Entscheidungsdatum: 30.05.2013
Der Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (§ 92a Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990) steht es nicht grundsätzlich entgegen, dass derjenige, der durch sein Handeln zugleich Falschangaben eines anderen unterstützt, bei isolierter Betrachtung als Täter einer Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990) anzusehen wäre.
Die Revision der Angeklagten W. gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. Juni 2012 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, jedoch mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO), dass in den Fällen 1 hh und 1 ii der Urteilsgründe die Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichter Bestechlichkeit entfällt.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagte W. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in 48 Fällen, in 14 Fällen in Tateinheit mit Bestechlichkeit, und wegen Geheimnisverrats zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen die nicht revidierenden Mitangeklagten T. und L. hat es wegen des Tatkomplexes Gesamtfreiheitsstrafen von sechs Jahren bzw. vier Jahren und vier Monaten verhängt. Die mit der Sachbeschwerde geführte Revision der Angeklagten W. erzielt lediglich in einem geringen Umfang Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bildeten die Angeklagten spätestens seit 2000 eine Bande, die sich auf die Einschleusung von vietnamesischen Staatsangehörigen und die missbräuchliche Verschaffung von Aufenthaltstiteln für diese spezialisiert hatte. Die Angeklagten L. (bis 2007) und W. (bis 2010) waren im Tatzeitraum Sachbearbeiter bei der Ausländerbehörde Dresden, die Angeklagte T. dolmetschte für die Behörde. Vietnamesische Staatsangehörige wurden mit Unterstützung von Mittelsmännern der Angeklagten T. in Vietnam mit durch Falschangaben erschlichenen Visa nach Deutschland verbracht und dann gegebenenfalls bis zur Erteilung einer kollusiv beschafften Niederlassungserlaubnis betreut. Von den „Leistungen“ der Angeklagten umfasst waren unter anderem die Organisation von Scheinehen und deren jeweils zwei bis drei Jahre später erfolgter Scheidung sowie die Organisation von missbräuchlichen (Schein-) Vaterschaftsanerkennungen. Bei Bedarf wurden weitere Maßnahmen getroffen, um die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu schaffen, etwa Bescheinigungen über Mietverträge oder fingierte Lohnabrechnungen besorgt. Je nach Aufwand forderte die Angeklagte T. von den Geschleusten Beträge von 7.000 bis 22.000 €.
Der Angeklagte L. , der als versierter Fachmann im Ausländerrecht als Ideengeber für das Vorgehen im Einzelnen fungierte, wurde für seine Beiträge mit Geldgeschenken, der Finanzierung von Urlaubsreisen und in Form sexueller Dienstleistungen entlohnt. Die Angeklagte W. erhielt Bargeldbeträge bis zu 700 €, Kleidungsstücke und andere Geschenke sowie Vergünstigungen beim Besuch des von der Angeklagten T. betriebenen Nagelstudios.
2. Die Revision der Angeklagten W. ist im Wesentlichen unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
a) In den Fällen 1 hh und 1 ii der Urteilsgründe ist die Verfolgung der jeweils tateinheitlich mit dem Verbrechen des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern ausgeurteilten Bestechlichkeit verjährt. Entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hat die Angeklagte die beiden Schleusungstaten am 22. März 2005 begangen, wohingegen der verjährungsunterbrechende Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Dresden erst am 26. März 2010 und damit nach Ablauf der für § 332 StGB maßgebenden Verjährungsfrist von fünf Jahren erging (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Nach Durchführung der genannten pflichtwidrigen Diensthandlungen gemäß zuvor getroffener Unrechtsvereinbarung und nicht ausschließbar zuvor erfolgter Entlohnung war der Angriff auf das Schutzgut des § 332 StGB abgeschlossen und demnach Beendigung eingetreten (vgl. dazu BGH, Urteile vom 19. Juni 2008 – 3 StR 90/08, BGHSt 52, 300, 303 ff., und vom 6. September 2011 – 1 StR 633/10, NStZ 2012, 511, 513). Auf die Geltungsdauer der erteilten Aufenthaltstitel, die allenfalls für das Schutzgut aufenthaltsrechtlicher Strafvorschriften relevant sein könnte, kann es insoweit nicht ankommen.
Der Senat hat den Schuldspruch analog § 354 Abs. 1 StPO berichtigt. Der Wegfall des Vorwurfs der Bestechlichkeit lässt die betroffenen Einzelstrafaussprüche und die Gesamtstrafe unberührt. Das gilt schon deswegen, weil die vom Landgericht verhängten Einzelstrafen nicht danach unterscheiden, ob die Angeklagte in unverjährter Zeit zusätzlich ein Amtsdelikt verwirklicht hat.
b) Der Schuldspruch wegen (gewerbs- und bandenmäßigen) Einschleusens von Ausländern in Form entgeltlicher Unterstützung von Falschangaben im aufenthaltsrechtlichen Verfahren (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 97 Abs. 2 AufenthG bzw. § 92a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 2 Nr. 2, § 92b Abs. 1 AuslG 1990) hat in den Fällen Bestand, in denen die Angeklagte ausschließlich (Fälle 2 aa, 11 bb, 13 bb, 16 cc und 29) oder innerhalb einer Handlungseinheit neben der Erteilung von Aufenthaltstiteln (Fälle 3 bb, 4 bb, 6 cc, 7 bb, 8 cc, 8 dd, 9 cc, 10 cc, 11 aa, 13 aa, 19 bb, 19 cc, 21 aa, 22 und 30) selbst falsche Angaben gemacht hat. Betroffen sind ganz überwiegend wahrheitswidrige Bestätigungen, dass Scheinehepartner die erforderlichen Erklärungen vorrangig zum Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft persönlich vor ihr abgegeben hätten (Fälle 3 bb, 4 bb, 6 cc, 7 bb, 8 cc, 8 dd, 9 cc, 10 cc, 11 aa, 13 aa, 13 bb, 16 cc, 19 bb, 19 cc, 21 aa, 22 und 30). Teils bestätigte die Angeklagte (zusätzlich) wahrheitswidrig, dass kein Sozialleistungsbezug vorliege (8 dd), dass deutsche Sprachkenntnisse genügend (Fälle 11 bb, 13 bb) oder die Vermögensverhältnisse hinreichend seien (Fall 30).
aa) Die Frage, ob der Täter einer Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990), der durch eigene Falschangaben zugleich solche des den Aufenthaltstitel erstrebenden Ausländers oder eines anderen fördert, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (§ 92a Abs. 1 AuslG 1990) wegen Einschleusens von Ausländern verurteilt werden kann, wird nicht einheitlich beurteilt (vgl., wohl befürwortend, Cannawurf, Die Beteiligung im Ausländerstrafrecht, 2007, S. 145, eher ablehnend Mosbacher in GK AufenthG, Stand Juli 2008, § 95 Rn. 260 f.; offen gelassen von OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2004, 376, 378). Der Senat bejaht sie jedenfalls für die vorliegenden Fallkonstellationen.
Zwar wird derjenige, der fremdnützig (Erschleichen eines Aufenthaltstitels „für einen anderen“) Falschangaben macht, wegen dieser Tat grundsätzlich nicht auch der Beihilfe zur Straftat eines anderen nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990) schuldig zu sprechen sein (vgl. Mosbacher aaO). Indessen sieht der Gesetzgeber den Kern des Schleusungsunrechts in entgeltlichen oder wiederholten Beihilfe- und Anstiftungshandlungen. Er hat deswegen in § 96 Abs. 1 AufenthG (§ 92a Abs. 1 AuslG 1990) in selbständigen Tatbeständen die Beteiligung zur Täterschaft erhoben (vgl. BGH, Urteile vom 25. März 1999 – 1 StR 344/98, NStZ 1999, 409; vom 11. Juli 2003 – 2 StR 31/03, NStZ 2004, 45). Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut kommt es dabei darauf an, ob der Täter des § 96 Abs. 1 AufenthG (§ 92a Abs. 1 AuslG 1990) durch seinen Beitrag (gegebenenfalls auch) zu den dort in Bezug genommenen Straftaten Hilfe geleistet oder zu ihnen angestiftet hat. Das hat die Angeklagte in Bezug auf § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990) getan, indem sie den Erklärungen der im aufenthaltsrechtlichen Verfahren aufgetretenen Scheinehepartner zum Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft durch Bestätigung deren persönlicher Anwesenheit und damit verbundene Vorspiegelung selbst vorgenommener amtlicher Prüfung höheres Gewicht verliehen hat. Entsprechendes gilt für die anderen Verlautbarungen. Demgegenüber kann im Hinblick auf die Verselbständigung der Schleusungstatbestände nicht ausschlaggebend sein, ob der Betroffene, wenn er nur nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990) verurteilt würde, als Teilnehmer oder (auch) als Täter zu bestrafen wäre (vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. Februar 2005 – 1 StR 501/04). Dass der Gesetzgeber solche „doppelgesichtigen“ Handlungen durch eine enge Anknüpfung an die Entscheidung für oder gegen eine Täterschaft hinsichtlich des isoliert betrachteten § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990) aus den Schleusungsdelikten ausgrenzen wollte, liegt gänzlich fern. Eine Interpretation in diesem Sinn wäre geeignet, nicht auflösbare Wertungswidersprüche hervorzurufen (insoweit auch OLG Karlsruhe, aaO; Mosbacher, aaO, Rn. 262 sowie § 96 Rn. 2).
bb) Das Urteil des Senats vom 4. Dezember 2007 (5 StR 324/07, StV 2008, 182) betrifft einen anders gelagerten Sachverhalt und steht der Entscheidung schon deswegen nicht entgegen. Zu prüfen war dort, ob bei gemeinsamer illegaler Einreise von zwei Ausländern jeder der beiden Ausländer neben seiner Strafbarkeit als Täter einer illegalen Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ohne Weiteres zugleich Gehilfe in Bezug auf die illegale Einreise des anderen ist, mit der Folge, dass bei darüber hinaus verwirklichter Beihilfe zur illegalen Einreise eines weiteren Ausländers durch Übernahme von Verpflegungs- und Unterbringungskosten der Schleusungstatbestand nach § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der Fassung des Gesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) – Handeln zugunsten mehrerer Ausländer – verwirklicht wird (BGH, aaO, Rn. 14, 30; abweichend Mosbacher, aaO, § 96 Rn. 2; vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1990 – 1 StR 500/90). Das hat der Senat verneint.
c) Die Verurteilung wegen Einschleusens von Ausländern wird auch in den Fällen von den Feststellungen getragen, in denen sich der Beitrag der Angeklagten auf die Erteilung von Aufenthaltstiteln, das Aufbringen eines Klebers auf Ausweispapieren oder die Zustimmung zu durch Falschangaben erschlichenen Visa (vorgebliche Studienaufenthalte, vorgetäuschte Tätigkeit als Au-Pair-Kraft) beschränkte.
Das (abstrakte) Gefährdungsdelikt nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990) ist in seiner ersten Fallvariante vollendet, sobald die Falschangaben gemacht sind. Beendigung tritt hingegen frühestens mit der Erteilung des erschlichenen Aufenthaltstitels ein, weil erst ab diesem Zeitpunkt der Angriff auf das von der Vorschrift geschützte Rechtsgut abgeschlossen sein kann (vgl. zur gleichgelagerten Frage beim Subventionsbetrug etwa BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 – 5 StR 467/06, NStZ 2007, 578, 579 mwN). Bis zur Beendigung ist nach ständiger Rechtsprechung Beihilfe möglich. Dass die Handlungsakte der Angeklagten die Haupttaten gefördert haben und fördern sollten, steht außer Zweifel (vgl. zum Subventionsbetrug auch Tiedemann in LK StGB, 12. Aufl., § 264 Rn. 37 f.; Schönke/Schröder/Perron, StGB, 28. Aufl., § 264 Rn. 49, jeweils mwN). Ob die Angeklagte im Hinblick auf das kollusive Zusammenwirken der Beteiligten den Straftatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990) täterschaftlich verwirklicht hat, ist aus den bereits dargelegten Gründen nicht entscheidend.
d) Der im Fall 18 bb erteilten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gingen ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 58) falsche Mitteilungen zu einem gesicherten Lebensunterhalt sowie – anspruchsbegründend – zur Ausübung der gemeinsamen Personensorge für das Kind mit dem Scheinvater und damit für das aufenthaltsrechtliche Verfahren allgemein bedeutsame Angaben (BGH, Beschluss vom 2. September 2009 – 5 StR 266/09, BGHSt 54, 140, 146) voraus (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 4 AufenthG; siehe auch OVG Magdeburg, Beschluss vom 25. August 2006 – 2 M 228/06). Ähnliches gilt für Fall 24 bb (UA S. 71). In beiden Fällen muss deshalb nicht entschieden werden, ob – für sich genommen – die Geltendmachung einer allein zur Erlangung eines Aufenthaltstitels erfolgten und damit missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung den Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990) erfüllen würde (vgl. dazu OVG Münster, InfAuslR 2013, 23; OLG Hamm, NJW 2008, 1240; Gericke in MünchKomm-StGB, § 95 AufenthG Rn. 101 mwN).
e) Entgegen der Auffassung der Revision ist die Annahme gewerbs- und bandenmäßigen Handelns der Angeklagten W. rechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Dem Zusammenhang der von den Angeklagten verwirklichten Vielzahl von Taten ist ein arbeitsteiliges und von hoher Professionalität geprägtes deliktisches Verhalten im Rahmen internationaler organisierter Schleuserkriminalität zu entnehmen. Das Ausscheiden des Bandenmitglieds L. aus der Ausländerbehörde im Jahre 2007 hat dabei nur dazu geführt, dass die Angeklagte W. zum Teil in dessen Stellung eingerückt ist, wobei aber L. nach den Feststellungen weiterhin im Hintergrund wirkte.
bb) Das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit hat das Landgericht aus der Feststellung abgeleitet, dass das Bandenmitglied T. neben weiterer – für einen längeren Zeitraum, wenngleich in eher gering gewichtigem Umfang von der Angeklagten W. eingeräumter – Vorteilsgewährung dieser im Jahr 2010 mehrfach Geldbeträge bis zu 700 € gezahlt hat. Wenn es hieraus und namentlich auch mit Blick auf die mit den Taten für die Angeklagte W. verbundenen hohen persönlichen Risiken den Schluss zieht, dass diese im gesamten Tatzeitraum gegen tatbestandsrelevante Entlohnung gehandelt hat, so hält sich dies im Rahmen zulässiger richterlicher Überzeugungsbildung.
3. Der Generalbundesanwalt weist mit Recht darauf hin, dass das Landgericht über den Fall 25 der Anklage nicht entschieden hat, weswegen dieser Fall nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. November 1993 – 4 StR 629/93 – und vom 23. März 2001 – 2 StR 7/01).
4. Die Vorschriftenliste ist um das Vergehen des Geheimnisverrats (§ 353b StGB) zu ergänzen.
Basdorf Sander Schneider
Dölp König