Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 20.09.2016


BGH 20.09.2016 - VIII ZR 239/15

Nichtzulassungsbeschwerde im Rahmen einer abstrakten AGB-Kontrollklage: Streitwertbemessung; Mahnkosten- und Rücklastschriftpauschale bei Zahlungsverzug des Kunden in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Energieversorgungsunternehmens


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
20.09.2016
Aktenzeichen:
VIII ZR 239/15
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:200916BVIIIZR239.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend KG Berlin, 11. September 2015, Az: 23 U 151/14vorgehend LG Berlin, 28. Oktober 2014, Az: 15 O 560/12
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 11. September 2015 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die klagende Verbraucherzentrale (im Folgenden: Kläger) nimmt das beklagte Versorgungsunternehmen (im Folgenden: Beklagte) nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) in Anspruch, es zu unterlassen, bei Erdgaslieferungsverträgen, die mit Verbrauchern außerhalb der Grundversorgung geschlossen werden, eine Reihe von Klauseln als Allgemeine Geschäftsbedingungen einzubeziehen und sich darauf bei Abwicklung derartiger Verträge zu berufen. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde sind nur noch die folgenden, außerhalb der Klammern stehenden beiden Teile der Klausel in § 13.2 der von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Streit:

"[…] Bei Zahlungsverzug des Kunden kann die G.   [Bekl.] Ersatz für den dadurch entstandenen Schaden verlangen; dieser wird pauschal mit einem Betrag in Höhe von 5,00 € je Mahnung berechnet. Im Falle von Rücklastschriften berechnet die G.   dem Kunden eine Pauschale in Höhe von 9,50 € weiter. [Dem Kunden steht jeweils der Nachweis frei, dass der G.   kein oder nur ein geringerer Schaden entstanden ist.]"

2

Das Landgericht hat die Beklagte auch hinsichtlich der Mahn- und der Rücklastschriftkostenpauschale antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt, wobei es für jeden Klauselteil von einem Streitwert von 2.500 € ausgegangen ist. Das Kammergericht hat die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückgewiesen und den Streitwert ebenfalls auf 2.500 € je Klauselteil festgesetzt.

3

Mit ihrer hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht die Beklagte unter anderem eine deutlich über 20.000 € liegende Beschwer geltend. Denn es handele sich - wie unter anderem die allein bei ihr durch vertragsuntreues Kundenverhalten jährlich anfallende Kostenbelastung von mehr als 10 Mio. € belege - um nicht nur branchenüblich, sondern sogar branchenübergreifend verwendete Klauseln von herausragender wirtschaftlicher Bedeutung. Zudem lasse sich eine Begünstigung der Verbraucherschutzverbände auch mit dem sonst geltenden Grundsatz, dass der Wert der Beschwer nach dem Interesse des Rechtsmittelführers zu bemessen sei, nur schwer vereinbaren, ganz abgesehen davon, dass solche Verbände einer Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert auch durch Beantragung einer Streitwertbegünstigung begegnen könnten.

II.

4

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, mit der sie nach einer Revisionszulassung ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgen will, ist als unzulässig zu verwerfen, da der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 26 Nr. 8 EGZPO).

5

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs richtet sich der Streitwert in Verfahren nach dem UKlaG in aller Regel allein nach dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung der gesetzwidrigen AGB-Bestimmung, nicht hingegen nach der wirtschaftlichen Bedeutung eines Klauselverbots. Der Wert einer angegriffenen Klausel wird dabei regelmäßig in einer Größenordnung bemessen, von der auch die Vorinstanzen, jedenfalls wenn sie sich - wie im Streitfall - mit den von ihnen festgesetzten 2.500 € je angegriffener Teilklausel an den sonst üblichen Beträgen orientiert haben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2015 - III ZR 36/15, juris Rn. 5 mwN), bei ihrer Wertbemessung ausgegangen sind. Auf diese Weise sollen Verbraucherschutzverbände vor Kostenrisiken bei der Wahrnehmung der ihnen im Allgemeininteresse eingeräumten Befugnisse zur Bereinigung des Rechtsverkehrs von unwirksamen AGB möglichst geschützt werden. Das gilt in gleicher Weise für die nach § 3 ZPO zu schätzende Beschwer der in der Vorinstanz unterlegenen Partei, und zwar nicht nur für die Beschwer eines Verbraucherschutzverbandes, sondern auch für die Bemessung der Beschwer des im Unterlassungsprozess unterlegenen Verwenders (BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2014 - VIII ZR 160/14, ZNER 2015, 441 Rn. 5; vom 7. Mai 2015 - I ZR 108/14, juris Rn. 6; vom 28. Oktober 2015 - III ZR 36/15, aaO Rn. 4; jeweils mwN).

6

2. Diese Grundsätze schließen es zwar nicht von vornherein aus, der herausragenden wirtschaftlichen Bedeutung einer Klausel für die betroffenen Verkehrskreise im Einzelfall ausnahmsweise Rechnung zu tragen, wenn die Entscheidung über die Wirksamkeit einer bestimmten Klausel nicht nur für deren Verwender und die Vertragspartner, sondern für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung ist, etwa weil es dabei um äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen von großer wirtschaftlicher Tragweite geht, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten wird (BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2015 - III ZR 36/15, aaO Rn. 5; vom 7. Mai 2015 - I ZR 108/14, aaO Rn. 7; vom 9. Dezember 2014 - VIII ZR 160/14, aaO Rn. 6; vom 10. Dezember 2013 - XI ZR 405/12, ZIP 2014, 96 Rn. 6 f.). An einem solchen Ausnahmefall fehlt es im Streitfall jedoch, weil die für die Beurteilung beider Klauselteile entscheidende Frage nach einem Ersatz des Arbeits- und Zeitaufwandes eines durch Pflichtverletzungen der anderen Seite Geschädigten bei der Schadensermittlung und außergerichtlichen Abwicklung des Schadensersatzanspruchs durch eine jahrzehntelange ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich geklärt ist und damit keine zusätzlich klärungsbedürftige Bedeutung mehr für den allgemeinen Rechtsverkehr hat (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2015 - III ZR 36/15, juris Rn. 6).

7

a) Der Bundesgerichtshof geht in jahrzehntelanger ständiger Rechtsprechung, der sich etwa auch das Bundesarbeitsgericht angeschlossen hat (BAG, Urteil vom 23. Januar 1992 - 8 AZR 246/91, juris Rn. 35), davon aus, dass ein Geschädigter seinen bei der Schadensermittlung und außergerichtlichen Abwicklung seines Schadensersatzanspruchs anfallenden Arbeits- und Zeitaufwand, auch wenn er hierfür besonderes Personal einsetzt oder - wie hier - die Tätigkeiten extern erledigen lässt, bei einer am Schutzzweck der Haftungsnorm sowie an Verantwortungsbereichen und Praktikabilität orientierten Wertung selbst zu tragen hat, sofern der im Einzelfall erforderliche Aufwand - wie im Streitfall - die im Rahmen des Üblichen typischerweise zu erbringende Mühewaltung nicht überschreitet (BGH, Urteile vom 9. März 1976 - VI ZR 98/75, BGHZ 66, 112, 114 f.; vom 31. Mai 1976 - II ZR 133/74, WM 1976, 816 unter 2 a; vom 6. November 1979 - VI ZR 254/77, BGHZ 75, 230, 231 f.; vom 26. Februar 1980 - VI ZR 53/79, BGHZ 76, 216, 218; vom 24. November 1995 - V ZR 88/95, BGHZ 131, 220, 225; vom 8. November 1994 - VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 352).

8

Diese höchstrichterliche Rechtsprechung, die unabhängig von der Häufigkeit der Schadensfälle und/oder einer zumindest kalkulatorischen Zuordnungsmöglichkeit des Aufwandes zu den einzelnen Schadensfällen angewandt (BGH, Urteile vom 9. März 1976 - VI ZR 98/75, aaO S. 117; vom 6. November 1979 - VI ZR 254/77, aaO S. 232 ff.) und genauso für den parallel gelagerten Fall einer prozessualen Kostenerstattung praktiziert worden ist (BGH, Urteile vom 9. März 1976 - VI ZR 98/75, aaO S. 115; vom 6. November 1979 - VI ZR 254/77, aaO S. 232; ebenso etwa auch BVerwG, NVwZ 2005, 466, 467), hat bis in die Gegenwart Bestand (z.B. BGH, Urteile vom 17. September 2009 - Xa ZR 40/08, WM 2009, 2398 Rn. 13; vom 8. Mai 2012 - VI ZR 37/11, NJW 2012, 2267 Rn. 7, 10; Beschlüsse vom 7. Mai 2014 - V ZB 102/13, NJW 2014, 2347 Rn. 6; vom 13. November 2014 - VII ZB 46/12, NJW 2015, 633 Rn. 20 ff.). Sie wird auch in der obergerichtlichen Spruchpraxis durchgängig befolgt (z.B. OLG München, Urteil vom 28. Juli 2011 - 29 U 634/11, juris Rn. 54 ff.; OLG Hamburg, NJW 2015, 85, 86; OLG Koblenz, Urteil vom 30. Juni 2016 - 2 U 615/15, juris Rn. 97).

9

b) Eine zusätzlich klärungsbedürftige Bedeutung der in Rede stehenden Rechtsfrage für den allgemeinen Rechtsverkehr folgt entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht daraus, dass im Laufe der Zeit immer wieder einmal vereinzelte Stimmen im Schrifttum die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als verfehlt oder als durch angebliche gemeinschaftsrechtliche Vorgaben überholt angegriffen haben.

10

Eine solche Bedeutung ergibt sich insbesondere nicht aus der bereits nach ihrem personellen Geltungsbereich nicht einschlägigen Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L 48 S. 1; Zahlungsverzugsrichtlinie), und zwar auch nicht aus der in Art. 6 dieser Richtlinie vorgesehenen pauschalierten Entschädigung für verzugsbedingte "Beitreibungskosten" und/oder deren in § 288 Abs. 5 und 6 BGB erfolgter Umsetzung in das nationale deutsche Recht. Denn dass der deutsche Gesetzgeber das in der Zahlungsverzugsrichtlinie (vgl. Art. 1 Abs. 1, 2, Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie) konzipierte Entschädigungsprinzip, wie es in den Erwägungsgründen 19 und 20 beschrieben ist, gemäß Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie überschießend auch zu Lasten von Verbrauchern in das von möglicherweise abweichenden Grundsätzen geprägte nationale Recht umsetzen und damit zugleich bei Entgeltforderungen den Ersatz von Verzugsschäden (§ 280 Abs. 1, 2, §§ 286, 288 Abs. 4 BGB) in seiner Bemessung von den sonst im Schadensersatzrecht geltenden Zurechnungskriterien abkoppeln wollte, kann sowohl aufgrund des klaren Wortlauts von § 288 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 Satz 4 BGB als auch nach der insoweit nicht minder klaren Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/1309, S. 19 f.) für ausgeschlossen erachtet werden.

III.

11

Die Nichtzulassungsbeschwerde wäre im Übrigen auch unbegründet, weil keiner der im Gesetz (§ 543 Abs. 2 ZPO) vorgesehenen Gründe vorliegt, nach denen der Senat die Revision zuzulassen hätte. Der Rechtsstreit der Parteien hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert er eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen.

Dr. Milger                        Dr. Achilles                        Dr. Schneider

                  Dr. Bünger                          Kosziol