1 <16 Rn. 64>). Hat die Pflichtverletzung die Versäumung von Anträgen oder Antragsfristen zur Folge gehabt, darf sich der Sozialleistungsträger nicht auf die eingetretenen Rechtsfolgen berufen, sondern muss den Berechtigten so behandeln, als sei sein Antrag rechtzeitig und ordnungsgemäß gestellt worden (vgl. etwa BSG, Urteil vom 29. September 1987 - 7 RAr 23/86 - BSGE 62, 179 <182 ff.> m.w.N.). So verhält es sich hier, denn hätte die Rehabilitationsbehörde den Kläger bei seiner Antragstellung am 27. August 1999 über die Notwendigkeit eines weiteren Antrages bei dem zuständigen Träger der Sozialhilfe (§ 24 Abs. 2 BerRehaG) belehrt, kann ohne Weiteres angenommen werden, dass der Kläger den Antrag zeitnah auf den Weg gebracht hätte.
Allerdings kann der Kläger Ausgleichsleistungen dem Grunde nach nicht bereits ab dem 1. September 1999 (dem auf die vermutliche Antragstellung folgenden Monat), sondern erst ab dem 1. Januar 2002 (bis zum 28. Februar 2006) verlangen. Das Bundessozialgericht schränkt den Umfang einer rückwirkenden Leistungserbringung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nach dem Rechtsgedanken des § 44 Abs. 4 SGB X auf einen Zeitraum von längstens vier Kalenderjahren vor dem Begehren auf rückwirkende Gewährung einer Leistung ein (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 13 R 58/06 R - NZS 2008, 274 <275 f.>). Dabei ist der Vier-Jahres-Zeitraum vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem das Begehren erhoben worden ist. Der Senat macht sich diese Rechtsprechung, die zwischen den Senaten des Bundessozialgerichts für (hier nicht betroffene) Rentenansprüche umstritten ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. März 2003 - B 4 RA 38/02 R - BSGE 91, 1 <17 f. Rn. 68 ff.>), für den Bereich der Ausgleichsleistungen nach dem Rehabilitierungsrecht zu eigen. Dementsprechend kann der Kläger, der am 8. März 2006 den formgerechten Antrag auf rückwirkende Zahlung gestellt hat, nach § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 25 Abs. 4 BerRehaG die Ausgleichsleistungen rückwirkend bis vier Kalenderjahre vor dem 1. Januar 2006 verlangen. Für die Zeit vom 1. September 1999 bis zum 31. Dezember 2001 ist die Klage daher in jedem Falle unbegründet, im Ergebnis vom Verwaltungsgericht also zu Recht abgewiesen worden. In diesem Umfang ist die Revision des Klägers zurückzuweisen.
e) Soweit dem Kläger unter dem Gesichtspunkt der hypothetischen Kausalität oder eines Mitverschuldens anzulasten ist, dass er trotz der von ihm gesehenen Notwendigkeit, alsbald Ausgleichsleistungen zu erhalten, über Jahre untätig geblieben ist, wird dieser Erwägung durch die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X generalisierend Rechnung getragen.
3. Ob die Voraussetzungen der Leistungsgewährung in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 28. Februar 2006 vollständig vorliegen, bedarf weiterer Sachaufklärung. Zwar ist der Kläger Verfolgter nach § 1 Abs. 1 BerRehaG mit Wohnsitz im Geltungsbereich des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes. Seine Verfolgteneigenschaft und das Fehlen von Ausschließungsgründen nach § 4 BerRehaG (vgl. § 22 Abs. 1 Nr. 2 BerRehaG) sind mit Bescheid der Rehabilitierungsbehörde vom 24. Februar 2006 unanfechtbar und bindend (§ 22 Abs. 3 BerRehaG, §12 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG) festgestellt worden. Hingegen kann auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilt werden, ob der Kläger im gesamten Leistungszeitraum in seiner wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt war, wie es § 8 Abs. 1 Satz 1 BerRehaG weiter voraussetzt. Das Verwaltungsgericht hat hierzu, von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent, keine Feststellungen getroffen; dem Senat ist es verwehrt, dies selbst zu tun. Die Sache ist daher zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers in der maßgeblichen Zeit (1. Januar 2002 bis 28. Februar 2006) zurückzuverweisen. Soweit sich dabei Ansprüche ergeben, sind Ausgleichsleistungen in der Höhe zuzusprechen, die für den jeweiligen Zeitraum gesetzlich festgelegt gewesen sind.
4. Zum Zinsbegehren, das im Falle eines Klageerfolgs Bedeutung erlangt, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass weder Prozess- noch Verzugszinsen verlangt werden können, weil sie für Ausgleichsleistungen nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz nicht ausdrücklich vorgesehen sind (vgl. auch BSG, Urteil vom 23. Juli 1992 - 7 RAr 98/90 - NZA 1993, 719). Stattdessen kommt § 44 Abs. 1 SGB I entsprechend zur Anwendung, wonach Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen sind.