Entscheidungsdatum: 06.04.2016
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bayreuth vom 29. Juli 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Feststellungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen worden ist.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth vom 26. März 2013 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtsgebühren für das Verfahren werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Wert: 5.000 €
I.
Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 26. März 2013 ist für den Betroffenen eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung "bezogen auf die Abhängigkeitserkrankung", Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge "bezogen auf die Abhängigkeitserkrankung", Vermögenssorge und Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen des übertragenen Aufgabenkreises angeordnet und eine Berufsbetreuerin bestellt worden. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen durch Beschluss vom 19. September 2013 zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist durch Senatsbeschluss vom 12. Februar 2014 (XII ZB 520/13) zurückgewiesen worden.
Auf die vom Betroffenen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 20. Januar 2015 (1 BvR 665/14 = FamRZ 2015, 565) festgestellt, dass die im Rechtsmittelverfahren ergangenen Beschlüsse des Landgerichts und des Senats den Betroffenen in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt haben. Es hat die Beschlüsse aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Weil das Amtsgericht die Betreuung bereits zuvor durch Beschluss vom 21. Oktober 2014 aufgehoben hatte, hat der Betroffene vor dem Landgericht die Feststellung beantragt, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 26. März 2013 in rechtswidriger Weise ergangen sei. Das Landgericht hat seinen Feststellungsantrag dahin verstanden, dass er (erneut) auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des landgerichtlichen Beschlusses vom 19. September 2013 erreichen wolle, und hat dem Antrag insoweit stattgegeben. Den Feststellungsantrag bezüglich der amtsgerichtlichen Entscheidung vom 26. März 2013 hat es zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der seinen Feststellungsantrag weiterverfolgt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft (vgl. BGH Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 292/10 - FGPrax 2011, 200 Rn. 9 mwN) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet.
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass sich die Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht feststellen lasse. Nach dem Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens sei es aufgrund des jahrelangen Alkoholmissbrauchs beim Betroffenen zu einer nachweisbaren Stirnhirnatrophie gekommen, die zu Funktionseinschränkungen dieses speziellen Hirnbereichs geführt habe, welche sich in einer organischen Persönlichkeits- und Verhaltensstörung ausdrückten. Aufgrund der erstinstanzlichen Äußerungen des Betroffenen und der ehemaligen Betreuerin sei es nicht zu beanstanden gewesen, dass das Amtsgericht die Betreuung angeordnet habe. Da der Betroffene sich ausweislich des Akteninhalts im erstinstanzlichen Verfahren nicht gegen die Betreuung gewandt habe, habe das Amtsgericht auch nicht prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Anordnung der Betreuung gegen den freien Willen des Betroffenen vorgelegen hätten. Daher lasse sich nicht feststellen, dass der amtsgerichtliche Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt habe.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
a) Das Landgericht ist allerdings zu Recht und übereinstimmend mit dem Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 20. Januar 2015 - 1 BvR 665/14 - FamRZ 2015, 565 Rn. 29) davon ausgegangen, dass der Betroffene seinen der Betreuung entgegenstehenden Willen erstmals im Beschwerdeverfahren geäußert hat.
Die hierzu von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, dass das Amtsgericht seine Aufklärungspflicht nach § 26 FamFG verletzt habe, ist nicht begründet. Das Amtsgericht hat den Betroffenen persönlich angehört. In der Anhörung hat dieser einen der Betreuung entgegenstehenden Willen nicht geäußert. Im Zusammenhang mit seiner näher begründeten Äußerung gegenüber dem Sachverständigen, dass er seine Probleme nicht mehr lösen könne und Hilfe brauche, konnte das Amtsgericht davon ausgehen, dass der Betroffene keinen der Betreuung entgegenstehenden Willen hatte. Dass schriftsätzliche Äußerungen des Betroffenen einen Aufklärungsbedarf ergeben haben sollen, ist mangels konkreter Bezeichnung des betreffenden Vorbringens bereits nicht hinreichend spezifiziert gerügt worden. Schließlich musste das Amtsgericht der protokollierten Erklärung des Betroffenen im Rahmen der Anhörung ("Was soll ich gegen Unabänderliches sagen") nicht die Bedeutung zumessen, dass er damit der von der Richterin angekündigten Betreuungsanordnung widersprechen wollte.
Das Landgericht hat daher im Ergebnis zu Recht darauf abgestellt, dass für das Amtsgericht noch keine Veranlassung bestand, sich mit den Anforderungen an einen der Betreuung entgegenstehenden freien Willen gemäß § 1896 Abs. 1a BGB auseinanderzusetzen.
b) Die Rechtsbeschwerde rügt indessen zu Recht einen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 FamFG, weil dem Betroffenen das Sachverständigengutachten erst in der Anhörung überlassen worden ist.
Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage erfordert nach § 37 Abs. 2 FamFG, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. September 2015 - XII ZB 250/15 - FamRZ 2015, 2156 Rn. 15 mwN und vom 6. Juli 2011 - XII ZB 616/10 - FamRZ 2011, 1574 Rn. 11 mwN). Das setzt voraus, dass der Betroffene vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern (vgl. Prütting/Helms/Fröschle FamFG 3. Aufl. § 280 Rn. 13).
Diesen Anforderungen genügt das amtsgerichtliche Verfahren im vorliegenden Fall nicht. Das Sachverständigengutachten ist dem Betroffenen erst in der Anhörung vom 26. März 2013 ausgehändigt worden, nachdem er erklärt hatte, das Gutachten bislang nicht erhalten zu haben. Dass die Richterin schon unter dem 21. März 2013 die Übersendung des Gutachtens an den Betroffenen veranlasst hatte, reicht zum Nachweis einer früheren Mitteilung des Gutachtens nicht aus (zur Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 283/15 - FamRZ 2016, 296 Rn. 22 ff.). Ausweislich des Anhörungsprotokolls ist die Richterin vielmehr ebenfalls davon ausgegangen, dass der Betroffene das Gutachten noch nicht erhalten hatte.
Dem Betroffenen ist keine ausreichende Gelegenheit gegeben worden, zu dem Gutachten noch vor der Entscheidung Stellung zu nehmen und sich im Sinne von § 37 Abs. 2 FamFG zu dem Beweisergebnis zu äußern. Denn der Betreuungsbeschluss ist noch am selben Tag ergangen.
Es ist auch davon auszugehen, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhte. Denn aufgrund des weiteren Verfahrensablaufs liegt es nahe, dass der Betroffene bei rechtzeitiger Kenntnis vom Inhalt des Gutachtens der Anordnung der Betreuung schon vor dem Amtsgericht widersprochen hätte.
c) Ob auch weitere von der Rechtsbeschwerde erhobene Rügen begründet sind, bedarf keiner Entscheidung. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Nedden-Boeger Guhling