Entscheidungsdatum: 16.05.2018
Lässt sich in einer durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache anhand der Gerichtsakten und der von den Instanzgerichten getroffenen Feststellungen nicht klären, ob das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen bzw. im Falle des (entsprechend anwendbaren) § 325 Abs. 1 FamFG zumindest dem Verfahrenspfleger bekanntgegeben wurde und die Erwartung gerechtfertigt war, dass dieser mit dem Betroffenen über das Gutachten sprechen werde, ist von einer Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör auszugehen.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme genehmigende Beschluss des Amtsgerichts Winsen (Luhe) vom 27. September 2017 und der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 6. Oktober 2017, soweit mit diesem die gegen die Genehmigung dieser Einwilligung gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen worden ist, die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde verworfen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse zur Hälfte auferlegt.
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung und der Einwilligung in ihre Zwangsbehandlung.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 11. September 2017 die vorläufige Unterbringung der Betroffenen bis zum 22. Oktober 2017 und mit weiterem Beschluss vom 27. September 2017 eine ärztliche Zwangsmaßnahme bis zum 7. November 2017 genehmigt. Das Landgericht hat auf die Beschwerde der Betroffenen den Tenor des erstgenannten Beschlusses dahingehend konkretisiert, dass die Unterbringung der Betroffenen in einem Psychiatrischen Krankenhaus zu erfolgen hat. Den Beschluss vom 27. September 2017 hat es hinsichtlich der Art und Dosis der Medikation sowie der Dokumentation teilweise abgeändert und insoweit neu gefasst. Im Übrigen hat das Landgericht die Beschwerden der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie die Feststellung erstrebt, dass die genannten Beschlüsse sie in ihren Rechten verletzt haben.
II.
Die Rechtsbeschwerde gegen die Genehmigung der Unterbringung ist unzulässig und daher zu verwerfen. Im Übrigen hat die Rechtsbeschwerde Erfolg; sie führt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des amts- und landgerichtlichen Beschlusses.
1. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Genehmigung der Unterbringung richtet, ist sie gemäß § 70 Abs. 4 FamFG unstatthaft, weil die Ausgangsentscheidung als einstweilige Anordnung nach § 331 FamFG ergangen ist.
2. Die Rechtsbeschwerde gegen die Genehmigung der Einwilligung der Betreuerin in die ärztliche Zwangsbehandlung ist hingegen zulässig und begründet.
a) Bei der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbringungssache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der hier aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 - XII ZB 600/14 - FamRZ 2015, 1706 Rn. 5 mwN).
b) Die Entscheidungen von Amts- und Landgericht zur Genehmigung der Einwilligung der Betreuerin in die ärztliche Zwangsbehandlung haben die Betroffene in ihren Rechten verletzt, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG festzustellen ist (Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 - XII ZB 600/14 - FamRZ 2015, 1706 Rn. 6 mwN).
aa) Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Gemäß § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen (Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 - XII ZB 600/14 - FamRZ 2015, 1706 Rn. 7 mwN).
Die Verwertung des Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 316 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Durch eine Bekanntgabe an einen Verfahrenspfleger kann allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn das Betreuungsgericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen entsprechend § 325 Abs. 1 FamFG (vgl. auch § 288 Abs. 1 FamFG) absieht, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, und die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (Senatsbeschluss vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911 Rn. 5, 7 mwN).
bb) Diesen Anforderungen wird das instanzgerichtliche Verfahren nicht gerecht.
Das Landgericht hat in seiner Entscheidung maßgeblich auf zwei Gutachten abgestellt. Das Gutachten des Sachverständigen S. vom 9. August 2017 ist indes lediglich zur Frage der Notwendigkeit einer Betreuung eingeholt worden und kann schon deshalb für die Genehmigung einer Zwangsbehandlung nicht herangezogen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 - XII ZB 600/14 - FamRZ 2015, 1706 Rn. 8). Zwar ist nach dem Gutachten eine neuerliche nervenärztlich-medikamentöse Behandlung dringend erforderlich. Erforderliche Konkretisierungen hierzu, etwa welche Medikamente in welchen Dosen indiziert seien, enthält das - lediglich zur Prüfung der Einrichtung einer Betreuung eingeholte - Gutachten folgerichtig nicht. Zudem hat der Gutachter vor dem Hintergrund der "nur äußerst eingeschränkten Explorationsmöglichkeit" eine zeitnahe Nachbegutachtung empfohlen.
Das weitere, ausdrücklich zur Frage der Zwangsbehandlung eingeholte Gutachten des Sachverständigen W. vom 27. September 2017, auf das sich das Landgericht bezieht, kann - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - nicht verwertet werden. Das Gutachten hat ersichtlich keinen Eingang in die Gerichtsakten gefunden und ist erst auf Anforderung des Senatsvorsitzenden vom Landgericht gesondert übersandt worden. Den vorliegenden Gerichtsakten und auch den nachträglich übersandten Unterlagen lässt sich nicht entnehmen, dass das Gutachten den Verfahrensbeteiligten in der gebotenen Weise bekannt gegeben worden ist. Zwar sollte das Gutachten nach dem Dafürhalten des Sachverständigen der Betroffenen nicht ausgehändigt werden, weil sie den Inhalt wahnhaft interpretieren könnte. Es ist aber weder festgestellt noch aus den Gerichtsakten ersichtlich, dass das vom Tag des angefochtenen amtsgerichtlichen Beschlusses datierende Gutachten dem Verfahrenspfleger bekanntgegeben worden ist und dass die Erwartung gerechtfertigt war, dieser werde mit der Betroffenen über das Gutachten sprechen (Senatsbeschlüsse vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911 Rn. 7 mwN und vom 8. Juni 2011 - XII ZB 43/11 - FamRZ 2011, 1289 Rn. 8 mwN).
cc) Die Betroffene ist durch die mit den angegriffenen Entscheidungen erteilte Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme in ihrer durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten körperlichen Integrität und dem vom Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mitumfassten Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer körperlichen Integrität verletzt worden (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 - XII ZB 195/17 - FamRZ 2018, 121 Rn. 29).
Die Feststellung, dass ein Betroffener durch die angefochtenen Entscheidungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel eines rechtswidrigen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte körperliche Integrität und in das Recht auf Selbstbestimmung des Betroffenen hinsichtlich seiner körperlichen Integrität hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 - XII ZB 600/14 - FamRZ 2015, 1706 Rn. 13 mwN).
Lässt sich - wie hier - in einer durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache anhand der Gerichtsakten und der von den Instanzgerichten getroffenen Feststellungen nicht klären, ob das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen bzw. im Falle des (entsprechend anwendbaren) § 325 Abs. 1 FamFG zumindest dem Verfahrenspfleger bekanntgegeben wurde und die Erwartung gerechtfertigt war, dass dieser mit dem Betroffenen über das Gutachten sprechen werde, ist von einer Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör auszugehen. Dieser Verfahrensfehler ist auch so gewichtig, dass er die Feststellung nach § 62 FamFG zu rechtfertigen vermag, weil er einer Verwertung des gemäß § 321 Abs. 1 FamFG unabdingbaren Sachverständigengutachtens entgegensteht.
Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten - Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 - XII ZB 195/17 - FamRZ 2018, 121 Rn. 31 mwN).
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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