Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 15.03.2013


BVerwG 15.03.2013 - 2 WD 15/11

Gerichtliches Disziplinarverfahren; Rechtsmittelrücknahme durch Verteidiger; Bindung an strafgerichtliche Tatsachenfeststellungen; Lösungsbeschluss


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Wehrdienstsenat
Entscheidungsdatum:
15.03.2013
Aktenzeichen:
2 WD 15/11
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Truppendienstgericht Nord, 9. Dezember 2010, Az: N 2 VL 40/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Tatbestand

1

Der 1985 geborene frühere Soldat verfügt über den Realschulabschluss und trat im Januar 2004 nach Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit den Dienst bei der ... an. Seine Dienstzeit lief am 31. Dezember 2011 ab. Während seiner Dienstzeit durchlief er eine zivile Ausbildung zum Informations- und Telekommunikationssystem-Elektroniker. Zuletzt wurde er im Juni 2007 zum Stabsunteroffizier befördert.

2

Nach der Grundausbildung wurde der frühere Soldat zur ... versetzt und von dort aus zum IT-Unteroffizier "Informationsübertragung" ausgebildet. Nach Verlegung der Einheit und der Versetzung des früheren Soldaten zur ... wurde er aus persönlichen Gründen antragsgemäß zum August 2008 unter Wechsel der Teilstreitkraft und der Truppengattung als Kraftfahrzeugmechanikerunteroffizier zum ... in M. versetzt und dort als stellvertretender Leiter der Fahrbereitschaft eingesetzt.

3

Der Zeuge Hauptmann S., Kompaniechef Stabskompanie ... und früherer Disziplinarvorgesetzter, dessen Aussage durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführt wurde, hat erstinstanzlich ausgeführt, der frühere Soldat habe nicht zu den Leistungsträgern der Kompanie gehört. Sein militärisches Auftreten sei vom ersten Tag an zwar vorbildlich gewesen, allerdings seien Defizite im fachlichen Bereich aufgefallen. In diesem Bereich sei immer wieder eine Anleitung notwendig gewesen. Der frühere Soldat habe seine Arbeit gemacht, aber auch nicht mehr. Er habe sich nicht freiwillig zu Unterstützungsleistungen bei Ausbildungsvorhaben gemeldet und sich auch nicht zur Übernahme zusätzlicher Aufträge angeboten.

4

In der dem früheren Soldaten unter dem 25. Februar 2011 erteilten Sonderbeurteilung erhielt er im Bereich Aufgabenerfüllung durchgehend den Durchschnittswert vier ("die Leistungserwartungen wurden erfüllt, teilweise übertroffen"). Zu dem Bereich "Besondere Kennzeichen der Gesamtpersönlichkeit" heißt es, der frühere Soldat sei in seinem Aufgabenbereich verlässlich. Er zeige sich bei der Koordinierung des Fahrzeugeinsatzes umsichtig und biete seinen Vorgesetzten die Gewähr für eine zeit- und sachgerechte Aufgabenerledigung. Eher zurückhaltend im Auftreten verhalte er sich Vorgesetzten, Gleichgestellten und Untergebenen gegenüber korrekt. Im Umgang miteinander sei nichts zu beanstanden.

5

In der Berufungshauptverhandlung hat der letzte Disziplinarvorgesetzte des früheren Soldaten, Oberleutnant A., ausgesagt, der Soldat habe sich ruhig, freundlich, korrekt und unauffällig verhalten. Er kenne ihn nur aus allenfalls vier Gesprächen. Der frühere Soldat habe die ihm übertragenen Aufgaben erledigt, sich aber auch nicht um Arbeit gerissen. Er beurteile seine Leistungen ebenfalls mit "vier"; zu dessen Alkoholkonsum könne er keine Aussagen treffen.

6

Der frühere Soldat ist ledig und lebte jedenfalls zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Hauptverhandlung mit der Mutter seines 2007 geborenen Kindes zusammen. Ausweislich des Strafregisterauszuges vom 13. März 2012 wurde er durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts M. vom 13. Januar 2010 wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Vornahme einer sexuellen Handlung vor einem Kind, Freiheitsberaubung und Nötigung (§ 176 Abs. 4 Nr. 1, § 223 Abs. 1, §§ 230, 239, 240, 52 StGB) zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt. Zugleich wurde ihm durch zeitgleich erlassenen Bewährungsbeschluss die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3500 € aufgegeben. Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 28. Februar 2011 weist auf diese strafrechtliche Verurteilung hin.

7

Der frühere Soldat hätte nach Auskunft der Wehrbereichsverwaltung Ost vom 13. März 2013 Anspruch auf Übergangsgebührnisse bis zum 30. September 2013. Eine ihm hiernach ebenfalls zustehende Übergangsbeihilfe wurde ihm nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils nicht ausgezahlt.

8

In der Verhandlung vor dem Truppendienstgericht im Dezember 2010 gab der frühere Soldat an, frühere Pfändungen seien abgeschlossen und seine finanzielle Situation wieder besser. Er habe keine größeren Belastungen und ab Mitte Dezember eine eigene Wohnung, die er alleine bezahle. Er würde dann mit seiner Freundin und dem gemeinsamen Kind zusammenwohnen. Seine Freundin werde ab Januar 2011 wieder berufstätig sein.

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1. Auf der Grundlage des mit Verfügung des Kommandeurs ... vom 11. September 2009 eingeleiteten sachgleichen gerichtlichen Disziplinarverfahrens und der Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom 15. Oktober 2010 entfernte das Truppendienstgericht Nord den in der Hauptverhandlung anwaltlich vertretenen früheren Soldaten mit Urteil vom 9. Dezember 2010 aus dem Dienstverhältnis. Dabei legte es die folgenden tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts M. im Urteil vom 13. Januar 2010 zugrunde:

"Am 23.02.2009, Rosenmontag, feierte der Angeklagte mit Freunden in M. Karneval. Bereits zum Frühstück genoss er 5-6 Biere und kleine Mengen Jägermeister. Dann auf dem Weg zum Rosenmontagszug zur S-straße konsumierte die Gruppe erneut Dosenbier und kleine Fläschchen Schnaps. Im Bereich der S-straße trank man dann weitere Biere und nippte an Cola-Whisky Mischgetränken. Nachdem der Rosenmontagsumzug vorbei war, begab sich der Angeklagte in die ...-Brasserie in M. an der S-straße / Promenade. Dort konsumierte er noch einige Biere. Gegen 18.14 Uhr begab er sich in den Toilettenbereich der ...-Brasserie und wollte an einem der dortigen Urinale urinieren. Da diese jedoch besetzt waren, ging er auf eine der geschlossenen Toilettenkabinen zu, öffnete diese und traf auf das am 10.11.2002 geborene Kind Marcio S., das sich in der besagten Toilettenkabine befand. Der Angeklagte ging zu dem Kind in die Toilettenkabine und verschloss die Türe, so dass das Kind sich nicht entfernen konnte. Im Weiteren gab er dem Kind eine Backpfeife, onanierte vor dem Kind und zwang das Kind sich dieses anzuschauen, indem der Angeklagte das Kind gewaltsam umdrehte. Des Weiteren äußerte sich der Angeklagte gegenüber dem Kind wie folgt: 'Zeig's mir, ich gebe dir auch 500,00 Euro.' Kurz darauf äußerte sich der Angeklagte sinngemäß erneut entsprechend, jedoch mit einem Betrag von 1 000,00 Euro. Der Angeklagte wollte dadurch erreichen, dass das Kind Marcio S. ihm seinen Penis zeigt. Diese Äußerung des Angeklagten hörte der im Toilettenbereich aufhältige Lars P., der letztlich zusammen mit dem ebenfalls dort aufhältigen Thomas Karl M. an die Kabinentür klopfte. Schließlich öffnete der Angeklagte die Kabinentür von innen, so dass das Kind Marcio S. aus der Kabine kommen konnte. Die hinzugezogene Polizei führte unter anderem um 19.23 Uhr einen Alkoholtest bei dem Angeklagten mit einem Wert von 0.73 mg/l (= 1,46 Promille) durch. Um 20.24 Uhr wurde dem Angeklagten eine Blutprobe entnommen, wobei der die Blutprobe entnehmende Arzt unter anderem einen feinschlägigen Drehnystagmus von 14 Sekunden feststelle, aber auch bemerkte, dass die Finger-Finger und Finger-Nasen Prüfung sicher durchgeführt worden sind, die Sprache deutlich und die Pupillen unauffällig gewesen sind, die Pupillenlichtreaktion prompt erfolgt ist und das Bewusstsein klar war. Insgesamt sind nur leichte Ausfallerscheinungen aufgrund des Genusses von Alkohol erkennbar gewesen. Bezüglich der um 20.24 Uhr entnommenen Blutprobe wurde eine Blutalkoholkonzentration von 1,43 Promille festgestellt.

Das Kind Marcio S. begab sich unmittelbar nach dem Vorfall zu seiner in dem besagten Lokal ebenfalls befindlichen Mutter, der Zeugin S., und zeigte sich vollkommen verschlossen. Er äußerte sich seiner Mutter gegenüber nur stückchenweise und blockte immer wieder ab. Letztlich hat er das Thema seitdem immer vermieden und auch Niemanden mehr an sich herankommen lassen. In den ersten 2 1/2 Monaten nach dem Vorfall hatte er massive Alpträume. Seit dem Vorfall ist er absolut verschämt, entblößt sich nicht mehr in Anwesenheit seiner Mutter und lässt sich beispielsweise auch nicht von ihr duschen. Das Kind hat große Probleme, Vertrauen zu Personen aufzubauen. Die Zeugin S. begab sich unmittelbar nach dem Vorfall mit dem Kind Marcio S. zum Kinderarzt und auf dessen Anraten letztlich zu Frau Dr. M., Leiterin des Bereichs Psychosomatik der Klinik und Polyklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums M. Seit März 2009 behandelte sie das Kind ca. 1 mal die Woche für eine Stunde. Da Marcio inzwischen seit August 2009 die Schule besucht, änderte sich die Frequenz der Behandlung dahingehend, dass Marcio seitdem alle 2 Wochen bei Frau Dr. M. in Behandlung ist. Ärztlicherseits wird das Kontaktverhalten von Marcio als sehr schwierig bezeichnet. Marcio baut nur sehr schwer Vertrauen auf. Konkrete Informationen zum Tathergang gab der Junge bisher überhaupt nicht preis. Letztlich spricht sich die Ärztin dafür aus, auf eine Befragung des Kindes Marcio aus gesundheitlichen Gründen derzeit zu verzichten. Schließlich ist es auch noch nicht absehbar, in wie weit sich das erlebte bei Marcio auf seine zukünftige Entwicklung im Hinblick auf die Pubertät und das Sexualverhalten auswirken wird. Eine schwere Traumatisierung ist jedenfalls gegeben."

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Der frühere Soldat habe seine Pflicht, sich außer Dienst, außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erforderten, nicht ernsthaft beeinträchtige (§ 17 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative SG), dadurch verletzt, dass er den 6-jährigen Marcio S. durch Abschließen der Tür daran gehindert habe, eine Toilettenkabine in der Brasserie ... in M. zu verlassen, ihm anschließend eine Backpfeife gegeben und ihn durch gewaltsames Drehen gezwungen habe, sich anzuschauen, wie er - der frühere Soldat - onaniere. Der frühere Soldat habe dadurch eine schwere Straftat begangen, was stets eine ernsthafte Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung zur Folge habe. Er habe vorsätzlich und somit schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt und damit ein Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG begangen.

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Das Dienstvergehen wiege außerordentlich schwer, weil der sexuelle Missbrauch eines Kindes in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich sei. Die Verhängung der Höchstmaßnahme sei deshalb geboten. Milderungsgründe lägen nicht vor, insbesondere liege kein persönlichkeitsfremdes Versagen eines ansonsten untadeligen und bewährten Soldaten vor. Der frühere Soldat habe seine Tat in mehreren Schritten vollzogen. Ebenso wenig könne seine Alkoholisierung schuldmildernd wirken, weil sich lediglich die jedem Alkoholkonsum innewohnende Gefahr eines Kontrollverlustes über das eigene Verhalten verwirklicht habe. Zudem bestünden erheblich erschwerende Umstände. Der frühere Soldat habe ein sehr junges Kind nicht nur sexuell missbraucht, sondern zusätzlich noch seiner Freiheit beraubt, es in der körperlichen Unversehrtheit verletzt und massiv genötigt, sich sexuelle Praktiken anzusehen. Die Folgen für das Kind und seine Familie seien erheblich. Demgegenüber könne der frühere Soldat sich nicht darauf berufen, dass er nach dem Dienstvergehen seinen Dienst unverändert weiter habe versehen dürfen. Dabei habe es sich um eine Fürsorgemaßnahme des Dienstherrn gehandelt, die mit der Unschuldsvermutung begründet worden sei. Der frühere Soldat habe auch die Chancen zur Nachbewährung nicht genutzt. Zu seinen Gunsten sei indes zu berücksichtigen, dass er durch sein Geständnis im Strafverfahren dem geschädigten Kind eine Aussage erspart habe. Zu seinen Gunsten spreche ferner, dass er sich in eine psychotherapeutische Behandlung begeben, sich bei den Eltern des Kindes entschuldigt und ihnen Schmerzensgeld gezahlt habe. Alle diese Gesichtspunkte würden aber die Schwere des Dienstvergehens nicht so weit aufwiegen, dass von der Entfernung aus dem Dienstverhältnis Abstand genommen werden könne; sie hätten nur dazu geführt, dass der Unterhaltsbeitrag nicht auszuschließen sei.

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2. Gegen das ihm am 10. Januar 2011 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat durch seinen früheren Verteidiger am 7. Februar 2011 eine auf die Anfechtung der Disziplinarmaßnahme beschränkte Berufung eingelegt, nachdem er sie bereits nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils in der Hauptverhandlung eingelegt hatte. Der Verteidiger hatte im Disziplinarverfahren eine vom 1. Oktober 2009 datierende "Strafprozessvollmacht" "gemäß § 81 ff. ZPO, §§ 302, 374 StPO ..." vorgelegt.

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Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, die bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme zu berücksichtigenden Umstände würden eine mildere Disziplinarmaßnahme gebieten. Zum einen sei eine Abstufung der Indizwirkung für die Höchstmaßnahme bei einer Straftat nach § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB im Verhältnis zu einer Straftat nach 176 Abs. 1 StGB notwendig; diese Abstufung werde durch die Höhe der Freiheitsstrafe deutlich, so dass nicht eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bilden dürfe. Zum anderen seien mildernde Umstände rechtsfehlerhaft verneint worden. Dazu gehöre insbesondere, dass er durch sein Geständnis im Strafverfahren dem Kind eine Aussage und damit möglicherweise eine erneute Traumatisierung erspart habe, obwohl die Beweislage durchaus unklar gewesen sei. Mit dem Geständnis habe er zudem in Kauf genommen, auch wegen erschwerender Umstände - wie Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Nötigung - verurteilt zu werden, obwohl dafür - abgesehen vom Geständnis - keine belastbaren Beweise vorgelegen hätten. Eine erneute Feststellung der konkreten Tatumstände gem. § 84 Abs.1 Satz 2 WDO anzustrengen, habe sich für ihn zum Schutz des Opfers verboten. Das Truppendienstgericht hätte daher die konkreten Tatumstände nicht ohne Weiteres erschwerend berücksichtigen dürfen und das Geständnis im Rahmen der Abwägung stärker gewichten müssen. Mildernd trete hinzu, dass er durch den erheblichen Alkoholkonsum nahezu völlig enthemmt gewesen und die Situation rein zufällig zustande und von ihm nicht etwa geplant oder provoziert worden sei. Vor diesem Hintergrund handele es sich auch um eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat. Die Presse habe über den Fall auch nicht berichtet, so dass das Dienstvergehen nicht öffentlich geworden sei.

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3. Der seinerzeitige Verteidiger des früheren Soldaten hat die Berufung mit Schriftsatz vom 18. April 2012 zurückgenommen. Nachdem er mit Schriftsatz vom 6. November 2012 ausgeführt hat, die Rücknahme in der Annahme einer stillschweigenden Ermächtigung des für ihn nicht erreichbaren früheren Soldaten erklärt zu haben, ist die Sache - erneut - geladen worden. Die Ladung ist dem früheren Soldaten mit dem ausdrücklichen Hinweis zugestellt worden, auch im Falle seiner Abwesenheit könne die Sache verhandelt werden.

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Der bisherige Verteidiger hat im Januar 2013 das Mandat niedergelegt, worauf dem früheren Soldaten durch Beschluss der Vorsitzenden des 2. Wehrdienstsenats vom 22. Januar 2013 ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form- und fristgerecht eingelegte Berufung des früheren Soldaten ist unbegründet.

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1. Dass der frühere Soldat während des Berufungsverfahrens aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden ist, steht der Fortsetzung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ebenso wenig entgegen (§ 82 Abs. 1 WDO) wie die unter dem 18. April 2012 erklärte Rechtsmittelrücknahme seines früheren Verteidigers. Sie ist rechtsunwirksam. Der frühere Soldat hat auch in der Folgezeit nicht erklärt, das Berufungsverfahren nicht mehr fortführen zu wollen.

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Nach dem gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO entsprechend anwendbaren § 302 Abs. 2 StPO bedarf der Verteidiger zur Zurücknahme eines Rechtsmittels einer ausdrücklichen Ermächtigung. Es kann dahingestellt bleiben, ob die dem früheren Verteidiger erteilte Vollmacht vom 1. Oktober 2009 allein mit ihrem pauschalen Hinweis auf § 302 StPO - ohne Angabe des Absatzes 2 - die Ermächtigung einschloss, die Berufung zurückzunehmen. Selbst wenn man davon ausginge, wäre sie damit noch immer allgemein und nicht im Hinblick auf ein konkretes Rechtsmittelverfahren erteilt worden. Der Senat teilt insoweit die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs, dass eine bereits bei der Übernahme des Mandats allgemein erteilte Vollmacht nicht ausreicht, um den Verteidiger als ermächtigt anzusehen, ein Rechtsmittel zurückzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2000 - 3 StR 284/00 - juris Rn. 1; Meyer-Goßner, StPO, Kommentar, 55. Aufl. 2012, § 302 Rn. 32). Dies würde dem Zweck des § 302 Abs. 2 WDO widersprechen, dem Soldaten vor der Ermächtigung zur Abgabe der Erklärung die Möglichkeit zur anwaltlichen Beratung über ihre Folgen zu geben. Etwas anderes gilt zwar dann, wenn einem erst zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens beauftragten Verteidiger eine allgemeine Ermächtigung zur Rechtsmittelrücknahme erteilt worden ist (BGH, Beschluss vom 23. April 1998 - 4 StR 132/98 - juris, Rn. 2). Dies war beim früheren Verteidiger ausweislich der vom 1. Oktober 2009 datierenden und somit noch vor dem Ergehen des erstinstanzlichen Urteils (vom 9. Dezember 2010) erteilten Vollmacht nicht der Fall.

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2. Dass der frühere Soldat zur Berufungshauptverhandlung nicht persönlich erschienen ist, steht einer Entscheidung zur Sache nicht entgegen.

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Gemäß § 124 WDO findet - außer in den Fällen des § 104 Abs. 1 WDO - die Berufungshauptverhandlung auch dann ohne den Soldaten statt, wenn dieser ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann. Die Regelung gilt auch für frühere Soldaten (Urteil vom 28. November 2007 - BVerwG 2 WD 28.06 - BVerwGE 130, 65 = Buchholz 450.2 § 124 WDO 2002 Nr. 1, jeweils Rn. 23 ff.). Die Voraussetzungen des § 124 WDO sind erfüllt. Der Soldat ist mit Ladungsschreiben vom 9. Januar 2013 zur Berufungshauptverhandlung am 15. März 2013 gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 103 WDO ordnungsgemäß geladen und im Ladungsschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass auch in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann.

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3. Da das Rechtsmittel des früheren Soldaten ausdrücklich auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt eingelegt worden ist, hat der Senat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

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a) Von der Beschränkung der Berufung unberührt bleibt allerdings die Prüfung der Prozessvoraussetzungen und möglicher Verfahrenshindernisse. Verfahrensmängel werden bei einer beschränkten Berufung zwar regelmäßig gegenstandslos, soweit sie nicht das gesamte disziplinargerichtliche Verfahren oder den gerichtlichen Verfahrensabschnitt unzulässig machen. Beachtlich sind jedoch Aufklärungs- und Verfahrensmängel von solcher Schwere, dass sie die Grundlage der vom Senat zu treffenden Entscheidung über die Maßnahmebemessung - die tatsächlichen und disziplinarrechtlichen Feststellungen zur Schuld des Soldaten - erschüttern (Urteil vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 2 WD 33.11 - juris Rn. 33 m.w.N., sowie Beschluss vom 24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - juris Rn. 15). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn das Truppendienstgericht eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils nicht vorgenommen hat, um die für eine rechtsfehlerfreie Entscheidung hinreichenden tatsächlichen Feststellungen treffen zu können (Beschluss vom 19. August 2009 - BVerwG 2 WD 31.08 - Buchholz 450.2 § 121 WDO 2002 Nr. 1 Rn. 16).

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b) Die Einlassung des früheren Soldaten, nur im Interesse des Opfers habe er nicht auf einen Lösungsbeschluss des Truppendienstgerichts gedrängt, gibt keinen Anhaltspunkt für die Annahme, verfahrensfehlerhaft habe sich das Truppendienstgericht von der Bindung an die strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht gelöst. Der in der Sache dahinter stehende Einwand des früheren Soldaten, jedenfalls hinsichtlich der vom Strafgericht ebenfalls als verwirklicht betrachteten Straftatbestände Nötigung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung sei das strafgerichtliche Urteil unrichtig und es habe an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen Anlass zu Zweifeln im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO bestanden, weil das Urteil des Strafgerichts sich nicht auch auf die Aussage des Opfers stütze und auch ansonsten keine tragfähigen Beweise vorgelegen hätten, betrifft die strafgerichtliche Tatsachenwürdigung.

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Aus dem Sinn und Zweck des § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO, im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unterschiedliche Feststellungen zu einem historischen Geschehensablauf in verschiedenen rechtskräftigen Entscheidungen zu verhindern, ergibt sich, dass die Wehrdienstgerichte an die Beweiswürdigung in einem sachgleichen rechtskräftigen Strafurteil grundsätzlich auch dann gebunden sein sollen, wenn sie aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststellungen für möglich halten. Anderenfalls wäre § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO auf Fälle beschränkt, in denen das Wehrdienstgericht der Beweiswürdigung des Strafgerichts ohnehin folgen würde. Das aber wäre weder mit der in § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO normierten grundsätzlichen Bindung noch damit vereinbar, dass die Wehrdienstgerichte nach ihrer Zuständigkeit und Funktion keine Überprüfungsinstanz für Strafurteile sind (Urteil vom 7. Februar 2013 - BVerwG 2 WD 36.12 - Rn. 29). Die bloße Möglichkeit, dass das Geschehen objektiv oder subjektiv auch anders gewesen sein könnte als vom Strafgericht rechtskräftig festgestellt, reicht für einen Lösungsbeschluss nicht aus. Erhebliche und damit für einen Lösungsbeschluss ausreichende Zweifel an der Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen bestehen erst dann, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen in sich widersprüchlich oder sonst unschlüssig sind, im Widerspruch zu den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus sonstigen - vergleichbar gewichtigen - Gründen offenkundig unzureichend sind. Offenkundig unzureichend in diesem Sinne sind strafgerichtliche Feststellungen dann, wenn sie in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind oder wenn entscheidungserheblich neue Beweismittel vorgelegt werden, die dem Strafgericht noch nicht zur Verfügung standen oder wenn die im strafgerichtlichen Urteil vorgenommene Beweiswürdigung ausweislich der Urteilsgründe nicht nachvollziehbar ist (Urteil vom 14. November 2007 - BVerwG 2 WD 29.06 - Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 4 Rn. 31 m.w.N.). Gründe dieser Art folgen aus dem Einwand des früheren Soldaten nicht; sie sind auch im Übrigen nicht ersichtlich. Für die Frage einer Loslösung von den strafgerichtlichen Feststellungen ohne Bedeutung bleibt deshalb namentlich die Motivation des früheren Soldaten, im Interesse des Kindes auf dessen Vernehmung nicht zu bestehen. Dieser Umstand erlangt vielmehr bei der Prüfung Bedeutung, welche - positiven - Rückschlüsse eine solche Gesinnung auf seine Persönlichkeit zulässt.

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c) Die Disziplinarmaßnahme ist somit auf der Grundlage der unter II.1 dargelegten erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen und eines erstinstanzlich festgestellten vorsätzlichen Rechtsverstoßes gegen § 17 Abs. 2 Satz 2 SG zu bestimmen. Denn diese sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Senat damit bindend.

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4. Die Berufung ist danach unbegründet, der Tenor des erstinstanzlichen Urteils jedoch dahingehend anzupassen, dass dem zwischenzeitlich regulär aus dem Dienst ausgeschiedenen früheren Soldaten das Ruhegehalt aberkannt wird (§ 58 Abs. 2 Nr. 4 WDO in Verbindung mit §§ 65, 67 Abs. 4 WDO).

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a) Dem Ruhegehalt stehen gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 WDO die Übergangsleistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz gleich, auf die der frühere Soldat noch bis zum Ablauf des 30. September 2013 in Form von Übergangsgebührnissen (§ 11 SVG) Anspruch gehabt hätte und die ihn - ebenso wie die noch nicht ausgezahlte Übergangsbeihilfe (vgl. Urteil vom 14. November 2007 - BVerwG 2 WD 29.06 - Rn. 65 § 84 WDO 2002 Nr. 4 nicht abgedruckt>) - gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 WDO noch als Soldat im Ruhestand gelten lassen. Dass die Zahlung der Übergangsgebührnisse im Hinblick auf die scheinbar rechtskräftige Entfernung aus dem Dienstverhältnis eingestellt wurde, lässt den Anspruch, auf den § 1 Abs. 3 Satz 1 WDO abstellt, unberührt.

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b) Das Ruhegehalt ist dem früheren Soldaten abzuerkennen, weil er aus dem Dienstverhältnis zu entfernen gewesen wäre, falls er sich gegenwärtig noch im Dienst befinden würde (§ 65 Abs. 1 Satz 2 WDO).

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Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten (vgl. Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.

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aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung. Danach wiegt das Dienstvergehen des früheren Soldaten außerordentlich schwer. Der Senat hat zuletzt im Zusammenhang mit der sexuellen Nötigung einer Jugendlichen (§ 177 StGB) festgestellt, die Handlung sei in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich, weil der Täter damit in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen eingreife und die harmonische Entwicklung seiner Gesamtpersönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft gefährde. Ein Jugendlicher könne wegen seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten. Zugleich benutze der Täter die Person eines Jugendlichen als "Mittel" zur Befriedigung seines Geschlechtstriebes und verletze dadurch dessen durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte unantastbare Menschenwürde. Sexueller Missbrauch eines Jugendlichen schädige regelmäßig das Ansehen des Täters schwerwiegend. Denn der Schutz dieses Personenkreises vor sittlicher Gefährdung werde von der Bevölkerung sehr ernst genommen. Verstöße gegen die einschlägigen strafrechtlichen Schutzbestimmungen würden nach wie vor als verabscheuungswürdig angesehen und setzten den Täter kritischer Resonanz und Missachtung aus. Darüber hinaus habe die strafbare, rechts- und sittenwidrige Nötigung eines Jugendlichen durch einen Soldaten, der als Teil der staatlichen Gewalt die Würde des Menschen zu achten und zu schützen habe (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), auch im dienstlichen Bereich aus der Sicht eines vorurteilsfreien und besonnenen Betrachters eine nachhaltige Ansehensschädigung zur Folge. Denn dadurch werde das Vertrauen, das der Dienstherr in die Selbstbeherrschung, Zuverlässigkeit und moralische Integrität des Soldaten setze, von Grund auf erschüttert. Wer als Soldat in dieser Weise versage, beweise damit erhebliche Persönlichkeitsmängel (Urteil vom 27. Juli bei 2010 - BVerwG 2 WD 5.09 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 30 Rn. 16 m.w.N.). Die Schwere des Dienstvergehens erhöht sich folglich, wenn - wie vorliegend - ein Kind Opfer eines Sexualdeliktes ist, weil es noch weniger als ein Jugendlicher in der Lage ist, mit dem inkriminierten Verhalten umzugehen. Hinzu tritt, dass der frühere Soldat Vorgesetzteneigenschaften besaß und er mit einer Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung zusätzliche Straftatbestände verwirklichte, die nicht zwangsläufig mit einem Verstoß gegen § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB einher gehen.

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bb) Das Dienstvergehen hatte zwar keine nachteiligen Auswirkungen auf den Dienstbetrieb, insbesondere nahm der frühere Soldat seine bisherigen Dienstaufgaben weiter war; die Auswirkungen der Pflichtverletzung auf das Kind sind jedoch nach den strafgerichtlichen Feststellungen, die der frühere Soldat zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt hat, massiv. Bei dem Kind trat eine massive Traumatisierung ein, die zu einer Wesensveränderung führte, längerfristigen psychotherapeutischen Behandlungsbedarf nach sich zog und in das Beziehungsgefüge der betroffenen Familie ebenso tiefgreifend wie nachhaltig eingriff.

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cc) Das Maß der Schuld wird dadurch bestimmt, dass der frühere Soldat das Dienstvergehen vorsätzlich begangen hat. Anders als von ihm angenommen, liegen auch keine Milderungsgründe in den Umständen der Tat vor.

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Der Milderungsgrund einer persönlichkeitsfremden Augenblickstat liegt nicht vor. Zwar war die Handlung persönlichkeitsfremd; sie bildete jedoch wegen ihrer Mehraktigkeit, die in der mehrfachen Verwirklichung unterschiedlicher Straftatbestände Ausdruck findet, keine Augenblickstat mehr (Urteil vom 7. Februar 2013 - BVerwG 2 WD 36.12 - Rn. 50). Schuldmildernd vermag auch nicht die Alkoholisierung des früheren Soldaten zu wirken, die bei ihm nach den strafgerichtlichen Feststellungen allerdings - gut eine Stunde nach dem Vorfall - nur leichte Ausfallerscheinungen zur Folge hatte. Da sich der frühere Soldat schuldhaft alkoholisiert hat, kann dem keine entlastende Bedeutung zukommen (vgl. Urteil vom 17. Januar 2013 - BVerwG 2 WD 25.11 - Rn. 72 ff. m.w.N.).

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dd) Hinsichtlich seiner Beweggründe steht fest, dass der Soldat ausschließlich in der Absicht handelte, seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen.

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ee) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien Persönlichkeit und bisherige Führung sticht kein positives Leistungsbild des bislang weder strafrechtlich noch disziplinarisch in Erscheinung getretenen früheren Soldaten hervor. Seine Leistungen sind auch unter Zugrundelegung der aktuellsten Leistungsbewertungen, insbesondere nach der Aussage seines letzten Disziplinarvorgesetzten, bestenfalls durchschnittlich gewesen. Dass der frühere Soldat an das Opfer zudem Schmerzensgeld gezahlt hat, spricht auch nicht in dem von ihm geltend gemachten Umfang für ihn. Er kam damit vielmehr einer Zahlungsverpflichtung nach, die sich aus dem Bewährungsbeschluss ergab. Zu seinen Gunsten wirkt allerdings, dass er sich bei der Familie des Opfers und beim Opfer selbst entschuldigt hat, sein Verhalten aufrichtig bereut und - vor allem - im Strafverfahren auf die Vernehmung des Kindes nicht bestanden und damit Empathie bewiesen hat. Zudem hat er sich in psychotherapeutische Behandlung begeben, wodurch die Bereitschaft deutlich wird, sich der Tat reflektierend zu stellen. Weitere Milderungsgründe waren indes nicht ersichtlich, nachdem der frühere Soldat der Berufungshauptverhandlung fern geblieben und durch den fehlenden Kontakt zu seinen Verteidigern nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, weitere Milderungsgründe vorzutragen.

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c) Bei der Gesamtwürdigung dieser Umstände wäre der frühere Soldat, wenn er sich noch im aktiven Dienst befände, aus dem Dienstverhältnis zu entfernen, § 65 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 58 Abs. 1 Nr. 5, § 63 Abs. 1 WDO. Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus (Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 - juris Rn. 35):

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aa) Auf der ersten Stufe bestimmt der Senat im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen".

38

aaa) Soweit es die Handlung des früheren Soldaten betrifft, die den sexuellen Missbrauch eines Kindes zum Gegenstand hat, bildet die disziplinarische Höchstmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägung. Dass in den Soldaten gesetzte Vertrauen ist durch ein solches schweres Dienstvergehen im Regelfall endgültig verloren gegangen; dem Dienstherrn kann bei objektiver Betrachtung eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden (Urteil vom 27. Juli 2010 - BVerwG 2 WD 5.09 - juris Rn. 28 m.w.N. § 38 WDO 2002 Nr. 30>; Urteil des 2. Revisionssenats vom 25. März 2010, - BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 11 jeweils Rn. 18, zu § 176 Abs. 1 StGB; bei Sexualdelikten zulasten Erwachsener: Urteil vom 30. Oktober 2012 - BVerwG 2 WD 28.11 - Rn. 54). Da allein die objektive Betrachtung maßgeblich ist, erlangt auch keine rechtliche Bedeutung, dass der Dienstherr den früheren Soldaten nach der Begehung des Dienstvergehens den Dienst unverändert hat versehen lassen (Urteile vom 16. Dezember 2010 - BVerwG 2 WD 43.09 - Rn. 48, und vom 30. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 58).

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Es besteht auch kein Anlass, von dieser Regelmaßnahme deshalb abzuweichen, weil der Strafrahmen des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB weniger weit reicht als bei einem Vergehen nach § 176 Abs. 1 StGB, womit der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen hat, dass es im Falle des § 176 Abs. 4 StGB zu keinem Körperkontakt zwischen Täter und Opfer gekommen ist. Die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist nicht schematisch an der Strafandrohung des Strafgesetzbuches orientiert; maßgeblich ist aus disziplinarischer Sicht vielmehr, dass in beiden Fällen die Verletzung des gleichen Schutzgutes ein gleiches Maß an Zweifeln an der persönlichen Integrität des (früheren) Soldaten begründet. Schutzgut bildet nämlich in beiden Varianten des § 176 StGB die Möglichkeit des Kindes zur freien Entwicklung seiner sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit und in beiden Fällen bringt der Gesetzgeber die besondere Verwerflichkeit der Tat dadurch zum Ausdruck, dass er es im Grundsatz für erforderlich erachtet, bei Verstößen eine Freiheitsstrafe zu verhängen.

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bbb) Soweit es die sonstigen strafrechtlich relevanten Handlungen des früheren Soldaten - wie Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung - betrifft, sprechen sie jedenfalls in ihrer Gesamtheit für eine kriminelle Energie und fehlende Diszipliniertheit, die einer brutalen, körperlichen Misshandlung nicht nachsteht und bei der Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine Dienstgradherabsetzung bis in den Mannschaftsdienstgrad bildet (vgl. Urteil vom 7. März 2013 - BVerwG 2 WD 28.12 -).

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bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung gegenüber der vorliegend auf der ersten Stufe in Ansatz zu bringenden Höchstmaßnahme eröffnen.

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aaa) Bei der Maßnahmebemessung auf der zweiten Stufe ist vor allem hinsichtlich der "Eigenart und Schwere" sowie der "Auswirkungen" des Dienstvergehens zu klären, ob die zu verhängende Disziplinarmaßnahme zu modifizieren ist. Für die "Eigenart und Schwere des Dienstvergehens" kann z. B. von Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte, einmalig oder wiederholt versagt hat, etwa in einem besonders wichtigen Pflichtenbereich. Bei den "Auswirkungen" des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen für den Dienstbetrieb (insbesondere die weitere Verwendbarkeit des Soldaten, Rückwirkungen auf Vorgesetzte oder Untergebene, negative personalwirtschaftliche Konsequenzen) sowie schädliche Weiterungen für das Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zumessungskriteriums "Maß der Schuld" hat der Senat neben der Schuldform (Vorsatz, Fahrlässigkeit) und der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB analog) das Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Tatumständen bei der endgültigen Bestimmung der Disziplinarmaßnahme in Betracht zu ziehen.

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bbb) Die für den früheren Soldat sprechenden, sich aus seiner Persönlichkeit ergebenden Umstände - wie persönlichkeitsfremde Tat, reflektierte Auseinandersetzung durch psychologische Behandlung, Reue, Entschuldigungen und vor allem opferschonendes Verhalten im Strafverfahren - sind nicht von solchem Gewicht, dass sie ein Abweichen von der Höchstmaßnahme geböten. Die Anforderungen, die an entlastende Umstände zu stellen sind, werden durch die Schwere des Dienstvergehens bestimmt (Urteil vom 13. September 2011 - BVerwG 2 WD 15.10 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 34 Rn. 61 m.w.N.); von einer grundsätzlich verwirkten Höchstmaßnahme abzusehen, verlangt deshalb mildernde Umstände von hohem Gewicht (Urteil vom 6. September 2012 - BVerwG 2 WD 26.11 - Rn. 70). Die Einlassung des früheren Soldaten, er habe nicht auf die Vernehmung des Opfers im Strafverfahren bestanden, ihm damit trotz unklarer Beweislage möglicherweise eine erneute traumatisierende Erfahrung erspart und sich trotz fehlender belastbarer Beweise einer Verurteilung auch wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Nötigung ausgesetzt, begründen Umstände solchen Gewichts deshalb nicht, weil auch den erschwerenden und bei der Bestimmung des Ausgangspunktes der Zumessungserwägungen noch nicht berücksichtigten Umständen der massiven psychischen Folgewirkungen für das geschädigte Kind im konkreten Fall Rechnung zu tragen ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Beweislage tatsächlich in dem behaupteten Umfang unsicher war; jedenfalls betraf dies nicht die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 176 Abs. 4 StGB. Durch ihn allein gewann das Dienstvergehen jedoch bereits eine solche Schwere, dass die disziplinarische Höchstmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet. Angesichts der weiteren strafrechtlich relevanten Pflichtverletzungen, die für sich gesehen wiederum eine erhebliche Herabsetzung im Dienstgrad verlangt hätten, und den massiven psychischen Schäden beim Kind, war das zugunsten des Soldaten sprechende Verhalten nach der Tat somit allenfalls geeignet, auf den insoweit zusätzlich bestehenden disziplinarischen Ahndungsbedarf mildernd einzuwirken.