Entscheidungsdatum: 08.05.2019
In einem Unterbringungsverfahren ersetzt die Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens an den Verfahrenspfleger oder an den Betreuer nicht die notwendige Bekanntgabe an den Betroffenen persönlich (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 7. Februar 2018 - XII ZB 334/17, FamRZ 2018, 707).
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 6. Dezember 2018 und der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 21. Dezember 2018 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte Genehmigung einer regelmäßigen Freiheitsentziehung zur zwangsweisen Verabreichung einer Medikation.
Die Betroffene, die an einer psychischen Störung in Form einer paranoid-halluzinatorischen Psychose leidet, wurde auf Antrag der zuständigen Behörde durch Beschluss des Amtsgerichts O. vom 23. November 2018 im Wege der einstweiligen Anordnung längstens bis 3. Januar 2019 öffentlich-rechtlich untergebracht. Mit Schreiben vom 23. November 2018 hat die Unterbringungseinrichtung beim Amtsgericht W. die Genehmigung einer Zwangsmedikation sowie einer 5-Punkt-Fixierung zur Durchführung der Zwangsmedikation beantragt. Das Amtsgericht W. hat ein Sachverständigengutachten zur Erforderlichkeit der Zwangsmedikation eingeholt und die Betroffene angehört.
Mit Schreiben vom 4. Dezember 2018 hat der vorläufige Betreuer der Betroffenen beim Amtsgericht O. die betreuungsgerichtliche Genehmigung zur Unterbringung und Zwangsmedikation der Betroffenen beantragt. Nachdem das Amtsgericht O. die Genehmigung zunächst im Wege einer einstweiligen Anordnung erteilt hatte, hat es mit Beschluss vom 6. Dezember 2018 die Einwilligung des Betreuers in die regelmäßige Freiheitsentziehung zur zwangsweisen Verabreichung einer Medikation bis zum 2. Januar 2019 genehmigt. Gegen diese Entscheidung hat der Verfahrenspfleger Beschwerde eingelegt, die das Landgericht zurückgewiesen hat. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie die Feststellung erstrebt, dass die genannten Beschlüsse sie in ihren Rechten verletzt haben.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde gegen die Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in die regelmäßige Freiheitsentziehung zur zwangsweisen Verabreichung einer Medikation ist zulässig.
Bei der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbringungssache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der hier aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (Senatsbeschluss vom 16. Mai 2018 - XII ZB 542/17 - FamRZ 2018, 1196 Rn. 6 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Entscheidungen von Amts- und Landgericht zur Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in die regelmäßige Freiheitsentziehung zur zwangsweisen Verabreichung einer Medikation haben die Betroffene in ihren Rechten verletzt, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG festzustellen ist (Senatsbeschluss vom 16. Mai 2018 - XII ZB 542/17 - FamRZ 2018, 1196 Rn. 7 mwN).
a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass der Betroffenen das eingeholte Sachverständigengutachten nicht persönlich bekanntgegeben wurde.
aa) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 316 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Februar 2018 - XII ZB 334/17 - FamRZ 2018, 707 Rn. 9 und vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911 Rn. 5 mwN).
bb) Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht.
Weder aus den Feststellungen des Landgerichts noch aus den Gerichtsakten lässt sich entnehmen, dass der Inhalt des Gutachtens der Betroffenen vor deren Anhörung in vollem Umfang bekannt gegeben worden ist. Aus den Gerichtsakten ist lediglich ersichtlich, dass das Sachverständigengutachten dem Betreuer und dem Verfahrenspfleger übersandt worden ist. Dies genügt jedoch nicht.
Die Bekanntgabe des Gutachtens an den Verfahrenspfleger ersetzt eine Bekanntgabe an den Betroffenen nicht, denn der Verfahrenspfleger ist - anders als ein Verfahrensbevollmächtigter - nicht Vertreter des Betroffenen im Verfahren. Durch eine Bekanntgabe an den Verfahrenspfleger kann allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn das Betreuungsgericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG absieht, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, und die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Februar 2018 - XII ZB 334/17 - FamRZ 2018, 707 Rn. 12 mwN und vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911 Rn. 7 mwN). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Insbesondere enthält das Sachverständigengutachten keinen Hinweis darauf, dass die Betroffene durch dessen Bekanntgabe Gesundheitsnachteile entsprechend § 325 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte.
Ebenso wenig konnte die erforderliche persönliche Bekanntgabe an die Betroffene durch die Übersendung des Gutachtens an den Betreuer ersetzt werden. Selbst wenn der Betreuer mit der Betroffenen über das Gutachten gesprochen hätte, wofür jedoch Feststellungen fehlen, genügte dies allein nicht, um dem Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör gerecht zu werden (vgl. Senatsbeschluss vom 8. August 2018 - XII ZB 139/18 - FamRZ 2018, 1769 Rn. 12 mwN).
b) Ebenfalls mit Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde als verfahrensfehlerhaft, dass das Landgericht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen abgesehen hat.
aa) Nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Diese Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch in einem Unterbringungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Februar 2018 - XII ZB 334/17 - FamRZ 2018, 707 Rn. 15 mwN).
bb) Gemessen daran durfte das Landgericht im vorliegenden Fall nicht von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen. Die Anhörung der Betroffenen durch das Amtsgericht litt an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil ihr das eingeholte Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen wurde. Das Landgericht hätte diesen Mangel durch die Übersendung des Sachverständigengutachtens an die Betroffene und deren anschließende erneute Anhörung beheben müssen.
3. Die Betroffene ist durch die mit den angegriffenen Entscheidungen erteilte Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in die regelmäßige Freiheitsentziehung zur zwangsweisen Verabreichung einer Medikation in ihrer durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten körperlichen Integrität und dem vom Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mitumfassten Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer körperlichen Integrität verletzt worden (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Mai 2018 - XII ZB 542/17 - FamRZ 2018, 1196 Rn. 13 mwN).
Die Feststellung, dass ein Betroffener durch die angefochtenen Entscheidungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel eines rechtswidrigen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte körperliche Integrität und in das Recht auf Selbstbestimmung des Betroffenen hinsichtlich seiner körperlichen Integrität hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Mai 2018 - XII ZB 542/17 - FamRZ 2018, 1196 Rn. 14 mwN).
Ist - wie hier - in einer durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen nicht bekanntgegeben bzw. im Falle des (entsprechend anwendbaren) § 325 Abs. 1 FamFG nicht zumindest dem Verfahrenspfleger mit der Erwartung bekanntgegeben, dass dieser mit dem Betroffenen über das Gutachten sprechen werde, ist von einer Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör auszugehen. Dieser Verfahrensfehler ist auch so gewichtig, dass er die Feststellung nach § 62 FamFG zu rechtfertigen vermag, weil er einer Verwertung des gemäß § 321 Abs. 1 FamFG unabdingbaren Sachverständigengutachtens entgegensteht.
Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten - Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 16. Mai 2018 - XII ZB 542/17 - FamRZ 2018, 1196 Rn. 16 mwN).
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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