Entscheidungsdatum: 12.09.2018
Zur unbilligen Härte im Sinne von § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII, die einem Anspruchsübergang auf den Träger der Sozialhilfe entgegenstehen kann (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 8. Juli 2015, XII ZB 56/14, BGHZ 206, 177 = FamRZ 2015, 1467 und vom 17. Juni 2015, XII ZB 458/14, BGHZ 206, 25 = FamRZ 2015, 1594).
Auf die Rechtsbeschwerden der Antragsgegnerinnen wird der Beschluss des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23. Juni 2017 aufgehoben.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 19. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat die Antragstellerin zu tragen.
Von Rechts wegen
I.
Die Antragstellerin macht als Trägerin der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht Ansprüche auf Elternunterhalt für die Zeit von April 2012 bis Juni 2015 geltend.
Die 76-jährige und von Geburt an gehörlose Mutter der Antragsgegnerinnen lebt seit Juli 2011 in einer Pflegeeinrichtung. Dort bewohnt sie seit September 2012 ein Zimmer in der neu eingerichteten Gehörlosenwohngruppe "Sprechende Hände", wo die Bewohner ausschließlich von Pflegekräften betreut werden, die in der Gebärdensprache geschult sind. Für die vollstationäre Pflege in ihrer Wohngruppe für Gehörlose werden von der Einrichtung Pflegesätze aufgrund einer eigenen Preisliste berechnet. Nach der Unterbringung in der Abteilung "Sprechende Hände" sind die Heimkosten für die Mutter der Antragsgegnerinnen im Monatsdurchschnitt daher um rund 500 € gestiegen.
Da die Mutter der Antragsgegnerinnen die durch den Aufenthalt in der Einrichtung veranlassten Heimkosten nicht vollständig aufbringen kann, gewährt ihr die Antragstellerin laufend Sozialhilfe nach den Bestimmungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, was die Antragstellerin den Antragsgegnerinnen durch Rechtswahrungsanzeige vom 29. März 2012 mitgeteilt hat. Die Höhe der geleisteten Sozialhilfe betrug im Zeitraum von April 2012 bis August 2012 monatlich zwischen 173,82 € und 286,44 € sowie im Zeitraum von September 2012 bis Juli 2015 monatlich zwischen 481,13 € und 984,60 €.
Die Antragstellerin hat die Antragsgegnerin zu 1 auf Zahlung von insgesamt 13.321,21 € und die Antragsgegnerin zu 2 auf Zahlung von insgesamt 7.260,60 € rückständigen Elternunterhalts nebst Zinsen in Anspruch genommen. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsgegnerinnen für die erhöhten Pflegesätze aufkommen müssen, die seit September 2012 für die Unterbringung ihrer Mutter in der Gehörlosenwohngruppe berechnet werden. Das Amtsgericht hat dem Begehren der Antragstellerin bezüglich der Antragsgegnerin zu 1 nur in Höhe von 3.232,66 € nebst Zinsen und bezüglich der Antragsgegnerin zu 2 nur in Höhe von 1.507,01 € nebst Zinsen entsprochen und die weitergehenden Anträge zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin hat das Oberlandesgericht die amtsgerichtliche Entscheidung abgeändert und die Antragsgegnerinnen im Wesentlichen antragsgemäß verpflichtet.
Hiergegen richten sich die zugelassenen Rechtsbeschwerden der Antragsgegnerinnen, die eine Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erstreben.
II.
Die Rechtsbeschwerden haben Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat seine in FamRZ 2018, 103 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:
Die Antragsgegnerinnen seien ihrer Mutter (Hilfeempfängerin) dem Grunde nach zum Unterhalt verpflichtet. Der Unterhaltsbedarf der Hilfeempfängerin nach § 1610 Abs. 1 BGB bestehe grundsätzlich aus den Kosten der vollstationären Pflege zuzüglich des Barbetrags zur persönlichen Verwendung. Auch die Mehrkosten für die Unterbringung in der Gehörlosenwohngruppe seien unterhaltsrechtlich anzuerkennen. Der gehörlosen Hilfeempfängerin sei eine Art der Pflege zuzugestehen, die der Gefahr ihrer Vereinsamung entgegenwirke und ihre Bedürfnisse nach Kommunikation berücksichtige. Verfüge das Heim über eine Gehörlosenwohngruppe, sei es dem unterhaltsberechtigten Hilfeempfänger nicht zuzumuten, auf die Inanspruchnahme dieser behindertengerechten Wohnform zu verzichten. Eine anderweitige Bedarfsbemessung folge auch nicht aus § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB I. Der dort normierte Anspruch auf Verwendung der Gebärdensprache unter Kostenübernahme durch den zuständigen Leistungsträger wirke sich nicht auf den Bedarf des Pflegebedürftigen aus. Zudem beziehe sich diese Vorschrift auf die Inanspruchnahme einzelner zu vergütender Kommunikationshilfen, nicht dagegen auf die Bereitstellung einer insgesamt den Bedürfnissen pflegebedürftiger gehörloser alter Menschen entsprechenden Wohngruppe einschließlich Pflege und Betreuung durch gesondert geschulte Pfleger. Schließlich begründeten die Mehraufwendungen für die Pflege gehörloser alter Menschen keine unbillige und deshalb eine Beschränkung des Übergangs von Unterhaltsansprüchen rechtfertigende Härte nach Maßgabe von § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII. Eine im sozialhilferechtlichen Sinn unbillige Härte setze maßgeblich voraus, dass mit der Inanspruchnahme soziale Belange vernachlässigt werden müssten. Eine solche, ohnehin nur ausnahmsweise anzunehmende unzumutbare Beeinträchtigung der Familienangehörigen durch die Unterhaltsverpflichtung liege hier aber nicht vor. Allein der Umstand, dass es um die Deckung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs gehe, führe auch unter Berücksichtigung der Wertung von § 6 Abs. 3 BGG und von § 17 Abs. 2 SGB I nicht zur Unbilligkeit des Anspruchsübergangs. Beiden Normen sei zwar die gesetzgeberische Intention zu entnehmen, Menschen mit Hörbehinderungen ohne selbst zu tragende Kosten den Zugang zur barrierefreien Kommunikation zu ermöglichen. Daraus ergebe sich jedoch nicht, dass die damit verbundenen Kosten stets bei dem immer nur subsidiär eintretenden Sozialhilfeträger verbleiben müssten.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Mit Recht ist das Beschwerdegericht allerdings davon ausgegangen, dass sich der Unterhaltsbedarf der Hilfeempfängerin - auch im Zeitraum nach September 2012 - mit den konkret angefallenen Heimkosten deckt.
aa) Gemäß § 1610 Abs. 1 BGB bestimmt sich das Maß des zu gewährenden Unterhalts nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats wird der Unterhaltsbedarf des pflegebedürftigen Elternteils grundsätzlich durch seine Unterbringung in einem Heim bestimmt und deckt sich regelmäßig mit den dort anfallenden Kosten. Ist der Elternteil im Alter sozialhilfebedürftig geworden, so beschränkt sich sein angemessener Lebensbedarf auf das Existenzminimum und damit verbunden grundsätzlich auf eine einfache und kostengünstige Heimunterbringung in einem Pflegeheim des unteren Preissegments. Im Einzelfall sind auch höhere Kosten der Heimunterbringung außerhalb des unteren Preissegments vom Unterhaltspflichtigen zu tragen, wenn dem Elternteil die Wahl eines preisgünstigeren Heims nicht zumutbar war. Das kann der Fall sein, wenn Eltern ihre Heimunterbringung zunächst noch selbst finanzieren konnten und erst später dazu nicht mehr in der Lage sind. Darüber hinaus kann das unterhaltspflichtige Kind auch dann nicht einwenden, es habe eine kostengünstigere Unterbringung offen gestanden, wenn es selbst die Auswahl des Heims beeinflusst hat und sein Einwand infolgedessen gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen würde (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2015 - XII ZB 26/15 - FamRZ 2015, 2138 Rn. 17 und Senatsurteil vom 21. November 2012 - XII ZR 150/15 - FamRZ 2013, 203 Rn. 18).
bb) Diesen Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung gerecht. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts haben die Antragsgegnerinnen sowohl die Auswahl des Heimplatzes als auch später die Unterbringung ihrer Mutter in der auf die speziellen Bedürfnisse hörbehinderter Menschen zugeschnittenen Wohngruppe bewusst unterstützt. Hieraus hat das Beschwerdegericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise den Schluss gezogen, dass der Verweis auf möglicherweise kostengünstigere Unterbringungsmöglichkeiten widersprüchlich und daher unbeachtlich ist. Auch die Rechtsbeschwerden der Antragsgegnerinnen erinnern hiergegen nichts.
b) Ebenfalls zutreffend ist die Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass die Mutter der Antragsgegnerinnen in Höhe der durch ihre tatsächlichen Eigeneinkünfte (Sozialversicherungsrente, Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung, Pflegewohngeld) nicht gedeckten Heimkosten auch unterhaltsbedürftig ist.
Gemäß § 1602 BGB ist unterhaltsberechtigt nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Zum unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkommen des Unterhaltsberechtigten gehören auch Sozialleistungen, wenn sie nicht subsidiär sind (vgl. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 1 Rn. 664). Dabei besteht eine Obliegenheit, bedarfsdeckende Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen; verstößt der Unterhaltsberechtigte gegen diese Obliegenheit, können ihm fiktive Einkünfte in Höhe der entgangenen Sozialleistung zugerechnet werden (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 206, 177 = FamRZ 2015, 1467 Rn. 11 und BGHZ 206, 25 = FamRZ 2015, 1594 Rn. 31). Dies kommt unter den hier obwaltenden Umständen aber nicht in Betracht.
aa) Entgegen der von der Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin zu 1 vertretenen Ansicht ergibt sich aus § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB I kein Anspruch der Hilfeempfängerin gegen die Antragstellerin - oder einen anderen öffentlich-rechtlichen Kostenträger - auf Übernahme der Mehrkosten, welche seit September 2012 für die Unterbringung der Hilfeempfängerin in der Wohngruppe "Sprechende Hände" anfallen.
(1) Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SGB I haben hörbehinderte Menschen das Recht, bei der "Ausführung von Sozialleistungen", insbesondere auch bei ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen, die Gebärdensprache zu verwenden. Damit soll die Gebärdensprache der gesprochenen deutschen Sprache sozialleistungsrechtlich völlig gleichgestellt werden (vgl. BSG SGb 2015, 464 Rn. 9). Durch § 17 Abs. 2 Satz 1 SGB I wird primär ein Sachanspruch auf Verwendung der Gebärdensprache eingeräumt (vgl. BeckOK SozR/Merten [Stand: Juni 2018] § 17 SGB I Rn. 15). Die für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger sind nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB I verpflichtet, die durch die Verwendung der Gebärdensprache und anderer Kommunikationshilfen entstehenden Kosten zu tragen. Aus der in § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB I normierten Verpflichtung zur Kostentragung ist zu folgern, dass sich ein Kostenerstattungsanspruch dann ergibt, wenn der Sachanspruch durch den Leistungsträger nicht erfüllt wird und der Hörbehinderte Kosten aufwenden muss, um sich die entsprechenden Kommunikationshilfen selbst zu beschaffen (vgl. KassKomm/Seewald [Stand: Mai 2018] SGB I § 17 Rn. 61; BeckOK SozR/Merten [Stand: Juni 2018] § 17 SGB I Rn. 15).
(2) Mit Recht weist die Antragsgegnerin zu 1 zwar darauf hin, dass es sich bei der vollstationären Pflege (vgl. §§ 28 Abs. 1 Nr. 8, 43 SGB XI) um eine Sozialleistung handelt, bei der für den Versicherten ein grundsätzlicher Anspruch auf Verwendung der Gebärdensprache bei der Durchführung der Pflegeleistungen durch die eingebundenen Leistungserbringer besteht (Ataker SRa 2018, 122). Die höheren Kosten, welche die Hilfeempfängerin im vorliegenden Fall für die Unterbringung in der Wohngruppe "Sprechende Hände" gegenüber der Unterbringung in der allgemeinen Abteilung des Pflegeheims aufbringen muss, stellen allerdings nach der zutreffenden Beurteilung des Beschwerdegerichts keine Kostenbelastung dar, die aufseiten der Hilfeempfängerin Erstattungsansprüche nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB I auslösen könnten (ebenso KassKomm/Seewald [Stand: Mai 2018] SGB I § 17 Rn. 64; jurisPK-SGB I/Ondül [Stand: 15. März 2018] § 17 Rn. 46).
Denn § 17 Abs. 2 SGB I bezieht sich (allein) auf die Herstellung einer barrierefreien Kommunikationssituation und die damit verbundenen Kosten. Darum geht es hier nicht, sondern um die Pflegevergütung für die stationäre Unterbringung von gehörlosen Senioren in speziell auf deren Bedürfnisse ausgerichteten Pflegeeinrichtungen bzw. selbständigen Pflegeabteilungen (vgl. dazu BSGE 87, 199, 206; Spickhoff/Udsching Medizinrecht 2. Aufl. § 84 SGB XI Rn. 8). Die Pflegevergütung ist grundsätzlich so zu bemessen, dass sie der Pflegeeinrichtung bei wirtschaftlicher Betriebsführung die Finanzierung der Aufwendungen und die Erfüllung des Versorgungsauftrags ermöglicht (§ 84 Abs. 2 Satz 4 SGB XI). In einem auf die speziellen Bedürfnisse von gehörlosen Bewohnern eingerichteten Pflegeheim muss die Pflegevergütung deshalb nicht nur die reinen Kosten für die Kommunikationshilfen, sondern darüber hinaus den gesamten Mehraufwand für pflegerisches Personal und besondere technische Ausstattung abdecken, der aufgrund der besonderen Kommunikationssituation bei der stationären Pflege hörbehinderter Personen erforderlich ist (vgl. dazu Kaul/Gelhard/Klinner/Menzel Zur Situation gehörloser Menschen im Alter [2009] S. 109; Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Gehörlosenseelsorge e.V., Fachausschuss Altenarbeit: "Zusätzlicher Aufwand für Pflege und Betreuung gehörloser alter Menschen in vollstationären Einrichtungen" S. 8 ff., abrufbar unter www.dafeg.net).
Der bloße Umstand, dass mit der Unterbringung in einer solchen, speziell auf die Bedürfnisse gehörloser Menschen zugeschnittenen Pflegeeinrichtung der auf § 17 Abs. 2 Satz 1 SGB I beruhende Sachanspruch auf Verwendung der Gebärdensprache naturgemäß miterfüllt wird und deshalb keine gesonderten Kosten für die Gewährleistung der barrierefreien Kommunikation mehr entstehen können, lässt nicht den Schluss darauf zu, dass es sich bei den Heimkosten teilweise um erstattungsfähige Aufwendungen im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB I handeln könnte. Das kommt auch deshalb nicht in Betracht, weil ein Erstattungsanspruch nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB I gerade an die Nichterfüllung des Sachanspruchs anknüpft.
bb) Auch der von der Antragsgegnerin zu 2 erhobene Einwand, dass die Hilfeempfängerin aufgrund ihrer Hörbehinderung Anspruch auf eine Höherstufung von Pflegestufe I in Pflegestufe II gehabt hätte und ihr im Fall der Höherstufung weitergehende bedarfsdeckende Leistungen der Pflegekasse zugeflossen wären, greift nicht durch.
(1) Schon im Ausgangspunkt steht die Annahme, dass die Hilfeempfängerin allein wegen ihrer Hörbehinderung mit Aussicht auf Erfolg eine Höherstufung in die Pflegestufe II hätte betreiben können, mit der bis zum 31. Dezember 2016 bestehenden (und damit im gesamten Unterhaltszeitraum maßgeblichen) Rechtslage nicht in Einklang.
Der im Unterhaltszeitraum geltende § 15 SGB XI aF teilte die Erscheinungsformen der Pflegebedürftigkeit für die Zwecke der Leistungsgewährung in drei Pflegestufen (erhebliche Pflegebedürftigkeit, Schwerpflegebedürftigkeit, Schwerstpflegebedürftigkeit) ein. Die seinerzeitige Definition der Pflegebedürftigkeit bezog sich streng auf bestimmte Verrichtungen (§ 14 Abs. 4 SGB XI aF), so dass für den Pflegebedarf allein der Umfang und die Häufigkeit der benötigten Hilfen bei der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität maßgeblich waren. Zwar sollten gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 SGB XI aF bei der Leistungserbringung auch die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen nach Kommunikation berücksichtigt werden, um einer Gefahr seiner Vereinsamung entgegenzuwirken. Nach allgemeiner Ansicht richtete sich diese Aufforderung angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift allerdings allein an den Leistungserbringer; auf die Bemessung des Pflegebedarfs hatte sie keinen Einfluss (BSG NZS 1999, 453, 454; KassKomm/Leitherer [Stand: September 2016] § 28 SGB XI Rn. 27; Philipp in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann Kommentar zum Sozialrecht 4. Aufl. § 28 SGB XI Rn. 19; Udsching SGB XI 4. Aufl. § 28 Rn. 15). Daran knüpfte eine verbreitete Beurteilungspraxis des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) an, die allein dem Umstand der Gehörlosigkeit keine direkte Auswirkung auf den Pflegebedarf beimaß, solange kein zusätzlicher behinderungsbedingter Hilfebedarf entstand (vgl. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Gehörlosenseelsorge e.V., Fachausschuss Altenarbeit: "Zusätzlicher Aufwand für Pflege und Betreuung gehörloser alter Menschen in vollstationären Einrichtungen" S. 7, abrufbar unter www.dafeg.net).
(2) Darüber hinaus hätte eine Einstufung in die Pflegestufe II die Unterhaltsbedürftigkeit der Hilfeempfängerin - anders als die Antragsgegnerin zu 2 meint - nicht beseitigt, sondern voraussichtlich noch vergrößert.
Unter der Geltung der früheren Rechtslage lag die Zuordnung zu einer höheren Pflegestufe in aller Regel nicht im wirtschaftlichen Interesse des pflegebedürftigen Heimbewohners. Denn die Höhe des Vergütungsanspruchs des Pflegeheims richtete sich nach der individuellen Zuordnung des Heimbewohners zu einer der drei Pflegeklassen, wobei nach § 84 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 SGB XI aF für die Zuordnung zu den Pflegeklassen in der Regel die Zuordnung zu den Pflegestufen nach § 15 SGB XI aF maßgeblich war. Entsprachen sich - wie im Regelfall - die Zuordnung zur Pflegeklasse und zur Pflegestufe, war mit einer Heraufsetzung der Pflegestufe auch ein automatischer Wechsel in die höhere Pflegeklasse verbunden, so dass der Heimbewohner durch die Höherstufung trotz der höheren Pauschalbeträge der Pflegekassen hinsichtlich seines Eigenanteils an den Heimkosten typischerweise nicht entlastet wurde, sondern umgekehrt sogar eine Erhöhung der von ihm aufzubringenden Zuzahlung die Folge war (vgl. BSG NZS 2006, 426, 428; Sassen RDG 2017, 38, 40; vgl. nunmehr § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB XI nF: einrichtungseinheitliche Zuzahlung in den Pflegegraden 2 bis 5, dazu BT-Drucks. 18/5926 S. 137). Die von der Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin zu 2 reklamierte Möglichkeit einer Höherstufung der Hilfeempfängerin in Pflegestufe II hätte deshalb voraussichtlich nicht zu einer Verminderung, sondern vielmehr zu einer Erhöhung ihres Eigenanteils und damit ihres ungedeckten Unterhaltsbedarfs geführt. Etwas anderes hätte nur dann gegolten, wenn die Hilfeempfängerin in der Pflegeeinrichtung einer von ihrer Pflegestufe I abweichenden höheren individuellen Pflegeklasse zugeordnet gewesen wäre. Dass hier ein solcher besonderer Ausnahmefall (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB XI aF) vorgelegen hätte, macht die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin zu 2 nicht geltend.
c) Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts würde ein (vollständiger) Anspruchsübergang auf die Antragstellerin allerdings eine unbillige Härte im Sinne von § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII begründen.
aa) Zutreffend sind dabei die rechtlichen Ausgangspunkte des Beschwerdegerichts. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruchsübergang nach § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII wegen unbilliger Härte ausgeschlossen ist, beurteilt sich nach öffentlich-rechtlichen Kriterien. Entscheidend ist daher, ob aus Sicht des Sozialhilferechts durch den Anspruchsübergang soziale Belange berührt werden, was notwendigerweise voraussetzt, dass der den Härtegrund rechtfertigende Lebenssachverhalt einen erkennbaren Bezug zum Sozialhilferecht oder zu einem sonstigen Handeln des Staates und seiner Organe aufweist (Senatsbeschlüsse BGHZ 206, 177 = FamRZ 2015, 1467 Rn. 33 und Senatsurteil vom 15. September 2010 - XII ZR 148/09 - FamRZ 2010, 1888 Rn. 45). Die Härte kann in materieller oder immaterieller Hinsicht bestehen und entweder in der Person des Unterhaltspflichtigen oder in derjenigen des Hilfeempfängers vorliegen. Bei der Auslegung der Härteklausel ist in erster Linie die Zielsetzung der Hilfe zu berücksichtigen, daneben sind die allgemeinen Grundsätze der Sozialhilfe zu beachten. Eine unbillige Härte liegt danach insbesondere vor, wenn und soweit der öffentlich-rechtliche Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 16 SGB XII), nach dem unter anderem auf die Belange und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen ist, einer Heranziehung entgegensteht (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 206, 177 = FamRZ 2015, 1467 Rn. 34 und BGHZ 206, 25 = FamRZ 2015, 1594 Rn. 36); das wäre dann der Fall, wenn die laufende Heranziehung in Anbetracht der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Unterhaltspflichtigen mit Rücksicht auf die Höhe und Dauer des Bedarfs zu einer nachhaltigen und unzumutbaren Beeinträchtigung des Unterhaltspflichtigen und der übrigen Familienmitglieder führen würde (Senatsurteile vom 15. September 2010 - XII ZR 148/09 - FamRZ 2010, 1888 Rn. 46 und vom 23. Juni 2010 - XII ZR 170/08 - FamRZ 2010, 1418 Rn. 34 mwN).
bb) Anders als das Beschwerdegericht sieht der Senat im vorliegenden Fall hinreichende Anknüpfungspunkte dafür, dass durch den Anspruchsübergang wegen der erhöhten Heimkosten in der Wohngruppe "Sprechende Hände" soziale Belange berührt werden.
(1) Die im Unterhaltszeitraum maßgebliche Rechtslage in Bezug auf die Kostentragung für die Verwendung von Kommunikationshilfen durch hörbehinderte Personen in der stationären Pflege erweist sich zumindest teilweise als inkohärent.
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XI aF gehörten die zur Befriedigung des Kommunikationsbedürfnisses von Heimbewohnern in der stationären Pflege erforderlichen Kosten zu den von der Pflegekasse übernommenen Aufwendungen für die soziale Betreuung (vgl. KassKomm/Leitherer [Stand: September 2016] § 28 SGB XI Rn. 27; vgl. auch Gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbands und der Pflegekassen auf Bundesebene zu den leistungsrechtlichen Vorschriften vom 17. April 2013, Nr. 4 zu § 28 SGB XI). Im Rahmen der Kostenübernahme durch die Pflegekasse war es Sache des Pflegeheims als Leistungserbringer, die Kommunikationsbedürfnisse der Heimbewohner zu befriedigen und die dafür erforderlichen Kosten bei der Kalkulation seiner leistungsgerechten Vergütung abzubilden (vgl. KassKomm/Leitherer [Stand: September 2016] § 28 SGB XI Rn. 27 mwN). Die soziale Pflegeversicherung verfolgt indessen weder nach dem früheren noch nach dem heutigen Rechtszustand den Anspruch einer umfassenden Bedarfsdeckung im Leistungsfall. Vielmehr gewährt die Pflegekasse Leistungen nur im Rahmen begrenzter Pauschalbeträge (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB XI), die schon im Ansatz nicht darauf ausgerichtet sind, die pflegebedingten Kosten einschließlich der in den Leistungsrahmen der sozialen Pflegeversicherung ausdrücklich einbezogenen Kosten der sozialen Betreuung ganz oder auch nur überwiegend in der Höhe zu decken, in der sie tatsächlich anfielen.
Dies hat zur Folge, dass ein gehörloser Versicherter über die Zuzahlungen für eine speziell an seinen Kommunikationsbedürfnissen orientierte Heimunterbringung die Aufwendungen für seine soziale Betreuung - und damit auch die Kosten für die Verwendung von Kommunikationshilfen - jedenfalls mittelbar durch seine Eigenbeträge mitfinanziert. Dadurch wird der allgemeine sozialleistungsrechtliche Grundsatz des § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB I, wonach die Kosten für die Verwendung der Gebärdensprache nicht dem Hörbehinderten zur Last fallen sollen, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise tatsächlich wieder eingeschränkt.
(2) Freilich stellt sich der Umstand, dass ein unterhaltsberechtigter Heimbewohner - ob gehörlos oder nicht - die Aufwendungen für seine soziale Betreuung über die (gegebenenfalls auch erhöhten) Zuzahlungen zu den Heimkosten teilweise mitfinanzieren muss, als eine systemimmanente Folge der höhenmäßigen Begrenzung der Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung auf pauschale Leistungsbeträge dar. Er rechtfertigt deshalb - für sich genommen - noch nicht das Verdikt, dass ein Anspruchsübergang auf den Träger der Sozialhilfe grob unbillig im Sinne des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII sein könnte, was sich auch daraus erschließt, dass der Gesetzgeber das sozialhilferechtliche Nachrangprinzip (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) für Leistungen nach dem Siebten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Hilfe zur Pflege) grundsätzlich aufrechterhalten hat. Allerdings tritt im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in dem hier zu beurteilenden Fall eines gehörlosen Heimbewohners noch ein weiterer Gesichtspunkt hinzu, der den im Unterhaltszeitraum maßgeblichen Rechtszustand als besondere Belastung erscheinen lässt.
Denn auf der einen Seite erfordert die Pflege und Betreuung von gehörlosen Heimbewohnern in der vollstationären Pflege aufgrund der besonderen Kommunikationssituation nicht nur eine besondere Qualifikation des Personals und eine zusätzliche technische Ausstattung, sondern nachvollziehbar durch die begleitende Verwendung der Gebärdensprache bei den einzelnen Pflegemaßnahmen einen erheblich höheren Zeitaufwand. Dem stand auf der anderen Seite der rein verrichtungsbezogene Pflegebedürftigkeitsbegriff (§ 14 SGB XI aF) gegenüber, bei dem die Hörbehinderung des Versicherten bei der Bemessung seines Pflegebedarfs und der darauf beruhenden Vergabe von Pflegestufen nicht oder nur unzureichend Berücksichtigung fand (vgl. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Gehörlosenseelsorge e.V., Fachausschuss Altenarbeit: "Zusätzlicher Aufwand für Pflege und Betreuung gehörloser alter Menschen in vollstationären Einrichtungen" S. 7, abrufbar unter www.dafeg.net). Heimplätze für gehörlose Bewohner konnten unter diesem Finanzierungssystem in der Praxis ohne erhöhte Zuzahlungen nicht kostendeckend eingerichtet werden (vgl. Kaul/Gelhard/Klinner/Menzel Zur Situation gehörloser Menschen im Alter [2009] S. 109 f.). Auch dies ist dafür verantwortlich, dass gehörlose Versicherte in spezialisierten Einrichtungen oder Pflegeabteilungen einen erhöhten Eigenbetrag zu leisten hatten, der über den Zuzahlungen lag, der von anderen Versicherten in vergleichbaren Einrichtungen aufgebracht werden musste.
(3) Die (verstärkte) Sozialhilfebedürftigkeit der Hilfeempfängerin ist hiernach auf eine dem staatlichen Handeln zuzurechnende Rechtslage (vgl. dazu BGHZ 206, 25 = FamRZ 2015, 1594 Rn. 38) zurückzuführen, die den besonderen Belangen hörbehinderter Menschen in der vollstationären Pflege nicht ausreichend Rechnung trägt. Im Übrigen ist das Beschwerdegericht - in anderem Zusammenhang - mit Recht davon ausgegangen, dass die Unterbringung gehörloser Senioren in einem ausschließlich "hörenden" Heimumfeld in besonderem Maße belastend ist (vgl. auch Kaul/Gelhard/Klinner/Menzel Zur Situation gehörloser Menschen im Alter [2009] S. 103 f.). Es erscheint sozial ungerechtfertigt, wenn gehörlose Senioren nur deshalb von einer behinderungsgerechten Heimunterbringung Abstand nehmen würden, weil sie wegen der damit verbundenen höheren Heimkosten einen Rückgriff des Sozialhilfeträgers auf ihre Kinder befürchten müssten.
Vor diesem Hintergrund erweist sich die Heranziehung der Töchter der Hilfeempfängerin auch deshalb als unbillige Härte im Sinne von § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, weil diese die Behinderung ihrer von Geburt an gehörlosen Mutter im Familienverband seit frühester Kindheit mitgetragen haben. Es verbleibt deshalb - zumindest im Ergebnis - bei der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts.
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