Entscheidungsdatum: 26.06.2013
Reicht der Beschwerdeführer nach Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in einem Familienstreitverfahren mit einem Wiedereinsetzungsgesuch die von ihm unterschriebene, mit einer Begründung versehene und an das Amtsgericht adressierte Beschwerdeschrift nebst Überstücken beim Beschwerdegericht ein, so ist dieses im Zweifel gehalten, die Beschwerde an das gemäß § 64 Abs. 1 FamFG zuständige Amtsgericht weiterzuleiten (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 17. August 2011, XII ZB 50/11, FamRZ 2011, 1649).
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 4. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 1. Februar 2013 aufgehoben.
Der Antragsgegnerin wird Wiedereinsetzung in die Fristen zur Einlegung und Begründung der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 6. September 2012 gewährt.
Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Antragsgegnerin wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. M. beigeordnet.
Beschwerdewert: 4.898 €.
I.
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde und begehrt die Wiedereinsetzung in die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist.
Das Amtsgericht hat mit dem der Antragsgegnerin am 18. September 2012 zugestellten Beschluss die Ehe der Beteiligten geschieden und der Antragsgegnerin einen nachehelichen Unterhalt von monatlich 161,82 €, befristet auf zwei Jahre, zugesprochen.
Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten, der am 15. Oktober 2012 beim Amtsgericht eingegangen ist, hat die Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens beantragt. Das Beschwerdegericht hat ihr teilweise Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Der Beschluss ist der Antragsgegnerin am 18. Dezember 2012 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom selben Tag hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin wegen Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Dem Schriftsatz, der beim Oberlandesgericht am 19. Dezember 2012 eingegangen ist, war eine an das Amtsgericht adressierte, von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin unterschriebene Beschwerdeschrift nebst Begründung mit entsprechenden Überstücken "zum Zwecke der Zustellung beigefügt".
Der Vorsitzende des Beschwerdesenats hat nach Vorlage dieses Schriftsatzes am 19. Dezember 2012 eine Frist zur Wiedervorlage von einer Woche verfügt und dabei vermerkt: "(Eingang Beschwerde beim Amtsgericht Bonn?)". Nachdem in der Wiedereinsetzungsfrist keine Beschwerde beim Amtsgericht eingegangen war, hat das Beschwerdegericht den Antrag der Antragsgegnerin, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts zu bewilligen, abgelehnt und ihre Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
Auf das Beschwerdeverfahren sind die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586 - FamFG) anzuwenden. Zwar ist das Scheidungsverfahren noch vor dem 1. September 2009 i.S.v. Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG eingeleitet worden. Jedoch ist in der Folgesache Versorgungsausgleich am 31. August 2010 im ersten Rechtszug noch keine Endentscheidung erlassen worden, so dass gemäß Art. 111 Abs. 5 FGG-RG nicht nur auf dieses, sondern auch auf die hiermit im Verbund stehenden Scheidungs- und Folgesachen ab dem 1. September 2010 die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden sind.
1. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 2 und 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Annahme des Beschwerdegerichts, es sei zu einer Weiterleitung der Beschwerde an das zuständige Amtsgericht nicht verpflichtet gewesen, weshalb der Antragsgegnerin wegen der mittlerweile eingetretenen Fristversäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei, verletzt die Antragsgegnerin in ihrem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 17. August 2011 - XII ZB 50/11 - FamRZ 2011, 1649 Rn. 6 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Beschwerdegericht hätte der Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen und deshalb die Beschwerde nicht als unzulässig verwerfen dürfen.
a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Vorliegend sei die versäumte Rechtshandlung nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt worden. Mit dem Zugang des VKH-Beschlusses bei ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 18. Dezember 2012 sei das Hindernis zur Einlegung der Beschwerde entfallen. Die Antragsgegnerin hätte deshalb bis spätestens zum 2. Januar 2013 gemäß § 64 Abs. 1 FamFG beim Amtsgericht Beschwerde einlegen müssen. Durch den Eingang des Schriftsatzes ihrer Bevollmächtigten vom 18. Dezember 2012 beim Oberlandesgericht sei die Beschwerde nicht wirksam eingelegt worden, weil es als Beschwerdegericht hierfür nicht der richtige Adressat sei.
Das Beschwerdegericht sei auch nicht aus Gründen der prozessualen Fürsorgepflicht gehalten gewesen, den Beschwerdeschriftsatz an das Amtsgericht weiterzuleiten oder zumindest bei der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin nachzufragen, ob die Beschwerde auch beim Amtsgericht eingelegt worden sei. Dies gelte auch im Lichte der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. August 2011 (XII ZB 50/11). Danach bestehe eine Verpflichtung des Beschwerdegerichts zur Weiterleitung einer bei ihm zu Unrecht eingelegten Beschwerde an das zuständige Gericht, wenn die Unzuständigkeit "ohne Weiteres" erkennbar sei. Gerade das sei hier nicht der Fall gewesen. Die Beschwerdeschrift sei - zutreffend - an das Amtsgericht Bonn adressiert gewesen, so dass davon auszugehen gewesen sei, dass der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin § 64 Abs. 1 FamFG bekannt gewesen sei und sie diese Bestimmung auch im konkreten Fall habe beachten wollen. Es sei auch nicht davon auszugehen gewesen, dass die Beschwerdeschrift versehentlich nur beim Oberlandesgericht eingelegt worden sei. Der Beschwerdeschriftsatz sei Anlage zu einem Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist gewesen. Hierfür sei das Oberlandesgericht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch der richtige Adressat gewesen. Die Beifügung sei "zum Zwecke der Zustellung" erfolgt. Auch das habe bei gleichzeitiger Beschwerdeeinlegung beim Amtsgericht Sinn gemacht, weil die Zustellung der Beschwerdebegründung üblicherweise damit verbunden werde, dass vom Beschwerdegericht eine Erwiderungsfrist gesetzt werde. Es entspreche deshalb der Erfahrung des Beschwerdegerichts, dass die Beschwerdeschrift in derartigen Konstellationen, in denen sich die Akte aufgrund vorangegangener Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ohnehin bei ihm befunden habe, parallel sowohl beim Amtsgericht - zur Wahrung des § 64 Abs. 1 FamFG - als auch beim Beschwerdegericht - zur Zustellung und Fristsetzung - eingereicht werde. Es habe keinen Anlass gegeben, in diesem Fall von etwas anderem auszugehen.
b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
aa) Anders als in Fällen, in denen fristgebundene Rechtsmittelschriftsätze irrtümlich bei dem im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache bereits befassten Gericht eingereicht werden, besteht zwar keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts "ohne Weiteres" bzw. "leicht und einwandfrei" zu erkennen ist (Senatsbeschluss vom 17. August 2011 - XII ZB 50/11 - FamRZ 2011, 1649 Rn. 22 ff.).
Ergreift das angerufene Gericht in diesem Fall keine fristwahrenden Maßnahmen, obgleich der Schriftsatz bei ihm so frühzeitig eingegangen ist, dass die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Gericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres hätte erwartet werden können, wirkt sich das Verschulden des Rechtsmittelführers oder seines Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. August 2011 - XII ZB 50/11 - FamRZ 2011, 1649 Rn. 22 ff. und - zum umgekehrten Fall, dass das Rechtsmittel beim Ausgangsgericht eingelegt worden ist - vom 19. Dezember 2012 - XII ZB 61/12 - FamRZ 2013, 436 Rn. 9 mwN).
bb) Gemessen hieran war das Beschwerdegericht gehalten, das Original der Beschwerdeschrift an das Amtsgericht weiterzuleiten.
Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat in der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Wiedereinsetzungsantrag hinsichtlich der Versäumung der Einlegungsfrist gestellt und die bereits mit einer Begründung versehene, an das Amtsgericht adressierte Beschwerdeschrift schuldhaft i.S.v. § 85 Abs. 2 ZPO beim Oberlandesgericht eingereicht. Bei ordnungsgemäßer Verfahrensführung hätte sie bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen einerseits die Beschwerde beim Amtsgericht einlegen und andererseits beim Oberlandesgericht Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist beantragen müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 17. August 2011 - XII ZB 50/11 - FamRZ 2011, 1649 Rn. 15). Anschließend hätte sie bis zum 18. Januar 2013 die Beschwerdebegründung beim Oberlandesgericht einreichen und dort zugleich Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragen müssen.
Das der Antragsgegnerin zuzurechnende Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten wirkt sich wegen der unterblieben Weiterleitung indes nicht mehr aus. Zwar mag es sein, dass sich wegen der hier bestehenden, besonderen Anforderungen an das Verfahren seitens der Anwälte eine Übung herausgebildet hat, wonach diese die - bereits mit einer Begründung versehene - Beschwerdeschrift sowohl beim Ausgangsgericht als auch beim Beschwerdegericht einreichen. Das ändert hingegen nichts daran, dass das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall gehalten war, die - zutreffend - an das Amtsgericht adressierte Beschwerdeschrift im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterzuleiten. Gegen die Annahme des Oberlandesgerichts, wonach die bei ihm eingereichte Beschwerdeschrift wegen der darin enthaltenen Begründung auch für das Rechtsmittelgericht bestimmt gewesen und ein entsprechender Schriftsatz beim Amtsgericht eingegangen sei, spricht schon der Umstand, dass die Beschwerde nicht - wie in diesem Fall zu erwarten - an das Oberlandesgericht adressiert war. Außerdem hätte es dann nahegelegen, dass die Antragsgegnerin nicht nur, wie geschehen, Wiedereinsetzung in die Einlegungsfrist, sondern auch in die - am 18. Dezember 2012 bereits abgelaufene - Begründungsfrist beantragt hätte.
Hätte das Oberlandesgericht die bei ihm am 19. Dezember 2012 eingereichte Beschwerdeschrift an das Amtsgericht weitergeleitet, wäre diese in der erst am 2. Januar 2013 abgelaufenen Wiedereinsetzungsfrist beim Amtsgericht eingegangen, so dass sich das Verschulden der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin im Ergebnis nicht auswirkt.
III.
Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 2 und 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben.
Soweit es die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anbelangt, kann der Senat selbst abschließend entscheiden (vgl. § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO), weil die hierfür erforderlichen Feststellungen getroffen sind und die Frage der Ursächlichkeit des Verschuldens lediglich auf einer rechtlichen Bewertung beruht.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Nedden-Boeger