Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 23.06.2014


BGH 23.06.2014 - X ARZ 146/14

Negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige: Zuständigkeitsbestimmung durch einen obersten Gerichtshof des Bundes; Bindungswirkung einer rechtskräftigen Rechtswegverweisung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
10. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
23.06.2014
Aktenzeichen:
X ARZ 146/14
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend AG Lichtenberg, 29. Oktober 2013, Az: 18 C 310/13vorgehend SG Berlin, 26. Februar 2014, Az: S 61 AS 1825/14
Zitierte Gesetze

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das Sozialgericht Berlin bestimmt.

Gründe

1

I. Der Beklagte erhielt als Arbeitssuchender vom Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit eine Förderzusicherung in Form eines Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheins gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 SGB III, um von einem berechtigten Träger der privaten Arbeitsvermittlung eine Arbeitsstelle vermittelt zu bekommen. Er schloss hierfür mit der Klägerin einen Vermittlungsvertrag, nach dem die Vermittlungsvergütung bei der erfolgreichen Vermittlung einer Arbeitsstelle von der Agentur für Arbeit zu zahlen war, wenn der Beklagte den Gutschein der Klägerin aushändigte. Für den Fall, dass der Beklagte den Gutschein nicht aushändigte, sollte er selbst zur Zahlung der Vermittlungsvergütung verpflichtet sein.

2

Die Klägerin vermittelte dem Beklagten eine Arbeitsstelle, dieser stellte ihr den Gutschein jedoch nicht zur Verfügung. Die Klägerin hat daraufhin Klage auf Zahlung der Vermittlungsvergütung beim Amtsgericht Lichtenberg in Berlin erhoben. Dieses Gericht hat sich für sachlich nicht zuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht mit der Begründung verwiesen, der geltend gemachte Anspruch resultiere aus einem durch öffentlich-rechtliche Normen modifizierten Maklervertrag gemäß § 652 BGB, nach dem die Klägerin Inhaberin eines öffentlich-rechtlichen, gesetzlichen Zahlungsanspruchs geworden sei. Das Sozialgericht Berlin hat den Sozialrechtsweg für unzulässig erklärt und die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Bundesgerichtshof vorgelegt, weil die geltend gemachte Klageforderung zweifelsfrei zivilrechtlicher und nicht öffentlich-rechtlicher Natur sei.

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II. Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.

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1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar. Obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratorische - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rn. 4 mwN).

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So liegt der Fall hier. Sowohl das Amtsgericht als auch das Sozialgericht haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.

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2. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig. Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, aaO Rn. 7 mwN).

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3. Zuständiges Gericht ist das Sozialgericht Berlin. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des Beschlusses des Amtsgerichts nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG.

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a) Ein nach § 17a GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rn. 9).

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b) Der Antragsgegner hat den Verweisungsbeschluss nicht angegriffen. Der Beschluss ist damit unanfechtbar und für das Sozialgericht bindend geworden.

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Das Gesetz misst zwar der Entscheidung des Rechtsstreits durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs größere Bedeutung zu als der Entscheidung durch das örtlich oder sachlich zuständige Gericht. Das gesetzliche Mittel zur Sicherung einer Entscheidung durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs ist aber allein die Eröffnung des Rechtsmittels gegen den Verweisungsbeschluss. Ist die örtliche oder sachliche Zuständigkeit zweifelhaft, ist die Verweisung nicht nur bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), sondern auch der Überprüfung im Rechtsmittelzug entzogen (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Demgegenüber kann die Frage des Rechtswegs im Rechtsmittelzug - uneingeschränkt - überprüft werden, und insoweit muss gegebenenfalls das Interesse der nicht rechtsmittelführenden Partei an einer zügigen Sachprüfung des Klagebegehrens zurücktreten. Damit hat es jedoch auch sein Bewenden: Nicht das Gericht des von dem verweisenden Gericht für zulässig erachteten Rechtswegs, sondern allein das Rechtsmittelgericht ist zu dieser Überprüfung berufen.

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Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entscheidungen anerkannt ist, ist deshalb jedenfalls grundsätzlich kein Raum. Nicht das Gericht, an das verwiesen wird, sondern die Parteien sollen vor willkürlichen oder sonst jeder gesetzlichen Grundlage entbehrenden Entscheidungen geschützt werden, mit der ihr Streitfall dem zuständigen Gericht und damit dem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen wird. Steht den Parteien aber ein Rechtsmittel zu Gebote und wird dieses nicht genutzt, besteht kein Anlass, dem Gericht des für zulässig erklärten Rechtswegs die Befugnis zuzubilligen, sich an die Stelle des Rechtsmittelgerichts zu setzen (BGH, aaO Rn. 12).

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c) Der Bundesgerichtshof hat bislang offenlassen können, ob gleichwohl noch Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Verweisung verneint werden kann, und diese Frage kann auch im Streitfall offenbleiben. Eine Durchbrechung der Bindungswirkung kommt, wie es das Bundesverwaltungsgericht formuliert hat (BVerwG, Beschluss vom 8. November 1994 - 9 AV 1/94, NVwZ 1995, 372), allenfalls bei "extremen Verstößen" gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (BGH, Beschlüsse vom 13. November 2001 - X ARZ 266/01, NJW-RR 2002, 713; vom 8. Juli 2003 - X ARZ 138/03, NJW 2003, 2990, 2991; vom 9. Dezember 2010 - X ARZ 283/10, MDR 2011, 253 Rn. 16; vom 18. Mai 2011 - X ARZ 95/11, NJW-RR 2011, 1497 Rn. 9; vom 14. Mai 2013, aaO Rn. 13; s. auch BAG, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 5 AS 7/06, NJW 2006, 2798 Rn. 5: nur bei "krassen Rechtsverletzungen").

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Eine solche schwerwiegende, nicht mehr hinnehmbare Verletzung der Rechtswegordnung ist im Streitfall nicht zu erkennen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts handelt es sich bei dem der Klage zugrundeliegenden Anspruch um einen privatrechtlichen Makleranspruch gemäß § 652 BGB, der durch öffentlichrechtliche Normen modifiziert wird (vgl. BSG, NJW 2007, 1902 Rn. 14 f.). Zuständig sind daher die ordentlichen Gerichte. Die Erwägungen des Amtsgerichts, dass mit dieser Modifikation ein besonderer Schutz des Arbeitssuchenden verbunden sei, das Vermittlungsgutscheinverfahren an die Stelle der ansonsten kostenfreien - vom öffentlichen Recht beherrschten - Vermittlung durch die Agentur für Arbeit trete und deshalb der Rechtsstreit vor den Sozialgerichten zu verhandeln sei, sind indessen nachvollziehbar und entbehren nicht jeglicher Anknüpfung an die gesetzliche Zuständigkeitsordnung. Auch wenn diese Argumentation im Ergebnis nicht richtig ist, handelt es sich gleichwohl nicht um einen so gravierenden Rechtsverstoß, dass es geboten wäre, entgegen den von den Parteien hingenommenen Wirkungen des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts dessen Bindungswirkung zu durchbrechen.

Meier-Beck                            Grabinski                           Bacher

                      Hoffmann                           Schuster