Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 18.01.2017


BGH 18.01.2017 - VII ZR 181/16

Gehörsverstoß des Berufungsgerichts im Bauprozess: Nichteingehen auf den wesentlichen Kern des Vorbringens einer Partei


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
18.01.2017
Aktenzeichen:
VII ZR 181/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2017:180117BVIIZR181.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 2. Juni 2016, Az: 7 U 120/15vorgehend LG Itzehoe, 21. Juli 2015, Az: 7 O 159/14nachgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 10. August 2017, Az: 7 U 120/15, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 103 Abs 1 GG

Tenor

Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 2. Juni 2016 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 43.057,83 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten, der unter anderem Erdbauarbeiten durchführt, auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin beabsichtigte in den Jahren 2013/2014 den - mittlerweile fertiggestellten - Neubau eines Cafés im Stadtpark von H. Der Beklagte erhielt aufgrund Angebots vom 21. November 2013 den Auftrag, die Baugrube auszuheben. In diese sollte ein sogenannter "Thermo-Rohbau-Keller" der J.-S. GmbH, ein aus Fertigteilen zusammengesetzter Keller, eingebaut werden.

3

Ein Mitarbeiter der Beklagten hob die Baugrube zwischen dem 29. November 2013 und dem 4. Dezember 2013 aus. Dabei erfolgte vor Ort vor Beginn der Arbeiten eine Einweisung durch den Zeugen R. (Ehemann der Klägerin) sowie durch den als Bauleiter der Klägerin agierenden Zeugen W. Durch diese wurde auch der sogenannte Nullpunkt vorgegeben.

4

Der Beklagte rechnete seine Arbeiten unter dem 4. Dezember 2013 mit 9.037,43 € ab. Dieser Betrag wurde von der Klägerin gezahlt.

5

Im Frühjahr 2014 wurde der Keller geliefert und eingebaut, wobei dieser rund 80 cm über die Geländeoberfläche hinausragte. Weil dies nicht den genehmigten Bauplänen entsprach, forderte die Stadt H. von der Klägerin den Rückbau des Kellers und die Errichtung des Gebäudes nach den genehmigten Planungen.

6

Mit Anwaltsschreiben vom 16. Mai 2014 forderte die Klägerin den Beklagten auf, bis zum 29. Mai 2014 mitzuteilen, ob er "an einer einvernehmlichen Vertiefung der Kellergrube gegen Übernahme der Kosten auf Ihre Rechnung bei gleichzeitiger Vertiefung interessiert" sei. Zudem ließ sie "hiermit hinsichtlich des Rückbaus des Kellers um 80 cm Tiefe" den Beklagten "ausdrücklich in Verzug" setzen und kündigte "nach Ablauf der Frist die kostenmäßig gegen Sie gewandte Ersatzvornahme durch einen dritten Unternehmer" an.

7

Der Beklagte lehnte dies mit Anwaltsschreiben vom 20. Mai 2014 unter Hinweis darauf ab, er habe die Baugrube ordnungsgemäß ausgehoben. Mit weiterem Schreiben vom 6. Juni 2014 ließ die Klägerin dem Beklagten eine Frist zur ordnungsgemäßen Herstellung der Baugrube bis zum 13. Juni 2014 setzen. Diese Frist verstrich ergebnislos.

8

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei ihr wegen mangelhaften Aushubs der Baugrube zum Schadensersatz verpflichtet.

9

Sie hat in erster Instanz beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 68.246,50 € nebst näher bezeichneter Zinsen zu zahlen.

10

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen.

11

Die Berufung der Klägerin, mit der sie einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 43.057,83 € weiterverfolgt, ist erfolglos geblieben. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die ihren Zahlungsantrag weiterverfolgt.

II.

12

Das Berufungsgericht führt, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes aus:

13

Im Ergebnis zutreffend habe das Landgericht die Klage abgewiesen.

14

Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheiterten Schadensersatzansprüche der Klägerin aus § 634 Nr. 4, § 636 BGB nicht an einer fehlenden Fristsetzung zur Mängelbeseitigung. Es fehle vielmehr an der Grundvoraussetzung werkvertraglicher Gewährleistungsansprüche, nämlich einem Mangel der vom Beklagten ausgehobenen Baugrube. Ein Mangel im Sinne von § 633 Abs. 1 BGB folge nicht schon daraus, dass der Fertigkeller rund 80 cm aus der Baugrube herausragte. Dies wäre nur dann der Fall, wenn dem Beklagen die klare Vorgabe gemacht worden wäre, dass die Oberkante des Kellers nach Einbau ohne weitere Maßnahmen eben mit dem Gelände abschließen sollte. Dies ergebe sich nicht bereits aus der Skizze Anlage K 9.

15

Maßgeblich für einen Mangel der Erdarbeiten des Beklagten sei vielmehr, ob dieser vom sogenannten Nullpunkt aus hinreichend tief in die Baugrube ausgehoben habe. Diesen Nullpunkt vorzugeben, sei Sache des Auftraggebers gewesen, mithin der Klägerin. Dabei sei schon erstinstanzlich unstreitig gewesen, dass genau dies vor Ausführung der Arbeiten durch die Zeugen R. und W. erfolgt sei. Nach dem detaillierten Vorbringen des Beklagten, das er anschaulich im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Berufungsgericht ergänzt habe und dem die Klägerin in erheblicher Weise nicht entgegengetreten sei, sei ihm unter dem 21. November 2013 der Fußpunkt einer ca. 3,50 m südöstlich von der geplanten Baugrube entfernten Eiche als Nullpunkt vorgegeben worden. Dass davon ausgehend der Beklagte die Baugrube nicht ordnungsgemäß ausgehoben hätte, habe die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin weder substantiiert behauptet noch unter Beweis gestellt.

III.

16

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

17

1. Ohne Erfolg wendet sich die Beschwerde allerdings gegen die - von der Klägerin in der Berufungsinstanz erfolglos mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag beanstandete - Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Nullpunkt von den im Lager der Klägerin stehenden Zeugen R. und W. vorgegeben wurde. Die diesbezüglichen Gehörsrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

18

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt indes zu Recht, dass das Berufungsgericht bezüglich des Vorbringens der Klägerin in der Berufungsbegründung vom 4. November 2015, Seite 10, der Beklagte habe unter Berücksichtigung der erhaltenen Bauzeichnungen (Anlage K 9) jedenfalls gegen seine Pflicht verstoßen, auf den Widerspruch zwischen der Vorgabe des Nullpunkts und der sich aus den Bauzeichnungen ergebenden Lage des Kellers hinzuweisen, den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt hat.

19

a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt voraus, dass im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Berufungsgericht in den Gründen des Berufungsurteils auf den wesentlichen Kern des Vorbringens einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2016 - VII ZR 28/15, IHR 2016, 124, juris Rn. 7; Beschluss vom 20. Mai 2014 - VII ZR 187/13 Rn. 6; Beschluss vom 16. März 2011 - VIII ZR 338/09, WuM 2011, 300 Rn. 3; BVerfG, NJW 2009, 1584 Rn. 14 m.w.N.).

20

b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG im Streitfall verletzt.

21

aa) In der Berufungsbegründung Seite 10 hat die Klägerin unter anderem Folgendes geltend gemacht:

22

"Danach kommt es auch nicht darauf an, ob dem Beklagten ein gesonderter '0-Punkt' vorgegeben worden ist, an dem er sich bei dem Ausheben der Baugrube orientiert haben will. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte (was nicht zutrifft) führt schlichte Denklogik zu dem Schluss, dass der Nullpunkt 80 cm zu hoch hätte angebracht werden müssen, da der dann eingebaute Keller das Bodenniveau um 80 cm überragte. Dann hätte jedoch ein ganz erheblicher und offensichtlicher Widerspruch zwischen der Bauzeichnung mit dem Keller unter Niveau und dem angeblichen 0-Punkt mit der Folge eines 80 cm über Niveau ragenden Kellers bestanden. Selbst wenn somit der vom Beklagten behauptete (angebliche) Nullpunkt vorgegeben worden wäre, wäre es nach den Maßgaben der Rechtsprechung seine Pflicht gewesen, auf den Widerspruch zwischen Höhe des (angeblichen) Nullpunkts und der Bauzeichnung hinzuweisen und den Widerspruch aufzuklären. Dieser Pflicht ist er jedoch weder bei der Auftragsvergabe noch vor Beginn oder während der Ausschachtungsarbeiten nachgekommen ..."

23

bb) Für die Revisionsinstanz ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass der Beklagte die Bauzeichnungen gemäß Anlage K 9 vor Beginn des Aushubs von der Klägerin erhalten hat.

24

Hieraus ergab sich in Verbindung mit den vorgelegten Fotografien (Anlagen K 10, K 11), dass die Kelleroberkante ebenerdig mit der umliegenden Geländefläche abschließen sollte und ein Gefälle nicht vorhanden war. Die in den Bauzeichnungen Anlage K 9 eingezeichnete Außentreppe führte von der Geländefläche auf die Sohle des Kellers. Dies steht im Widerspruch zu der von dem Berufungsgericht festgestellten Vorgabe des Nullpunkts. Mit diesem Tatsachenbefund und dem aufgezeigten Widerspruch, auf den die Klägerin ihr Vorbringen erkennbar gestützt hat, hat sich das Berufungsgericht nicht hinreichend auseinandergesetzt und damit den Kern des klägerischen Vorbringens nicht erfasst und nicht verbeschieden.

25

c) Auf dieser Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör kann das angefochtene Urteil auch beruhen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es das betreffende Vorbringen zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung erwogen hätte.

Eick     

       

Kartzke     

       

Graßnack

       

Sacher     

       

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