Entscheidungsdatum: 07.02.2018
In einem Unterbringungsverfahren ersetzt die Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens an den Verfahrenspfleger oder an den Betreuer nicht die notwendige Bekanntgabe an den Betroffenen persönlich (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 8. März 2017, XII ZB 516/16, FamRZ 2017, 911).
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stralsund vom 14. Juni 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
I.
Der Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung seiner Unterbringung.
In der Zeit vom Juli 2016 bis März 2017 befand sich der Betroffene in Strafhaft. Nach seiner Haftentlassung war er zunächst vorläufig in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik untergebracht. Auf Antrag seiner Betreuerin hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 10. Mai 2017 dessen Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik bis längstens 10. Mai 2018 genehmigt.
Die von der Verfahrenspflegerin eingelegte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Landgericht hat die fälschlicherweise als sofortige Beschwerde bezeichnete Beschwerde zurückgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die formellen Voraussetzungen der Genehmigung der Unterbringung seien erfüllt. Die vor einer Unterbringungsmaßnahme notwendige förmliche Beweisaufnahme habe stattgefunden. Zwar gehöre zur Wahrung der Anhörungspflicht, dass der Betroffene vor der Anhörung Gelegenheit habe, „schriftlich Einblick in das fachärztliche Gutachten zu nehmen“. Hier sei die vorhergehende Übersendung des Gutachtens vor der Anhörung ausweislich des Akteninhalts an die Betreuerin und an die Verfahrenspflegerin erfolgt. Anhaltspunkte dafür, dass keiner der Empfänger mit dem Betroffenen über das Gutachten gesprochen habe, lägen nicht vor. Von einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen sei abgesehen worden, weil dieser in erster Instanz mehrfach angehört worden sei und von einer erneuten Anhörung keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien.
Die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen sei auch materiellrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts verfahrensfehlerhaft ergangen sind.
a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass dem Betroffenen das eingeholte Sachverständigengutachten nicht persönlich bekanntgegeben wurde.
aa) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 316 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911 Rn. 5 mwN).
bb) Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht.
Aus der Gerichtsakte lässt sich nicht ersehen, dass der Inhalt des Gutachtens dem Betroffenen in vollem Umfang bekannt gegeben worden ist. Auch das Beschwerdegericht geht davon aus, dass das Sachverständigengutachten nur an die Betreuerin und die Verfahrenspflegerin, nicht aber an den Betroffenen selbst, übersandt worden ist.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ersetzt die Bekanntgabe des Gutachtens an die Verfahrenspflegerin eine Bekanntgabe an den Betroffenen nicht, denn der Verfahrenspfleger ist - anders als ein Verfahrensbevollmächtigter - nicht Vertreter des Betroffenen im Verfahren (Senatsbeschlüsse vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911 Rn. 7 und vom 11. Februar 2015 - XII ZB 48/14 - FamRZ 2015, 918 Rn. 6 mwN). Durch eine Bekanntgabe an den Verfahrenspfleger kann allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn das Betreuungsgericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen entsprechend § 325 Abs. 1 FamFG (vgl. auch § 288 Abs. 1 FamFG) absieht, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, und die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juni 2011 - XII ZB 43/11 - FamRZ 2011, 1289 Rn. 8 mwN). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Insbesondere enthält das Sachverständigengutachten keinen Hinweis darauf, dass der Betroffene durch dessen Bekanntgabe Gesundheitsnachteile entsprechend § 325 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte.
Ebenso wenig konnte die erforderliche persönliche Bekanntgabe an den Betroffenen durch die Übersendung des Gutachtens an die Betreuerin ersetzt werden. Selbst wenn die Betreuerin mit dem Betroffenen über das Gutachten gesprochen hätte, wie das Beschwerdegericht ohne entsprechende Feststellungen unterstellt, genügte dies allein nicht, um dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör gerecht zu werden (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 - XII ZB 183/17 - FamRZ 2017, 1715 Rn. 6).
b) Ebenfalls mit Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Beschwerdegericht nicht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen habe absehen dürfen.
aa) Nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Diese Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch in einem Unterbringungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. März 2017 - XII ZB 358/16 - FamRZ 2017, 996 Rn. 6 mwN).
bb) Gemessen daran durfte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen. Die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht litt an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil dem Betroffenen das eingeholte Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen wurde. Das Beschwerdegericht hätte diesen Mangel durch die Übersendung des Sachverständigengutachtens an den Betroffenen und dessen anschließende erneute Anhörung beheben müssen.
3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die fehlerhaften Verfahrenshandlungen nicht selbst nachholen und die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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