Entscheidungsdatum: 23.02.2016
Der Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.
Das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2015 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 50.000 € (§ 3 ZPO)
I.
Die Klägerin macht, soweit für die Nichtzulassungsbeschwerde von Bedeutung, einen Anspruch auf Gewährung von Bucheinsicht im Rahmen einer Stufenklage geltend.
Die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger sind seit 1961 als Handelsvertreter für Zulieferprodukte der zivilen Luftfahrtindustrie im Nahen und Mittleren Osten tätig. Die Beklagte ist ein Hersteller von Flugzeugpassagiersitzen. Die Parteien schlossen am 9. März 2004 einen Handelsvertretervertrag, welcher die Bestimmungen eines zuvor im Jahre 1995 geschlossenen Handelsvertretervertrags ablöste. Der Handelsvertretervertrag wurde von der Beklagten zum 30. November 2011 gekündigt.
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin über die von der Beklagten vorgenommenen Abrechnungen hinaus weitere Auskunftsrechte zustehen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte verurteilt, nach ihrer Wahl entweder der Klägerin oder einem von der Klägerin zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen Einsicht in ihre Geschäftsbücher und sonstigen Urkunden zu gewähren, soweit dies zur Feststellung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Abrechnung über die Provisionsansprüche der Klägerin über sämtliche Verträge und Bestellungen über den Verkauf von Flugzeugpassagiersitzen und von Ersatzteilen für solche Sitze erforderlich ist, die die Beklagte zwischen dem 9. März 2004 und dem 30. November 2011 mit näher bezeichneten Kunden geschlossen hat, wobei die Einsicht für die einzelnen Verträge und Bestellungen zu näher bezeichneten Angaben zu erfolgen hat. Im Übrigen hat das Berufungsgericht den Antrag auf Bucheinsicht abgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten, die ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
II.
1. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts beruht, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist, auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht im Zusammenhang mit der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat.
Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt voraus, dass im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Berufungsgericht in den Gründen des Berufungsurteils auf den wesentlichen Kern des Verteidigungsvorbringens des Beklagten zu einer Frage nicht ein, das für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2014 - VII ZR 187/13, juris Rn. 6; Beschluss vom 16. März 2011 - VIII ZR 338/09, WuM 2011, 300 Rn. 3; BVerfG, NJW 2009, 1584 Rn. 14 m.w.N.).
b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.
In der Klageerwiderung vom 29. April 2013, Seite 24 (Bl. 63 d. A.) hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben und in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass Hilfsansprüche mit den sie begründenden Provisionsansprüchen in der Regelfrist gemäß § 195 BGB in drei Jahren verjähren.
Eine Verbescheidung dieser Verjährungseinrede und des diesbezüglichen Vorbringens ist den Gründen des Berufungsurteils nicht zu entnehmen.
c) Auf dieser Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör kann das angefochtene Urteil, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist, auch beruhen. Mangels hinreichender Feststellungen zur Verjährungsfrage und zu etwaigen Hemmungstatbeständen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, wenn es die genannte Verjährungseinrede und das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten bei der Entscheidung erwogen hätte, zu einem für die Beklagte günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
2. a) Danach ist das angefochtene Urteil im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache ist insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
b) Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Der Anspruch auf Gewährung von Bucheinsicht (§ 87c Abs. 4 HGB) verjährt selbständig (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1978 - I ZR 7/77, NJW 1979, 764, juris Rn. 16; Urteil vom 3. April 1996 - VIII ZR 54/95, NJW 1996, 2100, 2101, juris Rn. 11, jeweils zu § 88 HGB a.F.). Dieser Anspruch, bei dem es sich um einen Hilfsanspruch handelt, wird allerdings gegenstandslos, wenn der Provisionsanspruch, dessen Vorbereitung er dienen soll, verjährt ist oder aus anderen Gründen nicht mehr durchgesetzt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1978 - I ZR 7/77, NJW 1979, 764, juris Rn. 16; Urteil vom 22. Mai 1981 - I ZR 34/79, NJW 1982, 235, 236, juris Rn. 40; Urteil vom 3. April 1996 - VIII ZR 54/95, NJW 1996, 2100, 2101, juris Rn. 11).
Die Verjährung beurteilt sich intertemporal unter Berücksichtigung der Überleitungsvorschrift in Art. 229 § 12 EGBGB. Auf die Verjährungsfristen gemäß den durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3214) geänderten Vorschriften im Handelsgesetzbuch (Aufhebung von § 88 HGB a.F., vgl. Art. 9 Nr. 2 des genannten Gesetzes vom 9. Dezember 2004) ist Art. 229 § 6 EGBGB entsprechend anzuwenden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist (Art. 229 § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EGBGB). An die Stelle des 1. Januar 2002 tritt der 15. Dezember 2004, an die Stelle des 31. Dezember 2001 tritt der 14. Dezember 2004 (Art. 229 § 12 Abs. 1 Satz 2 EGBGB).
Nach altem Recht (§ 88 HGB a.F.) verjähren Ansprüche aus dem (Handelsvertreter-)Vertragsverhältnis in vier Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem sie fällig geworden sind. Dies gilt insbesondere auch für Provisionsansprüche und für Ansprüche auf Gewährung von Bucheinsicht (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1978 - I ZR 7/77, NJW 1979, 764, juris Rn. 16).
Nach neuem Recht unterliegen Provisionsansprüche (vgl. Thume in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, 5. Aufl., Band 1, Kap. V Rn. 586) ebenso wie Ansprüche auf Gewährung von Bucheinsicht (vgl. Riemer in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, 5. Aufl., Band 1, Kap. VI Rn. 84, Rn. 145 i.V.m. Rn. 121; Fröhlich in Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht, § 87c Rn. 110) der dreijährigen Regelverjährung gemäß § 195 i.V.m. § 199 BGB.
Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls Feststellungen dazu zu treffen haben, ob und gegebenenfalls ab wann die Verjährung etwa gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. § 167 ZPO rechtzeitig gehemmt worden ist.
Eick Halfmeier Kartzke
Graßnack Sacher