Entscheidungsdatum: 07.03.2012
1. Die Auslegung, ob ein Rechtsmittel unbedingt eingelegt worden ist, richtet sich allein nach dem objektiven Erklärungswert, wie er dem Rechtsmittelgericht innerhalb der Rechtsmittelfrist erkennbar war; spätere "klarstellende" Parteierklärungen können dabei nicht berücksichtigt werden (im Anschluss an BGH Beschluss vom, 25. September 2007, XI ZB 6/07, juris Rn. 8).
2. Ergibt die Auslegung, dass ein Rechtsmittel - unbedingt - form- und fristgerecht eingelegt worden ist, bedarf es der Wiedereinsetzung nicht. Ein Beschluss, der einen solchen Wiedereinsetzungsantrag zurückweist, ist auf die Rechtsbeschwerde zur Klarstellung aufzuheben (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2005, XII ZB 33/05, FamRZ 2006, 400).
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 16. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts München vom 22. Juli 2011 aufgehoben.
Der Antrag des Antragsgegners, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungseinlegung, -begründung und der Frist zur Wiedereinsetzung zu gewähren, ist gegenstandslos.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird abgesehen (§ 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG). Die Entscheidung über die übrigen Kosten der Rechtsbeschwerde bleibt der Endentscheidung des Beschwerdegerichts vorbehalten.
Beschwerdewert: bis 7.000 €
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen die Versagung der von ihm begehrten Wiedereinsetzung.
Das Amtsgericht hat den Antragsgegner zur Zahlung von Kindesunterhalt "verurteilt". Das Urteil ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 25. Februar 2011 zugestellt worden. Am 25. März 2011 ist beim Oberlandesgericht ein Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners eingegangen, der mit "Berufung" überschrieben war und einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens enthielt. Das Oberlandesgericht hat dem Antragsgegner am 27. Mai 2011 Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Der Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 31. Mai 2011 zugestellt worden. Mit Verfügung vom 4. Juli 2011 hat die Vorsitzende des Beschwerdesenats darauf hingewiesen, dass nunmehr die Wiedereinsetzungsfrist verstrichen sei. Auf diesen - ihm am 7. Juli 2011 zugestellten - Hinweis hat der Antragsgegner am 21. Juli 2011 Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist, in die Frist zur Einlegung der Berufung sowie in die Frist zur Begründung der Berufung beantragt. Im Anschluss hat das Oberlandesgericht den Antrag des Antragsgegners auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungseinlegung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Auf das Rechtsbeschwerdeverfahren ist das seit dem 1. September 2009 geltende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2586 - FamFG) anzuwenden, weil das Verfahren nicht vor diesem Zeitpunkt eingeleitet bzw. dessen Einleitung nicht beantragt worden ist (vgl. Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG). Zutreffend hat das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 26. April 2011 darauf hingewiesen, dass der vor dem 1. September 2009 gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, in dem die Antragstellerin ausgeführt hat, "unter der Bedingung der PKH-Bewilligung" Klage zu erheben, nicht zur Anwendung des alten Rechts geführt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Februar 2012 - XII ZB 198/11 - zur Veröffentlichung bestimmt).
2. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners richtet sich die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde allerdings nicht nach § 70 FamFG, sondern nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2011 - XII ZB 127/11 - FamRZ 2011, 1929 Rn. 7).
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO dennoch zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hätte den Wiedereinsetzungsantrag des Antragsgegners schon deshalb nicht zurückweisen dürfen, weil es einer Wiedereinsetzung nicht bedurfte und der entsprechende Antrag deshalb gegenstandslos war (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 318 = FamRZ 2006, 400, 401). Weil die Entscheidung schon deswegen aufzuheben ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Beschwerdegericht - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend gerügt hat - den Antrag des Antragsgegners, ihm Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren, nicht beschieden hat.
Die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt sich deshalb nicht, weil der Antragsgegner das Rechtsmittel gegen das "Urteil" des Amtsgerichts form- und fristgerecht eingelegt hat.
a) Das Beschwerdegericht hat in seinem Hinweis vom 4. Juli 2011, auf den es in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen hat, ausgeführt, eine wirksam eingelegte Beschwerde liege nicht vor, weil der Antragsgegner mit dem fraglichen Schriftsatz vom 25. März 2011 "ausdrücklich um Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Rechtsmittel nachgesucht" habe.
b) Das hält einer rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung indes nicht stand.
aa) Wird ein Rechtsmittel oder seine Begründung zulässigerweise mit einem Antrag auf Verfahrenskostenhilfe verbunden, muss der Rechtsmittelführer zwar alles vermeiden, was den Eindruck erweckt, der Antrag solle eine (künftige) Prozesshandlung nur ankündigen und sie von der Gewährung von Verfahrenskostenhilfe abhängig machen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 318 = FamRZ 2006, 400). Wenn der Rechtsmittelführer aber einen Verfahrenskostenhilfeantrag verbunden mit einem Schriftsatz einreicht, der die formalen Anforderungen einer Beschwerdeschrift bzw. einer Beschwerdebegründung erfüllt, ist das regelmäßig als unbedingt eingelegtes Rechtsmittel zu behandeln. Die Deutung, dass der Schriftsatz zunächst nur als Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gemeint war, kommt nur dann in Betracht, wenn sich das entweder aus dem Schriftsatz selbst oder sonst aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt. Im Zweifel ist zugunsten des Rechtsmittelführers anzunehmen, dass er eher das Kostenrisiko einer ganz oder teilweise erfolglosen Berufung auf sich nimmt als von vornherein zu riskieren, dass seine Berufung als unzulässig verworfen wird, er also unbedingt Berufung eingelegt hat und sich lediglich für den Fall der Versagung von Verfahrenskostenhilfe die Zurücknahme des Rechtsmittels vorbehält (vgl. BGH Beschluss vom 25. September 2007 - XI ZB 6/07 - juris Rn. 7). Mit Rücksicht auf die schwerwiegenden Folgen einer bedingten und damit unzulässigen Beschwerdeeinlegung ist für die Annahme einer derartigen Bedingung eine ausdrückliche zweifelsfreie Erklärung erforderlich, die beispielsweise darin gesehen werden kann, dass der Schriftsatz als "Entwurf einer Berufungsbegründung" oder als "Begründung zunächst nur des PKH-Gesuchs" bezeichnet wird, von einer beabsichtigten "Berufungsbegründung" die Rede ist oder angekündigt wird, dass die Berufung "nach Gewährung der PKH" begründet werde (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 318 = FamRZ 2006, 400).
Dabei kann das Rechtsbeschwerdegericht die Auslegung einer prozessualen Willenserklärung uneingeschränkt nachprüfen (BGHZ 4, 328, 334; BGH Urteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 45/78 - VersR 1979, 373; Zöller/Heßler ZPO 29. Aufl. § 546 Rn. 11 mwN - jeweils zum Revisionsrecht).
bb) Der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts kann danach keinen Bestand haben.
(1) Dass der Antragsgegner sein Rechtsmittel als "Berufung" bezeichnet und beim Oberlandesgericht eingelegt hat, steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen. Zwar wäre nach dem hier anwendbaren Recht gemäß § 64 Abs. 1 FamFG die Beschwerde beim Amtsgericht einzulegen gewesen. Jedoch gilt auch bei der Wahl des - vom Amtsgericht angewandten alten und damit - falschen Verfahrensrechts und der hierauf beruhenden - ebenfalls unrichtigen - Entscheidungsform der Meistbegünstigungsgrundsatz (Senatsbeschluss vom 6. April 2011 - XII ZB 553/10 - FamRZ 2011, 966 Rn. 12 ff.), was das Beschwerdegericht auch zutreffend erkannt hat. Von daher kann dem Antragsgegner nicht angelastet werden, das Rechtsmittel nach den Formalien des bis zum 31. August 2009 anwendbaren Berufungsrechts eingelegt zu haben.
Gemäß dem Meistbegünstigungsgrundsatz genügt für die Zulässigkeit des Rechtsmittels im vorliegenden Verfahren die den §§ 517, 519 ZPO entsprechende Rechtsmitteleinlegung.
(2) Dabei kann entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht von einer bedingten Berufungseinlegung ausgegangen werden. Insoweit fehlt es an einer ausdrücklichen, zweifelsfreien Erklärung, aus der sich auf eine solche Bedingung schließen ließe.
(a) Es ist bereits unzutreffend, dass der Antragsgegner ausdrücklich um Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Rechtsmittel nachgesucht hat. Vielmehr ist der Schriftsatz vom 25. März 2011 mit dem Wort "Berufung" überschrieben. Er enthält einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens. Ferner heißt es dort, dass "gegen das Urteil des Amtsgerichts (…) Berufung eingelegt werden soll", wobei das Wort Berufung besonders hervorgehoben ist. Es folgt dann eine detaillierte Begründung des Rechtsmittels. Am Ende des Schriftsatzes wird das Gericht "zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung (…) gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO um die notwendigen Hinweise ersucht."
Diesen Ausführungen kann entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts keine ausdrückliche, zweifelsfreie Erklärung des Inhalts entnommen werden, dass die Einlegung des Rechtsmittels von der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abhängig sein soll.
(b) Daran ändert auch nichts der Umstand, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners mit Schriftsatz vom 21. Juli 2011, also lange nach Ablauf der Begründungsfrist, vorgetragen hat, dass die "Berufung" aus Prozesskostengründen nur bedingt eingelegt worden sei. Denn entscheidend ist bei der Auslegung allein der objektive Erklärungswert, wie er dem Rechtsmittelgericht innerhalb der ablaufenden Rechtsmittelfrist erkennbar war. Spätere "klarstellende" Parteierklärungen können dabei nicht berücksichtigt werden (BGH Beschluss vom 25. September 2007 - XI ZB 6/07 - juris Rn. 8 mwN).
(3) Schließlich erfüllt der Schriftsatz vom 25. März 2011 auch die an eine Rechtsmittelbegründung zu stellenden Anforderungen (vgl. § 520 Abs. 3 ZPO bzw. § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Er enthält eine detaillierte Begründung, warum nach Auffassung des Antragsgegners der streitgegenständliche Vergleich nicht hätte abgeändert werden dürfen. Zwar finden sich in dem Schriftsatz keine Anträge. Dies ist jedoch unschädlich.
Ein förmlicher Berufungsantrag ist nicht nötig. Es genügt, wenn aus der Berufungsschrift oder Berufungsbegründung zu entnehmen ist, in welchem Umfang das Urteil angegriffen wird und welche Abänderungen erstrebt werden. So kann sich aus der Wiederholung des Sachvortrags erster Instanz, in der Klageabweisung beantragt war, ergeben, dass dieser Antrag in der Berufungsinstanz wieder gestellt wird (BGH Beschluss vom 11. Februar 1966 - V ZB 1/66 - NJW 1966, 933; Zöller/Heßler ZPO 29. Aufl. § 520 Rn. 32 mwN).
In der Begründung seines Rechtsmittels rügt der Antragsgegner, dass die Antragstellerin keine Tatsachen vorgetragen habe, die eine Abänderung des streitgegenständlichen Vergleichs rechtfertigen könnten. Zudem beruft er sich auf Leistungsunfähigkeit. Schließlich hat sich der Antragsgegner auf das Protokoll vom 2. Februar 2011 berufen. Auch dort hatte der Antragsgegner bereits darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB nicht vorgetragen worden seien. Zudem hat sein Bevollmächtigter in diesem Termin Klagabweisung beantragt.
Nach alledem lässt die Begründung darauf schließen, dass der Antragsgegner die Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils im Sinne einer Klagabweisung begehrt.
4. Der Rechtsbeschwerde war der Erfolg auch nicht etwa deshalb zu versagen, weil die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts, Wiedereinsetzung nicht zu gewähren, als im Ergebnis richtig und nur in der Begründung falsch anzusehen wäre. Eine Wiedereinsetzung in eine nicht versäumte Frist sieht das Gesetz nicht vor und kann daher auch nicht gewährt werden. Ein gleichwohl gestellter Wiedereinsetzungsantrag ist dann gegenstandslos. Deswegen ist ein Beschluss, der einen solchen Antrag zurückweist, auch ohne zugleich das Rechtsmittel zu verwerfen, auf die Rechtsbeschwerde hiergegen zur Klarstellung aufzuheben. Denn das Rechtsmittelgericht hätte diesen Antrag als gegenstandslos behandeln müssen, statt ihn zurückzuweisen (Senatsbeschluss BGHZ 165, 318 = FamRZ 2006, 400, 401).
5. Da eine Wiedereinsetzung mithin nicht in Betracht kommt, bedarf es keiner weiteren Entscheidung darüber, dass das Beschwerdegericht ersichtlich den Antrag des Antragsgegners auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist übersehen und deshalb nicht beschieden hat.
6. Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG nicht zu erheben, weil sie bei richtiger Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht angefallen wären. Die Entscheidung über die übrigen Kosten der Rechtsbeschwerde ist der Endentscheidung des Beschwerdegerichts in der Hauptsache vorzubehalten und wird an deren Ergebnis auszurichten sein (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 318 = FamRZ 2006, 400, 402).
Hahne Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Nedden-Boeger