Entscheidungsdatum: 08.12.2015
I.
Die Verzögerungsbeschwerde richtet sich gegen die Dauer eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens.
1. Der Beschwerdeführer verfolgte im Ausgangsverfahren die Löschung seiner personenbezogenen Daten aus dem staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister und wandte sich überdies gegen die Abgabe einer ihn betreffenden Strafakte an das Landesarchiv des Landes Nordrhein-Westfalen.
Gegen die Zurückweisung seiner Begehren durch die Staatsanwaltschaft stellte der Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der zuletzt als unbegründet verworfen wurde. Einen über eine zuvor erfolgte Teillöschung hinausgehenden Anspruch des Beschwerdeführers auf zusätzliche Entfernung von noch im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister vorhandenen persönlichen Daten (zu Deliktstyp, Tatdaten, Entscheidungsart und Erledigungsdatum) lehnte das Oberlandesgericht unter anderem aus Praktikabilitätsgründen wegen der besonderen Art der Speicherung ab, die eine isolierte Löschung dieser Dateien systembedingt nicht ermöglichten. Eine hiergegen erhobene Anhörungsrüge blieb ohne Erfolg.
2. Gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft und gegen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts erhob der Beschwerdeführer am 4. Oktober 2010 Verfassungsbeschwerde. Diese wurde zur Klärung der Zuständigkeit zunächst im Allgemeinen Register eingetragen (AR 7295/10). Hiervon wurde der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 12. Oktober 2010 in Kenntnis gesetzt.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2011 teilte das Bundesverfassungsgericht dem Beschwerdeführer über dessen Rechtsanwälte mit, die Verfassungsbeschwerde sei nun als solche in das Verfahrensregister eingetragen worden (1 BvR 99/11).
Mit Schreiben vom 1. Februar 2015 erhob der Beschwerdeführer Verzögerungsrüge, die mit der Bitte um alsbaldige Sachentscheidung verbunden war. Das Schreiben ging am 3. Februar 2015 beim Bundesverfassungsgericht ein.
Die Verfassungsbeschwerde wurde mit Beschluss vom 13. Mai 2015 nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen hielten. Zwar rechtfertige die bloße Tatsache, dass eine IT-gestützte Datenverarbeitung die Löschung einzelner Daten systembedingt nicht zulasse, die Speicherung eines im Übrigen für die behördliche Aufgabenerfüllung nicht erforderlichen Datenbestandes entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht. Denn die Anforderungen an die technische Datenverarbeitung hätten insoweit den Anforderungen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung zu genügen und nicht umgekehrt. Im Ergebnis ließen die weiteren Ausführungen des Oberlandesgerichts jedoch eine Verkennung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht erkennen.
3. Am 7. September 2015 hat der Beschwerdeführer Verzögerungsbeschwerde erhoben. Er beantragt festzustellen, dass die Verfahrensdauer im Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 99/11 unangemessen lang gewesen sei (a). Außerdem beantragt er, ihm eine Entschädigung zuzusprechen (b).
a) Die Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens sei unangemessen lang gewesen. Dies ergebe sich schon aus der Gesamtdauer vom 20. Januar 2011 bis zum 13. Mai 2015, also von mehr als vier Jahren. Mit einer ordnungsgemäßen Sachbearbeitung vereinbare Gründe, die eine solche Verfahrensdauer rechtfertigen könnten, seien auszuschließen. Dabei werde die besondere Stellung des Bundesverfassungsgerichts keineswegs verkannt. Gerade dort sei die ohnehin knappe Ressource Recht besonders hoch belastet und es seien sicherlich viele Verfahren anhängig, die bedeutender seien und eine vorrangige Entscheidung verdienten. Um gerade für die Bearbeitung derart bedeutender Verfahren die erforderliche Entlastung zu erreichen, müsse das Bundesverfassungsgericht, wenn es eine Nichtannahmeentscheidung anstrebe, diese zeitnah treffen.
Da das Bundesverfassungsgericht sich vorliegend bei der Nichtannahme nicht substanziell mit der Sache habe befassen müssen, sei davon auszugehen, dass das Verfahren bei ordnungsgemäßer Verfahrensbearbeitung binnen Jahresfrist hätte erledigt werden können.
b) Unter diesen Umständen werde ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil sei, geltend gemacht. Eine andere Art der Wiedergutmachung sei nicht ausreichend, weil er, der Beschwerdeführer, durch die unangemessene Verfahrensdauer in der Wahrnehmung seiner Rechte beeinträchtigt worden sei.
Wäre die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde innerhalb der als angemessen zu erachtenden Zeitspanne von einem Jahr, also im Januar 2012 ergangen, hätte er seine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schon früher als geschehen einlegen können.
Auch hätte er den zuständigen Leitenden Oberstaatsanwalt schon viel früher auf die im Nichtannahmebeschluss enthaltenen Ausführungen, wonach die technischen Gegebenheiten dem Gesetz zu folgen hätten und nicht umgekehrt, hinweisen können, um so die schon seit 2005 erstrebte Löschung seiner bei den Justizbehörden gespeicherten personenbezogenen Daten früher zu erreichen. Bis heute hätten die Justizbehörden keine Möglichkeit geschaffen, zur Vorgangsverwaltung nicht benötigte Daten aus dem elektronischen Vorgangsverwaltungssystem löschen zu können.
Schließlich habe er aus der langen Verfahrensdauer die falschen Schlüsse gezogen. Er sei, bestärkt durch seinen Rechtsbeistand, davon ausgegangen, dass eine längere Verfahrensdauer eher für den Erfolg der Verfassungsbeschwerde spreche, weil diese einer intensiven und zeitaufwendigen Befassung bedürfe; eine Nichtannahme nach langer Zeit sei unvorstellbar gewesen.
Ohne Bedeutung sei in diesem Zusammenhang, dass er aus Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht von Sachstandsanfragen abgesehen habe. Effektiver Rechtsschutz sei unabhängig von Sachstandsanfragen und Verzögerungsrüge in angemessener Zeit zu gewährleisten.
4. a) Der Berichterstatter des Verfahrens hat am 6. Oktober 2015 folgende Stellungnahme nach § 97d Abs. 1 BVerfGG abgegeben:
Das Verfassungsbeschwerdeverfahren des Beschwerdeführers habe sich durch eine erhöhte Komplexität ausgezeichnet. Deshalb habe sich die Notwendigkeit einer vertieften Auseinandersetzung sowohl mit der fachrechtlichen Ausgangslage als auch mit den verfassungsrechtlichen Maßgaben ergeben. Dies werde durch den Umstand dokumentiert, dass der Nichtannahmebeschluss mit einer Begründung versehen worden sei.
aa) Die Zurückstellung des Verfahrens sei darauf zurückzuführen, dass es im Dezernat des Berichterstatters in den vergangenen Jahren zu einer außergewöhnlichen Häufung politisch höchst bedeutsamer und äußerst umfangreicher Verfahren gekommen sei. Die Erledigung dieser vordringlichen Verfahren habe die Zurückstellung von vergleichsweise weniger umfangreichen und weniger bedeutsamen Verfahren wie dasjenige des Beschwerdeführers gerechtfertigt. Als vordringliche Verfahren aus dem Bereich des Datenschutzrechts seien die Senatsverfahren zur Vorratsdatenspeicherung (1 BvR 1299/05, BVerfGE 130, 151), zum Antiterrordateigesetz (1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277), zum BKA-Gesetz (1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09) und zum Bayerischen Polizeiaufgabengesetz sowie zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz (1 BvR 2544/08) zu nennen.
Ein weiteres Senatsverfahren von besonderer rechtspolitischer Bedeutung, das dem Verfahren des Beschwerdeführers vorzuziehen gewesen sei, habe die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten betroffen (1 BvF 1/11 und 1 BvF 4/11, BVerfGE 136, 9), das im März 2014 entschieden worden sei.
Darüber hinaus habe es aus dem Bereich des Datenschutzrechts auch wichtige Kammerentscheidungen gegeben, die vorrangig vor dem Verfahren des Beschwerdeführers behandelt worden seien.
bb) Schließlich sei nicht ersichtlich gewesen, dass das Verfahren des Beschwerdeführers (1 BvR 99/11) für ihn eine Bedeutung gehabt habe, die eine frühere Entscheidung noch vor den politisch und rechtlich besonders bedeutsamen Senatsverfahren und den anderen - auch älteren - im Dezernat anhängigen Verfahren erfordert hätte.
Das Verfahren sei binnen dreieinhalb Monaten nach Eingang der Verzögerungsrüge und unmittelbar nach Erstellung des Senatsvotums zum BKA-Gesetz entschieden worden. Ihm sei dabei Vorrang vor einer weitergehenden Votierung des Senatsverfahrens zum Bayerischen Polizeiaufgabengesetz und zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz eingeräumt worden.
b) Der Beschwerdeführer hat dazu ausgeführt, dass er im Lichte dieser Stellungnahme zwar davon abrücke, den Umfang der Verzögerung zu quantifizieren. Im Ergebnis gehe er jedoch davon aus, dass es in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren zu einer unangemessenen Verzögerung gekommen sei. Die durch den Berichterstatter angeführte Komplexität der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers erscheine als Rechtfertigung wenig geeignet, da das Bundesverfassungsgericht regelmäßig mit anspruchsvollen Fragestellungen befasst sei und diese ebenso regelmäßig binnen Jahresfrist entscheide. Auffällig sei, dass statistisch betrachtet eine signifikant kürzere Verfahrensdauer die Regel sei und dass das Verfahren kurz nach Eingang der Verzögerungsrüge habe abgeschlossen werden können. Es stelle sich die Frage, warum dem Gericht ein Vorziehen des Verfahrens - wie im Mai 2015 geschehen - nicht schon in den Jahren zuvor möglich gewesen sei.
II.
Die zulässige Verzögerungsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Wer infolge unangemessener Dauer eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt (§ 97a Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Aufgaben und der Stellung des Bundesverfassungsgerichts (§ 97a Abs. 1 Satz 2 BVerfGG). Bei der Ermittlung und Bewertung der danach relevanten Umstände ist an die Maßstäbe anzuknüpfen, die das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei der Beurteilung überlanger gerichtlicher Verfahren entwickelt haben. Allerdings ist es bei der Bewertung der Dauer verfassungsgerichtlicher Verfahren in besonderem Maße geboten, auch andere Umstände zu berücksichtigen als nur die Reihenfolge ihrer Registrierung, beispielsweise die Art der Sache sowie ihre politische und soziale Bedeutung. Verfahren, die für das Gemeinwesen von besonderer Bedeutung sind, ist Vorrang einzuräumen. Unter Berücksichtigung der Aufgaben und der Stellung der Verfassungsgerichtsbarkeit ist deshalb auch eine längere Verfahrensdauer für sich gesehen nicht ohne Weiteres unangemessen; hierfür bedarf es in der Regel außergewöhnlicher Besonderheiten.
a) aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann der verfassungsrechtlich garantierte Rechtsschutz nur dann im Sinne von Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG wirksam sein, wenn er innerhalb angemessener Zeit gewährt wird (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>).
Allerdings lassen sich dem Grundgesetz keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/05 -, NJW 2008, S. 503; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -, juris, Rn. 11). Bei dieser Abwägung müssen insbesondere die Natur des Verfahrens, die Bedeutung der Sache und die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere von ihnen zu verantwortende Verfahrensverzögerungen, sowie die gerichtlich nur begrenzt zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen, berücksichtigt werden (vgl. BVerfG
bb) In vergleichbarer Weise verpflichtet Art. 6 Abs. 1 EMRK nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Konventionsstaaten dazu, ihr Gerichtswesen so einzurichten, dass die Rechtssachen innerhalb angemessener Frist entschieden werden können (EGMR, Urteil vom 27. Juli 2000, Nr. 33379/96, Klein ./. Deutschland, Z. 42, NJW 2001, S. 213). Darüber, ob die Dauer eines Verfahrens angemessen ist, muss unter Berücksichtigung der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden und Gerichte sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer entschieden werden (EGMR, Urteil vom 2. September 2010, Nr. 46344/06, Rumpf ./. Deutschland, Z. 41, NJW 2010, S. 3355 <3356>; Urteil vom 21. Oktober 2010, Nr. 43155/08, Grumann ./. Deutschland, Z. 26, NJW 2011, S. 1055 <1056>).
b) aa) Diese für fachgerichtliche Verfahren entwickelten Regeln gelten dem Grundsatz nach auch für das Bundesverfassungsgericht, das nach Art. 92 GG Teil der rechtsprechenden Gewalt ist (vgl. BVerfGK 20, 65 <71, 72 ff.>; BVerfG
In organisatorischer Hinsicht ist beim Bundesverfassungsgericht, anders als bei den Fachgerichten, eine Kapazitätsausweitung zur Verkürzung der Verfahrensdauer als Reaktion auf gesteigerte Eingangszahlen ohne ein Eingreifen des Gesetzgebers grundsätzlich nicht möglich, da die Struktur des Gerichts durch seine Funktion bedingt und durch die Verfassung und das Bundesverfassungsgerichtsgesetz vorgegeben ist (vgl. BTDrucks 17/3802, S. 26).
Verfahrensmäßige Besonderheiten ergeben sich weiter aus der Aufgabe der verbindlichen Auslegung der Verfassung (vgl. § 31 BVerfGG), die grundsätzlich in jedem verfassungsgerichtlichen Verfahren eine besonders tiefgehende und abwägende Prüfung erfordert. Diese setzt einer Verfahrensbeschleunigung ebenfalls Grenzen (vgl. BTDrucks 17/3802, S. 26).
Schließlich kann die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung es gebieten, bei der Bearbeitung der Verfahren in stärkerem Maße als in der Fachgerichtsbarkeit andere Umstände zu berücksichtigen als nur die chronologische Reihenfolge der Eintragung in das Gerichtsregister, etwa weil Verfahren, die für das Gemeinwesen von besonderer Bedeutung sind, vorrangig bearbeitet werden müssen oder weil ihre Entscheidung von dem Ergebnis eines sogenannten Pilotverfahrens abhängig ist (vgl. BTDrucks 17/3802, S. 26; siehe auch BVerfGK 19, 110 <121>; 20, 65 <73>; BVerfG
Den organisatorischen und verfahrensmäßigen Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens trägt die Vorschrift des § 97b Abs. 1 Satz 4 BVerfGG Rechnung, nach der die Verzögerungsrüge frühestens zwölf Monate nach Eingang des Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht erhoben werden kann. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass beim Bundesverfassungsgericht jedenfalls eine Verfahrensdauer von einem Jahr keinesfalls als unangemessen anzusehen ist (vgl. BTDrucks 17/3802, S. 27).
Auch eine längere Verfahrensdauer ist für sich gesehen nicht ohne Weiteres unangemessen; hierfür bedarf es in der Regel außergewöhnlicher Besonderheiten (vgl. BVerfG
bb) Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in seiner Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 1 EMRK an, dass die Verpflichtung, Gerichte so einzurichten, dass sie Rechtssachen innerhalb angemessener Fristen entscheiden können, für ein Verfassungsgericht nicht in derselben Weise wie für ein Fachgericht ausgelegt werden kann.
Zwar kann nach dieser Rechtsprechung ein ständiger Rückstand infolge chronischer Überlastung auch beim Bundesverfassungsgericht eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000, Nr. 29357/95, Gast und Popp ./. Deutschland, Z. 78, NJW 2001, S. 211 <212>; Urteil vom 27. Juli 2000, Nr. 33379/96, Klein ./. Deutschland, Z. 29, 43, NJW 2001, S. 213 <213, 214>). Indes erfordert es die Rolle eines Verfassungsgerichts als Hüter der Verfassung, auch andere Überlegungen zu berücksichtigen als die Zeitfolge, in der Fälle registriert werden, zum Beispiel die Art der Sache und ihre politische und soziale Bedeutung (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000, Nr. 29357/95, Gast und Popp ./. Deutschland, Z. 75, NJW 2001, S. 211 <212>; Urteil vom 8. Januar 2004, Nr. 47169/99, Voggenreiter ./. Deutschland, Z. 49, 52; Urteil vom 6. November 2008, Nr. 58911/00, Leela Förderkreis e.V. u.a. ./. Deutschland, Z. 63, NVwZ 2010, S. 177 <178>; Urteil vom 22. Januar 2009, Nr. 45749/06 und 51115/06, Kaemena und Thöneböhn ./. Deutschland, Z. 64, StV 2009, S. 561 <562>; Urteil vom 4. September 2014, Nr. 68919/10, Peter ./. Deutschland, Z. 43, NJW 2015, S. 3359 <3360>).
2. Nach diesen Maßstäben war die Verfahrensdauer in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren des Beschwerdeführers nicht unangemessen.
Das beanstandete Verfahren hat vom Eingang der Verfassungsbeschwerde im Oktober 2010 bis zur Versendung des Nichtannahmebeschlusses im Juni 2015 rund vier Jahre und acht Monate gedauert. Damit war die Verfahrensdauer zwar ungewöhnlich lang (vgl. BVerfGK 20, 65 <74>: dort entsprechende Bewertung einer - im Ergebnis für nicht unangemessen befundenen - Verfahrensdauer von rund viereinhalb Jahren; siehe dazu EGMR, Urteil vom 4. September 2014, Nr. 68919/10, Peter ./. Deutschland, Z. 47, NJW 2015, S. 3359 <3360>). Sie war indes unter Berücksichtigung der Aufgaben und der Stellung des Bundesverfassungsgerichts durch Sachgründe gerechtfertigt und damit nicht unangemessen.
a) Allerdings hat der Beschwerdeführer nicht durch sein Verhalten zur Dauer des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht beigetragen. Der bloße Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt eine Verzögerungsrüge erhoben oder Sachstandsanfragen an das Bundesverfassungsgericht gerichtet hat, steht der Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer nicht entgegen. Die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Pflicht des Staates zur Gewährleistung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (vgl. nur BVerfGE 93, 1 <13> m.w.N.) erfordert es, die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen, ohne dass die Parteien oder sonst Beteiligten hierauf hinweisen müssen.
Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind die Parteien eines Rechtsstreits nicht verpflichtet, das damit befasste Gericht an seine unmittelbar aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Pflicht zur Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist zu erinnern (vgl. EGMR, Urteil vom 4. September 2014, Nr. 68919/10, Peter ./. Deutschland, Z. 43, NJW 2015, S. 3359 <3360>).
b) Die Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens war vorliegend jedoch unter Berücksichtigung der Aufgaben und der Stellung des Bundesverfassungsgerichts noch durch Sachgründe gerechtfertigt, die eine Qualifizierung der Verfahrensdauer als unangemessen im Sinne von § 97a Abs. 1 BVerfGG ausschließen. Das gilt für die Zeit bis März 2015, in der das Verfahren des Beschwerdeführers zurückgestellt war (aa), sowie für die Verfahrensdauer nach Erstellung des Votums zu dem vom Berichterstatter vorgezogenen Senatsverfahren betreffend das Gesetz über das Bundeskriminalamt (bb).
aa) (1) In dem unter anderem für das Datenschutzrecht zuständigen Dezernat des Berichterstatters, dem die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers am 19. Januar 2011 zugeschrieben wurde, waren im fraglichen Zeitraum außergewöhnlich viele Verfahren besonderen Umfangs anhängig, die politisch sehr bedeutsam waren (dazu (a)). Deren vordringliche Erledigung rechtfertigte die Zurückstellung von vergleichsweise weniger umfangreichen und weniger bedeutsamen Verfahren wie dasjenige des Beschwerdeführers (dazu (b)).
(a) Bei den vorrangig bearbeiteten Verfahren handelte es sich vornehmlich um Senatsverfahren aus dem Bereich des Datenschutzrechts, die bei Eingang der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers bereits anhängig waren.
Diese Senatsverfahren betrafen insbesondere die sogenannte Vorratsdatenspeicherung (1 BvR 1299/05, BVerfGE 130, 151 - entschieden im Januar 2012), das Antiterrordateigesetz (1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277 - entschieden im April 2013) und das Gesetz über das Bundeskriminalamt (1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09 - verhandelt im Juli 2015). Alle diese Verfahren zeichnen sich durch eine besondere Komplexität der zu überprüfenden Regelungen sowie durch ihre besondere rechtspolitische Bedeutung für das Verhältnis von grundrechtlich verbürgtem Freiheitsschutz einerseits und der Gewährleistung von Sicherheit durch den Staat im Rahmen der Bekämpfung des nationalen und internationalen Terrorismus andererseits aus.
Dabei weist das dem Verfahren des Beschwerdeführers vorgezogene - noch anhängige - Verfahren zum Gesetz über das Bundeskriminalamt, dessen Votierung im März 2015 abgeschlossen wurde, eine nochmals erhöhte, auch für ein Senatsverfahren ungewöhnliche fachrechtliche und verfassungsrechtliche Komplexität auf. Hinzu kommt eine gesteigerte rechtspolitische Bedeutung dieses Verfahrens, weil hier die Neuausrichtung des Bundeskriminalamts auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als solche und somit ein kompletter Unterabschnitt des Gesetzes und in der Konsequenz eine Vielzahl neuartiger Befugnisnormen zur Erhebung personenbezogener Daten angegriffen sind.
Ein weiteres - im April 2011 eingegangenes - Senatsverfahren von besonderer rechtspolitischer Bedeutung, das dem Verfahren des Beschwerdeführers vorgezogen und im März 2014 entschieden wurde, betraf die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ("ZDF-Verfahren", 1 BvF 1/11 und 1 BvF 4/11, BVerfGE 136, 9).
(b) Darüber hinaus gab es wichtige Verfahren, die in der zur Entscheidung berufenen Kammer des Ersten Senats vorrangig vor dem Verfahren des Beschwerdeführers behandelt wurden. Hierbei handelte es sich unter anderem um das Verfahren zur Obliegenheit des Versicherungsnehmers einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu Schweigepflichtsentbindungen im Leistungsfall (1 BvR 3167/08 -, NJW 2013, S. 3086 - entschieden im Juli 2013), ein Verfahren zur Zulässigkeit des biometrischen Passes (1 BvR 502/09 -, juris - entschieden im Dezember 2012) und ein Verfahren betreffend die Beiziehung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsakten zu Kartelldelikten in einem Zivilverfahren gegen die Kartellanten (1 BvR 3541, 3543, 3600/13 -, NJW 2014, S. 1581 - entschieden im März 2014). Zu diesen kam ein - vergleichsweise älteres - wichtiges und komplexes Verfahren (1 BvR 1199/08) aus dem Bereich des Datenschutzrechts, das die Überwachung einer Person durch den Bundesnachrichtendienst betraf.
(c) Eine anderweitige Verteilung der aufgeführten Verfahren besonderen Umfangs und besonderer Schwierigkeit auf andere Richterdezernate des Senats kam nicht in Betracht, weil diese ebenfalls stark belastet waren.
(2) Die Entscheidung des Berichterstatters, die genannten Verfahren vor dem Verfahren des Beschwerdeführers zu bearbeiten, war unter den gegebenen Umständen durch sachliche Gründe gerechtfertigt; die dadurch bedingte Verfahrensverzögerung ist mithin nicht unangemessen.
(a) Verfahrensgestaltende Befugnisse des Gerichts müssen mit Blick auf die Grundrechte der Beteiligten, insbesondere deren Recht auf effektiven Rechtsschutz, ausgeübt werden. Bei der Entscheidung darüber, welches Verfahren aufgrund welcher Maßstäbe als vorrangig einzuschätzen ist, besteht zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Verfassungsrechtsprechung aber ein erheblicher Spielraum. Dieser wird regelmäßig erst dann überschritten, wenn sich die verfahrensleitende Entscheidung nicht auf verfahrensökonomische oder sonst vorrangbegründende Sachgründe stützen lässt, sondern von sachfremden und zweckwidrigen Erwägungen getragen ist oder im Hinblick auf die besonderen Umstände des Einzelfalls unverhältnismäßig erscheint (vgl. BVerfGK 20, 65 <75> m.w.N.; BVerfG
(b) Das war hier nicht der Fall.
(aa) Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Entscheidung des Berichterstatters, das Verfahren des Beschwerdeführers zurückzustellen, aus sachfremden Erwägungen getroffen worden sein könnte. Der ursprünglich im Januar 2011 getroffenen - und vom Beschwerdeführer auch nicht in Zweifel gezogenen - Zurückstellungsentscheidung stand keine über die anhängigen Senatsverfahren hinausgehende besondere politische oder soziale Bedeutung des Verfahrens des Beschwerdeführers entgegen. Entsprechendes galt im Verhältnis zu den in der Stellungnahme des Berichterstatters genannten und durch die zuständige Kammer des Ersten Senats entschiedenen Verfahren, die - mit Ausnahme der im März 2014 entschiedenen Verfahren - überdies vergleichsweise älter waren.
(bb) Auch für den sich an den Abschluss des Verfahrens zur Vorratsdatenspeicherung im Januar 2012 anschließenden Zeitraum bis zum März 2015 war es nach den von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäben nicht geboten, der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers schon früher Vorrang nicht nur vor den verbliebenen - meist älteren - politisch und rechtlich besonders bedeutsamen Senatsverfahren, sondern auch vor allen anderen im Dezernat anhängigen Verfahren einzuräumen.
(α) Der Beschwerdeführer meint, dem bloßen Umstand der Nichtannahme seiner Verfassungsbeschwerde entnehmen zu können, die zur Entscheidung berufene Kammer habe sich nicht substanziell mit der Sache befassen müssen. Deshalb habe sein Verfahren bei ordnungsgemäßer Sachbearbeitung binnen Jahresfrist erledigt werden können, zumal auch statistisch betrachtet vor dem Bundesverfassungsgericht eine signifikant kürzere Verfahrensdauer die Regel sei.
Die dieser Annahme zugrunde liegende Unterstellung des Beschwerdeführers, ein nicht zur Entscheidung angenommenes Verfahren sei einfach, bedürfe deshalb keiner substanziellen inhaltlichen Prüfung und sei somit schnell zu erledigen, ist unzutreffend. Der Beschwerdeführer verkennt, dass die bloße Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde als solche für einen Rückschluss dieses Inhalts keine tragfähige Grundlage bietet. Vorliegend wird überdies die Unterstellung des Beschwerdeführers dadurch widerlegt, dass der Nichtannahmebeschluss mit einer - gesetzlich nicht gebotenen (vgl. § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG) - Begründung versehen wurde, was zuletzt im Jahr 2014 senatsübergreifend in 217 und somit in 3,58 % der insgesamt 6.062 durch Nichtannahmebeschluss der Kammern abgeschlossenen Verfassungsbeschwerdeverfahren der Fall war (vgl. Jahresstatistik 2014, S. 18 unter III. 1. a) aa)). Das hebt das Verfahren des Beschwerdeführers - ungeachtet seines Ausgangs - rein statistisch gesehen aus der Vielzahl von Verfahren heraus. Darüber hinaus dokumentiert die Begründung des Nichtannahmebeschlusses, dass die zur Entscheidung berufene Kammer - entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers - sich mit dem Verfahren und den darin aufgeworfenen Rechtsfragen substanziell auseinandergesetzt hat.
(β) Im Übrigen war eine besondere, der Zurückstellung entgegenstehende subjektive Bedeutung der Verfassungsbeschwerde nicht ersichtlich. Ausweislich der - insoweit unwidersprochen gebliebenen - Stellungnahme des Berichterstatters begehrt der Beschwerdeführer in der Sache vor allem die Löschung von Daten, die im Verfahrensregister der Staatsanwaltschaft gespeichert und - wie sich aus den dem Gericht vorgelegten Unterlagen ergibt - vor Missbrauch besonders gesichert sind. So ist an der Archivierung nicht beteiligten Beschäftigten der Staatsanwaltschaft der Zugriff auf diese Daten von ihrem Computer aus nicht möglich. Auch die Aufstellung der den Beschwerdeführer betreffenden Akten kann in der Staatsanwaltschaft nicht ausgedruckt werden. Der Zweck der Datenspeicherung ist eng begrenzt, und es ist nicht ersichtlich, dass auf diese Daten konkret zugegriffen werden soll. Letzteres gilt auch für die an das Landesarchiv übermittelten Daten, deren Nutzung überdies von speziellen Voraussetzungen abhängig ist.
Nach alledem erweist sich die Zurückstellung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens des Beschwerdeführers bis März 2015 als durch Sachgründe gerechtfertigt.
bb) Der Grund für die Zurückstellung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens des Beschwerdeführers entfiel ausweislich der Stellungnahme des Berichterstatters mit der Fertigstellung des Votums im Verfahren zum Gesetz über das Bundeskriminalamt am 17. März 2015.
Der nachfolgende Zeitraum bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens des Beschwerdeführers am 13. Mai 2015 ist auch unter Berücksichtigung der Pflicht, aufgelaufene Zeiten mit zunehmender Verfahrensdauer durch besonders zügige Förderung des Verfahrens wenigstens teilweise zu kompensieren (vgl. nur BVerfG