Entscheidungsdatum: 05.10.2016
Beabsichtigt das Gericht, in einem Betreuungsverfahren ein in einem anderen Verfahren eingeholtes Sachverständigengutachten entsprechend § 411a ZPO zu verwerten, muss es den Beteiligten zuvor rechtliches Gehör gewähren (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 27. April 2016, XII ZB 611/15, FamRZ 2016, 1149 und vom 16. November 2011, XII ZB 6/11, FamRZ 2012, 293).
Auf die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und des weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Amberg vom 26. Februar 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 €.
I.
Für die 92-jährige Betroffene wurde ein Betreuungsverfahren im November 2013 eingestellt, nachdem sie am 10. Oktober 2013 eine (notariell beurkundete) Vorsorgevollmacht für ihren Sohn, den Beteiligten zu 1, errichtet und ein ärztliches Gutachten zuvor bei der Betroffenen zwar bereits beginnende kognitive Defizite, aber keine relevante Einschränkung der freien Willensbildung festgestellt und ihr Geschäftsfähigkeit für die Errichtung einer Vorsorgevollmacht attestiert hatte. Ein weiteres Betreuungsverfahren, in dem das gerichtlich erhobene Sachverständigengutachten vom 28. März 2015 bei der Betroffenen eine mittelschwere Demenz (ICD-10 F 03) feststellte, wurde im Juni 2015 im Hinblick auf die Vorsorgevollmacht für den Beteiligten zu 1 eingestellt. Im Dezember 2015 hat das Amtsgericht auf Anregung der caritas Sozialstation, die eine mangelhafte Pflegesituation bei der Betroffenen anzeigte, nach Anhörung der Betroffenen eine Betreuung mit folgenden Aufgabenkreisen angeordnet:
- Vermögenssorge
- Aufenthaltsbestimmung
- Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages
- Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber ihrem Bevollmächtigten, insbesondere auch Widerruf der Vorsorgevollmacht vom 10. Oktober 2013
- Entgegennahme, Anhalten und Öffnen der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise
- Gesundheitsfürsorge einschließlich hiermit verbundener Aufenthaltsbestimmung
- Organisation der ambulanten Versorgung
- Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern.
Das Landgericht hat die Beschwerden der Betroffenen und des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Hiergegen richten sich ihre Rechtsbeschwerden.
II.
Die Rechtsbeschwerden sind ohne Zulassung statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig.
Sie sind auch begründet und führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, das Amtsgericht habe ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Betroffene persönlich angehört. Die Betroffene leide an einer Demenz in Form einer mittelschweren psychischen Störung. Die Voraussetzungen für eine freie Willensbildung seien bei der Betroffenen nicht mehr gegeben. Dies ergebe sich aus dem im Vorverfahren eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 28. März 2015. Auch Betreuungsbedürftigkeit und Betreuungsbedarf seien gegeben. Der Beteiligte zu 1 sei offensichtlich weder geeignet noch gewillt, die Vollmacht zum Wohl der Betroffenen einzusetzen. Dies ergebe sich aus der Stellungnahme der Verfahrenspflegerin vom 2. Februar 2016 und decke sich nachvollziehbar mit der Ansicht des Ausgangsgerichts und der Schilderung der mangelhaften Pflegesituation seitens der caritas Sozialstation. Die Anordnung der Betreuung sei auch gegen den Willen der Betroffenen möglich. Denn das psychiatrische Gutachten vom 28. März 2015 stelle hierzu fest, dass die Betroffene aufgrund ihrer Demenz ihren Willen nicht mehr frei bestimmen könne.
2. Die angefochtene Entscheidung hält bereits den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerden nicht stand.
Das Beschwerdegericht hätte das Sachverständigengutachten aus dem vorangegangenen Betreuungsverfahren nicht verwerten dürfen, ohne die Betroffene und den Beteiligten zu 1 auf die beabsichtigte Verwertung hinzuweisen und hierzu ausreichend rechtliches Gehör zu gewähren.
Gemäß § 280 Abs. 1 FamFG hat vor der Bestellung eines Betreuers eine förmliche Beweisaufnahme über die Notwendigkeit der Maßnahme durch Einholung eines Gutachtens stattzufinden. Die förmliche Beweisaufnahme muss sich auch auf die fehlende Fähigkeit zur freien Willensbildung beziehen, wenn ein Betreuer gegen den Willen des Betroffenen bestellt werden soll (Senatsbeschluss vom 27. April 2016 - XII ZB 611/15 - FamRZ 2016, 1149 Rn. 14). Wegen der gesetzlich angeordneten Förmlichkeit der Beweisaufnahme (§§ 280 Abs. 1, 30 Abs. 2 FamFG) kann das in einem anderen Verfahren eingeholte Gutachten nur dann verwertet werden, wenn es gemäß § 411 a ZPO in das Verfahren eingeführt und dem Betroffenen Gelegenheit gegeben worden ist, zu den Ausführungen des zu verwertenden Gutachtens in dem vorliegenden Verfahren Stellung zu nehmen. Beabsichtigt das Gericht von der Möglichkeit des § 411 a ZPO Gebrauch zu machen, muss es den Beteiligten vor der Anordnung der Verwertung rechtliches Gehör gewähren (Senatsbeschlüsse vom 27. April 2016 - XII ZB 611/15 - FamRZ 2016, 1149 Rn. 15 und vom 16. November 2011 - XII ZB 6/11 - FamRZ 2012, 293 Rn. 24).
Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Rechtsbeschwerdeführer rügen zu Recht, dass ihnen hinsichtlich der aus dem Sachverständigengutachten vom 28. März 2015 verwerteten Feststellungen kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden ist. Weder das Amts- noch das Landgericht haben die beabsichtigte Verwertung des Sachverständigengutachtens angekündigt oder den Beteiligten rechtliches Gehör zu der beabsichtigten Verwertung gewährt. Dass dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen Einsicht auch in die Beiakte gewährt wurde, in der sich das Gutachten befindet, vermag das für ein Vorgehen nach § 411 a ZPO erforderliche rechtliche Gehör nicht zu ersetzen.
3. Der angefochtene Beschluss kann deshalb keinen Bestand haben.
Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da nach ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs zunächst tragfähige aktuelle Feststellungen über die Notwendigkeit einer Betreuung in den angeordneten Aufgabenkreisen und die Fähigkeit der Betroffenen zur freien Willensbildung (insbesondere hinsichtlich ihres seit Einleitung des ersten Betreuungsverfahrens konsequent und durchgehend geäußerten Wunsches, beim Beteiligten zu 1 zu leben und von diesem versorgt zu werden) zu treffen sind. Die Sache ist deshalb an das Landgericht zurückzuverweisen. Soweit die Rechtsbeschwerden darüber hinaus die Erforderlichkeit einer Betreuung trotz der Vorsorgevollmacht für den Beteiligten zu 1 in Frage stellen, da weder die Stellungnahme der Betreuungsbehörde vom 23. November 2015 noch das Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern vom 10. November 2015 noch das Anhörungsprotokoll des Amtsgerichts vom 17. Dezember 2015 bestätigt hätten, dass der Beteiligte zu 1 der Pflegesituation seiner Mutter nicht nachkomme(n könne), wird das Landgericht dies ebenfalls zu prüfen haben. Im Übrigen setzt eine Betreuung, die sich (auch) auf die Befugnis zum Widerruf erteilter Vorsorgevollmachten erstrecken soll, tragfähige Feststellungen voraus, dass das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls der Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt (vgl. im Einzelnen Senatsbeschluss vom 13. Juli 2016 - XII ZB 488/15 - NJW-RR 2016, 1095).
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Klinkhammer Schilling Günter
Botur Krüger