Entscheidungsdatum: 15.08.2017
1. Das Oberlandesgericht hat eine Sache bei Bestimmung des zuständigen Gerichts auch dann dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn es von der Rechtsprechung eines anderen Senats desselben Oberlandesgerichts abweichen will.
2. Der ausschließliche dingliche Gerichtsstand ist nicht schon dann eröffnet, wenn der Kläger einen auf das Anfechtungsgesetz gestützten Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in eine Sache geltend macht.
Zuständig ist das Landgericht Stralsund.
I. Die Kläger nehmen mit ihrer vor dem Landgericht Essen erhobenen Klage die beiden beklagten Gesellschaften bürgerlichen Rechts mit Sitz in Essen auf Duldung der Zwangsvollstreckung nach dem Anfechtungsgesetz in zwei ihnen gehörende, im Landgerichtsbezirk Stralsund belegene Grundstücke in Anspruch.
Die Beklagten haben in der Klageerwiderung die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Essen mit der Begründung gerügt, für die Klagen sei das Landgericht Stralsund im ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand nach § 24 ZPO zuständig. Auf Antrag der Kläger hat sich daraufhin das Landgericht Essen für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Stralsund verwiesen. Dieses hat seine Zuständigkeit ebenfalls verneint und das Oberlandesgericht Hamm um Bestimmung des zuständigen Gerichts ersucht. Der 32. Zivilsenat dieses Oberlandesgerichts hat die Sache dem Bundesgerichtshof gemäß § 36 Abs. 3 ZPO vorgelegt. Es sieht sich an der Bestimmung des seiner Ansicht nach örtlich zuständigen Landgerichts Essen durch die Entscheidung eines anderen Senats des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 28. März 2002 - 27 W 7/02; NZI 2002, 575) gehindert.
II. Die Vorlage ist zulässig.
Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat ein Oberlandesgericht, wenn es bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Diese Voraussetzung ist gegeben.
1. Das an sich zur Zuständigkeitsbestimmung berufene Oberlandesgericht Hamm erachtet die vom Landgericht Essen beschlossene Verweisung für objektiv willkürlich und deshalb nicht bindend und möchte seiner Entscheidung zugrunde legen, dass § 24 ZPO nicht für Klagen auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück nach dem Anfechtungsgesetz gilt. Darin läge eine Abweichung von der genannten Entscheidung des 27. Zivilsenats desselben Gerichts.
Für die Zulässigkeit der Vorlage reicht es aus, dass die für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage nach Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts entscheidungserheblich ist und dies in den Gründen des Vorlagebeschlusses nachvollziehbar dargelegt wird. So verhält es sich hier. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass der Bundesgerichtshof die Frage ebenfalls als entscheidungserheblich ansieht. (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 2014 - X ARZ 275/14, MDR 2015, 2015 Rn. 2 mwN).
2. Die Regelung in § 36 Abs. 3 ZPO gilt auch für beabsichtigte Abweichungen von der Rechtsauffassung eines anderen Senats desselben Oberlandesgerichts (ebenso Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 14. Aufl., § 36 Rn. 10; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 36 Rn. 18; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 36 Rn. 10).
Soweit § 36 Abs. 3 S. 1 ZPO auf die Abweichung von einer Entscheidung "eines anderen" Oberlandesgerichts abstellt, liegt darin nach der Entstehungsgeschichte der Norm und ihrem Sinn und Zweck keine abschließende Regelung ihres Anwendungsbereichs.
Mit der im Rahmen des Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3224) eingeführten Regelung in § 36 Abs. 2 ZPO wurde die Bestimmungszuständigkeit in Konstellationen, in denen der Bundesgerichtshof das im Rechtszug zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht ist, vom Bundesgerichtshof auf die Ebene der Oberlandesgerichte verlagert und zugleich in § 36 Abs. 3 ZPO eine Divergenzvorlage eingeführt. Dies dient dem Zweck, den Bundesgerichtshof von Routineaufgaben zu entlasten und zugleich dauerhaft die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten (vgl. den Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/9124, S. 43, 45 f.).
Diese Zwecksetzung gebietet es entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Gegenauffassung (OLG Schleswig, Beschluss vom 10. März 2000 - 2 W 22/00, BB 2000, 1321), die Entscheidung einer in der Rechtsprechung umstrittenen Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof in allen Konstellationen zu ermöglichen, in denen dies nach § 36 ZPO a.F. möglich war. Hierzu gehört auch der Fall, dass eine Rechtsfrage zwischen verschiedenen Spruchkörpern desselben Gerichts umstritten ist.
III. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
Die beiden mit der Sache befassten Landgerichte haben sich im Sinne dieser Vorschrift bindend für unzuständig erklärt; das Landgericht Essen durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO), das Landgericht Stralsund durch die seine Zuständigkeit abschließend verneinende Entscheidung vom 27. Januar 2017. Eine solche Zuständigkeitsleugnung genügt den Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal "rechtskräftig" des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind (BGH, Beschluss vom 26. August 2014 - X ARZ 275/14, Rn. 3; Beschluss vom 19. Februar 2013 - X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764, 764 f. mwN).
IV. Örtlich zuständig ist das Landgericht Stralsund, weil der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Essen entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend ist.
1. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache zuerst verwiesen worden ist.
Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Als in diesem Sinne willkürlich erweist sich ein Verweisungsbeschluss dann, wenn er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und unverständlich erscheint und deshalb offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498, 1498 f.; BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 - X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 mwN in Rn. 9).
2. Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Essen nicht als willkürlich anzusehen.
a) Die Bindungswirkung entfällt nicht deswegen, weil das Landgericht Essen den Beklagten nicht die Gelegenheit gegeben hat, zu dem Verweisungsantrag der Kläger Stellung zu nehmen.
Die Beklagten haben bereits in der Klageerwiderung zu der für die Verweisungsentscheidung maßgeblichen Zuständigkeitsfrage Stellung genommen und für den Fall eines unterbleibenden Verweisungsantrags der Kläger einen Klageabweisungsantrag angekündigt. Der nachfolgende Verweisungsantrag der Kläger hat keine zusätzlichen Fragen aufgeworfen, zu denen eine ergänzende Anhörung der Beklagten erforderlich gewesen wäre.
b) Die Verweisung ist nicht deshalb als willkürlich anzusehen, weil das Landgericht Essen nicht näher begründet hat, weshalb es sich der Auffassung des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm und nicht der in der obergerichtlichen Rechtsprechung und vor allem in der Fachliteratur verbreiteten Gegenposition angeschlossen hat.
aa) Entgegen der Auffassung des Landgerichts Essen ist der Gerichtsstand des § 24 ZPO allerdings nicht schon dann eröffnet, wenn der Kläger einen auf das Anfechtungsgesetz gestützten Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in eine Sache geltend macht.
(1) Wie auch der 27. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm nicht verkannt hat, wird die genannte Konstellation vom Wortlaut des § 24 Abs. 1 ZPO nicht erfasst. Dieser setzt voraus, dass das Eigentum, eine dingliche Belastung oder ein Besitzrecht geltend gemacht wird. Dass die Klage auf Übertragung des Eigentums oder auf Einräumung einer dinglichen Belastung gerichtet ist, reicht hingegen nicht aus.
Ein Anspruch nach § 11 AnfG ist nicht auf eines der in § 24 Abs. 1 ZPO genannten Rechte gestützt, sondern auf einen der in §§ 3 ff. AnfG normierten Anfechtungstatbestände. Dass der Eigentümer mit der Klage verpflichtet werden soll, den Vollstreckungszugriff auf die Sache hinzunehmen, reicht für die Anwendung von § 24 Abs. 1 ZPO nicht aus (OLG Celle, Urteil vom 11. Juli 1986 - 8 U 202/85, MDR 1986, 1031; Urteil vom 17. Januar 2008 - 13 U 56/07, juris Rn. 13; BayObLG, Beschluss vom 25. Juli 2003 - 1Z AR 71/03, juris Rn. 12; Toussaint in BeckOK ZPO, § 24 Rn. 8.1; Patzina in MünchKomm ZPO, 5. Aufl., § 24 Rn. 8; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl., § 24 Rn. 9; Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 24 Rn. 9).
(2) Die Anwendung von § 24 Abs. 1 ZPO ist auch nicht durch den Sinn und Zweck der Vorschrift geboten.
Nach der Gegenauffassung soll eine Klage im Gerichtsstand des § 24 Abs. 1 ZPO jedenfalls bei Anfechtungsklagen in Bezug auf Grundstücke erforderlich sein, um Eintragungen im Grundbuch zu erleichtern (OLG Hamm, NZI 2002, 575, 576). Diesem Aspekt kommt indes schon deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil er im Wesentlichen nur für die Vollstreckung der vom Kläger angestrebten Entscheidung von Bedeutung ist, nicht aber für das Erkenntnisverfahren. Die Vollstreckung obliegt ohnehin dem Kläger. Für diesen ergibt sich in der Regel keine wesentliche Erleichterung daraus, dass das Grundbuchamt, das für entsprechende Eintragungen zuständig ist, denselben Sitz hat wie das Prozessgericht.
Die Anwendung von § 24 Abs. 1 ZPO soll darüber hinaus geboten sein, damit der Kläger Vermögensverschiebungen ins Ausland besser begegnen kann (OLG Hamm, NZI 2002, 575, 576). Dies vermag ebenfalls nicht zu überzeugen, weil für eine Anfechtungsklage in der Regel auch dann ein anderer Gerichtsstand zur Verfügung steht, wenn der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand nicht im Inland hat (OLG Celle, Urteil vom 17. Januar 2008 - 13 U 56/07, juris Rn. 14 f.).
bb) Wie auch das vorlegende Gericht im Ansatz nicht verkennt, ist ein Verweisungsbeschluss jedoch nicht allein deshalb als willkürlich anzusehen, weil er von einer höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung oder von einer in der Literatur vorherrschenden Auffassung abweicht. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498 f.).
Entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts bietet der Umstand, dass das Landgericht Essen seine Auffassung nicht näher begründet hat, keinen hinreichenden Anhaltspunkt für die Bejahung von Willkür.
Der Bundesgerichtshof hat bislang nicht abschließend entschieden, inwieweit ein Verweisungsbeschluss einer Begründung bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 2014 - X ARZ 275/14 Rn. 9; Beschluss vom 23. März 1988 - IVb ARZ 8/88, FamRZ 1988, 943). Diese Frage bedarf auch im Streitfall keiner Entscheidung. Die Ausführungen des Landgerichts Essen sind vor dem Hintergrund der von den Parteien angeführten Stimmen aus Rechtsprechung und Fachliteratur so zu verstehen, dass sich das Gericht die von den Beklagten angeführte Rechtsauffassung des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm aus dem Beschluss vom 28. März 2002 zu eigen macht. Dies stellt jedenfalls deshalb eine nachvollziehbare Begründung dar, weil das Landgericht Essen im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm liegt und aus dem ihm vorliegenden Streitstoff nicht hervorging, dass die relevante Rechtsfrage innerhalb dieses Gerichts unterschiedlich beurteilt wird.
Bacher |
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Gröning |
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Grabinski |
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Hoffmann |
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Kober-Dehm |
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