Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 05.11.2018


BGH 05.11.2018 - X ZB 13/17

Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
10. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
05.11.2018
Aktenzeichen:
X ZB 13/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:051118BXZB13.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend BPatG München, 10. April 2017, Az: 15 W (pat) 48/16, Beschlussnachgehend BGH, 5. November 2018, Az: X ZB 13/17, Beschlussnachgehend BGH, 19. März 2019, Az: X ZB 13/17, Beschluss
Zitierte Gesetze
PatG

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 15. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 10. April 2017 wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Der Rechtsbeschwerdeführer ist Inhaber des deutschen Patents 10 2005 012 924, das am 21. März 2005 angemeldet worden ist und ein Verfahren zur Herstellung von Polyvinylacetalen betrifft.

2

Patentanspruch 1, auf den 15 weitere Ansprüche rückbezogen sind, lautet in der erteilten Fassung:

"Verfahren zur Herstellung von Polyvinylacetalen, bei dem man mindestens ein Polymer A, welches, bezogen auf sein Gesamtgewicht,

a) 1.0 bis 100.0 mol-% Struktureinheiten der Formel (1)

Abbildung

worin R1 Wasserstoff oder Methyl bedeutet,

b) 0 bis 99.0 mol-% Struktureinheiten der Formel (2)

Abbildung

worin R2 Wasserstoff oder ein Alkylrest mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen darstellt,

c) 0 mol-% von Struktureinheiten der Formel (3)

Abbildung

worin R3, R4, R5 und R6 jeweils, unabhängig voneinander Reste mit einem Molekulargewicht im Bereich von 1 bis 500 g/mol sind, enthält,

in Gegenwart eines Säurekatalysators mit mindestens einer Verbindung B der Formel (4) umsetzt,

Abbildung

worin R7 und R8 jeweils unabhängig voneinander Wasserstoff, COOH, COOM, eine Alkylgruppe mit 1 bis 10 Kohlenstoffatomen oder eine Arylgruppe mit 6 bis 12 Kohlenstoffatomen sind und wobei M ein Metallkation oder ein Ammoniumkation ist,

dadurch gekennzeichnet, dass Polymer A eine Mischung mindestens zweier hoch-hydrolysierter Polyvinylalkohole (Gehalte an Struktureinheiten der Formel (3) = 0 mol-% bzw. Formel (2) = 0 bis 5.0 mol-%) mit unterschiedlicher Viskosität enthält und die Viskosität dieser Mischung zwischen 25.0 mPas und 35.0 mPas beträgt (gemessen als 4.0%-ige wässrige Lösung gemäß DIN 53015), dass die Umsetzung ohne den Zusatz von Tensiden durchgeführt wird, dass Verbindung B n-Butyraldehyd ist und dass der Quotient X/Y, wobei X die zeitliche Dauer der bei mindestens 50 Grad erfolgenden Nach-Reaktionsphase (Heiß-Modifizierung) und Y die zeitliche Dauer der bei maximal 30 Grad erfolgenden Vor-Reaktionsphase (Kalt-Modifizierung) bedeuten, einen Zahlenwert zwischen 0,1 und 1,0 ergibt und die Acetalisierungs-Gesamtlaufzeit (Summe aus zeitlicher Dauer der Vor-, Nach- und Zwischen-Reaktionsphase bzw. Aufheizphase) maximal 250 Minuten beträgt."

3

Die Rechtsbeschwerdegegnerin hat gegen das Streitpatent Einspruch erhoben und geltend gemacht, dessen Gegenstand sei nicht patentfähig. Der Patentinhaber hat das Streitpatent in der erteilten und hilfsweise in geänderten Fassungen verteidigt.

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Das Patentamt hat das Streitpatent widerrufen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich der Patentinhaber mit der Rechtsbeschwerde.

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II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung sei gegenüber der Lehre der internationalen Anmeldung WO 2004/005358 (D1) nicht neu. Hilfsantrag I sei unzulässig. Es könne offen bleiben, ob die in den Hilfsanträgen II bis V aufgenommenen Merkmale die Neuheit begründen könnten. Ihr jeweiliger Gegenstand beruhe jedenfalls gegenüber dem Vergleichsbeispiel 5 der D1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Arbeitsweisen der ergänzten Merkmale erschlössen sich dem Fachmann, der mit der Produktion von Polyvinylacetalen befasst sei. Die mit Hilfsantrag IV erfolgte weitere Einschränkung des Merkmals 6 auf einen Quotienten X:Y mit einem Zahlenwert zwischen 0,45 und 0,75 liege ebenfalls nahe. D1 gebe in den Ausführungsbeispielen 1 bis 4 Zahlenwerte von etwa 0,72 vor, während sich für das Vergleichsbeispiel 5 ein mit 0,8 knapp außerhalb des Bereichs liegender Wert errechne. Damit habe der Fachmann am Prioritätstag sowohl eine Vor-Reaktionsphase als auch eine Nach-Reaktionsphase und damit Temperatur- und Zeitregime in Betracht gezogen, in denen dieser Quotient im Bereich des mit Hilfsantrag IV beanspruchten Bereichs liege. Dem Fachmann sei aus seinem Grundwissen geläufig, dass Reaktionszeit und Reaktionstemperatur in unmittelbarem Zusammenhang den Reaktionsverlauf beeinflussten und deshalb routinemäßig wiederkehrendem Optimieren unterlägen.

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III. Die Angriffe der Rechtsbeschwerde bleiben ohne Erfolg.

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1. Das Rechtsmittel ist statthaft, weil der nicht an eine Zulassung gebundene Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG geltend gemacht wird. Es ist aber unbegründet. Das Patentgericht hat den Anspruch des Patentinhabers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt.

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2. Die Rechtsbeschwerde sieht durch die Verneinung der erfinderischen Tätigkeit für den Erfindungsgegenstand in der mit Hilfsantrag IV verteidigten Fassung den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Der mit der angegriffenen Entscheidung bestätigte Widerruf des Streitpatents auf Grund mangelnder erfinderischer Tätigkeit stehe im Widerspruch zu der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des Patentgerichts. Dieses habe zu bedenken gegeben, das beanspruchte Verfahren sei möglicherweise in Hinblick auf die Beispiele 1 bis 4 nicht neu. Aufgrund dieses Hinweises habe sich der gesamte Vortrag der Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung auf die Frage der Neuheit konzentriert und habe der Patentinhaber Hilfsantrag IV gestellt. Aus diesem Grund habe dieser auch davon abgesehen, ergänzend zur erfinderischen Tätigkeit des mit diesem Hilfsantrag verfolgten Gegenstands weiter vorzutragen. Wäre ihm hierzu Gelegenheit gegeben worden, hätte er erläutert, warum der Fachmann das bei den Ausführungsbeispielen 1 bis 4 realisierte Zahlenverhältnis nicht auf das Vergleichsbeispiel 5 übertragen hätte.

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3. Diese Rüge ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war das Patentgericht nicht gehalten, dem Patentinhaber durch zusätzliche Hinweise Gelegenheit zur weiteren Erläuterung seines erst in der mündlichen Verhandlung formulierten Hilfsantrags IV zu geben.

11

Das Gericht muss den Verfahrensbeteiligten nicht mitteilen, wie es den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt voraussichtlich würdigen wird. Es reicht in der Regel aus, wenn die Sach- und Rechtslage erörtert und den Beteiligten dadurch aufgezeigt wird, welche Gesichtspunkte für die Entscheidung voraussichtlich von Bedeutung sein werden. Ein Hinweis kann lediglich geboten sein, wenn für die Beteiligten auch bei sorgfältiger Prozessführung nicht vorhersehbar ist, auf welche Erwägungen das Gericht seine Entscheidung stützen wird (BGH, Beschluss vom 27. März 2018 - X ZB 11/17, juris; Beschluss vom 28. November 2012 - X ZB 6/11, GRUR 2013, 318 Rn. 10 - Sorbitol; Beschluss vom 26. August 2014 - X ZB 19/12, GRUR 2014, 1235 Rn. 11 - Kommunikationsrouter; Beschluss vom 15. April 2010 - Xa ZB 10/09, GRUR 2010, 950 Rn. 22 - Walzenformgebungsmaschine).

12

Ein erneuter Hinweis kann allerdings geboten sein, wenn das Gericht hinsichtlich einer entscheidungserheblichen Frage von einer zuvor geäußerten Beurteilung abweichen will (BGH, Beschluss vom 16. Juni 2011 - X ZB 3/10, GRUR 2011, 851 Rn. 11 ff. - Werkstück; GRUR 2014, 1235 Rn. 11 - Kommunikationsrouter), wenn erkennbar ist, dass ein Beteiligter einen erteilten Hinweis falsch aufgenommen hat (BGH, Urteil vom 25. Juni 2002 - X ZR 83/00, NJW 2002, 3317, 3320), oder wenn ein Beteiligter aufgrund des erteilten Hinweises davon ausgehen durfte, dass die darin geäußerten Bedenken durch sein ergänzendes Vorbringen ausgeräumt sind (BGH, Urteil vom 5. November 2003 - VIII ZR 380/02, NJW-RR 2004, 281, 282; Beschluss vom 27. März 2018 - X ZB 11/17, juris).

13

4. Nach diesem Maßstab war das Patentgericht von Verfassungs wegen nicht gehalten, in der hier zu beurteilenden Konstellation auf Bedenken im Zusammenhang mit der erfinderischen Tätigkeit hinzuweisen.

14

a) In dem Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem Patentgericht haben beide Beteiligten schriftsätzlich ausführlich zum Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit Stellung genommen, und zwar sowohl in der Beschwerdebegründung und der Erwiderung als auch in den kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätzen vom 5. August 2016, 17. Februar 2017 und 24. März 2017. In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende den wesentlichen Inhalt der Akten referiert und die Sach- und Rechtslage erörtert. Damit war der Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Danach sah sich der Patentinhaber erstmals veranlasst, hilfsweise den Patentanspruch auch auf den hier in Rede stehenden Gegenstand des weiteren Hilfsantrags IV zu beschränken (Anlage 2 zum Protokoll).

15

b) Selbst wenn der Schwerpunkt der Verhandlung auf der Frage der Neuheit gelegen hat, durfte der Patentinhaber entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht annehmen, allein die Neuheit sei entscheidungserheblich. Denn allein entscheidungserheblich konnte die mangelnde Neuheit der Erfindung nur dann sein, wenn das Patentgericht das Streitpatent aus diesem Grund widerrief. Solange der Patentinhaber der vom Patentgericht hierzu vorläufig geäußerten Auffassung entgegentrat und keinen erkennbaren Anlass zu der Annahme hatte, keinesfalls mit seinen Argumenten durchzudringen, musste er damit rechnen, dass sich das Patentgericht im Rahmen des Widerrufsgrunds der mangelnden Patentfähigkeit auch der Frage der erfinderischen Tätigkeit zuwenden würde.

16

Insoweit zeigt die Rechtsbeschwerde keine Umstände auf, auf Grund deren der Patentinhaber hätte davon ausgehen dürfen, es bedürfe desjenigen Vortrags nicht, den er nach dem Rechtsbeschwerdevorbringen ergänzend zur erfinderischen Tätigkeit gehalten hätte. Dies wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn entweder das Patentgericht zu erkennen gegeben hätte, der Gegenstand des Streitpatents sei nach seiner Auffassung ohne Zweifel patentfähig oder wenn das Patentgericht die mangelnde Patentfähigkeit in dem angefochtenen Beschluss mit Erwägungen begründet hätte, mit denen der Patentinhaber auch bei sorgfältiger Verfahrensführung und Auseinandersetzung mit den Argumenten der Einsprechenden nicht rechnen musste. Weder für das eine noch für das andere ist von der Rechtsbeschwerde etwas dargetan. Der Patentinhaber war deshalb gehalten, alle Gesichtspunkte von sich aus in Betracht zu ziehen, die die Patentfähigkeit gegebenenfalls zusätzlich stützen konnten, seinen Vortrag auch auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit auszurichten und mittels der in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsanträge das Streitpatent auch beschränkt zu verteidigen. Wenn der Patentinhaber grundsätzlich eine (hilfsweise) beschränkte Verteidigung des Streitpatents erwog, gebot es ohnehin eine sorgfältige Verfahrensführung, geänderte Haupt- oder Hilfsanträge rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung einzureichen (BGH, GRUR 2013, 318 Rn. 14 - Sorbitol).

17

5. Aus der von der Beschwerde angeführten Entscheidung "Kollagenase" (BGH, Urteil 25. Februar 2014 - X ZB 5/14, GRUR 2014, 461) folgt keine andere Beurteilung. Nach dem eigenen Vortrag der Rechtsbeschwerde hat das Patentgericht in der mündlichen Verhandlung - wenn auch unter dem Gesichtspunkt der Neuheit - auf die Ausführungsbeispiele 1 bis 4 in der D1 Bezug genommen. Einzig der Umstand, dass das Patentgericht diese Frage letztlich offen gelassen und mit der Lehre der D1 jedenfalls die weitere Voraussetzung einer erfinderischen Tätigkeit i.S.v. § 1 Abs. 1 PatG verneint hat, konnte in der zu beurteilenden Konstellation nicht überraschend sein. Vielmehr musste der Patentinhaber diese Beurteilung durch das Patentgericht bereits von sich aus in Erwägung ziehen, zumal bereits die Patentabteilung die Beispiele 1 und 5 der D1 kombiniert und sich die Einsprechende, wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung aufzeigt, auf den vom Patentgericht herangezogenen Gesichtspunkt der Optimierung von Reaktionsbedingungen berufen hatte.

18

IV. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. § 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG, § 109 Abs. 1 Satz 1 PatG, § 22 Abs. 1 GKG).

19

V. Eine mündliche Verhandlung erachtet der Senat nicht für erforderlich (§ 107 Abs. 1 PatG).

                 

Richter am Bundesgerichtshof

Gröning kann wegen Urlaubsabwesenheit

nicht unterschreiben.

                 

Meier-Beck     

        

Meier-Beck

        

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