Entscheidungsdatum: 23.06.2010
1. Der pauschalierte Anspruchsübergang nach § 94 Abs. 2 SGB XII ist nicht davon abhängig, dass die unterhaltspflichtigen Eltern für das behinderte oder pflegebedürftige Kind Kindergeld erhalten .
2. Zur unbilligen Härte i. S. von § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII, die einem Anspruchsübergang auf den Träger der Sozialhilfe entgegenstehen kann (im Anschluss an die Senatsurteile vom 21. April 2004, XII ZR 251/01, FamRZ 2004, 1097 und vom 23. Juli 2003, XII ZR 339/00, FamRZ 2003, 1468) .
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats - Familiensenat - des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 30. September 2008 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Parteien streiten um übergeleitete Ansprüche auf Kindesunterhalt für die Zeit ab März 2007.
Für den im Jahre 1978 geborenen Sohn der Beklagten wurde am 21. September 2006 wegen einer paranoiden Schizophrenie eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen der Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Behördenangelegenheiten, Wohnungsangelegenheiten und Vermögenssorge eingerichtet. Seit dem 24. Januar 2007 wohnt er im Heimbereich des P.klinikums "Betreuen, Fördern und Wohnen" in K. und erhält von der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt und Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII in Höhe von monatlich 3.857,90 €. Mit Schreiben vom 19. Februar 2007 forderte die Klägerin die Beklagten auf, gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII einen monatlichen Unterhaltsbeitrag in Höhe von insgesamt 46,00 € zu zahlen.
Das Amtsgericht hat die Beklagten verurteilt, an die Klägerin ab März 2007 monatlich jeweils 23,00 € zu zahlen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verlangen die Beklagten weiterhin Klagabweisung.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 - XII ZR 50/08 - FamRZ 2010, 357 Tz. 7).
I.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, weil der Klägerin ein nach § 94 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII übergegangener Unterhaltsanspruch des volljährigen Sohnes der Beklagten in der zugesprochenen Höhe zustehe. Der Anspruchsübergang nach § 94 Abs. 2 SGB XII setze nicht voraus, dass die Eltern des volljährigen behinderten Kindes Kindergeld für dieses bezögen. Nach dem Grundsatz der Pauschalabgeltung in § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII werde der Übergang des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs der Höhe nach begrenzt, wenn eine Unterhaltspflicht gegenüber behinderten oder pflegebedürftigen Volljährigen vorliege. Der Privilegierung liege der Schutzgedanke zugrunde, dass die wegen der Behinderung ihres erwachsenen Kindes ohnehin schwer getroffenen Eltern nicht auch noch mit hohen Pflegekosten belastet werden sollten. In dieser Zielsetzung erschöpften sich die Bedeutung und das Anliegen dieser Regelung. Die Vorschrift des § 94 Abs. 2 Satz 2 SGB XII enthalte die widerlegbare Vermutung, dass der Anspruch in Höhe der genannten Beträge auf den Träger der Sozialhilfe übergehe und mehrere Unterhaltspflichtige zu gleichen Teilen hafteten. Eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit komme zwar nicht in Betracht, soweit ein Anspruch auf Kindergeld bestehe und ein Unterhaltspflichtiger durch die Unterhaltspflicht nicht selbst bedürftig werde. Der Anspruchsübergang sei aber nicht auf Fälle beschränkt, in denen von einem Unterhaltspflichtigen Kindergeld bezogen werde. Die Höhe des Kindergeldes sei lediglich ein rechnerischer Anhaltspunkt für die Bemessung der Pauschalsätze. Steige das Kindergeld, dann stiegen auch die Pauschalsätze des § 94 Abs. 2 SGB XII.
Der Anspruchsübergang auf die Klägerin begründe für die Beklagten auch keine unzumutbare Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII bzw. des § 1611 BGB. Eine unbillige Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII sei insbesondere dann anzunehmen, wenn die Heranziehung des Unterhaltspflichtigen soziale Belange vernachlässige. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagten nicht in Höhe von jeweils monatlich 23,00 € leistungsfähig seien, bestünden nicht. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin monatliche Sozialleistungen in Höhe von ca. 4.000,00 € erbringe, erscheine eine Inanspruchnahme der in guten Einkommensverhältnissen lebenden Eltern in Höhe von jeweils 23,00 € offensichtlich nicht unbillig. Soweit von den Beklagten eine völlige Entfremdung ihres Sohnes angeführt werde, sei dies auf die paranoide Schizophrenie zurückzuführen. Auch die drei Versuche des Sohnes, in das Familienanwesen einzusteigen, seien nicht als schwere Verfehlung anzusehen. Einerseits habe er nichts entwendet, zum anderen habe er schon damals an der schweren seelischen Erkrankung gelitten. Andere Härtegründe seien nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich. Die von den Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Ein Fall betreffe einen Anspruch auf Elternunterhalt, der verwirkt gewesen sei, weil auch der Elternteil nicht in der Lage gewesen sei, für das in Anspruch genommene Kind zu sorgen. Eine Vernachlässigung sozialer Belange sei für Fälle bejaht worden, in denen das weitere Verbleiben des Hilfeempfängers im Familienverband gefährdet erscheine, die Heranziehung unter Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Unterhaltspflichtigen zu einer unbilligen Härte führe oder der Unterhaltspflichtige den Hilfeempfänger schon zuvor über das Maß seiner Unterhaltsverpflichtung hinaus betreut und gepflegt habe. Ein solcher Fall liege hier allerdings nicht vor.
Soweit von den Beklagten pauschal und unsubstantiiert in Zweifel gezogen werde, dass ihr Sohn erkrankt sei und sich im Heimbereich des P.klinikums befinde, sei dies durch den Inhalt der beigezogenen Betreuungsakte widerlegt.
Das Oberlandesgericht hat die Revision zur Fortbildung des Rechts zugelassen, weil über die Rechtsfrage, ob der Anspruchsübergang nach § 94 Abs. 2 SGB XII den Bezug des staatlichen Kindergeldes durch die Eltern voraussetze, höchstrichterlich noch nicht entschieden sei.
II.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision stand. Die Instanzgerichte haben der Klägerin zu Recht einen auf sie übergegangenen Anspruch auf Kindesunterhalt gegen die Beklagten zugesprochen.
1. Die Beklagten sind ihrem gemeinsamen Sohn gemäß § 1601 BGB jedenfalls im Umfang der Klagforderung unterhaltspflichtig.
a) Der Unterhaltsbedarf ihres Sohnes übersteigt den zugesprochenen Unterhalt von monatlich 46 €, weil er als Volljähriger wegen seiner Erkrankung nicht erwerbstätig ist und in einer Einrichtung des P.klinikums lebt. Auf den sich daraus ergebenden konkreten Lebensbedarf (zum Bedarf beim Elternunterhalt vgl. Senatsurteil vom 21. April 2004 - XII ZR 326/01 - FamRZ 2004, 1184, 1185) leistet die Klägerin ihm zwar monatlich in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt und Eingliederungshilfe für behinderte Menschen einen Betrag in Höhe von 3.857,90 €. Wegen der Subsidiarität der Sozialhilfe sind die Leistungen der Klägerin jedenfalls im Umfang des in § 94 Abs. 2 SGB XII geregelten Anspruchsübergangs nicht bedarfsdeckend (vgl. Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 8 Rdn. 7 f. und Wendl/Dose aaO § 1 Rdn. 451).
In Höhe seines Unterhaltsbedarfs ist der Sohn auch bedürftig, weil er wegen seiner Erkrankung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und er nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch über kein Vermögen verfügt (§ 1602 Abs. 1 BGB).
b) Die Beklagten sind in Höhe des zugesprochenen Unterhalts auch leistungsfähig. Die Darlegungs- und Beweislast für seine Leistungsunfähigkeit trägt grundsätzlich der Unterhaltsschuldner (Wendl/Dose aaO § 6 Rdn. 710 ff.). Auf eine solche Leistungsunfähigkeit haben sich die Beklagten nicht berufen. Eine Leistungsunfähigkeit für den geringen zugesprochenen Unterhalt liegt auch deswegen fern, weil die Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in guten Einkommensverhältnissen leben.
c) Der Unterhaltsanspruch des Sohnes der Beklagten ist auch nicht nach § 1611 Abs. 1 BGB aus Billigkeitsgründen herabgesetzt oder vollständig entfallen.
aa) Nach § 1611 Abs. 1 BGB braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, der der Billigkeit entspricht, wenn der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden ist, er seine eigene Unterhaltspflicht gegen den Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Die Unterhaltspflicht entfällt vollständig, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten im Hinblick darauf grob unbillig wäre.
§ 1611 Abs. 1 BGB setzt eine schwere Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen voraus. Ein etwaiges Fehlverhalten des unterhaltsberechtigten Kindes aus der Zeit seiner Minderjährigkeit kann dem Unterhaltsanspruch auch für die Zeit nach Erlangung der Volljährigkeit allgemein nicht entgegengehalten werden (Senatsurteil vom 5. November 1997 - XII ZR 20/96 - FamRZ 1998, 367, 370). Nichts anderes kann für ein Fehlverhalten gelten, das auf die Krankheit des Unterhaltsberechtigten zurückzuführen ist.
bb) Wenn das Oberlandesgericht hier keine schwere Verfehlung des unterhaltsberechtigten Kindes angenommen und den Unterhaltsanspruch deswegen nicht als verwirkt angesehen hat, ist dies aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Zwar haben die Beklagten darauf hingewiesen, dass zu ihrem Sohn kein familiärer Kontakt mehr besteht. Dies kann es aber nicht rechtfertigen, den gesetzlich normierten Maßstab einer vorsätzlichen schweren Verfehlung des Unterhaltsberechtigten zu verlassen und schon ein ablehnendes und unangemessenes Verhalten gegenüber den Eltern für eine Herabsetzung oder den Ausschluss des Unterhalts nach § 1611 Abs. 1 BGB genügen zu lassen (Senatsurteil vom 24. Oktober 1990 - XII ZR 124/89 - FamRZ 1991, 322, 323). Noch weniger kann ein Fehlverhalten im Sinne dieser Norm darin gesehen werden, dass ein unterhaltsberechtigtes Kind die Beziehung zu einem unterhaltspflichtigen Elternteil über Jahre hinweg „einschlafen“ lässt (Senatsurteil vom 25. Januar 1995 - XII ZR 249/93 - FamRZ 1995, 475, 476). Weil das dreimalige Einsteigen in das Anwesen der Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf die Erkrankung des Sohnes zurückzuführen und letztlich folgenlos geblieben ist, kann auch dies keine schwere Verfehlung im Sinne des § 1611 Abs. 1 BGB rechtfertigen.
Schließlich setzt eine vorsätzliche schwere Verfehlung eines Unterhalt begehrenden Kindes stets eine umfassende Abwägung aller maßgebenden Umstände voraus, die auch das eigene Verhalten der unterhaltspflichtigen Eltern im Familienverbund einschließt. Auch insoweit kann der vom Oberlandesgericht festgestellte Sachverhalt eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 1611 Abs. 1 BGB nicht begründen.
2. Der Unterhaltsanspruch des Sohnes der Beklagten ist in dem zugesprochenen Umfang auf die Klägerin übergegangen.
a) Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII geht der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch eines Sozialhilfeberechtigten bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf den Träger der Sozialhilfe über. § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII sieht eine Ausnahme von diesem generellen Anspruchsübergang für die Eltern behinderter oder pflegebedürftiger Kinder vor. Der Anspruch einer volljährigen unterhaltsberechtigten Person, die behindert im Sinne von § 53 SGB XII oder pflegebedürftig im Sinne von § 61 SGB XII ist, gegenüber ihren Eltern geht wegen geleisteter Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60 SGB XII) und Hilfe zur Pflege (§§ 61 bis 66 SGB XII) nur bis zur Höhe von 26,00 € monatlich, wegen Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 bis 40 SGB XII) nur bis zur Höhe von 20,00 € monatlich auf den Träger der Sozialhilfe über. Allerdings wird nach § 94 Abs. 2 Satz 2 SGB XII widerlegbar vermutet, dass der Anspruch in dieser Höhe übergeht und mehrere Unterhaltspflichtige, wie hier die Beklagten als Eltern, zu gleichen Teilen haften.
Dabei handelt es sich um eine Pauschalabgeltung des auf den Sozialhilfeträger übergehenden Unterhalts (Wendl/Scholz aaO § 8 Rdn. 86; Schnitzler/Günther, MAH Familienrecht 2. Aufl. § 12 Rdn. 75 f.). Der allgemeine Anspruchsübergang aus § 94 Abs. 1 SGB XII ist aber nur dann auf diese Pauschalbeträge nach § 94 Abs. 2 SGB XII begrenzt, wenn die Eltern eines volljährigen Leistungsempfängers in Anspruch genommen werden, der Leistungsempfänger behindert oder pflegebedürftig ist und Leistungen nach dem dritten, sechsten oder siebten Kapitel des SGB XII erbracht werden (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm SGB XII 17. Aufl. § 94 Rdn. 84 ff.; Oestreicher/Decker SGB II/SGB XII Stand: Februar 2010 § 94 SGB XII Rdn. 179 ff.; LPK-SGB XII/Münder 8. Aufl. § 94 Rdn. 35; Grube/Warendorf SGB XII 3. Aufl. § 94 Rdn. 24; Mergler/Zink Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe Teil II 4. Aufl.; vgl. auch BT-Drucks. 15/1514 S. 66 f.).
Zur Höhe geht die Pauschalierung wegen geleisteter Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und wegen Hilfe zur Pflege auf monatlich 26,00 € auf die zum 1. Januar 2002 eingeführte frühere Regelung in § 91 Abs. 2 BSHG zurück (dort 50 DM vgl. BT-Drucks. 14/5786 S. 151 und BGBl. I 2001 S. 1046, 1112). Diese Regelung bezog sich allerdings nur auf Leistungen, die in vollstationären Einrichtungen erbracht wurden. Weil dadurch die Eltern benachteiligt wurden, deren Kinder ambulant oder teilstationär Hilfe erhielten, wurde die Pauschalierung auch auf solche Leistungen erstreckt (Schellhorn/Schellhorn/Hohm aaO § 94 Rdn. 90). Der Betrag von 26,00 € belief sich bei Inkrafttreten zum 1. Januar 2002 bis einschließlich 2008 auf rund 1/6 des für das erste bis dritte Kind gezahlten Kindergeldes (LPK-SGB XII/Münder aaO § 94 Rdn. 37). Mit der Neuregelung durch das SGB XII zum 1. Januar 2005 ist die weitere Pauschalierung für Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII in Höhe von monatlich bis zu 20,00 € hinzugefügt worden. Seitdem beläuft sich die Summe der Inanspruchnahme der Eltern für Leistungen an behinderte oder pflegebedürftige volljährige Kinder auf monatlich 46,00 €.
b) Die gesetzliche Vermutung in § 94 Abs. 2 Satz 2 SGB XII, wonach der Unterhaltsanspruch des Kindes in Höhe der genannten Beträge übergeht und mehrere Unterhaltspflichtige zu gleichen Teilen haften, ist ausdrücklich widerlegbar. Dies setzt allerdings einen Vortrag der unterhaltspflichtigen Eltern zur Leistungsunfähigkeit oder zur abweichenden anteiligen Haftung voraus (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm aaO § 94 Rdn. 92 f.; Oestreicher/Decker aaO § 94 SGB XII Rdn. 186; LPK-SGB XII/Münder aaO § 94 Rdn. 36; Grube/Warendorf aaO § 94 Rdn. 24; Wendl/Scholz aaO § 8 Rdn. 76; Schnitzler/Günther aaO § 12 Rdn. 76). Daran fehlt es hier.
c) Entgegen der Rechtsauffassung der Revision ist der Anspruchsübergang nach § 94 Abs. 2 SGB XII nicht davon abhängig, dass die unterhaltspflichtigen Eltern für das behinderte oder pflegebedürftige Kind Kindergeld erhalten.
Schon der Wortlaut der Vorschrift spricht nicht für einen notwendigen Zusammenhang zwischen dem - ohnehin sehr begrenzten - Anspruchsübergang und einer Kindergeldberechtigung. Denn nach § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist der privilegierte Anspruchsübergang allein an die genannten Voraussetzungen geknüpft. § 94 Abs. 2 Satz 2 SGB XII stellt lediglich die Vermutung der Leistungsfähigkeit und der gleich hohen Unterhaltspflicht mehrerer Unterhaltspflichtiger auf, die von ihnen widerlegt werden kann. Auch insoweit lässt sich dem Gesetz kein Bezug zur Kindergeldberechtigung entnehmen.
Soweit § 94 Abs. 2 Satz 3 SGB XII regelt, dass sich die genannten Pauschalbeträge zum gleichen Zeitpunkt und um denselben vom Hundersatz verändern, um den sich das Kindergeld verändert, kann dem die von der Revision geltend gemachte Abhängigkeit des Anspruchsübergangs von einem Kindergeldbezug nicht entnommen werden. Denn die Vorschrift beschränkt sich allein auf die Höhe des übergegangenen Anspruchs und orientiert sich im Rahmen der Zumutbarkeit nur insoweit an der Entwicklung des Kindergeldes. Ein zwingender Zusammenhang zwischen Anspruchsübergang und Kindergeldbezug lässt sich daraus nicht herleiten. Auch der Gesetzesbegründung lässt sich solches nicht entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514 S. 66 f. und 14/5786 S. 151).
Die Gesetzessystematik spricht sogar gegen die Auffassung der Revision. Denn § 94 Abs. 2 SGB XII sieht aus sozialstaatlichen Erwägungen eine Ausnahme vom allgemeinen Anspruchsübergang nach § 94 Abs. 1 SGB XII vor. Sinn dieser Regelung ist eine Privilegierung der Eltern behinderter oder pflegebedürftiger volljähriger Kinder. Dem liegt der Schutzgedanke zugrunde, dass die durch die Behinderung ihres erwachsenen Kindes ohnehin schwer getroffenen Eltern nicht auch noch mit hohen Pflegekosten belastet werden sollen (BVerwGE 92, 330; Oestreicher/Decker aaO § 94 SGB XII Rdn. 177). § 94 Abs. 2 SGB XII beinhaltet für die dort genannten Fälle also eine Ausnahme von dem umfassenden Anspruchsübergang nach § 94 Abs. 1 SGB XII. Wenn die Voraussetzungen der Privilegierung nach § 94 Abs. 2 SGB XII nicht vorlägen, würde der gesamte Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auf den Träger der Sozialhilfe übergehen. Würde die Privilegierung den Bezug von Kindergeld voraussetzen, liefe dies dem Gesetzeszweck zuwider. Die Bedeutung der Privilegierung des § 94 Abs. 2 SGB XII erschöpft sich mithin in der sozialstaatlichen Zielsetzung der Vorschrift (BVerwG, NJW 1993, 150; Oestreicher/Decker aaO § 94 SGB XII Rdn. 177).
Die Zahlung des Kindergeldes ist mithin nicht Voraussetzung für die Anwendung des § 94 Abs. 2 SGB XII. Auch wenn kein Kindergeld gewährt wird, etwa weil bei getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten der andere Elternteil das Kindergeld erhält oder - wie hier - die Behinderung oder Pflegebedürftigkeit erst nach Wegfall des Kindergeldes einsetzt, greift der privilegierte Anspruchsübergang ein (so auch Schellhorn/Schellhorn/Hohm aaO § 94 Rdn. 91).
3. Auch soweit das Berufungsgericht eine unbillige Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII abgelehnt hat, ist dies aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
a) Die Vorschrift schließt einen Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger aus, wenn dies eine unbillige Härte für die Unterhaltspflichtigen bedeuten würde. Der unbestimmte Rechtsbegriff der unbilligen Härte belässt dem Sozialhilfeträger keinen Ermessensspielraum, sondern unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung (Schellhorn/Schellhorn/Hohm aaO § 94 Rdn. 101). Der Begriff ist durch das Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG vom 23. Juni 1993 - BGBl. I S. 944, 952) in das Überleitungsrecht eingeführt worden. Nach den damaligen Gesetzesmaterialien sollte eine Anpassung an die Sprachregelung des Unterhaltsrechts, etwa an die Vorschriften der §§ 1577 Abs. 3 und 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB, bewirkt werden (Grube/Warendorf aaO § 94 Rdn. 28). Nach der Rechtsprechung des Senats kommen Umstände, die bereits nach bürgerlichem Recht ganz oder teilweise einer Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs entgegenstehen, nicht als Härtegrund i. S. des § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII in Betracht. Denn soweit ein Unterhaltsanspruch nicht besteht, kann er auch nicht auf den Träger der Sozialhilfe übergehen (Senatsurteil vom 21. April 2004 - XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097, 1098). Die Bedeutung der unbilligen Härte im Sinne der Übergangsvorschrift muss deswegen darüber hinausgehen.
Das Verständnis der unbilligen Härte i. S. des § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII hängt von den sich wandelnden Anschauungen der Gesellschaft ab. Die Härte kann in materieller oder immaterieller Hinsicht bestehen und entweder in der Person des Unterhaltspflichtigen oder des Unterhaltsberechtigten vorliegen. Bei der Auslegung ist in erster Linie die Zielsetzung der Hilfe zu berücksichtigen; daneben sind aber auch die allgemeinen Grundsätze der Sozialhilfe, die Belange der Familie und die wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen sowie die soziale Lage der Beteiligten heranzuziehen. Entscheidend ist allerdings stets, ob durch den Anspruchsübergang soziale Belange vernachlässigt werden (Senatsurteile vom 21. April 2004 - XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097, 1098 mit Anm. Klinkhammer FamRZ 2004, 1283 f. und vom 23. Juli 2003 - XII ZR 339/00 - FamRZ 2003, 1468, 1470 mit Anm. Klinkhammer FamRZ 2004, 266, 268 f.; Wendl/Scholz aaO § 8 Rdn. 88 f.; BVerwGE 29, 229, 235 und 58, 209, 211).
Eine unbillige Härte liegt insbesondere vor, wenn und soweit der Grundsatz der familiengerechten Hilfe, nach dem u.a. auf die Belange und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen ist (vgl. § 16 SGB XII), ein Absehen von der Heranziehung gebietet, wenn die laufende Heranziehung in Anbetracht der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Unterhaltspflichtigen mit Rücksicht auf die Höhe und Dauer des Bedarfs zu einer nachhaltigen und unzumutbaren Beeinträchtigung des Unterhaltspflichtigen und der übrigen Familienmitglieder führen würde, wenn die Zielsetzung der Hilfe in der Gewährung von Schutz und Zuflucht, etwa in einem Frauenhaus, besteht und dies durch die Mitteilung der Hilfe an den Unterhaltspflichtigen gefährdet erscheint oder wenn der Unterhaltspflichtige den Sozialhilfeempfänger bereits vor Eintritt der Sozialhilfe über das Maß einer zumutbaren Unterhaltsverpflichtung hinaus betreut oder gepflegt hat (Senatsurteile vom 21. April 2004 - XII ZR 251/01, FamRZ 2004, 1097, 1098 und vom 23. Juli 2003 - XII ZR 339/00 - FamRZ 2003, 1468, 1470; BVerwGE 58, 209, 212; Oestreicher/Decker aaO § 94 SGB XII Rdn. 168; Wendl/Scholz aaO § 8 Rdn. 89). Allerdings sind diese Fallgruppen nicht abschließend, weil die gebotene Billigkeitsprüfung stets eine umfassende Abwägung aller relevanten Umstände voraussetzt (vgl. auch die Empfehlungen für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe [SGB XII] vom Deutschen Verein für öffentliche und private Vorsorge Stand: 1. Juli 2005 FamRZ 2005, 1387, 1388 Nr. 16 ff.).
b) Nach diesen Grundsätzen begegnet die Beurteilung des Berufungsgerichts keinen rechtlichen Bedenken. Der Anspruchsübergang mit der Folge des in diesem Umfang bestehenden Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagten ist weder für das unterhaltsberechtigte Kind noch für die Beklagten als Unterhaltsschuldner mit einer unbilligen Härte verbunden.
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht den Maßstab der unbilligen Härte in § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII nicht verkannt. Denn es hat zu Recht entscheidend darauf abgestellt, ob mit der Heranziehung der Beklagten als Unterhaltspflichtige soziale Belange vernachlässigt werden. Hinzu kommt, dass die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die vom Gesetz vorgegebene äußerst geringe Inanspruchnahme trotz der guten Lebensverhältnisse der Beklagten hier einer unbilligen Härte entgegenstehen.
Dass der gemeinsame Sohn der Beklagten seinen Eltern die Schuld am Aufenthalt in der Psychiatrie zuweist und mehrfach gewaltsam in das Haus der Beklagten eingedrungen ist, wobei er sich Zugang zu deren Privatunterlagen verschafft hat, kann eine unbillige Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII nicht begründen. Zu Recht hat das Oberlandesgericht insoweit berücksichtigt, dass der Sohn nichts aus dem Anwesen seiner Eltern entwendet hat. Auch im Rahmen einer Gesamtabwägung sämtlicher Umstände kann das Verhalten des Unterhaltsberechtigten selbst unter Berücksichtigung des krankheitsbedingt aggressiven Potentials einen Rückgriff des Sozialamtes nicht als unbillig erscheinen lassen. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass die in guten finanziellen Verhältnissen lebenden Beklagten wegen der für sie günstigen Pauschalregelung des § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ohnehin nur in äußerst geringem Umfang in Anspruch genommen werden. Wenn das Berufungsgericht die sehr geringe Unterhaltspflicht in Höhe von monatlich 23,00 € für jeden der Beklagten unter Berücksichtigung des Verhaltens ihres gemeinsamen Sohnes und des krankheitsbedingt belasteten persönlichen Verhältnisses nicht als unbillig angesehen hat, ist dagegen aus revisionsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.
In dem nach § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII privilegierten Umfang ist der Unterhaltsanspruch des Sohnes der Beklagten folglich auf die Klägerin übergegangen. Das Oberlandesgericht hat ihr deswegen zu Recht einen Unterhaltsanspruch in diesem Umfang zuerkannt.
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