Entscheidungsdatum: 03.06.2014
Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 20. Dezember 2013 gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der vorgenannte Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dresden aufgehoben.
Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 3. Mai 2013 gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 6.272 €
I.
Das Amtsgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 3. Mai 2013, zugestellt am 23. Mai 2013, zur Räumung der von ihr gemieteten Wohnung und zu Betriebskostennachzahlungen verurteilt. Am 24. Juni 2013 (Montag) ging ein von der Beklagten persönlich unterzeichnetes Prozesskostenhilfegesuch bei dem Berufungsgericht ein.
Mit einem als "Berufungsbegründung" bezeichneten Schriftsatz vom 17. Oktober 2013 stellte ein neuer Prozessbevollmächtigter der Beklagten Berufungsanträge und begründete das Rechtsmittel. Durch Beschluss vom 22. Oktober 2013, zugestellt am 24. Oktober 2013, bewilligte das Berufungsgericht der Beklagten Prozesskostenhilfe.
Nach Hinweisen des Berufungsgerichts vom 12. und 25. November 2013, dass kein Wiedereinsetzungsgesuch eingegangen und die Berufungseinlegung nicht nachgeholt worden sei, legte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom 26. November 2013 Berufung ein und begehrte Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist.
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag mit Beschluss vom 20. Dezember 2013 zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass die Beklagte bis zum 7. November 2013 kein Wiedereinsetzungsgesuch eingereicht und die Einlegung der Berufung nicht nachgeholt habe.
Der Beschluss des Berufungsgerichts vom 20. Dezember 2013 wurde der Beklagten am 6. Januar 2014 zugestellt. Mit Schreiben vom 1. Februar 2014, eingegangen am 4. Februar 2014, hat die Beklagte Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsbeschwerde beantragt. Der Senat hat der Beklagten mit Beschluss vom 1. April 2014, der ihrem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 7. April 2014 zugestellt worden ist, Prozesskostenhilfe bewilligt. Am 9. April 2014 hat die Beklagte Rechtsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde beantragt. Mit Schriftsatz vom 29. April 2014 hat die Beklagte die Rechtsbeschwerde begründet.
II.
Der Beklagten, die innerhalb der laufenden Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde einen ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfeantrag unter Beifügung vollständiger Unterlagen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gestellt hat, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen (§ 233 ZPO). Denn sie war im Hinblick auf ihre Bedürftigkeit ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gehindert und hat die versäumten Rechtshandlungen nach Wegfall des Hindernisses innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 ZPO) nachgeholt.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen vor, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angegriffene Entscheidung verletzt den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr., z.B. Senatsbeschlüsse vom 16. November 2010 - VIII ZB 55/10, NJW 2011, 230 Rn. 10; vom 5. Februar 2013 - VIII ZB 38/12, FamRZ 2013, 696 Rn. 8; vom 14. Januar 2014 - VIII ZB 40/13, juris Rn. 4; jeweils mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 22. Oktober 2013, zugestellt am 24. Oktober 2013, bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist am 7. November 2013 (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) weder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist des § 517 ZPO beantragt noch die versäumte Prozesshandlung nachgeholt habe.
a) Eine Nachholung der versäumten Prozesshandlung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO war vorliegend entbehrlich, weil diese, wenn auch verspätet, bereits vor dem Beginn der Wiedereinsetzungsfrist am 24. Oktober 2013 vorgenommen worden war (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 17. Januar 2013 - III ZR 168/12, NJW-RR 2013, 692 Rn. 16; vom 26. Januar 1978 - VII ZB 20/77, VersR 1978, 449). Bereits mit dem als "Berufungsbegründung" bezeichneten Schriftsatz vom 17. Oktober 2013 hat die Beklagte das Rechtsmittel nicht nur begründet, sondern zugleich - unbedingt - Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts einlegt (§ 519 Abs. 1, § 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Der Schriftsatz vom 17. Oktober 2013 enthält nicht nur die Bezeichnung des Urteils, gegen das sich die Beklagte wendet (§ 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Er macht auch zweifelsfrei deutlich, dass gegen das Urteil Berufung eingelegt werden soll (§ 519 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Entscheidend ist, dass der Erklärung die Absicht, das erstinstanzliche Urteil einer Nachprüfung durch die höhere Instanz zu unterstellen, eindeutig zu entnehmen ist (BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2008 - V ZB 151/07, FamRZ 2008, 1926 Rn. 9; vom 23. Juni 2005 - I ZB 15/05, MDR 2006, 110; vom 19. November 1997 - XII ZB 157/97, NJW-RR 1998, 507; vom 25. November 1986 - VI ZB 12/86, NJW 1987, 1204 unter II). Diesen Anforderungen wird der Schriftsatz vom 17. Oktober 2013 gerecht. Die Bezeichnung als "Berufungsbegründung" steht der Beurteilung nicht entgegen, dass es sich zugleich um eine Berufungsschrift handelt, da eine wirksame Berufungsschrift nicht davon abhängt, dass sie ausdrücklich als "Berufung" bezeichnet ist (BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2008 - V ZB 151/07, aaO Rn. 11; vom 25. November 1986 - VI ZB 12/86, aaO).
b) Es gereicht der Beklagten nicht zum Nachteil, dass sie nicht rechtzeitig Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung beantragt hat. Aufgrund der vorgenannten Umstände kann gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Eine von Amts wegen statthafte Wiedereinsetzung kann auch das Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen des bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens aussprechen, wenn die Wiedereinsetzung, wie hier, nach dem Aktenstand ohne Weiteres zu gewähren ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 2013 - III ZR 168/12, aaO Rn. 21; BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 1992 - V ZB 6/92, VersR 1993, 713; vom 9. Juli 1985 - VI ZB 8/85, NJW 1987, 2650 unter II 2; Urteil vom 4. November 1981 - IVb ZB 625/80, NJW 1982, 1873 unter II 1). Davon hat der Senat Gebrauch gemacht.
Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Schneider
Dr. Fetzer Dr. Bünger