Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 13.05.2014


BGH 13.05.2014 - X ZR 25/13

Patentnichtigkeitsklage: Berufungsrücknahme im nicht beendeten Berufungsverfahren; Klagerücknahme in der Berufungsinstanz ohne Einwilligung des Beklagten und ohne Zustimmung des Streithelfers - Sitzgelenk


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
10. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
13.05.2014
Aktenzeichen:
X ZR 25/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend BPatG München, 4. Dezember 2012, Az: 4 Ni 21/11, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Sitzgelenk

1. Eine Berufung kann nur zurückgenommen werden, solange das Berufungsverfahren noch nicht beendet ist.

2a. Eine Patentnichtigkeitsklage kann auch in der Berufungsinstanz ohne Einwilligung des Beklagten zurückgenommen werden (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 22. Juni 1993, X ZR 25/86, GRUR 1993, 895 - Hartschaumplatten).

2b. Eine Klagerücknahme durch die Hauptpartei bedarf auch dann nicht der Zustimmung eines auf Seiten des Klägers am Rechtsstreit beteiligten Streithelfers, wenn dieser gemäß § 69 ZPO als Streitgenosse anzusehen ist (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 22. Dezember 1964, Ia ZR 237/63, GRUR 1965, 297 f. - Nebenintervention).

Tenor

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin und der Streithelferin je zur Hälfte auferlegt. Der Antrag, die Klägerin des Rechtsmittels der Berufung für verlustig zu erklären, wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Die Klägerin und ihre Streithelferin haben die teilweise Nichtigerklärung eines deutschen Patents wegen fehlender Patentfähigkeit begehrt. Die Klage ist in erster Instanz erfolglos geblieben. Die Klägerin hat Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel begründet. Die Streithelferin hat eine zusätzliche Entgegenhaltung vorgelegt und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei auch durch den Inhalt dieser Veröffentlichung nahegelegt.

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Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2013 hat die Klägerin mitgeteilt, die Parteien hätten sich vergleichsweise geeinigt, und erklärt, vor diesem Hintergrund nehme sie die Klage zurück. Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2014 hat sie mitgeteilt, diese Erklärung beruhe auf einem Sekretariatsversehen. In dem Vergleich sei vorgesehen, dass sie die Berufung zurücknehme. Dies sei mit dem Schriftsatz vom 18. Dezember 2013 gemeint gewesen, was nunmehr richtiggestellt werde. Vorsorglich hat die Klägerin erklärt, sie erkenne das Urteil des Patentgerichts an.

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Die Beklagte beantragt, einen Beschluss gemäß § 516 ZPO zu erlassen. Hilfsweise beantragt sie eine Kostenentscheidung gemäß § 269 Abs. 4 ZPO.

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II. Das Begehren der Beklagten hat nur mit dem Hilfsantrag Erfolg.

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1. Der Antrag, die Klägerin gemäß § 110 Abs. 8 PatG und § 516 ZPO des Rechtsmittels der Berufung für verlustig zu erklären und ihr die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen, ist unbegründet. Zwar kann dem Schriftsatz der Klägerin vom 24. Januar 2014 eine Rücknahme der Berufung entnommen werden. Diese ist jedoch unwirksam, weil der Rechtsstreit bereits durch die Klagerücknahme im Schriftsatz vom 18. Dezember 2013 beendet wurde.

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a) Nach § 516 Abs. 1 ZPO, der gemäß § 110 Abs. 8 PatG im Patentnichtigkeitsverfahren entsprechend gilt, kann der Berufungskläger sein Rechtsmittel bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Wenn es nicht zur Verkündung eines Berufungsurteils kommt, bleibt die Rücknahme der Berufung zulässig, solange das Berufungsverfahren noch nicht beendet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2011 - III ZB 24/11, BGHZ 190, 197 = NJW 2011, 2662 Rn. 14).

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b) Im Streitfall hat bereits die Rücknahme der Klage im Schriftsatz vom 18. Dezember 2013 zur Beendigung des Rechtsstreits und damit des Berufungsverfahrens geführt.

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aa) Dieser Schriftsatz enthält seinem Wortlaut nach eine Rücknahme der Klage. Diese Prozesshandlung ist auch dann wirksam, wenn sie auf einem Sekretariatsversehen beruht und die Klägerin in Wahrheit nicht die Klage, sondern die Berufung zurücknehmen wollte.

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Zwar darf die Auslegung einer Prozesshandlung nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften. Vielmehr ist der wirkliche Wille der Partei zu erforschen und davon auszugehen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Deshalb kann eine Prozesshandlung berichtigt werden, wenn es sich um einen offensichtlichen Irrtum handelt (BGH, Urteil vom 1. August 2013 - VII ZR 268/11, NJW 2014, 155 Rn. 30 mwN). Voraussetzung für eine vom Wortlaut abweichende Auslegung oder Berichtigung ist aber, dass der abweichende Wille aus dem Schriftsatz oder sonstigen zu dessen Auslegung heranzuziehenden Umständen hervorgeht und sowohl für den Gegner als auch für das Gericht offensichtlich ist (BGH, Beschluss vom 26. September 2007 - XII ZB 80/07, NJW-RR 2008, 85 Rn. 20).

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Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Die Klägerin hat zwar in ihrem Schriftsatz vom 18. Dezember 2013 auf einen außergerichtlichen Vergleich Bezug genommen und erklärt, sie nehme die Klage "vor diesem Hintergrund" zurück. Sie hat den Text des Vergleichs aber nicht vorgelegt und damals auch nicht mitgeteilt, dass sie sich darin zur Rücknahme der Berufung verpflichtet hat. Angesichts dessen gab es für den Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht die Klage, sondern das Rechtsmittel zurücknehme wollte.

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bb) Ein Widerruf oder eine Anfechtung der wirksam erklärten Klagerücknahme ist nicht möglich.

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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die für Willenserklärungen geltenden Vorschriften über Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit wegen Willensmängeln auf Prozesshandlungen weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Prozesshandlungen können nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne von § 580 ZPO vorliegt oder wenn das Gesetz den Widerruf ausdrücklich gestattet, wie z.B. § 290 ZPO für das Geständnis (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - II ZR 262/08, NJW 2013, 2686 Rn. 7 mwN). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall ebenfalls nicht erfüllt.

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cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten bedurfte die Klagerücknahme nicht ihrer Zustimmung. § 269 Abs. 1 ZPO ist im Patentnichtigkeitsverfahren nicht anwendbar.

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Wie auch die Beklagte nicht verkennt, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine Patentnichtigkeitsklage in jeder Lage des Verfahrens ohne Einwilligung des Beklagten zurückgenommen werden kann. Als maßgeblich hierfür hat der Senat angesehen, dass das Interesse des Nichtigkeitsbeklagten an einer Sicherung vor weiteren Angriffen zurücktreten muss, weil dem Nichtigkeitskläger nicht angesonnen werden kann, gegen seinen Willen als Anwalt der öffentlichen Belange aufzutreten, und weil während der Laufzeit des Patents eine auf denselben Klagegrund gestützte Nichtigkeitsklage ohnehin jederzeit auch von anderen Personen erhoben werden kann (BGH, Beschluss vom 22. Juni 1993 - X ZR 25/86, GRUR 1993, 895 - Hartschaumplatten).

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Die von der Beklagten dagegen angeführten Argumente führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

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(1) Zwar mag ein Patentinhaber im Einzelfall ein Interesse daran haben, dass gerade eine bestimmte Partei daran gehindert ist, das Patent erneut mit einer auf denselben Klagegrund gestützten Nichtigkeitsklage anzugreifen. Ob eine solche Interessenlage besteht, ist indes eine Frage des Einzelfalls. Die Frage, ob eine Klagerücknahme der Zustimmung des Gegners bedarf, kann jedoch nicht von Umständen abhängen, deren Ermittlung und Bewertung im Einzelfall mit großen Unsicherheiten verbunden sein kann.

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Unabhängig davon bietet die Abweisung der von einer bestimmten Partei erhobenen Nichtigkeitsklage ohnehin keinen zuverlässigen Schutz gegen eine nachfolgende Nichtigkeitsklage eines Unternehmens, das mit der ersten Nichtigkeitsklägerin zwar rechtlich oder wirtschaftlich verbunden ist, aber dennoch eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt und deshalb nicht als bloßer Strohmann angesehen werden kann.

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(2) Vor diesem Hintergrund ist auch für eine Klagerücknahme in der Berufungsinstanz keine abweichende Beurteilung geboten.

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Die von der Beklagten angeführte Möglichkeit, die Berufung zurückzunehmen, stellt ohnehin nur dann eine Alternative zur Klagerücknahme dar, wenn die Klage in erster Instanz abgewiesen wurde. Auch in dieser Konstellation erscheint es angesichts der geringen Vorteile, die dem Beklagten entstehen, wenn die erstinstanzliche Entscheidung rechtskräftig wird, nicht gerechtfertigt, dem Kläger eine Rücknahme der Klage zu verwehren.

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Im Streitfall entstehen der Beklagten insoweit ohnehin keine Nachteile. Wenn sich die Klägerin wirksam verpflichtet hat, die Berufung zurückzunehmen, ist sie auch dann an einer erneuten Klage gehindert, wenn sie stattdessen die Rücknahme der Klage erklärt hat. Die Klägerin ist aufgrund der übernommenen Verpflichtung gehalten, die Beklagte so zu stellen, als sei das erstinstanzliche Urteil durch Berufungsrücknahme rechtskräftig geworden. Damit ist es ihr verwehrt, das Streitpatent erneut aus demselben Klagegrund anzugreifen.

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Das von der Beklagten angeführte Interesse, eine rechtskräftig gewordene Klageabweisung gegenüber anderen potentiellen Nichtigkeitsklägern als "Abschreckungsmittel" einzusetzen, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit ein solches Interesse rechtlich schützenswert ist. Jedenfalls hat der Umstand, dass die von einer anderen Partei erhobene Nichtigkeitsklage in erster Instanz erfolglos geblieben ist, auch dann gewisse Signalwirkung, wenn das Urteil später durch Klagerücknahme seine Wirkung verloren hat. Der Umstand, dass das Urteil rechtskräftig geworden ist, vermag diese Signalwirkung jedenfalls dann nicht in wesentlichem Umfang zu steigern, wenn die Rechtskraft auf einer Berufungsrücknahme beruht.

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(3) Angesichts all dessen führt auch die von der Beklagten aufgezeigte Gefahr, dass der Nichtigkeitsbeklagte bei Rücknahme der Klage einen begründeten Anspruch auf Verzinsung der zu erstattenden Prozesskosten verlieren könnte, nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

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Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein auf der Grundlage einer erstinstanzlichen Kostenentscheidung gestellter Antrag auf Kostenfestsetzung oder ein bereits ergangener Kostenfestsetzungsbeschluss unwirksam werden, wenn die Kostengrundentscheidung wegen Klagerücknahme gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos wird oder ob - ebenso wie bei einer teilweisen Abänderung der Kostengrundentscheidung in der Berufungsinstanz (dazu BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2005 - X ZB 7/05, NJW 2006, 1140 Rn. 3) - derjenige Teil der erstinstanzlichen Kosten, die eine Partei nach beiden Kostengrundentscheidungen zu tragen hat, weiterhin vom Zeitpunkt des Eingangs des ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrags an zu verzinsen ist. Selbst wenn dem Nichtigkeitsbeklagten durch eine Rücknahme der Klage insoweit ein Nachteil entstünde, fiele dieser vor dem Hintergrund der aufgezeigten Interessenlage nicht derart stark ins Gewicht, dass er eine Fortsetzung des Rechtsstreits gegen den Willen des Klägers rechtfertigen könnte.

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Im Streitfall entstehen der Beklagten zudem auch insoweit keine konkreten Nachteile. Die Verpflichtung der Klägerin, die Berufung zurückzunehmen, umfasst die Pflicht, die Beklagte auch hinsichtlich der Prozesskosten so zu stellen, wie diese im Falle einer Berufungsrücknahme stünde.

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dd) Die Klagerücknahme bedurfte nicht der Zustimmung der Streithelferin.

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Im Patentnichtigkeitsverfahren ist ein Streithelfer des Klägers zwar entsprechend § 69 ZPO als Streitgenosse anzusehen (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 Rn. 44 - Sammelhefter II). Auch ein Streithelfer, dem diese Stellung zukommt, kann einer Rücknahme der Klage durch die Hauptpartei aber nicht widersprechen. Er ist auch nicht befugt, den Rechtsstreit nach der Klagerücknahme alleine fortzuführen (BGH, Beschluss vom 22. Dezember 1964 - Ia ZR 237/63, GRUR 1965, 297 f. - Nebenintervention; ebenso für den Fall der Rücknahme der von der Hauptpartei eingelegten Berufung BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - Xa ZR 110/08, GRUR 2011, 359 Rn. 4 - Magnetowiderstandssensor).

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2. Auf den Hilfsantrag der Beklagten ist gemäß § 269 Abs. 4 Satz 1 ZPO über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Diese sind gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2, § 101 Abs. 2 und § 100 Abs. 1 ZPO der Klägerin und der Streithelferin, die sich auch am Berufungsverfahren beteiligt hat, zu gleichen Teilen aufzuerlegen.

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