Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 24.10.2018


BGH 24.10.2018 - 1 StR 212/18

Einschleusen von Ausländern: Grundsatzes der limitierten Akzessorietät; Vorsatzerfordernisse bei den Geschleusten; Anforderungen an die Beweiswürdigung bei geschleusten Kindern und Jugendlichen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
24.10.2018
Aktenzeichen:
1 StR 212/18
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:241018B1STR212.18.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Passau, 17. Oktober 2017, Az: 1 KLs 15 Js 19940/15
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Zur Schleusung von Kindern und Jugendlichen.

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 17. Oktober 2017, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch aufgehoben; die Feststellungen haben mit Ausnahme der zur subjektiven Tatseite der minderjährigen geschleusten Personen getroffenen Feststellungen Bestand.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Einschleusens von Ausländern“ in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Wegen weiterer Anklagevorwürfe, wonach er auch an gleichgelagerten Taten des Mitangeklagten beteiligt gewesen sein soll, hat es ihn freigesprochen. Die Auslieferungshaft in Rumänien hat es im Verhältnis 1:1 auf die Strafe angerechnet. Mit seiner Revision macht der Angeklagte ein Verfahrenshindernis geltend und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor dem 18. Juli 2015 fasste der rumänische Angeklagte den Entschluss, sich eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Gewicht zu verschaffen, indem er wiederholt sichtvermerkspflichtigen Drittausländern gegen ein Entgelt dazu verhalf, von Budapest über Österreich unerlaubt in das Bundesgebiet einzureisen. Die Drittausländer syrischer und irakischer Herkunft zahlten für ihren Transport in Fahrzeugen zwischen 400 Euro und 600 Euro pro Person, für Kinder in Einzelfällen die Hälfte. Teilweise hatten die Drittausländer bereits in ihren Herkunftsländern eine Gesamtzahlung für die Schleusung nach Deutschland an arabischstämmige Personen erbracht, die den Angeklagten für den Transport der Flüchtlinge von Budapest bis in die Bundesrepublik vergüteten. Den Fahrern der Transportfahrzeuge versprach der Angeklagte seinerseits zwischen 250 Euro und 1.200 Euro pro Fahrt.

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Den beförderten Drittausländern - wobei das Landgericht Kinder unter sieben Jahren als nicht handlungsfähig angesehen hat - war bewusst, dass sie nicht über die für eine Einreise und einen Aufenthalt in der Bundesrepublik erforderlichen Dokumente verfügten. Dies wusste auch der Angeklagte, dem darüber hinaus die Transportbedingungen bekannt waren. Bei fünf Fahrten wurden die Drittausländer ungesichert auf den Ladeflächen eines Lastkraftwagens und von Kleintransportern befördert. Dass es daher schon bei einfachen Gefahrbremsungen zu schweren Verletzungen und auch zum Tod zumindest einzelner der ungesichert beförderten Personen hätte kommen können, war dem Angeklagten bewusst und gleichgültig. Die Anzahl der jeweils beförderten Personen nahm er zumindest billigend in Kauf.

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In der Zeit zwischen dem 18. Juli 2015 und dem 25. August 2015 leistete der Angeklagte in sechs Fällen syrischen und irakischen Staatsangehörigen Hilfe bei ihrer unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik, indem er Fahrer für den Transport anwarb und diesen die dafür vorgesehenen Fahrzeuge in Budapest zur Verfügung stellte. Im Fall 1 der Urteilsgründe transportierte der Fahrer insgesamt dreizehn syrische Staatsangehörige - darunter vier Kinder im Alter von unter sieben Jahren - in einem Personenkraftwagen Kia Carnival. Das Fahrzeug verfügte in drei Sitzreihen über insgesamt sechs Sitzplätze mit Rückhaltesystemen. In vier weiteren Fällen wurden zwischen 20 und 28 syrische und irakische Drittausländer - neben noch nicht sieben Jahre alten Kindern gleicher Staatsangehörigkeiten - in Kleintransportern auf deren Ladeflächen mit einer Größe von etwa sechs Quadratmetern transportiert. Trotz der erheblichen Fahrtdauer machte der Fahrer nur im Fall 3 eine zehnminütige Pause, ohne dass allerdings die geschleusten Personen hierbei den Laderaum verlassen durften. Zuletzt beförderte ein Fahrer mit einem Lastkraftwagen neben sechs irakischen Kindern im Alter von unter sieben Jahren weitere 33 irakische Staatsangehörige in einem fensterlosen Aufbau, der an den Seitenwänden nur mit einer blauen Plane ausgeschlagen war. Die Fahrzeuge wurden jeweils grenznah auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland polizeilich kontrolliert.

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2. Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten als gewerbsmäßiges und die Geschleusten einer das Leben gefährdenden Behandlung aussetzendes Einschleusen von Ausländern in sechs Fällen gewertet (§ 96 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 5 AufenthG). In fünf Fällen hat sie der Angeklagte nach Ansicht des Landgerichts zugleich einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt.

II.

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Ein Verfahrenshindernis liegt entgegen den Ausführungen der Revision nicht vor. Die Anklage wahrt die ihr zukommende Umgrenzungsfunktion. Die prozessualen Taten im Sinne von § 264 StPO, auf die sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft erstreckt, sind eindeutig zu identifizieren. Der konkrete Anklagesatz nennt die Tatzeiten, die geschleusten Personen (soweit bekannt), die Namen der Fahrer und die Tatfahrzeuge mitsamt amtlichen Kennzeichen.

III.

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1. Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung auf die Sachrüge des Angeklagten stand. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der Angeklagte im Fall 1 der Urteilsgründe zwei und im Übrigen jeweils drei Qualifikationstatbestände (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 378/11, NStZ-RR 2012, 124; BeckOK AuslR/Hohoff, 19. Ed., § 96 AufenthG Rn. 15; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze [Stand: Juli 2014], § 96 AufenthG Rn. 14; Fahlbusch in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 55) des § 96 Abs. 2 AufenthG verwirklicht hat. Als Haupttaten liegen unerlaubte Einreisen nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG vor, zu denen der Angeklagte unter Verwirklichung der Schleusermerkmale des § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) und b) AufenthG Hilfe geleistet hat.

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a) Das Landgericht hat sich seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung gebildet, bei der es das - nicht der Justiz anzulastende - fehlende Konfrontationsrecht der Verteidigung gegenüber Belastungszeugen ausreichend bedacht und die Beweise „besonders sorgfältig“ gewürdigt hat (vgl. zu den Anforderungen etwa BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 - 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 52 ff. mwN auch zur Rechtsprechung des EGMR). Wesentliche Bedeutung durfte es dabei der teilgeständigen Einlassung des Angeklagten zur Übergabe von zwei Tatfahrzeugen beimessen. Nicht zu beanstanden ist auch die näher begründete Schlussfolgerung des Landgerichts, dass der Angeklagte bereits bei der ersten „Schleusung“ gewerbsmäßig handelte (§ 96 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG; mit Wirkung vom 1. August 2018: § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).

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b) Den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist des Weiteren zu entnehmen, dass die geschleusten Personen einer das Leben gefährdenden Behandlung ausgesetzt wurden (§ 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG). Der Qualifikationstatbestand setzt ebenso wenig wie § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB voraus, dass eine konkrete Lebensgefahr eingetreten ist (vgl. MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 36; BeckOK AuslR/Hohoff, 19. Ed., § 96 AufenthG Rn. 20; Bergmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 59). Er ist nicht nur in den „Ladeflächenfällen“, sondern auch im Fall 1 der Urteilsgründe erfüllt, in dem die geschleusten Personen in einem Personenkraftwagen transportiert wurden. Dieses Fahrzeug verfügte nicht über eine ausreichende Anzahl an Sitzen und Rückhaltevorrichtungen für die geschleusten Personen. Allerdings genügt das bloße Fehlen von Rückhaltesystemen nicht stets, um bereits eine Lebensgefahr durch die Schleusung zu begründen. Hier rechtfertigt aber die Gesamtheit der im Fall 1 festgestellten Umstände diese Annahme. So war das Fahrzeug mit einer Vielzahl von Personen, die sich in sehr beengten Verhältnissen aufhielten, überbesetzt und zudem überladen. Die vom Landgericht festgestellte Fahrtzeit von etwa vier Stunden für die Strecke von Budapest nach Passau belegt hohe Geschwindigkeiten des Fahrzeugs, so dass bei einer Gefahrbremsung, einem Ausweichmanöver und erst recht bei einer Kollision lebensgefährliche Verletzungen drohten. Dies gilt nicht nur für die ungesicherten Personen, sondern aufgrund des drohenden Zusammenpralls mit diesen oder mit Gegenständen auch für die angeschnallten Geschleusten.

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Eine Einwilligung der geschleusten Personen konnte - sollte der Qualifikationstatbestand nicht ohnehin (auch) Gemeininteressen schützen (vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 98; Geisler, ZRP 2001, 171, 175) - selbst ohne konkrete Todesgefahr nach den festgestellten, die Sittenwidrigkeit der Taten begründenden Gesamtumständen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 144 ff. Rn. 10 ff.) keine rechtfertigende Wirkung entfalten. Dafür spricht auch die Gesetzessystematik. Denn bei der ebenso in § 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG geregelten unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung vermag die Einwilligung der Geschleusten angesichts der geschützten Menschenwürde ein tatbestandsmäßiges Handeln des Schleusers nicht zu rechtfertigen (vgl. zutreffend Hailbronner, Ausländerrecht [Stand: August 2012], § 96 AufenthG Rn. 34).

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c) Auch die Qualifikation einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach § 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG hat das Landgericht rechtsfehlerfrei bejaht. Insbesondere hat es ausreichende Feststellungen getroffen, die eine erniedrigende Behandlung belegen. Eine solche liegt vor, wenn sie beim Geschleusten Gefühle der Angst, Ohnmacht und Minderwertigkeit erzeugt und er so herabgewürdigt und gedemütigt wird (vgl. Fahlbusch in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 71; Hailbronner, Ausländerrecht [Stand: August 2012], § 96 AufenthG Rn. 34). Seine Wertung, dass die Geschleusten demgemäß in den Fällen 2 bis 6 der Urteilsgründe „wie Vieh oder Stückgut“ (UA S. 123) transportiert wurden, hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit den Fahrtzeiten zwischen etwa vier und acht Stunden ohne die Möglichkeit zum Toilettengang und unter äußerst beengten räumlichen Verhältnissen begründet (vgl. auch MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 37).

13

2. Hingegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Denn das Landgericht hat der Strafzumessung einen zu großen Schuldumfang zugrunde gelegt. Es hat straferschwerend jeweils auf die Anzahl der geschleusten Personen abgestellt (vgl. UA S. 126), die es nicht rechtsfehlerfrei bestimmt hat. Die Urteilsgründe belegen insbesondere nicht, dass die vom Landgericht zu den Haupttätern gezählten minderjährigen Personen ab einem Alter von sieben Jahren vorsätzlich handelten. Aufgrund der weiteren Haupttaten von Geschleusten, die der Angeklagte in sechs Fällen gefördert hat (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 27 Rn. 31 mwN), bleibt der Schuldspruch hiervon unberührt. Über diesen ist wegen des eigenständigen Charakters einer jeden Haupttat keine nochmalige tatrichterliche Entscheidung erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 4 StR 455/11, juris Rn. 7).

14

a) Durch die Strafvorschrift des § 96 Abs. 1 AufenthG werden nach den allgemeinen Regeln (§§ 26, 27 StGB) strafbare Teilnahmehandlungen an den in § 96 Abs. 1 AufenthG in Bezug genommenen Taten nach § 95 AufenthG zu selbständigen, in Täterschaft (§ 25 StGB) begangenen Straftaten heraufgestuft, wenn der Teilnehmer zugleich eines der in § 96 Abs. 1 AufenthG geregelten Schleusermerkmale erfüllt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juni 2012 - 4 StR 144/12, NStZ 2013, 483 und vom 30. Mai 2013 - 5 StR 130/13, BGHSt 58, 262, 265 f. Rn. 9; Urteil vom 11. Juli 2003 - 2 StR 31/03, NStZ 2004, 45; vgl. MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 2). Trotz dieser tatbestandlichen Verselbständigung zur Täterschaft gelten für die Tathandlungen des § 96 Abs. 1 AufenthG die allgemeinen Regeln der Teilnahme einschließlich des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2017 - 5 StR 333/16, BGHSt 62, 85, 89 f. Rn. 18; Beschluss vom 13. Januar 2015 - 4 StR 378/14, NStZ 2015, 399, 400; MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 3; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze [Stand: Juli 2014], § 96 AufenthG Rn. 3; Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 106). Die Strafbarkeit wegen vollendeten Einschleusens von Ausländern setzt daher das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat des Geschleusten voraus.

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b) Das jugendliche - und erst recht ein geringeres - Alter und die Unreife des Haupttäters können gegen eine Vorsatztat sprechen (vgl. BGH, Urteile vom 13. Januar 2005 - 4 StR 469/04 juris Rn. 22 und vom 3. Februar 2005 - 4 StR 492/04, ZJJ 2005, 205; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 3 Rn. 19; Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 3 Rn. 31). Auch die Wertungen von § 3 JGG, § 19 StGB sprechen dafür, den Tatvorsatz von Jugendlichen und erst recht von Kindern kritisch zu prüfen. Die pauschale Beweiswürdigung des Landgerichts, die allein auf der Kenntnis erwachsener Zeugen von fehlenden Pässen und Genehmigungen für die Einreise nach Deutschland und auf den inakzeptablen Transportbedingungen gründet, genügt daher für die minderjährigen Geschleusten den rechtlichen Anforderungen nicht. Bei Jugendlichen (§ 1 Abs. 2 JGG) liegt es zwar keineswegs fern, dass der subjektive Tatbestand der unerlaubten Einreise zu bejahen ist (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 31. März 2003 - 4 St RR 18/2003, NStZ-RR 2003, 275, 276). Der Tatrichter muss aber zumindest - was hier nicht geschehen ist - begründen, weshalb auch das jugendliche Alter der ihm obliegenden Überzeugungsbildung nicht entgegensteht.

16

Weitergehende Anforderungen an die Beweiswürdigung sind bei den geschleusten Kindern zu stellen. Dass etwa sieben- oder achtjährige syrische und irakische Kinder, wie sie sich nach den Feststellungen des Landgerichts in den Fällen 1, 2 und 4 bis 6 der Urteilsgründe in den Transportfahrzeugen befanden, den Tatbestand der unerlaubten Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG vorsätzlich verwirklichen, bedarf näherer und individueller Begründung. Denn aufgrund ihres divergierenden Entwicklungsstands ist zweifelhaft, ob den Kindern schon das Passieren der Staatsgrenze der Bundesrepublik Deutschland, jedenfalls aber der Umstand einer Schleusung bewusst war. Die vom Landgericht gezogenen Schlussfolgerungen gehen daher für den subjektiven Tatbestand der von ihm als Haupttäter angesehenen Kinder nicht über eine reine Vermutung hinaus.

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Im Fall 3 der Urteilsgründe hat das Landgericht zwar festgestellt, dass - über fünf noch nicht siebenjährige Kinder hinaus - nur vorsätzlich handelnde erwachsene Personen unerlaubt eingereist seien (UA S. 11). Hierbei kann es aber ebenfalls nicht verbleiben, denn in seiner Beweiswürdigung stellt das Landgericht auf die „über 7-jährigen Beteiligten“ ab (UA S. 56). Zumal eine gesicherte Altersfeststellung nicht vorlag (UA S. 54), bleibt mithin unklar, ob sich neben den erwachsenen Zeugen A.    und I.    unter den als Haupttätern eingeordneten 28 Personen - wie in den anderen Fällen - Minderjährige befanden. Daher ist aus den genannten Gründen eine neue Prüfung des Alters und insbesondere des Tatvorsatzes der nicht namentlich genannten 26 Drittausländer veranlasst. Ob die weitere Annahme des Landgerichts rechtsfehlerfrei ist, dass Kinder unter sieben Jahren schon deshalb als Haupttäter ausscheiden, weil sie „nicht handlungsfähig seien“ (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. März 2003 - 4 St RR 18/2003, NStZ-RR 2003, 275, 276; Westphal/Stoppa, NJW 1999, 2137, 2143; kritisch Bergmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl., Vorbem. zu §§ 96 f. Rn. 11), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn hierdurch ist der Angeklagte nicht beschwert.

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c) Das Problem der schwer zu belegenden Vorsatzerfordernisse bei den Geschleusten (insbesondere minderjährigen Personen) ist Folge des gesetzgeberischen Konzepts der sog. limitierten Akzessorität, auch im Rahmen von § 96 Abs. 2 Satz 2 nF AufenthG (vgl. dazu BT-Drucks. 19/2438, S. 26). Es ließe sich durch die Schaffung eines eigenständigen Tatbestands sachgerecht vermeiden. Denn der Schuldumfang des Einschleusens von Ausländern wird maßgeblich von der geförderten Zahl der Haupttaten mitbestimmt. Soweit - wie hier bei den mindestens siebenjährigen Kindern - eine (zurücktretende) Versuchsstrafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 3 AufenthG in Betracht kommt, ist eine solche von gemindertem Erfolgsunwert. Dasselbe würde gelten, sollte - was der Gesetzessystematik allerdings fremd wäre - die Hilfe „zugunsten mehrerer Ausländer“ nur einen Haupttäter erfordern und zugleich auch andere Personen erfassen (vgl. dazu MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 19; aA Mosbacher in Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., § 10 Rn. 37; Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 158 f.). Das Landgericht hat demgemäß zutreffend in erster Linie straferschwerend auf die große Anzahl der vom Angeklagten unterstützten Haupttäter abgestellt. Diese hat es jedoch - wie aufgezeigt - nicht ohne Rechtsfehler bestimmt.

19

d) Hierauf beruht das Urteil (§ 337 StPO). Das Ausmaß der tatbestandsmäßigen Rechtsgutverletzung ist ein zentraler Punkt der Strafzumessung (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 588). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht mildere Einzelstrafen und eine mildere Gesamtstrafe verhängt hätte, wenn es nur eine geringere Anzahl betroffener Personen hätte berücksichtigen können.

20

Der neue Tatrichter wird in den Fällen 1, 2 und 4 bis 6 der Urteilsgründe bei den minderjährigen Geschleusten über den subjektiven Tatbestand der unerlaubten Einreise zu entscheiden haben, soweit nicht Beschränkungen nach § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO erfolgen. Im Fall 3 der Urteilsgründe ist ebenfalls über den Tatvorsatz der (neben den erwachsenen Zeugen und den noch nicht siebenjährigen Kindern) eingereisten Personen neu zu befinden. Hierbei ist umso größere Sorgfalt aufzuwenden, je jünger diese Personen nach den ergänzenden Feststellungen des neuen Tatrichters sind.

Raum     

      

Jäger     

      

Bellay

      

Bär     

      

Pernice