Entscheidungsdatum: 13.07.2016
Die im Zeitpunkt einer noch vorhandenen Geschäftsfähigkeit geäußerte Absicht eines Betroffenen, eine erteilte (Vorsorge-)Vollmacht zu widerrufen, kann für sich genommen die Erweiterung des Aufgabenkreises eines Betreuers auf den Widerruf von Vollmachten nicht rechtfertigen.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg vom 10. September 2015 aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 25. März 2015 aufgehoben, soweit darin die Betreuung auf den Aufgabenkreis "Widerruf erteilter Vollmachten, insbesondere der notariellen Vollmacht vom 15. Mai 2009" erweitert worden ist.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Die außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Beschwerdewert: 5.000 €
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die Erweiterung der für sie bestehenden Betreuung um den Aufgabenkreis "Widerruf erteilter Vollmachten, insbesondere der notariellen Vollmacht vom 15. Mai 2009".
Für die Betroffene ist seit Juni 1992 ein Betreuer mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit, Vermögenssorge und Wohnungsangelegenheiten bestellt. Am 15. Mai 2009 errichtete die Betroffene eine notariell beurkundete Generalvollmacht, mit der sie Frau C. R. (nachfolgend: Bevollmächtigte) zur Vertretung in allen Vermögensangelegenheiten und persönlichen Angelegenheiten bevollmächtigte. Die Vollmacht sollte über den Tod hinaus und auch dann gültig sein, wenn die Betroffene ihre Geschäftsfähigkeit verlieren sollte. Die Bevollmächtigte hat von der Vollmacht bislang keinen Gebrauch gemacht. In einer gerichtlichen Anhörung am 20. August 2009 gab die Betroffene an, die notarielle Urkunde sei zu weitgehend, sie wünsche, dass die gesetzliche Betreuerin weiter für sie tätig bleibe.
Nachdem die Betroffene bei ihrer Anhörung am 10. Oktober 2013 angegeben hatte, mit der Verlängerung der Betreuung einverstanden zu sein, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 19. November 2013 die Betreuung unter Beibehaltung der bestehenden Aufgabenkreise mit Überprüfungsfrist zum 19. November 2020 verlängert.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2014 hat die Bevollmächtigte angeregt, die Betreuung im Hinblick auf die bestehende Generalvollmacht aufzuheben. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 25. März 2015 die Betreuung um den Aufgabenkreis "Widerruf erteilter Vollmachten, insbesondere der notariellen Vollmacht vom 15. Mai 2009" erweitert und die Überprüfungsfrist auf den 25. März 2022 festgelegt.
Hiergegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt, die sie in der Beschwerdebegründung auf die Erweiterung der Betreuung beschränkt hat. Das Landgericht hat nach Anhörung der Betroffenen die Beschwerde "verworfen". Hiergegen richtet sich die von der Bevollmächtigten im Namen der Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Betroffene wirksam durch die Bevollmächtigte gemäß § 303 Abs. 4 FamFG, der auch im Verfahren der Rechtsbeschwerde anzuwenden ist (Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702 Rn. 7), vertreten. Nach dieser Vorschrift kann der Vorsorgebevollmächtigte gegen eine Entscheidung, die seinen Aufgabenkreis betrifft, auch im Namen des Betroffenen Beschwerde einlegen.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Das Amtsgericht habe die bestehende Betreuung zu Recht um den Aufgabenkreis des Vollmachtswiderrufs erweitert. Die Betroffene habe bei der Anhörung vom 20. August 2009 erklärt, dass sie die notarielle Urkunde vom 19. Mai 2009 nach genauer Sichtung als zu weitgehend beurteile. Somit sei es bereits 2009 der Wunsch der damals noch geschäftsfähigen Betroffenen gewesen, dass die gesetzliche Betreuung mit Einschluss der gerichtlichen Kontrolle bestehen bleibe. In gleicher Weise habe sich die Betroffene am 16. März 2015 auch gegenüber der Betreuungsbehörde geäußert. Aus deren Stellungnahme vom 19. März 2015 gehe hervor, dass die Betroffene geäußert habe, "außer der Frau vom Amt solle niemand über ihre Finanzen verfügen". Zudem habe die Betroffene bei der Anhörung vom 24. März 2015 auf richterliche Nachfrage ausdrücklich angegeben, dass ein Widerruf der notariellen Vollmacht nicht erfolgt sei, weil sie der Ansicht gewesen sei, die Angelegenheit habe sich durch das Anhörungsprotokoll und die Erklärung gegenüber dem Richter vom 20. August 2009 bereits erledigt.
Zwar ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen vom 10. Dezember 2015, dass die Betroffene nunmehr geschäftsunfähig sei. Zum Zeitpunkt der Anhörung vom 20. August 2009 sei sie dagegen noch geschäftsfähig gewesen und sei es ihr Wille und Wunsch gewesen, dass die Generalvollmacht widerrufen werde. Demgegenüber komme der Erklärung der Betroffenen in der Anhörung vor dem Beschwerdegericht vom 29. Juli 2015, wonach sie die Vollmacht nicht widerrufen wolle, kein entscheidendes Gewicht zu, da die Betroffene zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr geschäftsfähig gewesen sei.
b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Soweit die Instanzgerichte die Betreuerin zum Widerruf erteilter Vollmachten ermächtigt haben, fehlt es hierfür gegenwärtig an einer Grundlage.
aa) Beabsichtigt das Gericht, die Befugnisse eines Betreuers auf den Widerruf erteilter Vorsorgevollmachten zu erstrecken, setzt dies tragfähige Feststellungen voraus, dass das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls der Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt. Selbst wenn behebbare Mängel bei der Vollmachtsausübung festzustellen sein sollten, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst den Versuch, durch einen zu bestellenden Kontrollbetreuer positiv auf den Bevollmächtigten einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechnungslegung sowie durch die Ausübung bestehender Weisungsrechte. Nur wenn diese Maßnahmen fehlschlagen oder aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit als ungeeignet erscheinen, ist die Ermächtigung zum Widerruf der Vollmacht - als ultima ratio - verhältnismäßig (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702 Rn. 34 ff. und vom 14. Oktober 2015 - XII ZB 177/15 - FamRZ 2016, 117 Rn. 16).
bb) Gemessen hieran kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben.
(1) Bereits der rechtliche Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, wonach der im Zeitpunkt einer noch vorhandenen Geschäftsfähigkeit geäußerte Wille eines Betroffenen, eine erteilte (Vorsorge-)Vollmacht zu widerrufen, die Erweiterung des Aufgabenkreises eines Betreuers auf den Widerruf von Vollmachten rechtfertigen könne, ist nicht frei von Rechtsirrtum.
Mit der Vollmachterteilung in gesunden Tagen kann der Vollmachtgeber regeln, wer seine rechtlichen Angelegenheiten besorgen soll, wenn er krankheitsbedingt hierzu nicht mehr selbst in der Lage ist. Diese Möglichkeit der vorsorgenden Bevollmächtigung ist Ausfluss des von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702 Rn. 11). Die Bestimmung des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB bringt zum Ausdruck, dass dieses Selbstbestimmungsrecht aus den Gründen des dem Staat obliegenden Erwachsenenschutzes und damit zum Wohle des Betroffenen im Einzelfall erst dann endet, wenn die rechtliche Fürsorge durch einen Betreuer derjenigen durch den Bevollmächtigten überlegen ist. Eine gegebenenfalls krankheitsbedingte schlichte Meinungsänderung des nicht mehr geschäftsfähigen Betroffenen kann die in gesunden Tagen geschaffene Rechtswirkung der Vollmachterteilung hingegen nicht beseitigen (Senatsbeschluss vom 17. Februar 2016 - XII ZB 499/15 - juris Rn. 18).
(2) Außerdem weist die Rechtsbeschwerde zu Recht darauf hin, dass die getroffenen Feststellungen die Annahme, der Widerruf der Vollmacht entspreche dem Willen der Betroffenen, nicht tragen.
Das Beschwerdegericht stützt diese Annahme im Wesentlichen auf die Äußerung der Betroffenen in der Anhörung vom 20. August 2009, wonach sie bei genauer Sichtung die erteilte Vollmacht als zu weitgehend beurteile. Diese Äußerung lässt indes nicht darauf schließen, dass die Betroffene zu dem damaligen Zeitpunkt den Willen hatte, die Generalvollmacht insgesamt zu widerrufen. Wenn die Betroffene seinerzeit tatsächlich der Meinung gewesen wäre, die notariell beurkundete Generalvollmacht sei zu umfassend, hätte sie die Vollmacht auch einschränken können, zumal sie zu dieser Zeit noch geschäftsfähig war und sie sich ausweislich des Anhörungsprotokolls vom 20. August 2009 der Notwendigkeit eines gesonderten Vollmachtswiderrufs bewusst war. Tatsächlich hat die Betroffene in der Folgezeit die Generalvollmacht aber weder widerrufen noch eingeschränkt. Die Äußerung der Betroffenen ist daher nicht geeignet, mehr als sechs Jahre später eine Betreuung mit der Befugnis zum Widerruf der Generalvollmacht zu rechtfertigen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Beschwerdegericht ergänzend herangezogenen Äußerungen der Betroffenen, die diese am 16. März 2015 gegenüber der Betreuungsbehörde und am 24. März 2015 bei einer gerichtlichen Anhörung gemacht hat. Soweit das Beschwerdegericht aus diesen Äußerungen schließen will, dass die Betroffene trotz der erteilten Generalvollmacht an der rechtlichen Betreuung festhalten möchte, tragen diese Ausführungen die getroffene Entscheidung bereits deshalb nicht, weil sie widersprüchlich sind. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten vom 10. Februar 2015 war die Betroffene bereits zum Untersuchungszeitpunkt am 25. Januar 2015 geschäftsunfähig. Dennoch stellt das Beschwerdegericht auch auf die von der Betroffenen im März 2015 gemachten Äußerungen ab, während es die Erklärung der Betroffenen in der Anhörung vom 29. Juli 2015, wonach sie die Vollmacht nicht widerrufen wolle, im Hinblick auf die Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen für unbeachtlich hält.
(3) Ob und inwieweit der einer Ausübung der Vollmacht durch die Bevollmächtigte möglicherweise entgegenstehende natürliche Wille der Betroffenen dazu führt, dass ihre Angelegenheiten von der Bevollmächtigten nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden könnten, lässt sich der Beschwerdeentscheidung ebenfalls nicht entnehmen. Die Bevollmächtigte hat bislang von der Vollmacht keinen Gebrauch gemacht. Die Instanzgerichte haben auch keine Feststellungen dazu getroffen, dass die Bevollmächtigte die ihr erteilte Generalvollmacht zukünftig in einer Weise ausüben könnte, die eine erhebliche Verletzung des Wohls der Betroffenen befürchten lässt.
3. Der Senat kann abschließend in der Sache entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG), weil keine weiteren Feststellungen zu treffen sind.
Klinkhammer Schilling Günter
Nedden-Boeger Krüger