Entscheidungsdatum: 14.05.2013
Die Verweisung an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs ist hinsichtlich des Rechtswegs für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend und kann nur auf das Rechtsmittel einer Partei überprüft werden. Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entscheidungen anerkannt ist, ist jedenfalls grundsätzlich kein Raum.
Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Schöneberg.
I. Der klagende Sozialhilfeträger gewährte einer Hilfeempfängerin Leistungen der Hilfe zur Pflege. Hierzu zahlte er direkt an die Beklagte, die ein Seniorenzentrum betreibt, in dem die Hilfeempfängerin lebte. Nachdem diese verstorben war, forderte der Kläger von der Beklagten anteilige Rückzahlung der geleisteten Beträge. Dem kam die Beklagte nur zum Teil nach. Der Kläger hat wegen eines nach seiner Auffassung offenen Rückzahlungsanspruchs in Höhe von 185 € Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Dieses hat mit unangefochten gebliebenem Beschluss vom 23. Oktober 2012 die Unzulässigkeit des Sozialrechtswegs ausgesprochen und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Schöneberg verwiesen.
Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 3. April 2013 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, da der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten unzulässig sei, und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es meint, der Verweisungsbeschluss sei nicht bindend, da er sich bei der Auslegung und Verwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entferne, dass er nicht mehr zu rechtfertigen sei.
II. Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.
1. Nach ständiger Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige entsprechend anwendbar (BGH, Beschlüsse vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01, NJW 2001, 3631, 3632; vom 30. Juli 2009 - Xa ARZ 167/09, NJW-RR 2010, 209 Rn. 6; vom 9. Dezember 2010 - Xa ARZ 283/10, MDR 2011, 253 Rn. 7; vom 18. Mai 2011 - X ARZ 95/11, NJW-RR 2011, 1497 Rn. 4; BAG, Beschluss vom 19. März 2003 - 5 AS 1/03, BAGE 105, 305; BFH, Beschluss vom 26. Februar 2004 - VII B 341/03, BFHE 204, 413, 416; BVerwG, Beschluss vom 15. April 2008 - 9 AV 1/08, NVwZ 2008, 917).
Obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratorische - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (BGH, Beschlüsse vom 26. Juli 2001, aaO, 3632; vom 13. November 2001 - X ARZ 266/01, NJW-RR 2002, 713, 714; vom 30. Juli 2009, aaO Rn. 9 und vom 9. Dezember 2010, aaO Rn. 10; BAG, aaO).
So liegt der Fall hier. Sowohl das Sozialgericht als auch das Amtsgericht haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.
2. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig. Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, BAG und BVerwG, aaO).
3. Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Schöneberg. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des Beschlusses des Sozialgerichts nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG.
a) Ein nach § 17a GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend (§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). So verhält es sich hier, denn eine Beschwerde an das Landessozialgericht nach § 172 Abs. 1 SGG ist innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht eingelegt worden.
b) Auf die ausführlichen Erwägungen des Amtsgerichts dazu, warum die Begründung des Sozialgerichts, der Sozialhilfeträger trete der Schuld des Hilfeempfängers gegenüber dem Leistungserbringer in Höhe der durch Bescheid dem Hilfeempfänger gewährten Leistung bei, wodurch der Leistungserbringer einen unmittelbaren Anspruch auf Zahlung gegen den Sozialhilfeträger erwerbe, der wie der Anspruch zwischen Leistungserbringer und Hilfeempfänger privatrechtlicher Natur sei, es nicht rechtfertige, den mit der Klage geltend gemachten Rückforderungsanspruch als zivilrechtlichen Anspruch zu qualifizieren, kommt es nicht an.
Das Gesetz misst zwar der Entscheidung des Rechtsstreits durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs größere Bedeutung zu als der Entscheidung durch das örtlich oder sachlich zuständige Gericht. Das gesetzliche Mittel zur Sicherung einer Entscheidung durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs ist aber allein die Eröffnung des Rechtsmittels gegen den Verweisungsbeschluss. Ist die örtliche oder sachliche Zuständigkeit zweifelhaft, ist die Verweisung nicht nur bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), sondern auch der Überprüfung im Rechtsmittelzug entzogen (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Demgegenüber kann die Frage des Rechtsweges im Rechtsmittelzug - uneingeschränkt - überprüft werden, und insoweit muss gegebenenfalls das Interesse der nicht rechtsmittelführenden Partei an einer zügigen Sachprüfung des Klagebegehrens zurücktreten. Damit hat es jedoch auch sein Bewenden: Nicht das Gericht des von dem verweisenden Gericht für zulässig erachteten Rechtswegs, sondern allein das Rechtsmittelgericht ist zu dieser Überprüfung berufen.
Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entscheidungen anerkannt ist, ist deshalb jedenfalls grundsätzlich kein Raum. Nicht das Gericht, an das verwiesen wird, sondern die Parteien sollen vor willkürlichen oder sonst jeder gesetzlichen Grundlage entbehrenden Entscheidungen geschützt werden, mit der ihr Streitfall dem zuständigen Gericht und damit dem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen wird. Steht den Parteien aber ein Rechtsmittel zu Gebote und wird dieses nicht genutzt, besteht kein Anlass, dem Gericht des für zulässig erklärten Rechtswegs die Befugnis zuzubilligen, sich an die Stelle des Rechtsmittelgerichts zu setzen. Ebenso wenig kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, die von der betroffenen Partei nicht mit dem zulässigen Rechtsmittel geltend gemacht worden ist, es rechtfertigen, die Bindungswirkung außer Acht zu lassen (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2003 - X ARZ 138/03, NJW 2003, 2990).
c) Der Bundesgerichtshof hat bislang offenlassen können, ob gleichwohl noch Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Verweisung verneint werden kann, und diese Frage kann auch im Streitfall offenbleiben. Jedenfalls kommt eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie es das Bundesverwaltungsgericht formuliert hat (BVerwG, Beschluss vom 8. November 1994 - 9 AV 1/94, NVwZ 1995, 372) allenfalls bei "extremen Verstößen" gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (BGH, Beschlüsse vom 13. November 2001, aaO; vom 8. Juli 2003, aaO, 2991; vom 9. Dezember 2010, aaO Rn. 16; vom 18. Mai 2011, aaO Rn. 9; s. auch BAG, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 5 AS 7/06, NJW 2006, 2798 Rn. 5: nur bei "krassen Rechtsverletzungen"). Von einer solchen schwerwiegenden, nicht mehr hinnehmbaren Verletzung der Rechtswegordnung kann im Streitfall angesichts der komplexen, teils dem Sozialrecht, teils dem bürgerlichen Recht angehörenden Rechtsbeziehungen des Dreiecksverhältnisses zwischen den Parteien und der verstorbenen Hilfeempfängerin ersichtlich keine Rede sein.
Meier-Beck Mühlens Gröning
Bacher Schuster