Entscheidungsdatum: 20.06.2017
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 12. Januar 2017 aufgehoben
a) im Schuldspruch, soweit die Angeklagte in Fall 7 der Urteilsgründe wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt worden ist,
b) im Strafausspruch,
c) im Maßregelausspruch.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
I.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in zwei Fällen hiervon in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, und in weiteren vier Fällen hiervon in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie wegen unerlaubten Erwerbs in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie Verfall von Wertersatz in Höhe von 3.000 € angeordnet.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision rügt die Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 5. Mai 2017 unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
II.
1. Die Feststellungen zu den Fällen 1 - 6 sowie 8 und 9 der Urteilsgründe tragen die Schuldsprüche. Der Schuldspruch der Angeklagten für die im Fall 7 der Urteilsgründe festgestellte Tat hat hingegen keinen Bestand.
Das Landgericht hat nur im Fall 8 der Urteilsgründe - gestützt auf ein Sachverständigengutachten - konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Betäubungsmittels getroffen. Im Übrigen hat das Landgericht eine Schätzung „unter Berücksichtigung aller Umstände“, insbesondere der Angaben der Angeklagten zum An- und Verkaufspreis sowie zur Qualität des Methamphetamins („heftige Qualität“), vorgenommen und ist in den Fällen 1 - 7 und 9 der Urteilsgründe jeweils durchgängig von einem Wirkstoffgehalt von 60 % Methamphetaminbase ausgegangen.
Das Tatgericht darf allerdings nur dann den Wirkstoffgehalt - notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes - unter Berücksichtigung der sicher festgestellten Umstände (Herkunft, Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren etc.) durch eine „Schätzung“ festlegen, soweit konkrete Feststellungen zur Wirkstoffkonzentration nicht getroffen werden können, wenn die Betäubungsmittel für eine Untersuchung nicht (mehr) zur Verfügung stehen (BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2016 - 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247; vom 7. Dezember 2011 - 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339 und vom 6. August 2013 - 3 StR 212/13, StV 2013, 703; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., Vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 331 ff. mwN).
Die Schätzung des Landgerichts ist zudem nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat bereits nicht geprüft, ob aus dem konkret festgestellten Wirkstoffgehalt in Fall 8 - unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Einkaufspreise - Rückschlüsse auf den Wirkstoffgehalt der jeweiligen Betäubungsmittel in den anderen Fällen möglich waren. Zudem ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Landgericht bei unterschiedlichen Einkaufspreisen immer denselben Wirkstoffgehalt von 60 % Methamphetaminbase zugrunde legt.
Dieser Rechtsfehler betrifft durchgreifend aber lediglich den Schuldspruch in Fall 7, da insoweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei rechtsfehlerfreier Bestimmung bzw. Schätzung des Wirkstoffgehalts die nicht geringe Menge unterschritten wird. In den Fällen 1 - 4 und 6 der Urteilsgründe kann der Senat angesichts des An- und Verkaufs jeweils größerer Mengen von Betäubungsmitteln und der jeweiligen Preise ausschließen, dass im Einzelfall die Grenze zur nicht geringen Menge unterschritten wurde (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 - 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247; Urteil vom 24. Februar 1994 - 4 StR 708/93, NJW 1994, 1885; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer aaO, Vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 214). In den Fällen 5 und 9 der Urteilsgründe verbleibt es - unabhängig von dem Rechtsfehler - ohnehin jeweils bei dem Schuldspruch wegen unerlaubten Erwerbs in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG.
2. Der Strafausspruch hält in den Fällen 1 - 6 sowie 9 der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Wie dargelegt, fehlt es in diesen Fällen an der Feststellung des Wirkstoffgehalts der jeweiligen Betäubungsmittel und damit an der Feststellung eines bestimmenden Strafzumessungsgrundes. Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge des Rauschgifts bestimmt. Für eine sachgerechte schuldangemessene Festsetzung der Strafen im Betäubungsmittelstrafrecht kann auf nähere Feststellungen zum Wirkstoffgehalt deshalb regelmäßig nicht verzichtet werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2016 - 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247; vom 7. Dezember 2011 - 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339 und vom 6. August 2013 - 3 StR 212/13, StV 2013, 703, je mwN).
3. Aber auch die verhängte Einzelstrafe in Fall 8 der Urteilsgründe hat keinen Bestand. Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 30 Abs. 2 BtMG entnommen und dabei zunächst ausgeführt, dass eine Anwendung des vertypten Milderungsgrundes des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG ausscheide, weil die Taten, zu denen die Angeklagte Aufklärungshilfe leistete, mit der Tat aus Fall 8 der Urteilsgründe in keinem Zusammenhang stehe. Diese Auffassung trifft insoweit zu, als es um die Aufklärungshilfe bezogen auf den Tatbeteiligten im Fall 1 der Urteilsgründe und die Rauschgiftabnehmer der Angeklagten geht. Nicht erörtert hat die Kammer allerdings, ob eine Aufklärungshilfe nach § 31 Satz 1 Nr. 1 und 2 BtMG auch bezogen auf die Angaben der Angeklagten zu den Rauschgiftgeschäften, die nach den Feststellungen des Landgerichts Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens der Strafverfolgungsbehörden in U. waren, in Betracht kommt. Insoweit wäre nicht nur eine Aufdeckung von Taten nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG zu erwägen, sondern durch die Sicherstellung der Betäubungsmittel als besonders wirksame Form der Verhinderung geplanter Straftaten auch eine Aufklärungshilfe nach § 31 Satz 1 Nr. 2 BtMG (vgl. auch Senat, Beschluss vom 28. Juni 2005 - 1 StR 187/05, NStZ 2006, 177).
Hinsichtlich einer möglichen Aufklärungshilfe bezogen auf den Komplex „Ermittlungsverfahren U. “ hat die Kammer lediglich ausgeführt, dass die Angeklagte die Strafverfolgungsbehörden in U. in der Weise unterstützt habe, dass sie die Behörden auf bis dahin unbekannte Rauschgiftgeschäfte aufmerksam gemacht habe. Durch die Angaben der Angeklagten konnte letztlich eine Menge von 10 kg „Speed“ sichergestellt werden. Ferner hat das Landgericht festgestellt, dass die zuletzt genannten Rauschgiftgeschäfte in U. „in keinem Zusammenhang mit den Taten der Angeklagten“ stehen (UA S. 12).
Diese Ausführungen genügen nicht, um die Anwendbarkeit von § 31 Satz 1 Nr. 1 und 2 BtMG auszuschließen. Liegen Angaben eines Angeklagten vor, die möglicherweise Grundlage der Annahme eines Aufklärungserfolges im Sinne der genannten Vorschrift sein können, ist der Tatrichter gehalten, diese in nachvollziehbarer Weise darzulegen, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob ein Aufklärungserfolg zutreffend angenommen oder abgelehnt wurde (Senat, Beschlüsse vom 23. April 2013 - 1 StR 131/13, NStZ 2013, 665 und vom 28. August 2002 - 1 StR 309/02, NStZ 2003, 162 f. mwN). Dem wird das angefochtene Urteil weder mit der Schilderung des Umfangs der geleisteten Aufklärungshilfe und des Aufklärungserfolgs noch mit dem apodiktischen Hinweis auf einen fehlenden Tatzusammenhang gerecht. Auf welche tatsächlichen Umstände sich das Tatgericht dabei stützt, kann dem Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden. Die bloße Wertung, es bestehe kein Zusammenhang mit den Taten der Angeklagten, genügt zur Ermöglichung der revisionsgerichtlichen Überprüfung ersichtlich nicht (vgl. Senat, aaO; BGH, Beschluss vom 1. März 2011 - 3 StR 496/10; zum erforderlichen Tatzusammenhang vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2014 - 3 StR 429/13 Rn. 8 ff., StV 2014, 619, mwN), zumal die Kammer im Rahmen der Beweiswürdigung darauf hinweist, dass die Angeklagte im Zusammenhang mit der Aufdeckung der Taten auch einen „Kontakt vermittelt“ habe (UA S. 19).
4. Die Aufhebung der Einzelstrafaussprüche entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Das neu verhandelnde Tatgericht wird die bei der Würdigung vertypter Strafmilderungsgründe im Verhältnis zur Annahme minder schwerer Fälle gebotenen Prüfschritte (vgl. dazu Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 930) transparenter sowie - gegebenenfalls auch lediglich für die Strafzumessung im engeren Sinne - Art und Umfang der von der Angeklagten geleisteten Aufklärungshilfe zu dem Tatkomplex „Ermittlungsverfahren U. “ eingehender darzustellen haben, als dies im angefochtenen Urteil geschehen ist.
5. Schließlich hält auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Maßregel nach § 64 StGB erfordert, dass die Gefahr besteht, die Angeklagte werde infolge ihres Hanges in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Die Prognose ist für den Einzelfall zu treffen, wobei der Tatrichter die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen hat, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, Rn. 3, NStZ-RR 2017, 76; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, Rn. 9, NStZ-RR 2017, 74; vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395 und vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Gefahrenprognose wird nicht in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt.
Das Landgericht folgt dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H. , der eine polyvalente Drogenabhängigkeit von Psychostimulanzien aufgrund eines langjährigen Amphetamin- und Methamphetaminkonsums festgestellt hat, und - insoweit ohne eigene Bewertung - dessen Einschätzung, dass ohne eine längerdauernde Therapie jederzeit mit erneuter Straffälligkeit im Hinblick auf Betäubungsmittelstraftaten und klassische Beschaffungskriminalität zu rechnen sei (UA S. 24 f.).
Für die Gefahrprognose einer klassischen Beschaffungskriminalität enthält das Urteil hingegen keinerlei Tatsachengrundlage. Das Landgericht hat keine Straftaten zur Finanzierung des Eigenkonsums festgestellt. Allerdings ist die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt regelmäßig auch dann gerechtfertigt, wenn die Begehung gewichtiger Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, die über den Erwerb kleiner Rauschgiftmengen hinausgehen, wegen der Drogenabhängigkeit des Angeklagten konkret zu besorgen sind (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 148/08, Rn. 4, NStZ-RR 2008, 234). Das Landgericht setzt sich insoweit jedoch nicht mit den Umständen des Einzelfalls auseinander, die für die Bewertung der Gefahrenprognose von Bedeutung sind, nämlich, dass die Angeklagte bislang lediglich einmal im Jahr 2006 - und damit vor über zehn Jahren - wegen in den Jahren 2004 und 2005 begangener Betäubungsmitteldelikte verurteilt wurde, die Angeklagte nach der Verurteilung wegen dieser Straftaten im Jahr 2007 einen Rückfall erlitten hat, ohne erneut straffällig zu werden, sie mit ihrer Drogenvergangenheit - wie die Aufklärungshilfe und der Abbruch der Kontakte zu ihren Freunden aus der Drogenszene belegen - gebrochen hat und, dass sie Kontakt zur Suchtfachambulanz hergestellt und dort im Zeitraum vom 15. Februar 2016 bis 20. Dezember 2016 an insgesamt 22 Einzelterminen teilgenommen hat. Hinsichtlich des Kontakts zur Suchtfachambulanz bleibt überdies offen, mit welchem Inhalt und Erfolg die Angeklagte die „Einzeltermine“ wahrgenommen hat.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass nähere Darlegungen zu der Gefahrenprognose zu einer Verneinung der Voraussetzungen des § 64 StGB geführt hätten.
6. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben, mit Ausnahme der Feststellungen zu den jeweiligen Wirkstoffgehalten der Betäubungsmittel, der Aufklärungshilfe bezogen auf den Komplex „Ermittlungsverfahren U. “ und zu der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Die neue Strafkammer wird Feststellungen zu den zuvor genannten Punkten zu treffen haben und kann auch sonst ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Graf |
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Bellay |
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Fischer |
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Bär |
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Hohoff |
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