Entscheidungsdatum: 19.12.2012
Zur rechtzeitigen Weiterleitung einer Rechtsmittelschrift durch das unzuständige Gericht.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. Januar 2012 wird auf Kosten des Beklagten verworfen.
Wert: 21.456 €
I.
Der Beklagte ist durch am 10. Oktober 2011 zugestelltes Schlussurteil des Amtsgerichts zur Zahlung von Trennungsunterhalt verurteilt worden. Mit einem am 5. November 2011 (Samstag) beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte "Beschwerde" gegen das Schlussurteil eingelegt. Die zuständige Richterin hat am 8. November 2011 den Verfahrenswert festgesetzt und gleichzeitig verfügt, die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Beschwerde zu übersenden, was von der Geschäftsstelle am selben Tag veranlasst worden ist. Die Rechtsmittelschrift ist mit der Verfahrensakte am 11. November 2011 beim Oberlandesgericht eingegangen. Nach einem Hinweis auf die Fristversäumung hat der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das Oberlandesgericht hat das von ihm als Berufung behandelte Rechtsmittel verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 10).
Die nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil es an einem Zulassungsgrund gemäß § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.
1. Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts ist die Fristversäumung nicht unverschuldet, weil die Rechtsmittelschrift nicht beim Oberlandesgericht eingelegt worden ist. Der Kausalzusammenhang sei auch nicht durch ein Versäumnis des Gerichts unterbrochen worden. Vielmehr entspreche der zeitliche Ablauf bis zum Eingang der Berufungsschrift beim Oberlandesgericht dem üblichen Geschäftsgang. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass das Rechtsmittel nicht an ein erkennbar unzuständiges Gericht adressiert gewesen sei, da eine Beschwerde in Familiensachen aufgrund der seit dem 1. September 2009 geltenden Rechtslage tatsächlich beim Amtsgericht einzureichen gewesen wäre. Zur näheren Prüfung der Rechtsmittelschrift auf inhaltliche Richtigkeit oder einen drohenden Fristablauf sei das Amtsgericht nicht verpflichtet gewesen. Die Weiterleitung sei innerhalb des normalen Geschäftsgangs erfolgt und auch eine überlange Postlaufzeit für die Weiterleitung, auf die es im Übrigen nicht ankomme, sei nicht zu verzeichnen.
2. Die dagegen vorgebrachten Angriffe der Rechtsbeschwerde ergeben keinen Zulassungsgrund. Der angefochtene Beschluss entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und ist nicht zu beanstanden.
a) Da noch das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht Anwendung findet, war gegen das Urteil nach § 511 ZPO (nur) die Berufung statthaft, welche gemäß § 519 Abs. 1 ZPO beim Oberlandesgericht als Berufungsgericht einzulegen war. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat demnach das Rechtsmittel beim unzuständigen Gericht eingelegt.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine Partei zwar darauf vertrauen, dass der beim unzuständigen Gericht eingereichte Schriftsatz noch rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet wird, wenn dieser Schriftsatz so frühzeitig eingegangen ist, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Kommt das angerufene Gericht dem nicht nach, wirkt sich das Verschulden der Partei oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 2012 - XII ZB 165/11 - FamRZ 2012, 623 Rn. 22; vom 15. Juni 2011 - XII ZB 468/10 - FamRZ 2011, 1389 Rn. 12 und vom 17. August 2011 - XII ZB 50/11 - FamRZ 2011, 1649 Rn. 20 ff. jeweils mwN).
Hier konnte der Beklagte aber nicht davon ausgehen, dass die beim unzuständigen Amtsgericht eingereichte Rechtsmittelschrift noch ohne weiteres rechtzeitig an das Oberlandesgericht gelangen würde. Denn die Vorgehensweise des Amtsgerichts bewegt sich im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs. Zunächst stellt es kein Versäumnis dar, dass der am Samstag eingegangene Schriftsatz nicht schon am Montag, sondern erst am Dienstag bearbeitet wurde (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 15. Juni 2011 - XII ZB 468/10 - FamRZ 2011, 1389 Rn. 13). Die im vorliegenden Fall am Dienstag erfolgte abschließende Bearbeitung durch das Amtsgericht bewegt sich vielmehr ohne weiteres im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs und verletzt den Anspruch auf ein faires Verfahren nicht (vgl. BGH Beschluss vom 12. Oktober 2011 - IV ZB 17/10 - NJW 2012, 78 Rn. 11 - Vorlage der Rechtsmittelschrift erst nach Eingang der Rechtsmittelbegründung).
Das gilt auch für die Ausführung der Versendung. Ob die Versendung am 8. oder 9. November 2011 ausgeführt worden ist, ist nicht entscheidend. Denn auch durch eine Versendung erst am 9. November 2011 wäre das Fairnessgebot nicht verletzt worden.
Nichts anderes gilt für die Art und Weise der Versendung. Denn auch bei Versendung per Kurier im Rahmen des regelmäßigen Aktentransports zum Rechtsmittelgericht hätte sich die Weiterleitung ohne weiteres innerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs gehalten (Senatsbeschluss vom 19. September 2012 - XII ZB 221/12 - zur Veröffentlichung bestimmt - Rn. 11). Wenn der Kurierdienst die Rechtsmittelschrift mit den Akten nicht so zeitig zum Rechtsmittelgericht befördert, dass dadurch die Frist gewahrt werden konnte, ist dieses Risiko von dem Verfahrensbeteiligten zu tragen, dessen Rechtsanwalt den Schriftsatz an das falsche Gericht adressiert hat. Dass die Rechtsmittelschrift bei einer Versendung mit der Akte per Paketpost, welche das Oberlandesgericht hier offengelassen hat, noch rechtzeitig bei dem Oberlandesgericht angekommen wäre, ist bereits nicht glaubhaft gemacht. Eine Trennung der Rechtsmittelschrift von der Akte und Versendung per Briefpost konnte der Beklagte nicht erwarten (Senatsbeschluss vom 19. September 2012 - XII ZB 221/12 - zur Veröffentlichung bestimmt - Rn. 11).
Auch eine Hinweispflicht traf das Amtsgericht schließlich nicht (Senatsbeschluss vom 19. September 2012 - XII ZB 221/12 - zur Veröffentlichung bestimmt - Rn. 12 ff. mwN). Die maßgebliche Ursache für die Fristversäumung ist somit allein der dem Beklagten zuzurechnende Anwaltsfehler gewesen, der darin besteht, dass die Rechtsmittelschrift nicht an das zuständige Gericht adressiert worden ist.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Nedden-Boeger