Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 25.02.2016


BVerfG 25.02.2016 - 1 BvR 1042/15

Nichtannahmebeschluss: erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen Anwendung des § 146 S 1 StPO (Verbot der Mehrfachverteidigung) im anwaltsgerichtlichen Verfahren gem § 74a Abs 2 S 2 BRAO - zur Frage der Zulässigkeit der Beschwerde (§§ 304ff StPO) gegen Zwischenentscheidungen im berufsgerichtlichen Verfahren gem § 74a BRAO - hier: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Darlegung der Rechtswegerschöpfung (§§ 90 Abs 2, 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG)


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat 2. Kammer
Entscheidungsdatum:
25.02.2016
Aktenzeichen:
1 BvR 1042/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20160225.1bvr104215
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
Vorinstanz:
vorgehend Anwaltsgericht Dresden, 9. April 2015, Az: SAG I 11/13 - C I.370/2011, Beschluss
Zitierte Gesetze
§§ 304ff StPO

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Anwaltsgerichts, mit dem er in einem Verfahren nach § 74a Bundesrechtsanwaltsordnung (im Folgenden: BRAO) wegen verbotener Mehrfachvertretung als Verteidiger zurückgewiesen wurde.

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1. In einem Verfahren auf anwaltsgerichtliche Entscheidung gemäß § 74a BRAO war der Beschwerdeführer von fünf Rechtsanwälten als Verteidiger beauftragt worden. Die Mandanten arbeiteten in einer Partnerschaftsgesellschaft zusammen und hatten in einer Tageszeitung Werbeanzeigen veröffentlicht, die nach Auffassung der zuständigen Rechtsanwaltskammer berufsrechtliche Bestimmungen (§ 43b BRAO, § 6 Berufsordnung) missachteten. Nach entsprechender Beschlussfassung des Vorstands der Rechtsanwaltskammer wurde gegenüber jedem der Rechtsanwälte mit gesonderten, gleichlautenden Bescheiden eine berufsrechtliche Rüge ausgesprochen. Mit der betreffenden Kanzleiwerbung hätten sie die ihnen obliegenden Berufspflichten verletzt.

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Nach Zurückweisung der Einsprüche gegen die Rügebescheide hat der Beschwerdeführer als Verteidiger der fünf Rechtsanwälte die Entscheidung des Anwaltsgerichts beantragt. Daraufhin erteilte das Anwaltsgericht den ausführlich begründeten Hinweis, dass es einen Ausschluss des Beschwerdeführers als Verteidiger in Betracht ziehe, weil dieser mit der Vertretung der betroffenen fünf Rechtsanwälte gegen das in § 146 Satz 1 Strafprozessordnung (StPO) geregelte und auch hier anwendbare Verbot der Mehrfachverteidigung verstoße.

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Nachdem der Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und der Auffassung des Anwaltsgerichts widersprochen hatte, hat ihn das Anwaltsgericht durch den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss als Verteidiger zurückgewiesen. Das Verbot der Mehrfachverteidigung aus § 146 Satz 1 StPO finde aufgrund der Verweisung in § 74a Abs. 2 Satz 2 BRAO auch im vorliegenden Verfahren Anwendung. Dem stehe nicht entgegen, dass § 74a Abs. 2 Satz 2 BRAO ausdrücklich nur auf die das Beschwerdeverfahren der Strafprozessordnung betreffenden Vorschriften verweise, denn diese regelten das Beschwerdeverfahren insgesamt nicht abschließend. Auch die allgemeinen Vorschriften der Strafprozessordnung kämen zur Anwendung. Die Eigenheiten des Verfahrens nach der Bundesrechtsanwaltsordnung stünden einer Anwendung von § 146 Satz 1 und § 146a Abs. 1 Satz 1 StPO nicht entgegen. Das Verbot der Mehrfachverteidigung solle den Beschuldigten davor schützen, dass der Verteidiger in einen Interessenwiderstreit gerate und seine Beistandsfunktion beeinträchtigt werde. Die Rechtsprechung wende das Mehrfachverteidigungsverbot daher auch in Disziplinarangelegenheiten an. In berufsrechtlichen Verfahren, die gegen mehrere Rechtsanwälte wegen des gleichen Sachverhalts eingeleitet worden seien, bestehe gleichfalls die Gefahr der Interessenkollision. Gründe hierfür könnten etwa unterschiedliche persönliche Verantwortlichkeiten, verschiedene Verfahrens- und Verteidigungsstrategien, ein individuell unterschiedlicher Schweregrad der Berufspflichtverletzung oder differenzierte beziehungsweise abgestufte berufsrechtliche Maßnahmen sein.

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2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG sowie der Sache nach auch eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG.

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Das Verbot der Mehrfachverteidigung aus § 146 Satz 1 StPO finde vorliegend keine Anwendung, weil es nur um die Überprüfung einer schlichten Verwaltungsentscheidung der Rechtsanwaltskammer gehe. Schon aus rechtsstaatlichen Gründen sei der Versuch des Anwaltsgerichts, eine sinngemäße Anwendung des § 146 StPO auf das Verfahren nach § 74a BRAO zu rechtfertigen, angesichts des Fehlens einer eindeutig bestimmten Rechtsgrundlage für eine Zurückweisung als Verteidiger unhaltbar. Das Gericht habe bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften die Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG verkannt. Die Zurückweisung stelle einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dar, der nicht gerechtfertigt erscheine. Eine Interessenkollision oder eine sonstige Gefahr für die Unabhängigkeit des Beschwerdeführers lägen nicht vor. Der Sachverhalt sei in allen Fällen gleich und es gehe um denselben Vorwurf. Das Bundesverfassungsgericht habe in einer früheren Entscheidung das Recht der Rechtsanwälte zur Selbsteinschätzung von Konfliktsituationen betont. Die Zurückweisung sei jedenfalls mangels Gemeinwohlerforderlichkeit unverhältnismäßig.

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3. Der Bundesregierung, der Regierung des Freistaats Sachsen, der Rechtsanwaltskammer Sachsen, der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Deutschen Anwaltverein e.V. ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

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a) Die Rechtsanwaltskammer Sachsen hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig, aber unbegründet. Der Beschwerdeführer übersehe, dass § 74a Abs. 2 Satz 2 BRAO sinngemäß zwar nur auf die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Beschwerde verweise. Jedoch seien auch im Rahmen der Beschwerde die allgemeinen Vorschriften des Ersten Buches der Strafprozessordnung (§§ 1 bis 149 StPO) zu berücksichtigen. Um einen reibungslosen Ablauf im anwaltsgerichtlichen Verfahren sicherzustellen, sei auch ein Rückgriff auf diese Verfahrensvorschriften erforderlich. Nach der Rechtsprechung gelte in Disziplinarverfahren grundsätzlich das Mehrfachverteidigungsverbot. Die eine anwaltliche Rüge betreffenden anwaltsgerichtlichen Verfahren seien mit einem Disziplinarverfahren vergleichbar. Dieser Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers sei durch das öffentliche Interesse und durch das Interesse der vom Rügeverfahren betroffenen Rechtsanwälte an der Vermeidung von Interessenkollisionen gerechtfertigt.

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b) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Zwar sei die Anwendbarkeit des § 146 StPO in dem Verfahren auf anwaltsgerichtliche Entscheidung gegen Rügebescheide der Rechtsanwaltskammer nicht bereits wegen des Wortlauts des § 74a Abs. 2 Satz 2 BRAO ausgeschlossen; denn diese Bestimmung könne durchaus dahingehend verstanden werden, dass grundsätzlich alle Vorschriften sinngemäß anzuwenden seien, die nach der Strafprozessordnung im Beschwerdeverfahren Anwendung finden könnten. Bei der sinngemäßen Anwendung sei aber vor allem zu berücksichtigen, dass das Beschwerdeverfahren nach den §§ 304 ff. StPO einen anderen Gegenstand habe als das Antragsverfahren nach § 74a BRAO. Letzteres betreffe nur eine behördliche Entscheidung. Das Verfahren habe auch nach dem Willen des Gesetzgebers nur Bagatellcharakter. Der in der Entscheidung des Anwaltsgerichts liegende Eingriff in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers sei unverhältnismäßig und verstoße daher gegen Verfassungsrecht. Der Rügebescheid sei weder mit einer finanziellen Belastung noch mit irgendwelchen Nebenfolgen verbunden.

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c) Der Deutsche Anwaltverein e.V. hält die Verfassungsbeschwerde ebenfalls für begründet. Die Auslegung des Anwaltsgerichts, wonach die Verweisung in § 74a Abs. 2 Satz 2 BRAO auch die Regelungen in §§ 146 und 146a StPO erfasse, verstoße gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot und schränke die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers unangemessen ein. Aufgrund des Bagatellcharakters der Rüge sei ein Mehrfachverteidigungsverbot nicht erforderlich. Anders als das Anwaltsgericht meine, seien über die Verweisung auf die §§ 304 ff. StPO nicht die übrigen Vorschriften der Strafprozessordnung erfasst. Dies ergebe bereits ein Vergleich mit sonstigen Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung, in denen insgesamt die Strafprozessordnung ergänzend für anwendbar erklärt werde. Da dies vorliegend nicht geschehen sei, scheide im Umkehrschluss eine Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften der Strafprozessordnung aus.

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4. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist.

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1. Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gehört die Darlegung, dass dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) genügt ist (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfGK 18, 152 <153>). Die Beschwerdebegründung lässt dies nicht erkennen.

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a) Nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde von der vorherigen Erschöpfung des Rechtswegs abhängig. Ein Beschwerdeführer muss zunächst die ihm gesetzlich zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe ergreifen und den nach den jeweiligen Verfahrensordnungen eröffneten Instanzenzug durchlaufen (vgl. BVerfGE 4, 193 <198>; 8, 222 <225 f.>; 31, 364 <368>; 68, 376 <380>). Durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte sollen dem Bundesverfassungsgericht ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Fachgerichte vermittelt werden (vgl. BVerfGE 8, 222 <227>; 9, 3 <7>; 68, 376 <380>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 17. April 2015 - 1 BvR 3276/08 -, juris, Rn. 9). Zugleich entspricht es der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte selbst Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen gewähren und etwaige im Instanzenzug auftretende Fehler durch Selbstkontrolle beheben (vgl. BVerfGE 47, 182 <191>; 68, 376 <380>).

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Offensichtlich unzulässige Rechtsmittel gehören dabei nicht zum Rechtsweg (vgl. BVerfGE 68, 376 <380>; 91, 93 <106>; 107, 299 <308 f.>). Ist jedoch zweifelhaft, ob ein Rechtsmittel statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann, so muss der Beschwerdeführer vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG von einem solchen Rechtsmittel grundsätzlich Gebrauch machen (vgl. BVerfGE 16, 1 <2 f.>; 91, 93 <106>). In diesen Fällen ist es grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte, über streitige oder noch offene Zulässigkeitsfragen nach einfachem Recht unter Berücksichtigung der hierzu vertretenen Rechtsansichten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 68, 376 <381>; 70, 180 <185>). Es würde ihrer Funktion zuwiderlaufen, wenn die Verfassungsbeschwerde anstelle oder wahlweise neben einem möglicherweise statthaften Rechtsmittel zugelassen wäre (vgl. BVerfGE 1, 5 <6>; 1, 97 <103>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 17. April 2015 - 1 BvR 3276/08 -, juris, Rn. 10).

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b) Hiernach ist es geboten und dem Beschwerdeführer auch zumutbar, vor der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde die Statthaftigkeit weiterer einfachrechtlicher Rechtsbehelfe sorgfältig zu prüfen und von ihnen auch Gebrauch zu machen, wenn sie nicht offensichtlich unzulässig sind. Wird das Rechtsmittel als unzulässig verworfen, weil die Gerichte die umstrittene Zulässigkeitsfrage zuungunsten des Beschwerdeführers beurteilen, bleibt es ihm unbenommen, nach Ergehen einer letztinstanzlichen Entscheidung fristgerecht Verfassungsbeschwerde einzulegen und etwaige Grundrechtsverletzungen durch eine vorangegangene Sachentscheidung zu rügen (vgl. BVerfGE 68, 376 <381>). Diesen Anforderungen hat der Beschwerdeführer nicht genügt; denn zu der hier maßgeblichen Frage, ob gegen eine Zwischenentscheidung eines Anwaltsgerichts in einem Verfahren zur Überprüfung einer Rüge nach § 74a BRAO ein Rechtsmittel statthaft ist, liegt eine gefestigte fachgerichtliche Rechtsprechung nicht vor.

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Zur Darlegung des Zulässigkeitskriteriums der Rechtswegerschöpfung nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG beruft sich der Beschwerdeführer lediglich auf eine Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs Celle vom 18. November 2014 (AGH 1/14 , juris). In diesem Verfahren hatte das Anwaltsgericht den Antragsteller als Verteidiger in einem Verfahren nach § 74a BRAO unter Anwendung von § 138 Abs. 1 StPO zurückgewiesen, weil er kein Rechtslehrer nach § 138 Abs. 1 StPO sei. Dagegen wandte sich der Vertreter mit der Beschwerde an den Anwaltsgerichtshof, der daraufhin unter Berücksichtigung einer Entscheidung des Ehrengerichtshofs Hamm (Beschluss vom 10. November 1982 - <2> 6 EVY 12/81 -, BRAK-Mitt. 2/1983, S. 90 f.) die Statthaftigkeit der Beschwerde verneinte, weil die allgemeinen Vorschriften der Strafprozessordnung nicht anwendbar seien und auch die in § 138d Abs. 6 Satz 1 StPO vorgesehene Beschwerdemöglichkeit nicht zum Tragen komme.

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Allein die Berufung auf diese Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs Celle ist zur Darlegung des Zulässigkeitskriteriums der Rechtswegerschöpfung nicht ausreichend. Der Beschwerdeführer lässt bereits außer Acht, dass die Überzeugungskraft der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs insoweit gemindert sein könnte, als sich das Gericht auch mit der Statthaftigkeit einer sofortigen Beschwerde nach § 138d Abs. 6 Satz 1 StPO befasst hat, obgleich diese Bestimmung schon ihrem Wortlaut nach auf den dort gegebenen Fall der Zurückweisung eines Verteidigers nach § 138 StPO nicht einschlägig sein kann.

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Vor allem aber hat sich der Beschwerdeführer nicht mit der im Übrigen vorhandenen Rechtsprechung der Anwaltsgerichtshöfe auseinandergesetzt, die sich mit der Anwendung von allgemeinen Vorschriften der Strafprozessordnung und insbesondere mit der Statthaftigkeit von Beschwerden gegen Zwischenentscheidungen der Anwaltsgerichte in Verfahren nach § 74a BRAO befasst und damit auch hier einschlägig sein kann. So hat der Beschwerdeführer nicht beachtet, dass der Anwaltsgerichtshof Hamm die Statthaftigkeit einer sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Befangenheitsgesuchs gegen den erkennenden Richter eines Anwaltsgerichts bejaht hat (Beschluss vom 6. Mai 2011 - 2 AGH 67/10 -, juris). In zwei anderen Fällen, in denen es ebenfalls um eine gegen die Zurückweisung von Befangenheitsgesuchen gerichtete Beschwerde ging, hat der Anwaltsgerichtshof Hamm dieses Rechtsmittel zwar als unzulässig angesehen; aus den Begründungen folgt indessen, dass dies allein aus der entsprechenden Anwendung des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO folgen soll, wonach die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs gegen einen erkennenden Richter nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden kann (Beschlüsse vom 12. April 2013 - 2 AGH 21/12 und 2 AGH 22/12 -, juris). Demnach ist der Anwaltsgerichtshof auch hier davon ausgegangen, dass Beschwerden gegen Zwischenentscheidungen des Anwaltsgerichts in einem Verfahren nach § 74a BRAO entsprechend den allgemeinen Vorschriften der Strafprozessordnung statthaft sind.

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Auch wenn in der Literatur die Anwendung der allgemeinen Vorschriften der Strafprozessordnung für das anwaltsgerichtliche Verfahren nach § 74a BRAO weitgehend abgelehnt wird (vgl. Hartung, in: Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014; § 74a Rn. 12; Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl. 2015, § 74a Rn. 3 ff.; Lauda, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 74a Rn. 9; Weyland, in: Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl. 2016, § 74a Rn. 7 und 15, wobei dieser dennoch die §§ 22 ff. StPO ausdrücklich für anwendbar erklärt), lässt sich angesichts der divergierenden Rechtsprechung ein einheitliches Meinungsbild zur Reichweite der Verweisung in § 74a Abs. 2 Satz 2 BRAO nicht feststellen. Der schlichte Hinweis des Beschwerdeführers auf Literaturstellen zur Nichtanwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften der Strafprozessordnung und eine damit einhergehende Unstatthaftigkeit der Beschwerde gegen Zwischenentscheidungen des Anwaltsgerichts greift daher zu kurz.

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Der Beschwerdeführer war vielmehr gehalten, zunächst den Anwaltsgerichtshof - etwa mit der (unbefristeten) Beschwerde entsprechend §§ 304 ff. StPO - anzurufen. An dieser Bewertung ändert auch der Umstand nichts, dass nicht unmittelbar gesetzlich geregelt ist, auf welcher Grundlage eine Beschwerde zum Anwaltsgerichtshof erhoben werden könnte. Der Anwaltsgerichtshof Hamm hat sich hierfür in seiner Entscheidung vom 6. Mai 2011 (a.a.O.) auf die Verweisung in § 116 BRAO - im konkreten Fall auf die speziellere Regelung in §§ 24, 28 StPO - gestützt, während sich in seinen Beschlüssen vom 12. April 2013 (a.a.O.) dazu keine ausdrücklichen Feststellungen finden. Da es aber Aufgabe der Fachgerichte ist, über streitige oder noch offene Zulässigkeitsfragen nach einfachem Recht unter Berücksichtigung der hierzu vertretenen Rechtsauffassungen zu entscheiden (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 68, 376 <381>), ist dies für die Frage der Rechtswegerschöpfung unerheblich.

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2. Mit Blick auf die Fortsetzung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens ist allerdings der Hinweis angebracht, dass erhebliche Bedenken bestehen, ob es sich mit der verfassungsrechtlich garantierten Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers (Art. 12 Abs. 1 GG) vereinbaren lässt, ihn aufgrund des Verweises in § 74a Abs. 2 Satz 2 BRAO entsprechend § 146 Satz 1, § 146a Abs. 1 StPO als Verteidiger im anwaltsgerichtlichen Verfahren auszuschließen und insoweit an beruflicher Tätigkeit zu hindern.

23

Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers, die mit der Entscheidung des Anwaltsgerichts über seinen Ausschluss als Verteidiger verbunden ist, kann unter Berücksichtigung des mit § 146 Satz 1 StPO verfolgten Gemeinwohlziels verfassungsrechtlich schwerlich gerechtfertigt sein. Legitimer Zweck des Verbots der Mehrfachverteidigung ist es, Interessenkollisionen zu vermeiden, um die Beistandsfunktion des Verteidigers, die es auch im öffentlichen Interesse zu wahren gilt, nicht zu beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 45, 354 <358>). Für die Bedeutung dieses Gemeinwohlziels ist im vorliegenden Verfahren zu beachten, dass es nicht um die Aufklärung und Ahndung eines schuldhaften Verhaltens geht, das eine Strafe oder auch nur annähernd vergleichbare Sanktion - wie etwa im Fall einer Disziplinarmaßnahme oder einer Ordnungswidrigkeit - nach sich ziehen könnte. Zu entscheiden ist lediglich über die Berechtigung einer Rüge, die vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer ausgesprochen wurde. Es handelt sich um eine nur aufsichtsrechtliche Maßnahme, deren Gehalt als Sanktion sich bereits in dem Ausdruck der Missbilligung des Verhaltens eines Rechtsanwalts erschöpft.

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Dementsprechend hat der mit dem Ausspruch einer Rüge verbundene Grundrechtseingriff für den von ihr betroffenen Rechtsanwalt kein erhebliches Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 29. November 1999 - 1 BvR 2284/98 u.a. -, juris). Dies ist auch für die Auslegung des Verfahrensrechts und die Anwendbarkeit des § 146 Satz 1 StPO im anwaltsgerichtlichen Verfahren von Bedeutung; denn für die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit des Verteidigers kommt es auch auf die Gewichtigkeit der Sanktion an, die dem Mandanten droht und gegen die ihn der Rechtsanwalt verteidigen soll (vgl. BVerfGE 45, 272 <290>). Ist das Gewicht der drohenden Sanktion gering, wie hier durch die allenfalls mögliche Bestätigung der ausgesprochenen Rüge, so spricht dies gegen die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers. Hinzu kommt, dass Interessengegensätze zwischen den Mandanten nicht zu erkennen sind. Diese Grundsätze sind auch für die im Ausgangsverfahren zur Entscheidung berufenen Gerichte maßgeblich; denn auch der Richter, der bei Auslegung des einfachen Rechts zu Einschränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung gelangt, ist an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG auch den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken (vgl. BVerfGE 54, 224 <235>).

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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.