Entscheidungsdatum: 12.10.2016
1. Das Beschwerdegericht hat über den Ausgleich geringfügiger Anrechte im Versorgungsausgleich aufgrund eigener Ermessensbetätigung zu entscheiden.
2. Ist eine Sache entscheidungsreif, kann das Rechtsbeschwerdegericht ein dem Tatrichter durch materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Vorschriften eingeräumtes Ermessen selbst ausüben, sofern das Beschwerdegericht die Ermessensausübung nicht wahrgenommen bzw. sich hierzu nicht geäußert hat (im Anschluss an BGH Urteil vom 19. Dezember 2014, V ZR 32/13, FamRZ 2015, 653).
3. Zum Absehen von der Teilung gleichartiger Anrechte bei wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit der Differenz ihrer Ausgleichswerte (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 28. September 2016, XII ZB 325/16).
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des 4. Senats für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 8. Juli 2016 aufgehoben.
Auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Meldorf vom 10. Mai 2016 hinsichtlich des Ausspruchs zum Versorgungsausgleich (Ziffer II. des Tenors) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Ein Wertausgleich des Anrechts der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung Nord (Versicherungsnummer ) und des Anrechts des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (Versicherungsnummer ) findet nicht statt.
Die außergerichtlichen Kosten beider Rechtsmittelverfahren werden unter den Ehegatten gegeneinander aufgehoben. Gerichtskosten werden für die Rechtsmittelverfahren nicht erhoben.
Beschwerdewert: 1.000 €
I.
Auf den am 17. August 2015 zugestellten Antrag hat das Familiengericht die am 18. Juli 1997 geschlossene Ehe der Antragstellerin (im Folgenden: Ehefrau) und des Antragsgegners (im Folgenden: Ehemann) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Während der Ehezeit (1. Juli 1997 bis 31. Juli 2015; § 3 Abs. 1 VersAusglG) hat der Ehemann Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Beteiligten zu 1 in Höhe von 8,2004 Entgeltpunkten mit einem Ausgleichswert von 4,1002 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 26.835,04 € erworben, die Ehefrau gesetzliche Anrechte bei der Beteiligten zu 2 in Höhe von 8,1455 Entgeltpunkten mit einem Ausgleichswert von 4,0728 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 26.655,71 €.
Das Familiengericht hat beide Anrechte intern geteilt. Das Oberlandesgericht hat die mit dem Ziel, von einem Ausgleich der Anrechte nach § 18 Abs. 1 VersAusglG abzusehen, eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen; hiergegen richtet sich deren zugelassene Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Zwar seien die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 VersAusglG erfüllt, wonach das Familiengericht Anrechte gleicher Art nicht ausgleichen soll, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering sei. § 18 Abs. 1 VersAusglG eröffne dem Gericht jedoch einen Ermessensspielraum bei der Frage, ob einzelne Anrechte, die einen geringen Ausgleichswert aufweisen, auszugleichen seien. Die Ermessensausübung durch das Familiengericht unterliege lediglich einer eingeschränkten Überprüfung durch das Beschwerdegericht. Eine Abänderung der Entscheidung komme nur dann in Betracht, wenn das Amtsgericht sein Ermessen in fehlerhafter Weise ausgeübt habe. Der Sinn des Ermessens würde verfehlt, wenn das Beschwerdegericht berechtigt und verpflichtet wäre, ein vom erstinstanzlichen Gericht fehlerfrei ausgeübtes Ermessen durch eine eigene Ermessensentscheidung zu ersetzen. Nur im Falle eines Ermessensfehlers habe das Beschwerdegericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Ein solcher Ermessensfehler liege nicht vor.
Bei der Ausübung des Ermessens sei zu berücksichtigen, dass dem Halbteilungsgrundsatz erhebliches Gewicht zukomme, er der grundlegende Maßstab der Entscheidung sei und eine Abweichung davon besonderer Rechtfertigung bedürfe. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers solle unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand vermieden werden. Der Ausschluss von Bagatellanrechten zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung finde aber seine Grenze in einer unverhältnismäßigen Durchbrechung des Halbteilungsgrundsatzes. Eine solche liege vor, wenn ein Anrecht mit geringem Ausgleichswert nicht ausgeglichen wird, obwohl der mit § 18 VersAusglG erstrebte Zweck nicht oder nur unwesentlich erreicht wird. Besäßen beide Ehegatten jeweils ein Konto in der gesetzlichen Rentenversicherung, so erfolge der Ausgleich lediglich durch Umbuchungen über diese Konten. Neben diesem einmaligen Verwaltungsvorgang entstehe kein weiterer erheblicher Verwaltungsaufwand. Auch die theoretische Möglichkeit etwaiger Anpassungen gemäß den §§ 32 ff. VersAusglG vermöge die Durchbrechung des Halbteilungsgrundsatzes nicht zu rechtfertigen. Ein Entlastungseffekt träte bei einem Ausschluss der Teilung bei dem Versorgungsträger nur in unwesentlichem Umfang ein. Daher würde der unterlassene Ausgleich ehezeitlicher Versorgungsanrechte eine unverhältnismäßige Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes bedeuten.
2. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Nach § 18 Abs. 1 VersAusglG soll das Familiengericht beiderseitige Anrechte gleicher Art nicht ausgleichen, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering ist, wobei die Vorschrift dem Gericht einen Ermessensspielraum eröffnet.
b) Eine eigene Ermessensbetätigung nach § 18 VersAusglG obliegt nicht nur dem Familiengericht in erster Instanz, sondern auch dem Oberlandesgericht als Beschwerdeinstanz. Das Beschwerdegericht ist nicht darauf beschränkt zu überprüfen, ob eine Ermessensüberschreitung des Familiengerichts vorliegt, sondern es hat sein Ermessen selbst auszuüben.
Für den Zivilprozess hat der Bundesgerichtshof eine Beschränkung der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts - entsprechend der des Revisionsgerichts - bereits abgelehnt. Er hat zum einen für den Bereich der Vertragsauslegung darauf hingewiesen, dass bei der rechtlichen Bewertung festgestellter Tatsachen eine Bindung des Berufungsgerichts an eine lediglich mögliche, aber nicht überzeugende Wertung der Vorinstanz nicht besteht (BGHZ 160, 83, 92). Zum anderen ist dies in gleicher Weise für Ermessensentscheidungen wie etwa die Schmerzensgeldbemessung entschieden (BGH Urteil vom 28. März 2006 - VI ZR 46/05 - NJW 2006, 1589 Rn. 28 ff.). Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts der Zivilprozessordnung hat nämlich das Berufungsgericht die erstinstanzliche Ermessensentscheidung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie für zwar vertretbar, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, so darf und muss es nach seinem Ermessen eine eigene, dem Einzelfall angemessene Entscheidung finden. Das Berufungsgericht darf es nicht dabei belassen zu prüfen, ob die Ermessensentscheidung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt hat (vgl. BGH Urteil vom 28. März 2006 - VI ZR 46/05 - NJW 2006, 1589 Rn. 30).
Die insoweit für das Berufungsverfahren angestellten Erwägungen treffen für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen im Beschwerdeverfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) erst recht zu. Gemäß § 69 Abs. 3 FamFG gelten für die Beschwerdeentscheidung nämlich die Vorschriften über den Beschluss im ersten Rechtszug entsprechend. Anders als im Berufungsverfahren nach der Zivilprozessordnung (vgl. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 ZPO) kann die Beschwerde im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit einschränkungslos auch auf neue Tatsachen und Beweismittel gestützt werden (§ 65 Abs. 3 FamFG). Schon daraus wird deutlich, dass das Beschwerdegericht eine vollständige Prüfung des Sachverhalts vorzunehmen hat, so wie er sich im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung darstellt, und auf dessen Grundlage auch eigene Ermessenserwägungen anzustellen hat.
c) Deshalb bedeutet der Umstand, dass das Oberlandesgericht lediglich eine Überprüfung der familiengerichtlichen Entscheidung auf Ermessenfehler vorgenommen hat, ohne jedoch eigene Ermessenserwägungen anzustellen, einen Ermessensnichtgebrauch. Diesen kann der Senat durch eigene Ermessensausübung ersetzen.
Ist eine Sache entscheidungsreif, kann nämlich das Rechtsbeschwerdegericht ein dem Tatrichter durch materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Vorschriften eingeräumtes Ermessen selbst ausüben, sofern das Beschwerdegericht die Ermessensausübung nicht wahrgenommen bzw. sich hierzu nicht geäußert hat (vgl. BGH Urteil vom 19. Dezember 2014 - V ZR 32/13 - FamRZ 2015, 653 Rn. 41 mwN).
d) Welche Kriterien bei der Ermessensausübung nach § 18 Abs. 1 VersAusglG im Einzelnen zu berücksichtigen sind, lässt das Gesetz offen. Gesetzesziel ist vornehmlich die Vermeidung eines unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands für den Versorgungsträger, der mit der Teilung eines Anrechts und der Aufnahme eines Anwärters in sein Versorgungssystem verbunden sein kann. Es sind aus diesem Grunde in erster Linie die Belange der Verwaltungseffizienz auf Seiten der Versorgungsträger gegen das Interesse des ausgleichsberechtigten Ehegatten an der Erlangung auch geringfügiger Anrechte abzuwägen (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juni 2016 - XII ZB 490/15 - FamRZ 2016, 1658 Rn. 7 mwN zu § 18 Abs. 2 VersAusglG).
Andererseits ist der Halbteilungsgrundsatz bestimmender Maßstab des Versorgungsausgleichsrechts. Der Ausschluss eines Ausgleichs von Bagatell-anrechten zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung findet seine Grenze daher in einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Halbteilungsgrundsatzes. Eine solche Beeinträchtigung liegt dann vor, wenn ein Anrecht mit geringem Ausgleichswert oder gleichartige Anrechte mit einer geringen Wertdifferenz unter Anwendung des § 18 Abs. 1 oder 2 VersAusglG nicht ausgeglichen werden, obwohl sich der Verwaltungsaufwand nicht als unverhältnismäßig darstellt oder sonstige mit dieser Vorschrift verfolgte Zwecke nicht oder nur in Ansätzen erreicht werden. Neben dem Halbteilungsgrundsatz sind bei der Ermessensentscheidung nach den Vorgaben des Gesetzgebers aber auch die konkreten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute einschließlich ihrer Versorgungssituation zu berücksichtigen. Im Rahmen der Abwägung spricht deshalb unter anderem für einen Ausgleich, dass der Ausgleichsberechtigte dringend auch auf Bagatellbeträge angewiesen ist oder dass ein Ehegatte über viele kleine Ausgleichswerte verfügt, die in der Summe einen erheblichen Wert darstellen, während der andere Ehegatte nur vergleichsweise geringe Anrechte erworben hat (Senatsbeschluss vom 22. Juni 2016 - XII ZB 490/15 - FamRZ 2016, 1658 Rn. 8 mwN).
Für die interne Teilung hat der Senat außerdem bereits darauf hingewiesen, dass der Versorgungsträger gemäß § 13 VersAusglG seine durch eine interne Teilung entstehenden höheren Kosten mit den Anrechten beider Ehegatten verrechnen kann, soweit sie angemessen sind. Angesichts dieser Möglichkeit zur Kompensation können die zusätzlichen Verwaltungskosten als ein im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigender Belang der Versorgungsträger an Bedeutung verlieren (Senatsbeschluss vom 1. Februar 2012 - XII ZB 172/11 - FamRZ 2012, 610 Rn. 31). Stattdessen kann dann im Rahmen der Ermessensentscheidung auf die durch die Teilung verursachten Teilungskosten und somit darauf abzustellen sein, ob der Halbteilungsgrundsatz aus Sicht der geschiedenen Ehegatten auch unter Berücksichtigung der mit der Teilung einhergehenden Entwertung des Anrechts einen Ausgleich des einzelnen Versorgungsbestandteils verlangt (Senatsbeschluss vom 1. Februar 2012 - XII ZB 172/11 - FamRZ 2012, 610 Rn. 31).
Ist der Ausgleichswert des Anrechts allerdings bedeutungslos und liegt er erkennbar unter den real entstehenden Teilungskosten, ist ferner der Ausgleichsberechtigte nicht auf den Bagatellbetrag angewiesen und stellt sich die Teilung somit als insgesamt unwirtschaftlich dar, gebietet der Halbteilungsgrundsatz kein Abweichen von der Sollbestimmung des § 18 VersAusglG, sondern ist das Ermessen dahin auszuüben, dass solche Anrechte nicht auszugleichen sind. Das gilt für den Ausgleich geringer Anrechte nach § 18 Abs. 2 VersAusglG ebenso wie für die wechselseitige Teilung gleichartiger Anrechte nach § 18 Abs. 1 VersAusglG, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. September 2016 - XII ZB 325/16 - zur Veröffentlichung bestimmt).
e) Im vorliegenden Fall wäre der Versorgungsausgleich durch Verrechnung der Anrechte und Umbuchung der Ausgleichswertdifferenz auf den gesetzlichen Versicherungskonten beider Ehegatten durchzuführen (§§ 10 Abs. 2 VersAusglG, 120 f Abs. 1 SGB VI). Da dieses regelmäßig keinen besonders hohen Verwaltungsaufwand verursacht, gebührt dem Halbteilungsgebot in solchen Fällen grundsätzlich der Vorrang. Vollständig aufwandsneutral ist jedoch auch die Umbuchung zwischen zwei gesetzlichen Versicherungskonten nicht. Auch der dabei entstehende vergleichsweise geringe Aufwand muss in einem noch angemessenen Verhältnis zu dem bezweckten Teilungserfolg stehen (Senatsbeschluss vom 28. September 2016 - XII ZB 325/16 - zur Veröffentlichung bestimmt). Das ist hier hingegen nicht gegeben.
Im vorliegenden Fall beträgt nämlich der Wertunterschied der korrespondierenden Kapitalwerte, um den das Vorsorgevermögen des Ausgleichsberechtigten bei Durchführung der Teilung und nach Verrechnung der Anrechte effektiv anwüchse, nur 179,33 €. Das entspricht nach derzeitigem Rentenwert einem zusätzlichen Rentenbetrag von monatlich 0,83 €. Das Absehen vom Ausgleich eines derart bedeutungslosen, unter einem Euro monatlich liegenden Wertunterschieds stellt keine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Halbteilungsgrundsatzes dar, die eine Durchführung der Teilung zwingend geböte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Ehefrau auf diesen geringen Wertzuwachs ausnahmsweise besonders angewiesen wäre. Daher stünde die Durchführung eines derart bedeutungslosen Wertausgleichs außer Verhältnis zu dem bei beiden Versorgungsträgern zulasten der Versichertengemeinschaft im Zusammenhang mit der Durchführung entstehenden Verwaltungsaufwand (vgl. Senatsbeschluss vom 28. September 2016 - XII ZB 325/16 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Der Senat übt sein Ermessen deshalb dahin aus, dass ein wechselseitiger Ausgleich der in Rede stehenden Anrechte unterbleibt.
Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger
Guhling Krüger