Entscheidungsdatum: 13.09.2010
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. März 2010 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Die klagende Deutsche Bahn AG wendet sich gegen einen Vermögenszuordnungsbescheid, mit dem das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen festgestellt hat, dass die beigeladene Deutsche Post AG vorbehaltlich privater Rechte Dritter Eigentümerin dreier näher bezeichneter Flächen im Bereich des Berliner Ostgüterbahnhofs geworden ist. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Zuordnungsbescheid sie nicht in ihren Rechten verletze, weil die Flurstücke zum maßgeblichen Stichtag der Eintragung der Klägerin in das Handelsregister am 5. Januar 1994 nicht bahnnotwendig gewesen seien, so dass sie weder Eigentümerin geworden sei noch einen - ein subjektives Recht begründenden - Eigentumsverschaffungsanspruch gehabt habe. Eine Rechtsverletzung lasse sich auch nicht aus einem möglicherweise zu ihren Gunsten erlassenen Übergabebescheid des Bundeseisenbahnvermögens herleiten, weil ein solcher Bescheid nur die bahninterne Verteilung des Sondervermögens regele und die Rechte Dritter unberührt blieben.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat Erfolg. Zwar weicht die angegriffene Entscheidung nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO in der von der Klägerin gerügten Weise von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab (1.), noch weist die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (2). Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht jedoch auf dem von der Klägerin nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensmangel (3.).
1. Die Klägerin meint, die angegriffene Entscheidung weiche von dem Urteil des Senats vom 19. August 2003 - BVerwG 3 C 30.02 - (BVerwGE 118, 361) ab, weil das Verwaltungsgericht auch bei ausschließlicher Nutzung eines Grundstücks für Bahnzwecke eine Bahnnotwendigkeit der Liegenschaft nicht als nachgewiesen ansehe, während das Bundesverwaltungsgericht in der herangezogenen Entscheidung vom Gleichklang der Begriffe „Bahnnotwendigkeit“ und „Nutzung zu Bahnzwecken“ ausgegangen sei. Die gerügte Divergenz besteht nicht. Entgegen der Behauptung der Klägerin hat der Senat die in Rede stehenden Begriffe nicht synonym verwendet. Seinen Ausführungen lässt sich zwar entnehmen, dass jede Fremdnutzung einer Liegenschaft der Annahme ihrer ausschließlichen Bahnnotwendigkeit im Sinne des § 21 des Bundeseisenbahnneugliederungsgesetzes - BEZNG (amtliche Normabkürzung seit dem 1. Juli 2002, vgl. Art. 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 21. Juni 2002
2. Die Rechtssache hat auch nicht die ihr von der Klägerin beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
a) Die mit der Beschwerde zunächst aufgeworfene Frage:
"Hat die Klägerin eine wehrfähige subjektive Rechtsposition an einem Grundstück, das nach dem Bundeseisenbahnneugliederungsgesetz in ihr Eigentum gelangt und hinsichtlich dessen sie im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen ist, die nur dann durch einen VZOG-Bescheid zugunsten eines Dritten entzogen werden kann, wenn dieser Dritte seinerseits positiv eine eigene Berechtigung an dem Grundstück hat?",
ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu bejahen, ohne dass es für ihre Beantwortung der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Das Verwaltungsgericht hat einen gesetzlichen Übergang des Eigentums an den Liegenschaften auf die Klägerin nach § 21 BEZNG verneint; es hat aber für möglich gehalten, dass sie aufgrund eines Übergabebescheides des Bundeseisenbahnvermögens Rechtsinhaberin geworden ist. Dennoch hat es eine Verletzung von Rechten der Klägerin durch die Zuordnung der Flurstücke an die Beigeladene unabhängig von deren eigener Berechtigung mit der Begründung verneint, dass durch einen Übergabebescheid Rechte Dritter in Bezug auf den übertragenen Vermögenswert nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BEZNG unberührt blieben. Dieser Auffassung liegt eine offensichtlich fehlerhafte Einschätzung der durch einen Übergabebescheid erlangten Rechtsposition zugrunde. Sollen mit einem solchen Bescheid Liegenschaften übertragen werden, gehen diese mit seiner Vollziehbarkeit nach § 23 Abs. 2 Satz 2 BEZNG auf die Klägerin über; das Grundbuch wird gemäß § 23 Abs. 4 BEZNG auf Ersuchen des Bundeseisenbahnvermögens entsprechend berichtigt. Das bedeutet, die Eigentumsposition des Bundeseisenbahnvermögens geht auf die Klägerin über. Der Umstand, dass Rechte Dritter nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BEZNG unberührt bleiben, ändert daran nichts; sie gilt als Eigentümerin, bis ihr dieses Recht aufgrund einer solchen Drittberechtigung aberkannt oder entzogen wird. Dies bedeutet aber auch, dass sie eine entsprechend wehrfähige Position hat, die sie nur dann räumen muss, wenn der Dritte tatsächlich berechtigt ist. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts führt zu dem untragbaren Ergebnis, dass ein Dritter ohne jedes eigene Recht nur deswegen ungehinderten Zugriff auf Liegenschaften des Bundeseisenbahnvermögens bekommen kann, weil diese möglicherweise bahnintern fehlerhaft verteilt worden sind. Das Verwaltungsgericht geht auch fehl, wenn es meint, seine Auffassung aus der Entscheidung des Senats vom 19. August 2003 (a.a.O.) ableiten zu können; denn dort war das umstrittene Grundstück vom Bundeseisenbahnvermögen unmittelbar an die in jenem Fall Beigeladene übergeben worden, ohne dass der Klägerin zuvor das Eigentum eingeräumt worden war, so dass sich die Frage, inwieweit sie sich gegen den Entzug einer solchen Position wehren kann, gar nicht stellte.
b) Die unmittelbar an die Ausgangsfrage anschließende weitere Frage der Klägerin,
ob der Dritte seine möglicherweise ursprünglich vorhandene eigene Berechtigung an dem Grundstück auch dann noch geltend machen kann, wenn diese Berechtigung zum Zeitpunkt des Erlasses des VZOG-Bescheides nicht mehr schützenswert ist,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Revision, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Die Frage zielt darauf, dass die Beigeladene die ihr zugeordneten Flächen bereits im Jahre 2001 rechtsgeschäftlich erworben hatte. Die der Fragestellung zugrunde liegende Auffassung der Klägerin, die Beigeladene habe infolge dieses Erwerbs keine schützenswerte vermögenszuordnungsrechtliche Berechtigung mehr gehabt, ist nicht haltbar. Eine solche Berechtigung äußert auch nach rechtsgeschäftlicher Veräußerung des betroffenen Vermögenswerts Rechtswirkungen, weil sie Grundlage des Anspruchs auf Auskehr des Erlöses sein kann, sei es nach § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG, sei es nach § 816 Abs. 1 BGB (vgl. VG Berlin, Urteil vom 9. Dezember 2009 - VG 27 A 318.08 - n. v.). Das gilt selbstverständlich auch bei einem rechtsgeschäftlichen Erwerb durch die Person, die gleichzeitig den Vermögenszuordnungsanspruch verfolgt. Ihr kann nicht ernstlich ein weiter bestehendes Interesse an der Durchsetzung ihrer vermögenszuordnungsrechtlichen Berechtigung abgesprochen werden, weil auch ihr diese Feststellung - auf welcher Rechtsgrundlage auch immer (zur Klärung dieser hier nicht entscheidungserheblichen Frage hat der Senat am heutigen Tage in der Sache BVerwG 3 B 54.10 die Revision zugelassen) - im Ergebnis einen Anspruch auf Rückzahlung des von ihr gezahlten Kaufpreises eröffnen kann. Etwas anderes würde allenfalls dann gelten, wenn sich dem Rechtsgeschäft ein Verzicht auf etwaige vermögenszuordnungsrechtliche Ansprüche entnehmen ließe. Anhaltspunkte dafür lassen sich weder den Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch dem Inhalt der Akten entnehmen.
c) Die weitere von der Klägerin für klärungsbedürftig gehaltene Frage,
ob sich die Bahnnotwendigkeit eines Grundstücks im Sinne des § 20 Abs. 1 BEZNG zwingend aus einer am 5. Januar 1994 noch bestehenden eisenbahnrechtlichen Widmung zu Bahnbetriebszwecken ergibt,
führt ebenso wenig zur Zulassung der Revision, weil sie offenkundig zu verneinen ist. In § 20 Abs. 1 Satz 1 BEZNG wird das bahnnotwendige Vermögen als das Vermögen definiert, das für das Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen sowie für das Betreiben der Eisenbahninfrastruktur notwendig ist. Zwar dürfte eine Widmung zu Bahnbetriebszwecken regelmäßig für die Bahnnotwendigkeit des gewidmeten Gegenstands sprechen. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass der Widmungszweck trotz bestehender Widmung nicht mehr besteht oder dass ein Grundstück trotz bestehender Nutzung im Rahmen des Widmungszwecks aus der Sicht eines ordnungsgemäßen Bahnbetriebs entbehrlich ist. Die Widmung zu Bahnbetriebszwecken ist daher nicht mehr als ein Indiz für die Bahnnotwendigkeit des gewidmeten Gegenstands.
d) Das zu c) Gesagte gilt in ähnlicher Weise für die abschließende Frage der Klägerin,
ob ein Grundstück, welches am 5. Januar 1994 von ihr zu Bahnzwecken genutzt wurde, ohne Weiteres bahnnotwendig im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 BEZNG ist oder ob es hierfür eines darüber hinausgehenden Nachweises der Bahnnotwendigkeit bedarf.
Die Nutzung eines Grundstücks zu Bahnbetriebszwecken mag ähnlich wie eine Widmung zu diesem Zweck für die Bahnnotwendigkeit der Fläche sprechen, beweist sie aber nicht ohne Weiteres, weil die Nutzung möglicherweise aufgegeben werden kann, ohne dass der Bahnbetrieb spürbar beeinträchtigt wird. So wertet das Verwaltungsgericht beispielsweise den Umstand, dass das Grundstück - wenn auch erst einige Jahre später - veräußert worden ist, zutreffend als einen Gesichtspunkt, der die Bahnnotwendigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt in Frage stellen kann.
3. Die Klägerin beanstandet jedoch zu Recht, dass das Verwaltungsgericht es verfahrensfehlerhaft unterlassen habe, ihr einen Schriftsatznachlass zur Frage der Bahnnotwendigkeit zu gewähren.
Im erstinstanzlichen Verfahren spielte bis zur mündlichen Verhandlung die Bahnnotwendigkeit der Flurstücke nur unter dem Gesichtspunkt eine Rolle, inwieweit die Flächen zu den maßgeblichen Stichtagen von der Klägerin oder der Beigeladenen tatsächlich genutzt wurden. Die Frage einer über die tatsächliche Nutzung hinausgehenden konkreten Notwendigkeit der Grundstücke für den Bahnbetrieb wurde weder von den Beteiligten noch vom Gericht aufgeworfen, so dass - auch wegen eines während des Verfahrens entstandenen Streits um das Bestehen einer „Überbausituation“ - bei den Beteiligten erkennbar der Eindruck vorherrschte, die Entscheidung stehe und falle allein mit der Klärung der Nutzungsverhältnisse, sie hänge - mit anderen Worten - davon ab, ob die Grundstücke zum Funktionsbereich der Bahn oder der Post gehörten. Dieser Eindruck verfestigte sich zumindest bei der Klägerin durch die ihr bekannt gewordene Anfrage des Berichterstatters an die Beigeladene nach der Bebauung zweier der umstrittenen Flächen. Mit der Frage, ob eine Verletzung von Rechten der Klägerin unabhängig von einer eigenen Berechtigung der Beigeladenen und ungeachtet einer Nutzung der Grundstücke zu Bahnzwecken schon mangels Darlegung ihrer Bahnnotwendigkeit ausschied, wurden die Beteiligten erstmals in der mündlichen Verhandlung konfrontiert. Ihre Entscheidungserheblichkeit musste sich der Klägerin, da sie ja immerhin im Grundbuch eingetragene Eigentümerin gewesen war, auch nicht ohne Weiteres aufdrängen, so dass nicht erwartet werden konnte, dass sie auf das für sie überraschend aufgeworfene Problem ausreichend vorbereitet war. Zwar mag ihr zuzumuten gewesen sein, auf die rechtliche Seite dieses Problems, also der rechtlichen Voraussetzungen der Bahnnotwendigkeit und der Konsequenzen ihres Fehlens für die Annahme einer Rechtsverletzung, abschließend Stellung zu nehmen. Für die tatsächliche Seite des Problems gilt dies nicht; denn es liegt auf der Hand, dass sie sich auf die plötzlich in den Mittelpunkt des Verfahrens geratene Frage, ob die Flächen über ihre Nutzung durch die Bahn hinaus für deren Betrieb auch notwendig waren, nicht ohne Vorbereitung äußern konnte.
Der Senat nimmt diese Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO zum Anlass, das angefochtene Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.