Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 29.05.2018


BVerwG 29.05.2018 - 1 C 15/17

Rücknahme einer Einbürgerung wegen Mehrehe


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
29.05.2018
Aktenzeichen:
1 C 15/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:290518U1C15.17.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 25. April 2017, Az: 12 S 2216/14, Urteilvorgehend VG Karlsruhe, 25. September 2014, Az: 3 K 1117/14, Urteilnachgehend BVerfG, 22. Mai 2019, Az: 2 BvR 2231/18, Kammerbeschluss
Zitierte Gesetze
Art 1 Abs 1 GG
Art 18 S 1 GG
Art 2 Abs 1 GG
Art 21 Abs 2 GG
Art 3 Abs 2 GG
Art 6 Abs 1 GG
§ 10 Abs 1 RuStAG
§ 10 Abs 1 S 1 Nr 1 RuStAG
§ 35 Abs 1 RuStAG
§ 9 Abs 1 RuStAG

Leitsätze

1. Das Bestehen einer vom Einbürgerungsbewerber rechtswirksam im Ausland geschlossenen weiteren Ehe schließt im Sinne des § 9 Abs. 1 StAG eine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse aus.

2. Eine Einbürgerung ist dann nicht nach § 35 Abs. 1 StAG einer Rücknahme zugänglich, wenn sie im Zeitpunkt der Einbürgerung auf anderer Rechtsgrundlage als jener, die von der Behörde herangezogen worden ist, hätte erfolgen müssen.

3. Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des § 10 Abs. 1 StAG sind Zeiten, in denen der Ausländer im Besitz einer für einen seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilten Aufenthaltsbewilligung war, nur dann zu berücksichtigen, wenn sie unter der Geltung des Aufenthaltsgesetzes zurückgelegt worden sind (Fortführung von BVerwG, Urteil vom 26. April 2016 - 1 C 9.15 - BVerwGE 155, 47).

4. Bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung nach § 35 Abs. 1 StAG ist ein im Zeitpunkt der Rücknahme bestehender Einbürgerungsanspruch zu berücksichtigen. Bei der Prüfung, ob ein solcher im Zeitpunkt der Einbürgerung besteht, bleiben die unmittelbaren Auswirkungen der (rechtswidrigen) Einbürgerung (Verlust der Ausländereigenschaft und Erlöschen des Aufenthaltstitels) außer Betracht.

5. Eine vom Einbürgerungsbewerber rechtswirksam im Ausland geschlossene weitere Ehe steht einem wirksamen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG nicht entgegen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband, welche die Beklagte darauf stützt, dass dieser bei der Einbürgerung eine wirksam eingegangene Zweitehe verschwiegen habe.

2

Der im Jahre 1981 in Damaskus geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er absolvierte nach einem Studienkolleg (von 2000 bis 2002) zwischen 2003 und 2007 erfolgreich ein Bauingenieurstudium an der Fachhochschule in K. Seit dem Jahr 2008 arbeitet er in K. als angestellter Bauingenieur. Seit April 2008 ist der Kläger mit der deutschen Staatsangehörigen M. verheiratet, mit der er in einem Haushalt lebt; aus dieser Ehe sind drei Kinder hervorgegangen (geboren 2010, 2013 und 2015). Dem Kläger war zunächst eine Aufenthaltsbewilligung (§ 28 AuslG 1990), später eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 AufenthG zum Zwecke des Studiums und sodann eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 AufenthG zum Ehegattennachzug zu einer Deutschen erteilt und jeweils verlängert worden. Seit Juni 2009 war der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.

3

Im April 2010 beantragte der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. In dem Antragsformular gab er (allein) seine im April 2008 geschlossene Ehe mit Frau M. an. Der Kläger gab ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und eine Loyalitätserklärung ab, unterschrieb eine Erklärung zur Bedeutung der Ehe mit Frau M. bei der Einbürgerung und gab bei der Übergabe der Einbürgerungsurkunde das feierliche Bekenntnis ab, das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten zu wollen. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 (ausgehändigt am 21. Oktober 2010) wurde der Kläger unter Belassung seiner syrischen Staatsangehörigkeit eingebürgert.

4

Bereits im Juni 2008 war er in Syrien eine weitere Ehe mit der syrischen Staatsangehörigen Ma. eingegangen. Im Juni 2012 erkannte er die Vaterschaft einer im Januar 2012 in Damaskus (Syrien) geborenen Tochter der Ma. an. Dieses Kind lebt seit Herbst 2013 in dem gemeinsamen Haushalt des Klägers und seiner deutschen Ehefrau. Seit April 2017 wohnt Frau Ma. - mit eigenem Haushalt - in der gleichen Stadt wie der Kläger; dort sieht sie ihre Tochter täglich, namentlich bringt sie diese zum Kindergarten und holt sie dort wieder ab.

5

Im September 2012 erhielt die Beklagte von dieser Zweitehe Kenntnis. Nach im Mai 2013 erfolgter Anhörung nahm sie mit Bescheid vom 11. Dezember 2013 die Einbürgerung des Klägers rückwirkend zurück (Verfügung Nr. 1), stellte fest, dass hierdurch auch die Voraussetzung für die deutsche Staatsangehörigkeit der in Damaskus (Syrien) geborenen Tochter entfallen sei (Verfügung Nr. 2), forderte den Kläger zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde und ihm ausgestellter Ausweisdokumente auf (Verfügung Nr. 3), drohte insoweit Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung für den Fall nicht fristgerechter Rückgabe an (Verfügung Nr. 4) und setzte eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 200 € fest (Verfügung Nr. 5). Zur Begründung der Rücknahme führte die Beklagte im Wesentlichen aus, die Einbürgerung sei wegen der Zweitheirat des Klägers in Syrien kurze Zeit nach der Eheschließung in Deutschland rechtswidrig und habe jedenfalls nicht nach § 9 Abs. 1 StAG erfolgen dürfen. Die Zweitehe belege, dass der Kläger in die deutschen Lebensverhältnisse noch nicht hinreichend integriert gewesen sei, zumal er die Zweitehe auch praktiziere. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. März 2014).

6

Zur Begründung seiner gegen die Rücknahme erhobenen Klage hat der Kläger hervorgehoben, dass seine zweite Ehe mit Ma. zivilrechtlich wirksam sei, syrischem Recht entspreche und er sich durch die Eheschließung auch nicht strafbar gemacht habe; die Nichtangabe dieser Zweitehe sei nicht "wesentlich" für die Einbürgerung gewesen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Zu den deutschen Lebensverhältnissen, in die bei der Einbürgerung nach § 9 StAG eine Einordnung erforderlich sei, gehöre auch das Prinzip der Einehe. Mit dem Eingehen einer Zweitehe nur wenige Wochen nach der Eheschließung mit seiner deutschen Ehefrau habe der Kläger gezeigt, dass er in einem zentralen Punkt nach wie vor den Wertvorstellungen und Lebensverhältnissen seiner syrischen Herkunft verhaftet sei. Der Kläger habe seine Einbürgerung durch Täuschung sowie durch vorsätzlich unrichtige und unvollständige Angaben erwirkt. Einem Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG stehe entgegen, dass das Prinzip der Einehe Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sei.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Rücknahme der Einbürgerung, die Rückforderung der Einbürgerungsurkunde und ausgestellter Ausweisdokumente und die Festsetzung der Verwaltungsgebühr aufgehoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Ob die nach Maßgabe des § 9 StAG erfolgte Einbürgerung des Klägers auf einer arglistigen Täuschung oder auf vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben beruhe, die wesentlich für die Einbürgerung gewesen seien, könne offenbleiben. Denn es fehle jedenfalls an der Kausalität der Nichterwähnung der in Syrien geschlossenen Ehe, weil der Kläger im Zeitpunkt seiner Einbürgerung auch einen Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 StAG gehabt habe. Der Kläger habe auch die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG erfüllt, weil er sich (wirksam) zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekannt und erklärt habe, keine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen verfolgt oder unterstützt zu haben. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung werde nicht durch die vom Kläger geschlossene Zweitehe infrage gestellt. Das Prinzip der Einehe rechne entgegen einer wohl herrschenden Auffassung in der Rechtsprechung nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sei dieser Begriff in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG so auszulegen, wie ihn das Bundesverfassungsgericht im Parteiverbotsrecht ausgefüllt habe, scheide eine Verletzung aus. Die Rechtsauffassung, eine Mehrehe verstoße gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde, sei auf der Grundlage des gängigen Begriffsverständnisses zur Menschenwürde fernliegend. Der in verschiedenen Fachgesetzen aufgegriffene Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung der Fachgesetze nicht mit dem Begriffsinhalt identisch sein, der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG verwendet worden sei. In Rechtsprechung und Schrifttum werde indes zur Ausfüllung auf die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zurückgegriffen, die ihrerseits die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 21 Abs. 2 GG und die Auflistung in § 92 StGB aufnähmen. Dieser Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sei insoweit untrennbar mit dem Begriff der "wehrhaften" oder "streitbaren Demokratie" verbunden, kennzeichne einen Rahmen der politischen Betätigung des Einzelnen wie auch deren Voraussetzung und schütze die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes. Die in Art. 6 GG auch als Institutsgarantie verankerte Ehe, die das Grundgesetz als Einehe und als auf Dauer angelegte, frei eingegangene Lebensgemeinschaft zwischen zwei Menschen verstehe, habe zwar eine sozialethische und kulturelle Funktion in der Konstituierung und Entwicklung des Gemeinschaftslebens und gehöre zweifellos zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland; das Prinzip der Einehe habe aber keinen (unmittelbaren) thematischen Bezug zur wehrhaften Demokratie. Ein Verstoß gegen das Prinzip der Einehe gefährde nicht den Bestand und die Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung. Dies ergebe sich auch aus den Erläuterungen des Klägers zu den Gründen, die ihn zur Eingehung einer Zweitehe bewogen hätten; hieraus könne nicht geschlossen werden, der Kläger sei auf eine Beseitigung der wertgebundenen Ordnung des Grundgesetzes aus, mag auch eine Zweitehe in Werteverständnis und Moral erheblich mit westeuropäischen Vorstellungen konfligieren. Bei rechtmäßiger Eheschließung werde die Mehrehe zudem auch im Inland als Ehe im Sinne des bürgerlichen Rechts anerkannt und sei auch nicht strafbar. Auch der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG komme in bestimmten Dimensionen in Bezug auf die Zweitehe in Betracht. Die nur Männern eröffnete Mehrehe bewirke auch kein grundsätzliches Bekenntnis des Klägers gegen die Gleichheit von Mann und Frau; dabei könne offenbleiben, ob die Mehrehe als solche gegen Art. 3 Abs. 1 bis 3 GG verstoße.

8

Selbst wenn davon ausgegangen werde, dass im Zeitpunkt der Einbürgerung eine Einbürgerung nach § 9 StAG mangels Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse rechtswidrig gewesen sei und im Zeitpunkt der Einbürgerung auch ein Einbürgerungsanspruch nach den §§ 8, 10 StAG nicht bestanden habe, sei jedenfalls die Betätigung des Rücknahmeermessens fehlerhaft. Dem im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung bestehenden Einbürgerungsanspruch aus § 10 StAG habe nicht die Erwägung entgegengehalten werden können, der Kläger könne angesichts der tatsächlichen Situation kein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) und kein feierliches Bekenntnis (§ 16 StAG) abgeben.

9

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 9, 10 StAG. Sie hebt hervor, dass dem Kläger auch ohne ausdrückliche Nachfrage im Einbürgerungsformular die Unvollständigkeit der von ihm gemachten Angaben bewusst gewesen sein müsse. Das Prinzip der Einehe gehöre zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Staatsangehörigkeitsrechtlich umfasse das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch das Bekenntnis zur Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Grundrechte und der darin liegenden Prinzipien und erfordere grundsätzlich eine positive Einstellung zum deutschen Kulturkreis. Eine solche Einstellung fehle beim Kläger, der die in Art. 3 Abs. 2 GG festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht akzeptiere, wenn er Zweitehen durch Frauen nicht akzeptiere. Bei einer Mehrehe verliere die Ehefrau einen wesentlichen Teil ihrer Stellung als Rechtssubjekt bzw. müsse diese mit anderen Ehefrauen teilen; die Ehefrau werde damit mehr oder weniger zum Handlungsobjekt degradiert, zumal die Ehescheidung nach islamischem Recht für den Ehemann relativ einfach sei. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts widerspräche auch der gesamten Zielsetzung der Integration, die eine innere Hinwendung zu sowie die Verbundenheit mit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Wertordnung bedeute, die zweifelsfrei auch die Einehe umfasse.

10

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil. Er hebt hervor, er sei im Einbürgerungsverfahren schon nicht nach einer weiteren Ehe gefragt worden. Das Prinzip der Einehe sei nicht Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der Begriff der Ehe sei im Wandel begriffen; zumindest Kinder aus einer Mehrehe stünden unter dem Schutz des Art. 6 GG. Das Verbot der Mehrehe sei keine Ausprägung der "Gleichberechtigung" von Mann und Frau; eine Mehrehe verstoße auch nicht gegen die Menschenwürde der Ehefrauen.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht tritt der Rechtsauffassung der Revision bei. Ein Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG habe schon deswegen nicht bestanden, weil die Unterhaltsansprüche der Zweitfrau und des gemeinsamen Kindes bei der Beurteilung der Unterhaltsfähigkeit nicht hätten außer Betracht bleiben dürfen. Vor allem habe das Berufungsgericht verkannt, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung im staatsangehörigkeitsrechtlichen Kontext nicht auf den Schutz der wehrhaften Demokratie begrenzt sei, sondern die gesamte Rechts- und Werteordnung des Grundgesetzes umfasse. Zu dieser rechne unstreitig das in Art. 6 Abs. 1 GG verbürgte Institut der Ehe als Einehe. Das durch die Loyalitätserklärung zu bekundende Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfordere eine innere Hinwendung zur Werteordnung des Grundgesetzes. Eine der freiheitlichen Ordnung entgegenstehende Einstellung könne auch ein integrationsfeindliches Verhalten im familiären oder gesellschaftlichen Bereich sein. Es fehle an der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse. Mit der Anforderung des "Sich-Einfügens" in das soziale Leben in Deutschland sei Integration in § 9 StAG zur Einbürgerungsvoraussetzung gemacht worden. Dies müsse erst recht für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG gelten. Das Verschweigen der Zweitehe widerspreche dem Gebot des Sich-Einfügens. Für eine weite Auslegung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in § 10 Abs. 1 StAG spreche auch der an die Verfolgung oder Unterstützung verfassungsfeindlicher oder extremistischer Bestrebungen anknüpfende Einbürgerungsausschluss nach § 11 StAG. Auch das nach § 16 StAG abzulegende feierliche Bekenntnis zum Grundgesetz, bei dem es sich ebenfalls um eine materielle Wirksamkeitsvoraussetzung für die Einbürgerung handele, erfordere eine Verinnerlichung der Werteordnung des Grundgesetzes.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Das Urteil des Berufungsgerichts ist mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit es für den Zeitpunkt der zurückgenommenen Einbürgerung einen Anspruch des Klägers auf Einbürgerung nach § 10 StAG angenommen (1.) und die Ermessensentscheidung beanstandet hat, weil jedenfalls in Bezug auf diesen Zeitpunkt ein Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG bestanden habe (2.); ob dies der Fall gewesen ist, bedarf in Bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG) näherer Aufklärung.

13

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein das Begehren des Klägers auf Aufhebung der mit Bescheid vom 11. Dezember 2013 verfügten Rücknahme seiner Einbürgerung (Nr. 1 des Bescheides) sowie der hierauf bezogenen Nebenentscheidungen (Nr. 3 und 5 des Bescheides). Die Aufhebung der auf die im Januar 2012 geborene Tochter des Klägers bezogene Aussage (Nr. 2 des Bescheides) und die Ankündigung von Verwaltungszwangsmaßnahmen bei nicht fristgerechter Erfüllung der Anordnung zu Nr. 3 (Nr. 4 des Bescheides) sind bereits im Berufungsverfahren nicht begehrt worden.

14

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des auf die Rücknahmeentscheidung bezogenen Anfechtungsbegehrens ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2014. Eine Verschiebung dieses Zeitpunktes auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Berufungsgerichts gebieten weder Unions- noch Verfassungsrecht. Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl. I S. 1224) zu Grunde zu legen; die streitentscheidenden Normen des Staatsangehörigkeitsgesetzes, insbesondere § 35 StAG, sind in ihrem entscheidungserheblichen Gehalt durch die Rechtsänderungen in der Folgezeit unberührt geblieben. Soweit im Rahmen der Anwendung des § 35 Abs. 1 StAG die Rechtmäßigkeit der am 13. Oktober 2010 bewirkten Einbürgerung zu prüfen ist, ist auf die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt abzustellen. Spätere Rechtsänderungen oder tatsächliche Entwicklungen sind grundsätzlich nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit einer nicht nichtigen Einbürgerung zu beseitigen.

15

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung ist § 35 Abs. 1 StAG. Hiernach kann eine von Anbeginn an rechtswidrige Einbürgerung nur dann zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt u.a. durch arglistige Täuschung oder durch vorsätzlich unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist. Die im Oktober 2010 wirksam gewordene Einbürgerung des Klägers war rechtswidrig (1.) und ist von dem Kläger auch im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG durch unzureichende Angaben erwirkt worden (2.). Die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung hängt davon ab, ob im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung ein Einbürgerungsanspruch bestanden hat; insoweit sind weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich (3.).

16

1. Die im Oktober 2010 wirksam gewordene Einbürgerung des Klägers war von Anbeginn an rechtswidrig. Die Voraussetzungen für eine Einbürgerung nach § 9 StAG lagen nicht vor, weil nicht gewährleistet war, dass sich der Kläger im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG in die deutschen Lebensverhältnisse einordnete (1.1). Dem Kläger stand jedenfalls zu diesem Zeitpunkt auch kein Einbürgerungsanspruch aus § 10 StAG zu (1.2).

17

1.1 Nach § 9 Abs. 1 StAG sollen Ehegatten oder Lebenspartner Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 StAG u.a. dann eingebürgert werden, wenn gewährleistet ist, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen; dies gilt nicht, wenn sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, ohne dass ein Ausnahmegrund erfüllt ist (§ 9 Abs. 1 letzter Halbs. StAG). Wegen der von ihm geschlossenen Doppelehe bot der Kläger nicht die Gewähr, sich in die deutschen Lebensverhältnisse "einzuordnen". Damit war der Tatbestand des § 9 Abs. 1 StAG im Zeitpunkt der Einbürgerung nicht erfüllt.

18

a) "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff (BVerwG, Urteil vom 8. März 1988 - 1 C 55.86 - BVerwGE 79, 94 <96>).

19

Dieses Einbürgerungserfordernis tritt zu den in § 8 StAG geregelten Einbürgerungsvoraussetzungen hinzu, die neben der Sicherung des eigenen Lebensunterhalts u.a. erfordern, dass der Einbürgerungsbewerber weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn aufgrund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist. Eine "Einordnung" ist allein durch die Beachtung strafrechtlicher Ge- und Verbote nicht gewährleistet. Die "Einordnung" in die deutschen Lebensverhältnisse muss zwar nach den Umständen des Falles in absehbarer Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, Urteil vom 8. März 1988 - 1 C 55.86 - BVerwGE 79, 94 <96>); sie muss aber im Einberufungszeitpunkt noch nicht abgeschlossen, sondern lediglich für die Zukunft gewährleistet sein (Hailbronner/Hecker, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, § 9 StAG Rn. 20; Marx, in: GK-StAR, Stand Oktober 2009, § 9 StAG Rn. 86 ff.). Eine Einordnung erfordert neben einer gewissen Mindestaufenthaltsdauer und - 2007 durch die Einfügung des letzten Halbsatzes in § 9 Abs. 1 StAG tatbestandlich verselbständigt (Gesetz vom 19. August 2007, BGBl. I S. 1970) - ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache auch Mindestkenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung (s.a. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG). Denn ohne Kenntnis der deutschen Lebensverhältnisse ist eine Einordnung in diese schwerlich zu bewirken.

20

Der Begriff "Einordnung" lässt zudem Raum für eine Auslegung, die auch jenseits der stets vorauszusetzenden Bereitschaft zur Beachtung von Gesetz und Recht auch eine tätige Einordnung in die elementaren Grundsätze des gesellschaftlich-kulturellen Gemeinschaftslebens, die als unverzichtbare außerrechtliche Voraussetzungen eines gedeihlichen Zusammenlebens zu werten sind, verlangt.

21

b) Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zu einer abschließenden Bestimmung der Grundsätze und sozialen Regeln, welche derart elementar sind, dass sie staatsangehörigkeitsrechtlich Voraussetzung für die Gewähr einer (hinreichenden) Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse sind. Die von dem Kläger geschlossene Doppelehe schließt jedenfalls im Sinne des § 9 Abs. 1 StAG eine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse aus (s.a. OVG Münster, Urteil vom 2. September 1996 - 25 A 2106/94 - InfAuslR 1997, 82; VG Schleswig, Urteil vom 19. Februar 2001 - 1 A 178/98 - NordÖR 2001, 315; VG Braunschweig, Urteil vom 4. November 2003 - 5 A 308/03 - juris; VG Berlin, Beschlüsse vom 11. März 2005 - 2 A 161.04 - juris und vom 4. April 2005 - 2 A 32.05 - juris; Urteil vom 16. August 2005 - 2 A 161.04 - juris; VGH München, Urteil vom 4. Mai 2005 - 5 B 03.1371 - juris; Beschlüsse vom 29. September 2009 - 5 ZB 09.1137 - juris und vom 10. März 2011 - 5 ZB 10.1170 - juris; Urteil vom 30. Januar 2013 - 5 BV 12.2314 - juris; VG Saarlouis, Urteil vom 28. Oktober 2005 - 12 K 235/04 - juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Oktober 2006 - 5 B 15.03 - juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 13. Juli 2007 - 13 LC 468/03 - StAZ 2008, 110; VG Minden, Urteil vom 5. Dezember 2007 - 11 K 812/07 - juris; VG Darmstadt, Urteil vom 20. August 2008 - 5 E 840/07 - juris; VG München, Urteil vom 22. Februar 2010 - M 25 K 09.2704 - juris).

22

aa) In der bundesrepublikanischen Gesellschaft wird die Ehe weiterhin prägend als Einehe verstanden. Ungeachtet aller Wandlungen, die der Ehebegriff in den letzten Jahrzehnten genommen hat, und den verschiedenen Formen des Zusammenlebens von Partnern mit oder ohne Kinder ist der Grundsatz unangefochten, dass eine Ehe - so sie denn geschlossen werden soll - jeweils nur mit einer Person geschlossen werden kann und soll. Selbst außereheliche Beziehungen neben einer bestehenden Ehe stellen diesen Grundsatz nicht infrage; sie setzen den Grundsatz der Einehe vielmehr voraus und werden als - individuell lebbare und möglicherweise rechtfertigungsfähige - Abweichungen von einer fortbestehenden gesellschaftlichen Norm gewertet. Die Abschaffung des Straftatbestandes des Ehebruchs (§ 172 StGB ) im Jahre 1969 (Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts - 1. StrRG vom 25. Juni 1969, BGBl. I S. 645) hat ebenfalls nichts daran geändert, dass die Achtung und Beachtung des Grundsatzes der Einehe sozial als wichtige Voraussetzung des gesellschaftlichen Zusammenlebens gewertet wird.

23

bb) Diese gesellschaftlich-kulturelle Perspektive findet zudem im Recht eine klare, hochrangige Verankerung. § 172 StGB stellt unter Strafe, wenn verheiratete oder in Lebensgemeinschaft lebende Personen eine weitere Ehe oder Lebenspartnerschaft eingehen. Dass dieses strafrechtliche Verbot der Doppelehe bei einer nach anzuwendendem Sachrecht zulässigen, durch einen Ausländer in seinem Herkunftsstaat geschlossenen Doppelehe nicht greift und eine so geschlossene Ehe nach internationalem Privatrecht im Rahmen des deutschen ordre public als rechtsgültig betrachtet werden kann, ändert nichts an dem normativen Schutz des Grundsatzes der monogamen Ehe als solchem. Es begrenzt lediglich die innerstaatliche straf- oder zivilrechtliche Sanktionierung einer im Ausland geschlossenen Doppelehe, stellt aber weder normativ noch gesellschaftlich das Konzept der Einehe infrage. Der Grundsatz der Einehe prägt auch den Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959 - 1 BvR 205/58 u.a. - BVerfGE 10, 59 <66 f.>; Beschlüsse vom 7. Oktober 1970 - 1 BvR 409/67 - BVerfGE 29, 166 <176> und vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 636/68 - BVerfGE 31, 58 <69>; OVG Münster, Beschluss vom 6. Januar 2009 - 18 B 1914/08 - NVwZ-RR 2009, 539 <540>; s.a. von Coelln, in: Sachs , GG, 8. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 7). Das Monogamiegebot nimmt teil an dem Schutz der Ehe als Institution, den der Gesetzgeber zu achten und zu verwirklichen hat (BVerfG, Beschluss vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/81 - BVerfGE 62, 323 <330>). Bei einer Doppel- oder Mehrehe, die nur einem Geschlecht eröffnet ist, wird deren auch gesellschaftliche Ächtung grundrechtlich zusätzlich durch den Grundsatz der Gleichberechtigung (Art. 3 Abs. 2 GG) gestützt.

24

cc) Dieses Zusammenspiel von tiefgreifender gesellschaftlich-kultureller Prägung durch den Grundsatz der Einehe und dessen hochrangiger verfassungs- und strafrechtlicher Verankerung macht diesen zu einem Teil der deutschen Lebensverhältnisse im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG, in die sich ein Einbürgerungsbewerber einzuordnen hat. Es gebietet dessen Beachtung durch einen Einbürgerungsbewerber und hindert eine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse auch dann, wenn die Doppelehe im Ausland wirksam geschlossen worden ist und auch nicht gegen deutsches Strafrecht verstößt.

25

1.2 Der Kläger hatte im Einbürgerungszeitpunkt auch keinen anderweitigen Einbürgerungsanspruch. Eine auf § 9 StAG gestützte Einbürgerung, die nicht nach § 9 StAG hätte erfolgen dürfen, ist zwar dann nicht im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG rechtswidrig, wenn die Einbürgerungsbehörde den Einbürgerungsbewerber auf anderer Rechtsgrundlage hätte einbürgern müssen (a). Im Zeitpunkt der Einbürgerung hatte der Kläger indes schon deswegen keinen Einbürgerungsanspruch, weil er noch nicht acht Jahre rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte (b).

26

a) Die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband ist unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage auf eine einheitliche Rechtsstellung gerichtet. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile vom 17. März 2004 - 1 C 5.03 - NVwZ 2004, 997; vom 20. April 2004 - 1 C 16.03 - BVerwGE 120, 305 <308> und vom 20. März 2012 - 5 C 5.11 - BVerwGE 142, 145 Rn. 35) hat die Einbürgerungsbehörde daher im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Einbürgerungsbegehren hinsichtlich aller in Betracht kommenden Einbürgerungsgrundlagen zu prüfen. Eine Einbürgerung ist grundsätzlich dann nicht im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG einer Rücknahme zugänglich, wenn sie auf anderer Rechtsgrundlage als jener, die von der Behörde herangezogen worden ist, hätte erfolgen müssen. Dies gilt namentlich in den Fällen, in denen ein gebundener Anspruch auf eine Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG besteht, bei dem die Einbürgerungsbehörde auch nicht hinsichtlich einzelner Einbürgerungsvoraussetzungen eine Ermessensentscheidung zu treffen hat (z.B. nach § 10 Abs. 2 und 3 Satz 2, § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG).

27

Die Beklagte war hier zuständig für eine Entscheidung über einen (möglichen) Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 StAG. § 1 der Verordnung über Zuständigkeiten im Staatsangehörigkeitsrecht vom 3. Februar 1976 (GVBl. 1976 S. 245) enthält keine Einschränkung der den Landratsämtern und Stadtkreisen zugewiesenen Zuständigkeit für den Vollzug des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes und der sonstigen staatsangehörigkeitsrechtlichen Vorschriften. Nicht zu entscheiden ist daher, ob ein materiell bestehender Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG für die Anwendung des § 35 Abs. 1 StAG auch dann die Rechtswidrigkeit einer auf die §§ 8, 9 StAG gestützten Einbürgerung entfallen lässt, wenn die einbürgernde Behörde nicht für die Anspruchseinbürgerung zuständig ist, oder dies erst im Rahmen der nach § 35 Abs. 1 StAG zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen ist.

28

b) Der Kläger hatte indes im Zeitpunkt der Einbürgerung (Oktober 2010) noch keinen Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG, weil er noch nicht acht Jahre rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Inland hatte.

29

Der Kläger hielt sich zwar seit seiner Einreise im Jahre 1999 und im Einbürgerungszeitpunkt damit bereits ca. elf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Ein rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt liegt indes nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s. nur BVerwG, Urteile vom 23. Februar 1993 - 1 C 45.90 - BVerwGE 92, 116 <127> und vom 18. November 2004 - 1 C 31.01 - BVerwGE 122, 199 <202 f.>) nur dann vor, wenn der zur Rechtmäßigkeit des Aufenthalts führende Aufenthaltstitel sich auch auf die Dauerhaftigkeit des Aufenthalts bezieht. Lediglich befristete, zweckgebundene Aufenthaltstitel reichten hiernach jedenfalls dann nicht aus, wenn die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem auch dauernden Aufenthalt rechtlich ausgeschlossen oder bei einer prospektiven Betrachtung nicht zu erwarten war. Hieran hält der Senat für Aufenthaltszeiten bis zum Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes auch gegen Stimmen im Schrifttum (s. nur Berlit, in: GK-StAR, Stand November 2015, § 10 StAG Rn. 129 ff.) fest. Die dem Kläger erteilten Aufenthaltstitel zum Zweck des Studiums nach § 28 AuslG vermittelten schon wegen des grundsätzlichen Verbots, vor der Ausreise eine Aufenthaltsgenehmigung zu einem anderen Zweck zu erteilen oder zu verlängern (§ 28 Abs. 3 AuslG), keinen entsprechenden Daueraufenthalt (s.a. Berlit, in: GK-StAR, Stand November 2015, § 10 StAG Rn. 127).

30

Keine andere Beurteilung rechtfertigt, dass der Senat diese Rechtsprechung dahin fortentwickelt hat, dass sich die Rechtmäßigkeit des gewöhnlichen Aufenthalts eines Ausländers unter Geltung des Aufenthaltsgesetzes auch aus einer für einen seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilten Aufenthaltserlaubnis ergeben kann, wenn dem Ausländer hierdurch bei retrospektiver Betrachtung ein Zugang zu einer dauerhaften Aufenthaltsposition eröffnet worden ist (BVerwG, Urteil vom 26. April 2016 - 1 C 9.15 - BVerwGE 155, 47). Der Senat hat dies maßgeblich darauf gestützt, dass das Aufenthaltsgesetz - im Gegensatz zum früheren Ausländergesetz - keine eine weitere aufenthaltsrechtliche Verfestigung hindernde Sperrwirkung kennt, die bei einer Änderung des Aufenthaltszwecks der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für diesen geänderten Aufenthaltszweck entgegengehalten werden könnte, so dass bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Daueraufenthalts auch Zeiten zu berücksichtigen sind, in denen der Ausländer unter Geltung des Aufenthaltsgesetzes nur im Besitz einer für einen seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilten Aufenthaltserlaubnis war, wenn ihm auf diesem Wege ein Zugang zu einer dauerhaften Aufenthaltsposition eröffnet worden ist (BVerwG, Urteil vom 26. April 2016 -1 C 9.15 - BVerwGE 155, 47 Rn. 18). Nur insoweit kann sich die Rechtmäßigkeit eines gewöhnlichen Inlandsaufenthalts in der Rückschau auch aus einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ausbildung ergeben (BVerwG, Urteil vom 26. April 2016 - 1 C 9.15 - BVerwGE 155, 47 Rn. 19).

31

Diese Überlegungen sind gerade nicht auf Aufenthaltstitel bzw. Aufenthaltszeiten übertragbar, die vor der Systemumstellung lagen, die durch das Aufenthaltsgesetz bewirkt worden ist. Bis zur Einbürgerung im Oktober 2010 hatte der Kläger mithin nicht für einen Zeitraum von acht Jahren einen verfestigungsoffenen Aufenthaltstitel. Dies gilt auch, soweit die nach § 28 AuslG erteilte Aufenthaltsbewilligung als Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Studiums (§ 16 AufenthG) fortgalt; die Sperrwirkung des § 28 Abs. 3 AuslG ist nicht rückwirkend für die Zeit vor dem 1. Januar 2005 aufgehoben worden. Der Gesetzgeber war zu einer rückwirkenden Aufhebung nicht von Verfassungs wegen verpflichtet. Die durch das Aufenthaltsgesetz für die Zukunft bewirkte Systemumstellung ist auch der sachliche Grund, der die unterschiedliche Behandlung von Aufenthaltszeiten vor und nach dem 1. Januar 2005 rechtfertigt.

32

1.3 Der Kläger hat seine rechtswidrige Einbürgerung auch durch unzureichende Angaben im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG erwirkt.

33

a) Der Senat kann die Frage, ob der Kläger die Einbürgerung (zumindest) durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für die Einbürgerung gewesen sind, erwirkt hat, anhand der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Angaben des Klägers im Einbürgerungsverfahren selbst beurteilen. An eine bewertende Feststellung des Berufungsgerichts ist der Senat hier schon deswegen nicht nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil das Berufungsgericht diese Frage ausdrücklich offengelassen hat.

34

b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger im Einbürgerungsverfahren den Umstand nicht offenbart, dass neben der Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen, an welche der Einbürgerungsantrag anknüpfte, eine weitere Ehe bestand. Nach der Dauer des Inlandsaufenthalts des Klägers im Zeitpunkt der Antragstellung und den Umständen der Antragstellung ist offenkundig, dass die Bedeutung der Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen für die privilegierte Einbürgerung nach § 9 StAG dem Kläger ebenso bewusst war wie der Umstand, dass eine weitere Ehe eine Einbürgerung hindern würde.

35

Unerheblich hierfür ist die zwischen den Beteiligten strittige Bewertung der Gestaltung des Formulars, unter dessen Nutzung der Kläger seine Einbürgerung beantragt hatte, namentlich der Umstand, dass in dem Formular jedenfalls nicht ausdrücklich nach dem Bestand einer Zweitehe gefragt worden war, und die Tatsache, dass in dem Formular lediglich zu früheren Ehen Angaben abverlangt worden waren. Denn schon bei den Angaben zu dem Ehepartner hatte der Kläger vollständige Angaben zu machen. Bei bestehender Mehrehe sind Angaben auch dann unvollständig, wenn hier Angaben (nur) zu einem Ehepartner gemacht werden. Eine Beschränkung der Felder des Formulars auf nur eine Person begrenzt offenkundig und auch für den Einbürgerungsbewerber eindeutig nicht die Obliegenheit zu Angaben in Bezug auf alle Ehepartner bestehender Ehen; diese hätten entweder in dem Formular selbst (durch Teilung der Felder) oder außerhalb des Formulars gemacht werden können. Angaben nur zu dem Ehegatten, in Bezug auf den sich für den Kläger rechtliche Vorteile ergeben konnten, unterstreichen, dass diesem bewusst war, dass Angaben zu seiner weiteren Ehepartnerin die erstrebte Einbürgerung hindern würden oder doch könnten.

36

Dass der Kläger Angaben zu seiner zweiten Ehefrau auch vorsätzlich unterlassen hat, ergibt sich zudem daraus, dass er - zutreffend - auch die Formularfrage nach früheren Ehen verneint hat, ohne die ausdrückliche Frage nach einer "zweiten Ehe" zum Anlass zu nehmen, Angaben zu einer bestehenden Zweitehe zu machen. Der semantische Unterschied zwischen einer Zweitehe und einer zweiten Ehe macht bei einer isolierten Betrachtung insoweit die Angaben zu früheren Ehen nicht unzutreffend oder unvollständig. Der Zusammenhang zu der Frage nach den Personalien des Ehegatten lässt aber nur den Schluss zu, dass dem Kläger die Bedeutung der Zweitehe für den Einbürgerungsvorgang und der Umstand bewusst war, dass von ihm auch ohne ausdrückliche Nachfrage vollständige Angaben zu allen bestehenden Ehen, also auch der in Syrien geschlossenen Zweitehe zu machen waren. Entgegenstehendes Vorbringen des Klägers kann nach dem Kontext nur als Schutzbehauptung gewertet werden.

37

Der Kläger konnte sich auch nicht darauf berufen, er sei davon ausgegangen, dass Angaben zu der Doppelehe deswegen unerheblich seien, weil er von einem Einbürgerungsanspruch ausgegangen sei. Dies ist bereits nach den festgestellten Umständen des Einzelfalles ausgeschlossen. Überdies war dem Kläger nach dem unbestrittenen Akteninhalt bewusst, dass "eine Einbürgerung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur aufgrund unserer ehelichen Lebensgemeinschaft möglich ist" (Erklärung des Klägers vom 13. Oktober 2010).

38

2. Ist mithin der Tatbestand für die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers erfüllt, hatte die Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen. Bei dieser Ermessensentscheidung ist auch ein hypothetischer Einbürgerungsanspruch im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung zu berücksichtigen (2.1). Ein Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG ist hier nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil sich der Kläger wegen seiner Zweitehe nicht wirksam zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen kann (2.2). Die Feststellungen des Berufungsgerichts lassen keine abschließende Beurteilung zu, ob zu dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt das Lebensunterhaltssicherungserfordernis (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG) erfüllt war (2.3).

39

2.1 Die Rücknahme eines rechtswidrigen Einbürgerungsbescheides ist nur dann rechtmäßig, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei betätigt. Die Behörde muss in dem erkennbaren Bewusstsein, dass eine Ermessensentscheidung zu treffen ist, die für und gegen die Rücknahme der Einbürgerung streitenden Gesichtspunkte erkennen, diese sachgerecht gewichten und diese bei ihrer Entscheidung im Ergebnis frei von willkürlichen Erwägungen berücksichtigen (allgemein zu den Anforderungen an eine fehlerfreie Ermessensentscheidung s. - m.w.N. - Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 114 Rn. 6 ff.).

40

a) Zu den Umständen, die bei einer fehlerfreien Ermessensentscheidung nach § 35 Abs. 1 StAG von Amts wegen zu berücksichtigen sind, gehört regelmäßig (zu möglichen Ausnahmen s.o. II.1.2 a) auch ein der Rücknahmeentscheidung entgegenstehender (hypothetischer) Einbürgerungsanspruch (s. BVerwG, Urteil vom 9. September 2003 - 1 C 6.03 - BVerwGE 119, 17 <23>).

41

Bereits die Funktion der Staatsangehörigkeit, verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit zu sein (s. BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <44>; Beschlüsse vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 696/04 - NJW 2007, 425 Rn. 18 und vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 28 = juris Rn. 31, gebietet die Berücksichtigung eines im Zeitpunkt der Ermessensentscheidung bestehenden Einbürgerungsanspruchs (BVerwG, Urteil vom 9. September 2003 - 1 C 6.03 - BVerwGE 119, 17 <23>; s.a. OVG Lüneburg, Urteil vom 22. Oktober 1996 - 13 L 7223/94 - NdsRpfl. 1997, 85 <86>; VGH Kassel, Urteil vom 18. Mai 1998 - 12 UE 1542/98 - NVwZ-RR 1999, 274 <276>; VGH Mannheim, Urteil vom 29. November 2002 - 13 S 2039/01 - InfAuslR 2003, 205 <210>). Die Verlagerung auf ein (neuerliches) Einbürgerungsverfahren, das von dem Eingebürgerten einen entsprechenden Antrag erforderte (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 18. März 2005 - 2 A 133.04 - juris Rn. 13 ff.; s.a. Hailbronner/Hecker, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, § 35 StAG Rn. 44), entspräche schon nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach nationalem Recht. Soweit sie zugleich mit dem Verlust der über die deutsche Staatsangehörigkeit vermittelten Unionsbürgerschaft verbunden wäre, steht dem auch in Fällen einer durch Täuschung oder unzureichende Angaben erwirkten Einbürgerung die Beachtung des bei deren Rücknahme zu beachtenden unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 [ECLI:EU:C:2010:104], Rottmann -) entgegen.

42

Keine andere Beurteilung rechtfertigen mögliche Schwierigkeiten, einen solchen Einbürgerungsanspruch zeitnah zu prüfen. Die Komplexität einer Prüfung eines im Rücknahmezeitpunkt bestehenden Einbürgerungsanspruchs ist regelmäßig nicht so hoch, dass sie innerhalb der absoluten Rücknahmefrist des § 35 Abs. 3 StAG nicht bewältigt werden könnte. Die Rücknahmefrist wird zudem gewahrt, wenn die Rücknahme bis zum Ablauf von fünf Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung erfolgt; die Staatsangehörigkeitsbehörde kann in (zeitlichen) Grenzfällen im Rahmen eines etwaigen Widerspruchsverfahrens oder im Verwaltungsprozess (§ 114 Satz 2 VwGO) ihre Ermessenswägungen bei nicht nichtigen Rücknahmeentscheidungen ergänzen.

43

b) Bei bestehendem Einbürgerungsanspruch ist das Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde allerdings nicht stets und fallunabhängig dahin "auf Null" reduziert, dass von der Rücknahme abzusehen wäre. Der Eingebürgerte ist durch die Berücksichtigung eines (hypothetischen) Einbürgerungsanspruchs nicht schlechter, aber auch nicht besser zu stellen, als wenn er auf die Erwirkung der rechtswidrigen Einbürgerung durch von § 35 Abs. 1 StAG erfasste Handlungen verzichtet hätte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Einbürgerung "für die Vergangenheit" ausscheidet - allzumal bei (erst) im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung bestehendem Einbürgerungsanspruch.

44

Die Behörde darf bei ihrer Entscheidung daher auch in den Fällen, in denen nach § 35 Abs. 5 StAG eine eigenständige Ermessensentscheidung für Drittbetroffene zu treffen ist oder nach § 17 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 StAG zum Wegfall der (vermeintlich) durch Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen nach § 4 Abs. 1 StAG erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit führen kann, berücksichtigen, ob bzw. in welchem Umfange durch die Einbürgerung nach § 4 Abs. 1 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit vermittelt worden ist. Ebenfalls in die Ermessensentscheidung einzustellen ist, dass die nach § 35 Abs. 5 StAG zu treffende, gesonderte Ermessensentscheidung ebenfalls vom Bestehen eines Einbürgerungsanspruchs des rechtswidrig Eingebürgerten bzw. dem Fortbestand der Rücknahmeentscheidung abhängt. Das Absehen von einer Rücknahmeentscheidung u.a. mit der Erwägung, damit für ein Kind den Fortbestand des durch die Vaterschaftsanerkennung bewirkten Staatsangehörigkeitserwerbs zu sichern, ist dabei nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil die Aufhebung der zu Nr. 2 des Rücknahmebescheides getroffenen Feststellung im gerichtlichen Verfahren nicht begehrt worden war; insoweit handelt es sich um eine vom Fortbestand der Rücknahmeentscheidung akzessorische Feststellung.

45

c) Bei der Prüfung, ob im Zeitpunkt der Rücknahme ein Einbürgerungsanspruch besteht, haben die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen der (rechtswidrigen) Einbürgerung außer Betracht zu bleiben. Unerheblich ist daher, dass der rechtswidrig Eingebürgerte bis zur Rechtskraft der Rücknahmeentscheidung deutscher Staatsangehöriger, also nicht im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG Ausländer ist und der für die (rechtswidrige) Einbürgerung erforderliche Aufenthaltstitel (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG) mit der Einbürgerung erloschen ist, ohne dass er mit deren Rücknahme wieder auflebt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2011 - 1 C 2.10 - BVerwGE 139, 337). Veränderungen in Bezug auf die weiteren Einbürgerungsvoraussetzungen, die sich nach der (rechtswidrigen) Einbürgerung ergeben haben, z.B. Straftaten (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG) oder ein zurechenbares Unvermögen eigenständiger Lebensunterhaltssicherung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG) einschließlich einer Veränderung des Kreises zu berücksichtigender unterhaltspflichtiger Familienangehöriger, sind allerdings zu berücksichtigen und können einen für die Ermessensentscheidung erheblichen (hypothetischen) Einbürgerungsanspruch ausschließen.

46

2.2 Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist nicht schon deswegen fehlerfrei, weil einem Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG durchgreifend die Doppelehe des Klägers entgegensteht; denn diese hindert nicht ein (wirksames) Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

47

Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG hat sich ein Einbürgerungsbewerber zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen. Dieses Bekenntniserfordernis steht neben der Erklärung, dass er keine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten oder sonst im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 StAG sicherheitsrelevanten Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, und wird in der Sache durch den Ausschluss der Einbürgerung bei tatsächlichen Anhaltspunkten für entsprechende Bestrebungen ergänzt. Neben diesem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung besteht für die Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" (a); beide Begriffe sind auch nicht gleichzusetzen (b). Der Rechtsbegriff des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist bereichsspezifisch auszulegen, hat aber als festen Begriffskern die Orientierung auf die staatliche Ordnung (c). Hiernach hindert die Zweitehe nicht ein wirksames Bekenntnis (d). Der Gesetzgeber ist aber nicht gehindert, die Anspruchseinbürgerung bei bestehender Mehrehe nicht zuzulassen (e.).

48

a) Der Gesetzgeber hat in § 10 Abs. 1 StAG nicht die Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG aufgegriffen, dass gewährleistet sein muss, dass sich der Ausländer in die deutschen Lebensverhältnisse einordnet. Die Tatbestandsvoraussetzungen für den Einbürgerungsanspruch sind in § 10 StAG eingehend und grundsätzlich abschließend geregelt. Deren Erfüllung stellt aus Sicht des Gesetzgebers hinreichend sicher, dass sich ein Ausländer nach achtjährigem rechtmäßigen gewöhnlichen Inlandsaufenthalt so weit in die deutsche Gesellschaft eingelebt hat, dass eine Einbürgerung gerechtfertigt ist. Ein zusätzliches, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse", das nach der Rechtsauffassung des Vertreters des Bundesinteresses in den Tatbestand des § 10 Abs. 1 StAG hineinzulesen sei, ist mit den ausdifferenzierten ausdrücklichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 StAG nicht in Einklang zu bringen; dies überschritte die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 83.16 - juris) und bewirkte eine unzulässige richterrechtliche Korrektur des Gesetzes. Das systematische Argument, § 10 StAG sei lediglich eine weitere Ausformung des § 9 StAG und setze daher voraus, dass dessen Tatbestandsvoraussetzungen ebenfalls erfüllt sein müssen, steht mit dem Wortlaut des § 10 StAG nicht in Einklang. § 9 Abs. 1 Halbs. 1 StAG unterstreicht, dass der Gesetzgeber ausdrücklich regelt, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm auch normergänzende Einbürgerungsvoraussetzungen einer anderen Norm sein sollen.

49

Eine implizite Inkorporation ist auch nach der Entstehungsgeschichte der Regelungen zur Anspruchseinbürgerung auszuschließen. Der nunmehr in § 10 StAG geregelte Einbürgerungsanspruch ist zunächst in den Vorschriften zur erleichterten Einbürgerung nach längerem Inlandsaufenthalt im Ausländergesetz enthalten gewesen (§§ 85 f. AuslG i.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 , geändert durch das Gesetz zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 30. Juni 1993 ). Der Sicherheitsaspekt war durch den Verweis auf den seinerzeitigen Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 1 AuslG (1990) berücksichtigt, nach dem insbesondere ausgewiesen werden konnte, wer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht. Als Einbürgerungserfordernis ist ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erstmals bei der Umgestaltung der Anspruchseinbürgerung durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618) in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG eingefügt worden, durch das in § 86 Nr. 1 und 2 AuslG im Kern auch die heute in § 11 StAG geregelten Anspruchsausschlussgründe geregelt wurden. In das Staatsangehörigkeitsgesetz wurden die ausländerrechtlichen Sonderregelungen zur Einbürgerung im Wortlaut weitgehend unverändert erst mit dem Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) überführt. Nach dieser Entstehungsgeschichte gibt es für eine ungeschriebene Inkorporation des Einordnungserfordernisses des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG als Voraussetzung der Anspruchseinbürgerung keinen tragfähigen Anhaltspunkt. Eine qualitative Veränderung der Voraussetzungen des Einbürgerungsanspruchs ist auch nicht mit der Eingliederung der bis Ende 2004 in den §§ 85 ff. AuslG geregelten und dann in §§ 10 ff. StAG übernommenen Anspruchseinbürgerung "mit ihren speziellen Voraussetzungen" (BT-Drs. 15/420 S. 116) verbunden gewesen; neben terminologischen und redaktionellen Anpassungen waren lediglich punktuelle Erleichterungen gewollt (BT-Drs. 15/420 S. 116).

50

b) Die in § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG geforderte "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" ist - entgegen der Rechtsauffassung des Vertreters des Bundesinteresses bei dem Bundesverwaltungsgericht - nicht von dem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung umfasst. Die Anforderungen und Rechtsfolgen, die im Einzelnen aus dem Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung folgen, ergeben sich im Detail aus dem systematischen Zusammenhang, in dem dieser Begriff verwendet wird. Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hat als Rechtsbegriff allerdings einen auf die Gestaltung der staatlichen Ordnung und ihres Handelns bezogenen Begriffskern, der aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der einfachgesetzlichen Ausformung ableitbar ist und der auch einer an den Zwecken des Staatsangehörigkeitsrechts orientierten Auslegung Grenzen zieht.

51

aa) Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Die Rechtsordnung verwendet diesen Begriff in unterschiedlichen Zusammenhängen und Regelungskontexten. Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Der Missbrauch bestimmter Grundrechte zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung führt zu deren Verwirkung (Art. 18 Satz 1 GG). § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG macht u.a. die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, zur Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Die Zulassung zur Anwaltschaft ist u.a. zu versagen, wenn die antragstellende Person die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft (§ 7 Nr. 6 BRAO). Im öffentlichen Dienstrecht müssen Ernennungsbewerber und Beamte/Soldaten Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten (s. etwa § 7 Abs. 1 Nr. 2, § 60 Abs. 1 BBG, § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG, §§ 8, 37 Abs. 1 Nr. 2 SG, § 9 Nr. 2 DRiG); bei Ruhestandsbeamten gilt als Dienstvergehen, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BBG, s.a. § 64 Abs. 1 BeamtVG, § 58 Abs. 1 SVG). Das Aufenthaltsrecht sieht die Ausweisung eines Ausländers nach Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteressen u.a. vor, wenn dessen Aufenthalt die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet (§ 53 Abs. 1 AufenthG). Nach § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG scheidet eine Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden bei konkreten Anhaltspunkten dafür aus, dass sich der Ausländer nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt. Die Aufenthaltserlaubnis bei nachhaltiger Integration setzt regelmäßig voraus, dass der Ausländer sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG). Die politische Betätigung eines Ausländers ist zu untersagen, soweit sie die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (§ 47 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG).

52

bb) Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird bei seiner Verwendung durch den Gesetzgeber indes regelmäßig vorausgesetzt, aber nicht näher ausgeführt. Er hat nicht einen in allen Rechtsgebieten und für alle Anwendungsfälle einheitlichen Bedeutungsgehalt. Die Legaldefinition in § 4 Abs. 2 BVerfSchG, die ihrerseits an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere zum Parteiverbotsrecht anknüpft (seit BVerfG, Urteile vom 23. Oktober 1952 - 1 BvB 1/51 - BVerfGE 2, 1 <12 ff.> und vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 5, 85 <199 ff.>; modifizierend Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - BVerfGE 144, 20 Rn. 535 ff.), zählt auf, was zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählt, und nennt neben ausschließlich auf die Staatsorganisation bezogenen Grundsätzen (Buchst. a bis f) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (Buchst. g). Sie gilt indes nicht in anderen Rechtsgebieten. Allerdings umschreibt auch Nr. 10.1.1.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums zum Staatsangehörigkeitsgesetz (VAH-BMI (Bund)) die freiheitliche demokratische Grundordnung, zu denen sich ein Einbürgerungsbewerber zu bekennen hat, im Einklang mit Rechtsprechung und Literatur (s. Berlit, in: GK-StAR, Stand Oktober 2014, § 11 StAG Rn. 108 ff.) in Anschluss an diese gesetzliche Regelung. Die Aufzählung der Verfassungsgrundsätze in § 92 Abs. 2 StGB, die strafrechtlich gegen Beeinträchtigung oder Abschaffung geschützt sind, etwa beschränkt sich auf die direkt auf den Staat bezogenen Grundsätze und nennt nicht die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

53

cc) Der Begriffskern, der sich bereits nach Vorstehendem ergibt, nimmt die Gestaltung der staatlichen Ordnung und ihres Handelns in den Blick, nicht das (gesellschaftliche) Verhalten des Einbürgerungsbewerbers (s.a. nachfolgend c). Er begrenzt die Möglichkeiten der Auslegung und schließt aus, ihn mit aus übergeordneten Zwecksetzungen eines Regelungswerkes hergeleiteten Inhalten zu füllen, die von dem Begriffskern nicht umfasst sind, ohne im Wortlaut einen hinreichenden Anhaltspunkt zu haben. Damit unvereinbar ist eine Auslegung, nach der eine der "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG gleichartige Bindung des Individuums in seinem Verhalten besteht.

54

c) Begriff und Konzept der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind primär auf die staatliche Ordnung, deren Organisation und Handlungsgrenzen bezogen, und zwar auch, soweit sie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte umfasst.

55

aa) Bereits der Begriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" ist nicht auf das individuelle Verhalten des einzelnen Menschen bezogen. Er nimmt grundlegende Prinzipien vorrangig der Staatsordnung und den Bereich der Gesellschaft allenfalls in dem Sinne nachrangig in den Blick, als diese als Teil einer auf Freiheit gründenden Ordnung gesehen wird. Mit dem Begriff der "Grundordnung" werden zudem nicht alle Elemente einer solchen Staatsordnung in den Blick genommen, sondern allein die grundlegenden Prinzipien ("Bausteine") einer solchen Ordnung.

56

Dass es im Kern um die Konstruktionsprinzipien einer freiheitlichen Staatsordnung, die auf demokratischen Grundsätzen beruht und die Menschwürde und Freiheit ihrer Bürger wahrt und achtet, und letztlich um die Bewältigung dieser möglicherweise drohender Gefahren geht, unterstreicht auch die systematische Koppelung an die in Bezug auf sicherheitsgefährdende Bestrebungen abzugebende Erklärung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 StAG) und den Ausschlussgrund des § 11 StAG. Als Rechtsbegriff steht die freiheitliche demokratische Grundordnung in einem engen Zusammenhang mit dem Grundsatz der "wehrhaften Demokratie", als dessen Synonym er verwendet wird (dazu die Beiträge in: Thiel , Wehrhafte Demokratie. Beiträge über die Regelungen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, 2003).

57

Dass der Einbürgerungsbewerber durch seine Loyalitätserklärung seine innere Hinwendung zur Bundesrepublik Deutschland dokumentiert (BT-Drs. 14/533 S. 18), bestätigt, dass diese "innere Hinwendung" bezogen ist auf die Bundesrepublik Deutschland als Staat (bzw. politisch verfasste Gemeinschaft) und dessen konstitutiven Merkmale, nicht hingegen auf die gesamte Verfassungsordnung. Die Verpflichtung auf die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte hat nach der Kernfunktion der Grundrechte, Abwehrrechte gegen den Staat zu sein, als Bezugspunkt die staatliche Ordnung, nicht das individuelle Handeln des grundrechtsgeschützten Individuums. Bindungen der staatlichen Ordnung begründen auch die objektiven Grundrechtsgehalte (dazu knapp Sachs, in: Sachs , GG, 8. Aufl. 2018, vor Art. 1 Rn. 27 ff.), etwa die Einrichtungsgarantien und die Schutzpflichten, welche die Integrität der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter über das abwehrrechtliche Verbot unmittelbarer staatlicher Eingriffe dadurch zur Geltung bringen, dass sich der Staat schützend und fördernd vor das Grundrecht stellt, es vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer bewahrt oder die Bedingungen der Möglichkeit seiner Entfaltung schafft (dazu knapp Sachs, in: Sachs , GG, 8. Aufl. 2018, vor Art. 1 Rn. 35 ff.). Soweit die Grundrechte eine objektive Werteordnung bilden, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt (stRspr, seit BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198 <205>), bleibt dies bezogen auf die staatliche Gewalt (s.a. Di Fabio, JZ 2004, 1; Dreier, Dimensionen der Grundrechte. Von der Wertordnungsjudikatur zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten, 1993). Diese objektive Werteordnung bewirkt keine den Einzelnen unmittelbar verpflichtende Pflichtenordnung oder ein Gebot, die individuelle Lebensführung hieran auszurichten.

58

bb) Die Achtung einer derartig konstituierten freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfordert indes, dass der Einzelne - und auch der Einbürgerungsbewerber - die Befugnis des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zur Rechtsetzung vorbehaltlos akzeptiert, und zwar auch dann, wenn das staatliche Recht in Widerspruch zu (vermeintlichen oder tatsächlichen) religiösen Geboten steht. Die freiheitliche demokratische Grundordnung umfasst auch die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates, der die Religionsfreiheit seiner Bürger achtet und schützt, aber auf religiöse Legitimation verzichtet (eingehend Dreier, Staat ohne Gott, 2018, S. 8 ff., passim). Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat schafft durch Recht den Rahmen, in dem sich gesellschaftliches Leben und auch individuelle Religionsbetätigung entfaltet. Diese Ordnungsfunktion der freiheitlichen demokratischen Ordnung kann nur dann wirksam werden, wenn der Primat staatlich gesetzten Rechts vor religiösen Geboten auch im Falle eines Konflikts uneingeschränkt bejaht wird. Dies erfordert insoweit mehr als einen bloßen "Legalgehorsam" unter Beachtung insbesondere des Strafrechts, als es auch in Bezug auf solche Regelungen gilt, die der Staat zum Schutz der Freiheitsbetätigung seiner Bürger und ihres gleichen Ranges und Würde, etwa der Gleichberechtigung der Geschlechter oder des Schutzes individuell freier Willensbetätigung, geschaffen hat.

59

cc) Innerhalb des so gezogenen Rahmens schützt die freiheitliche demokratische Grundordnung indes die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung, also die Summe formell und materiell verfassungsmäßiger Rechtssätze, oder das Sittengesetz, verstanden als ethische Normen von solcher Fundamentalität, dass sie dem staatlichen Recht als unverfügbare überpositive Normen vorgegeben sind (Sachs, in: Sachs , GG, 8. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 96), verstößt.

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d) Nach diesen Grundsätzen steht die vom Kläger in Syrien geschlossene Zweitehe einem wirksamen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht entgegen.

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aa) Der Kläger hat allerdings die Einehe als wesentliches Institut der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ehe nicht beachtet. Insoweit wird er indes unmittelbar aus Art. 6 Abs. 1 GG auch nicht gebunden; Art. 6 Abs. 1 GG enthält insbesondere keine grundrechtsunmittelbare Grundpflicht, auf eine Zweit- oder Doppelehe zu verzichten. Er hat diese Zweitehe nach in Syrien geltendem Recht wirksam geschlossen und auch nicht gegen die zum Schutz der Einehe geschaffene Strafnorm des § 172 StGB verstoßen. Diese Zweitehe bedeutete selbst bei einem auf Freiwilligkeit gründenden polygamen Zusammenleben im Bundesgebiet keinen Sittenverstoß (BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 33.81 - BVerwGE 71, 228 <230 f.>). Die Ehe wird - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat (UA S. 23 ff.) - im Rahmen des ordre public als im Bundesgebiet wirksam anerkannt (s.a. Coster/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618 <1624 f.>). Kinder aus einer solchen Ehe werden als eheliche Kinder betrachtet (BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 33.81 - BVerwGE 71, 228 <231 f.>) und genießen jedenfalls den Familienschutz aus Art. 6 Abs. 1 GG (von Coelln, in: Sachs , GG, 8. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 7). Insoweit hat der Kläger das in Deutschland geltende Recht beachtet. Die Ausnutzung etwaiger Lücken im rechtlichen Schutz des Prinzips der Einehe als solche ist kein Handeln, das auf eine Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im vorbezeichneten Sinne schließen lässt.

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bb) Eine Zweit- oder Mehrfachehe ist namentlich dann, wenn sie nur dem Mann erlaubt ist, Ausdruck eines vormodernen, die Gleichberechtigung der Geschlechter missachtenden Ehemodells. Gerade dies rechtfertigt und gebietet dem Gesetzgeber des Grundgesetzes, auch jenseits der aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden institutionellen Garantie an dem Verbot der Mehrehe festzuhalten. Die Schließung einer Zweitehe in dem rechtlich möglichen Umfang stellt indes nicht die Befugnis des Gesetzgebers zum Verbot der Mehrehe und zum Schutz der Einehe grundsätzlich infrage. Allein im Abschluss einer Zweitehe liegt keine Handlung, die darauf zielt, dieses Verbot grundlegend infrage zu stellen, oder die auf dessen Aufhebung gerichtet ist; dies folgt auch nicht aus dem Aufmerksamkeitswert, der bei Bekanntwerden einer solchen Zweitehe entstehen mag, und einem damit etwa verbundenen Demonstrativcharakter. Zunächst einmal ist eine - allzumal im Ausland - geschlossene Zweitehe dem Bereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen.

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cc) Mit dem Abschluss einer Zweitehe hat sich der Kläger für ein unserer Rechtsordnung prinzipiell fremdes, die Rechte von Frauen missachtendes Ehemodell entschieden. Nicht zu vertiefen ist, ob dies für das islamische Eherecht insgesamt (dazu Daghles, Die Kompatibilität islamischer Staatsauffassungen mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung, 2010, S. 149; Scholz, StAZ 2002, 321; Yassari, FamRZ 2011, 1) oder die von dem Kläger konkret geführten Ehen gilt. Das deutsche Recht eröffnet in Fällen, in denen eine Zweitehe ungeachtet des Eheverbots des § 1306 BGB bei bestehender Ehe geschlossen worden ist, nach § 1314 Abs. 1 BGB eine Aufhebungsmöglichkeit; antragsberechtigt sind neben der zuständigen Verwaltungsbehörde, die von diesem Recht hier keinen Gebrauch gemacht hat, in den Fällen des § 1306 BGB auch die dritte Person - also die erste Ehefrau (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Diese Regelungen unterstreichen, dass eine Zweit- oder Mehrfachehe nicht ipso jure nichtig ist. Sie zielen darauf, der Beeinträchtigung der Rechte von Ehepartnern nach deutschem Eheverständnis ausgeschlossener Zweit- oder Mehrfachehen entgegenzuwirken und lassen im deutschen Rechtsraum Raum für eine Durchsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes.

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Die Ausgestaltung als antragsabhängiges Aufhebungsrecht verlagert allerdings die Aufhebungsverantwortung bei der nach islamischem Rechtsverständnis allein dem Mann eröffneten Mehrehe auf die Ehefrauen und überlässt ihnen die Entscheidung, ob und wann sie insoweit tätig werden wollen. Dies kann insbesondere in Fällen problematisch sein, in denen diese Ehegatten selbst traditionalistischen Rollenverständnissen verhaftet oder sonst nicht in der Lage sind, die ihnen durch den deutschen Gesetzgeber eröffneten Rechte auch wahrzunehmen. Diese tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtswahrnehmung kann der Gesetzgeber als solche indes nicht beeinflussen; die Antragsbefugnis auch der Verwaltungsbehörde bietet hier normativ zusätzlich Schutz.

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Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger dieses antragsgebundene Aufhebungsrecht grundsätzlich in Abrede stellte oder er einen antragsberechtigten Ehegatten in unzulässiger Weise von der Wahrnehmung dieses Rechts abgehalten hätte, sind hier weder tatrichterlich festgestellt noch vorgetragen oder sonst ersichtlich.

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dd) Einen Verstoß gegen das Sittengesetz im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG oder gegen die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) als Ausgangspunkt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, der insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit umfasst (BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - BVerfGE 144, 20 Rn. 538 f.), ist wegen der begrenzten Anerkennung einer im Ausland wirksam geschlossenen Zweitehe auch im Bundesgebiet, der Möglichkeit ihres Schutzes durch Art. 6 Abs. 1 GG selbst sowie der Aufhebungsmöglichkeit nach den §§ 1306, 1314 Abs. 1 und § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB, die auch den potentiell in ihrer personalen Identität bedrohten Ehepartnern zusteht, im Ergebnis ebenfalls auszuschließen.

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e) De lege lata steht mithin das nicht strafbare, rechtswirksame Eingehen einer Zweit- oder Mehrfachehe im Ausland der Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG nicht deswegen entgegen, weil es ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausschließt. Der Gesetzgeber hat indes bei der Ausgestaltung der Einbürgerungsvoraussetzungen völker- und verfassungsrechtlich einen weiten Gestaltungsspielraum. De lege ferenda steht es ihm frei, den Einbürgerungsanspruch von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen und diesen insbesondere bei bestehender Mehrehe auszuschließen. Dies kann er etwa durch die Ergänzung der Einbürgerungsvoraussetzungen um das Erfordernis der Gewährleistung des Sich-Einordnens in die deutschen Lebensverhältnisse oder die Schaffung eines Anspruchsausschlussgrunds regeln, der ausdrücklich auch auf Fälle einer Missachtung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Mann und Frau erstreckt werden kann.

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3. Der Senat kann mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen des Klägers nicht feststellen, ob dem Kläger im Zeitpunkt der Rücknahme ein Einbürgerungsanspruch zustand, der bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme zu berücksichtigen war, oder ob einem solchen Anspruch das Lebensunterhaltssicherungserfordernis des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG entgegenstand. Nur bei bestehendem Einbürgerungsanspruch wirkte sich der Umstand aus, dass die Beklagten diesen fehlerhaft schon wegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG verneint und insoweit einen Ermessensfehler begangen hat.

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a) Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG erfordert eine Einbürgerung, dass der Ausländer den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat. Das Berufungsgericht hat zwar ausgeführt, dass der Kläger im Zeitpunkt seiner Einbürgerung (2010) auch die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG erfüllt habe (UA S. 13). Es fehlen indes tragfähige Feststellungen zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung. In dem Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 7. März 2014 wurde als fraglich bezeichnet, "ob die weiteren, insbesondere wirtschaftlichen Einbürgerungsvoraussetzungen vorliegen und er den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen nachhaltig sichern kann".

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Bei seinen ergänzenden Feststellungen wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass neben der bereits im Bundesgebiet lebenden, aus der Zweitehe hervorgegangenen Tochter auch die in Syrien geehelichte Ma. in den Blick zu nehmen ist, wenn und weil bei der im Zeitpunkt der Rücknahme vorzunehmenden prognostischen Betrachtung damit zu rechnen war, dass sie in einem überschaubaren Zeitraum im Bundesgebiet leben werde und von dem Kläger zu unterstützen sei (BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 - 1 C 23.14 - BVerwGE 152, 156 Rn. 23; s.a. Berlit, in: GK-StAR, Stand November 2015, § 10 StAG Rn. 240 f.).

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b) Eine Zurückverweisung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil feststünde, dass die Rücknahme der Einbürgerung hier mit Unionsrecht unvereinbar wäre. Dies ist nicht der Fall. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 -) verstößt es nicht gegen das Unionsrecht, wenn ein Mitgliedstaat einem Unionsbürger die durch Einbürgerung erworbene Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats wieder entzieht, falls die Einbürgerung durch Täuschung erschlichen wurde, vorausgesetzt, dass die Rücknahmeentscheidung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt; dabei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zu der Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen (ebd., Rn. 56). Für eine Verletzung des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist jedenfalls dann nichts ersichtlich, wenn zugunsten des Klägers im Rücknahmezeitpunkt kein Einbürgerungsanspruch bestand, zumal der Kläger seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben hatte, er mithin durch die Rücknahme der durch unzureichende Angaben erwirkten rechtswidrigen Einbürgerung nicht staatenlos würde, und nach Maßgabe der §§ 27 ff., 38 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu prüfen ist, mithin eine aufenthaltsrechtlich erzwungene Trennung von seiner Familie und insbesondere von seiner Ehefrau und Kindern deutscher Staatsangehörigkeit nicht vorgezeichnet ist.

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4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.