Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 16.05.2012


BGH 16.05.2012 - XII ZB 454/11

Betreuungsverfahren: Begründungspflicht des Gerichts bei Beauftragung eines Sachverständigen mit nicht hinreichender Qualifizierung; Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren bei Widerruf des in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnisses


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
16.05.2012
Aktenzeichen:
XII ZB 454/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 4. August 2011, Az: 13 T 5612/11vorgehend AG Fürth (Bayern), 6. Juni 2011, Az: XVII 1104/10
Zitierte Gesetze
§ 1896 Abs 1a BGB

Leitsätze

1. Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG soll der - in einem Betreuungsverfahren mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte - Sachverständige Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Sind diese Voraussetzungen nicht festgestellt oder sonst ersichtlich, hat das Gericht darzulegen, warum ausnahmsweise eine Begutachtung durch einen Sachverständigen mit einer anderen Qualifikation geboten erscheint (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 15. September 2010, XII ZB 383/10, FamRZ 2010, 1726 Rn. 13 und vom 19. Januar 2011, XII ZB 256/10, FamRZ 2011, 637 Rn. 17).

2. Von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren sind in der Regel neue Erkenntnisse im Sinne des § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten, wenn der Betroffene an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 16. März 2011, XII ZB 601/10, FamRZ 2011, 880 Rn. 16).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 4. August 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Die Betroffene wendet sich gegen die Erweiterung der für sie eingerichteten Betreuung auf den Aufgabenkreis der Vermögenssorge.

2

Die 1926 geborene Betroffene steht seit November 2010 unter Betreuung. Zunächst umfasste die Betreuung die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge einschließlich hiermit verbundener Aufenthaltsbestimmung, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Heimangelegenheiten sowie die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise.

3

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht die Betreuung mit Beschluss vom 6. Juni 2011 um den Aufgabenkreis Vermögenssorge erweitert. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft. Danach ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ohne Zulassung namentlich in Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers statthaft. Hierunter fällt auch die Erweiterung der Aufgabenkreise (Senatsbeschluss vom 8. Juni 2011 - XII ZB 43/11 - FamRZ 2011, 1289 Rn. 5).

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2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Landgericht.

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Die angegriffene Entscheidung ist in verfahrensfehlerhafter Weise ergangen.

8

a) Das Landgericht, das die Betroffene nicht persönlich angehört hat, hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

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Dass die Betroffene betreuungsbedürftig sei, ergebe sich insbesondere aus dem eingeholten ärztlichen Gutachten vom 9. Mai 2011. Danach leide sie an einer mittelgradigen Demenz am ehesten vom Mischtyp bei Diabetes mellitus, Hypertonie und Herzinsuffizienz. Sie könne keine ihrer Angelegenheiten einschließlich ihrer Vermögenssorge und ihrer Postangelegenheiten selbst besorgen. Krankheitsbedingt sei die Betroffene nicht mehr zu einer freien Willensbestimmung in der Lage und daher auch nicht mehr geschäftsfähig. Aufgrund ihrer geistigen Defizite und ihrer körperlichen Einschränkungen infolge ihrer Altersgebrechlichkeit könne sie sich um keine ihrer Angelegenheiten mehr selbst kümmern. Sie habe auch keinen ausreichenden Überblick über ihre Vermögensverhältnisse. Gegen Manipulationsversuche Dritter könne sie sich nicht wehren, sie könne auch ihre eigenen Interessen nicht mehr selbst sicher vertreten. Nach Angaben der Sachverständigen bestünden keine anderen Behandlungs- und Rehabilitationsmöglichkeiten. An den nachvollziehbar begründeten Ausführungen der gerichtsbekannt sorgfältigen und kompetenten Sachverständigen zu zweifeln, bestehe für die Kammer im vorliegenden Verfahren kein Anlass. Sie sei der Kammer aus vielen Betreuungs- und Unterbringungsverfahren bekannt. Überdies würden die Feststellungen der Sachverständigen von den Angaben der übrigen Verfahrensbeteiligten gestützt. Ausweislich der Stellungnahme der Betreuungsstelle sei die Betroffene mit der Erweiterung der Betreuung auf den Aufgabenkreis der Vermögenssorge einverstanden. Die Betroffene habe eine entsprechende Zustimmungserklärung auch persönlich am 23. Mai 2011 unterschrieben. Angesichts der Feststellung der Sachverständigen, dass die Betroffene krankheitsbedingt nicht mehr zu einer freien Willensbestimmung in der Lage sei, komme es auf dieses Einverständnis allerdings nicht an.

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b) Diese Ausführungen und das vom Beschwerdegericht durchgeführte Verfahren halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Zum einen hat das Beschwerdegericht nicht in der gebotenen Weise festgestellt, dass die Sachverständige über eine ausreichende Qualifikation verfügt. Zum anderen hätte es die Betroffene bei der konkreten Sachlage vor seiner Entscheidung persönlich anhören müssen.

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aa) Gemäß § 280 Abs. 1 FamFG hat vor der Bestellung eines Betreuers eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden.

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(1) Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Ergibt sich die Qualifikation - wie hier - nicht ohne Weiteres aus der Fachbezeichnung des Arztes, ist seine Sachkunde vom Gericht zu prüfen und in der Entscheidung darzulegen (Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2011 - XII ZB 256/10 - FamRZ 2011, 637 Rn. 17 und vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 13 jeweils mwN).

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Zwar ermöglicht die Formulierung in § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG ("soll") dem Gericht auch die Bestellung eines Sachverständigen mit einer anderen Qualifikation (vgl. Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 280 Rn. 10; Schulte-Bunert/Weinreich/Eilers FamFG 3. Aufl. § 280 Rn. 27; Prütting/Helms/Fröschle FamFG 2. Aufl. § 280 Rn. 19). Die Beauftragung eines Gutachters, der nicht die Voraussetzungen von § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG erfüllt, ist als Ausnahme in der Endentscheidung jedoch besonders zu begründen (Prütting/Helms/Fröschle FamFG 2. Aufl. § 280 Rn. 19).

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(2) Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht gerecht. Obgleich schon die Beschwerde die erforderliche Spezialisierung der Sachverständigen in Frage gestellt hatte und sich aus der Berufs- bzw. Tätigkeitsbezeichnung der Sachverständigen ("Ärztin") keine weiteren Erkenntnisse herleiten lassen, hat sich das Landgericht nicht veranlasst gesehen, weitere Feststellungen zu der erforderlichen Qualifikation der Gutachterin zu treffen. Allein der allgemein gehaltene Hinweis des Beschwerdegerichts, wonach an den nachvollziehbar begründeten Ausführungen der gerichtsbekannt sorgfältigen und kompetenten Sachverständigen zu zweifeln für die Kammer im vorliegenden Verfahren kein Anlass bestehe und die Sachverständige der Kammer aus vielen Betreuungs- und Unterbringungsverfahren als sorgfältig arbeitende und fachkundige Sachverständige bekannt sei, vermag den Nachweis der konkret erforderlichen Qualifikation nicht zu ersetzen.

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(3) Ist der Sachverständige nicht hinreichend qualifiziert, darf sein Gutachten nicht verwertet werden (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 XII ZB 256/10 - FamRZ 2011, 637 Rn. 19).

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bb) Die angegriffene Entscheidung ist aber auch deshalb verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das Beschwerdegericht die Betroffene nicht persönlich angehört hat.

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(1) Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (Senatsbeschlüsse vom 16. März 2011 XII ZB 601/10 - FamRZ 2011, 880 Rn. 13 und vom 11. April 2012 XII ZB 504/11 - juris Rn. 6).

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(2) Nach diesen Anforderungen hätte das Beschwerdegericht vorliegend die Betroffene anhören müssen.

19

(a) Dabei war eine Anhörung durch das Beschwerdegericht freilich nicht schon deshalb geboten, weil das Amtsgericht die Betroffene vor der Erweiterung des Aufgabenkreises auf die Vermögenssorge nicht noch einmal angehört hatte.

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Nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören. Gemäß § 293 Abs. 1 FamFG gelten für die - hier im Streit stehende - Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers die Vorschriften über die Anordnung dieser Maßnahme zwar entsprechend. Nach § 293 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG bedarf es einer persönlichen Anhörung nach § 278 Abs. 1 FamFG jedoch nicht, wenn diese Verfahrenshandlung - wie hier - nicht länger als sechs Monate zurückliegt.

21

(b) Die Anhörung durch das Beschwerdegericht war vorliegend jedoch deshalb erforderlich, weil von einer Anhörung durch das Beschwerdegericht zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten waren. Denn bei Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses war die Betroffene mit der Erweiterung des Aufgabenkreises auf die Vermögenssorge einverstanden. Daher brauchte das Amtsgericht insbesondere nicht zu prüfen, ob die Betroffene zur Bildung eines freien Willens in der Lage war (vgl. § 1896 Abs. 1 a BGB). Nach Eingang der Beschwerde hat sich die zu beurteilende Sachlage signifikant verändert. Dabei ist ohne Belang, dass die Betroffene offensichtlich gegenüber der Betreuungsbehörde noch ihr Einverständnis mit der Ausweitung der Betreuung auf die Vermögenssorge erklärt hat. Denn auf die Nachfrage des Gerichts, ob die Betroffene ihre Beschwerde zurücknehmen wolle, hat ihr Verfahrensbevollmächtigter ausdrücklich erklärt, dass die Beschwerde aufrecht erhalten bleibe und dass die Betroffene den Begriff der Betreuung offensichtlich nicht zutreffend verstehe.

22

Nunmehr wäre also zu prüfen gewesen, ob gemäß § 1896 Abs. 1 a BGB der freie Wille der Betroffenen gegen eine Ausweitung der Betreuung hätte sprechen können. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Amtsgericht hinsichtlich der Erweiterung der Betreuung auf den Aufgabenkreis Vermögenssorge eine Begutachtung angeordnet hat und ausweislich des Gutachtens die Betroffene nicht mehr zu einer freien Willensbestimmung in der Lage ist. Denn die Einholung eines Gutachtens entbindet den Tatrichter nicht davon, sich durch eine Anhörung der Betroffenen selbst einen Eindruck davon zu verschaffen, ob der Betroffene tatsächlich nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden (Senatsbeschluss vom 16. März 2011 - XII ZB 601/10 - FamRZ 2011, 880 Rn. 16).

23

c) Da nicht auszuschließen ist, dass die angefochtene Entscheidung auf den festgestellten Verfahrensfehlern beruht, ist sie aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil mangels hinreichender Tatsachenfeststellung die Sache noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG).

24

Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht gegebenenfalls die Möglichkeit, sich mit den im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten im Einzelnen auseinanderzusetzen und bei der Frage, inwieweit eine Betreuung auch hinsichtlich der Vermögenssorge erforderlich ist, den Einwand zu beachten, wonach sie nach der Erfahrung mit ihrem früheren Lebensgefährten, der sie in Vermögensdingen in strafrechtlich relevanter Weise hintergangen hatte, keine Einmischung von fremden Personen in ihre Vermögensangelegenheiten wünsche.

Dose                                                       Schilling                                                     Günter

                       Nedden-Boeger                                                  Botur