Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 20.12.2010


BGH 20.12.2010 - VII ZB 72/09

Versäumnisverfahren: Terminsbestimmung zur mündlichen Verhandlung vor Einspruchseinlegung und zweites Versäumnisurteil im Fortsetzungstermin


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
20.12.2010
Aktenzeichen:
VII ZB 72/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Zweibrücken, 15. Juni 2009, Az: 8 U 119/08, Beschlussvorgehend LG Zweibrücken, 15. September 2008, Az: 1 O 200/07
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Das Gericht darf einen Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil erst nach dem Eingang des Einspruchs bestimmen. Vor diesem Zeitpunkt ist die Bestimmung eines Termins auch dann unzulässig, wenn sie in einer verkündeten Entscheidung "für den Fall des Einspruchs" erfolgt .

2. Die ordnungsgemäße Terminsbestimmung ist Voraussetzung für die Säumnis der im Termin nicht erschienenen Partei. Fehlt es daran, darf gegen sie kein (zweites) Versäumnisurteil ergehen .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 15. Juni 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 66.875,44 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen einer mangelhaft ausgeführten Werkleistung auf Schadensersatz in Anspruch. Mit der am 3. August 2007 bei Gericht eingegangenen Klage beantragte sie, den Beklagten zu verurteilen, 66.875,44 € nebst Zinsen sowie weitere 1.880,20 € zu zahlen. Der Beklagte erwiderte mit einem am 27. Juni 2008 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz und kündigte an, die Abweisung der Klage beantragen zu wollen; darüber hinaus erhob er Widerklage auf Bezahlung seines Restwerklohns Zug-um-Zug gegen Beseitigung sachverständig festgestellter Mängel. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht - Einzelrichter - am 30. Juni 2008 erklärte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten, nicht auftreten zu wollen. Daraufhin erging auf Antrag der Klägerin ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten, mit dem er zur Zahlung von 66.875,44 € nebst Zinsen verurteilt wurde. Darüber hinaus verkündete der Einzelrichter folgenden Beschluss:

"Für den Fall des Einspruchs wird Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt auf Montag, den 15. September 2008, 15.00 Uhr, Sitzungssaal 6."

2

Mit einem am 16. Juli 2008 per Telefax bei Gericht eingegangen Schriftsatz vom 15. Juli 2008 legte der Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 30. Juni 2008 ein. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. September 2008 erschien für ihn niemand. Das Landgericht - Einzelrichter - stellte im Sitzungsprotokoll fest, dass die Parteien ordnungsgemäß zum Termin geladen worden seien und erließ auf Antrag der Klägerin ein "1. und 2. Versäumnisurteil", mit dem der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 30. Juni 2008 verworfen und seine Widerklage abgewiesen wurden. Das Versäumnisurteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 2. Oktober 2008 zugestellt.

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Gegen das zweite Versäumnisurteil hat der Beklagte mit einem am 10. Oktober 2008 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und sein Rechtmittel mit einem am 2. Dezember 2008 eingegangenen Schriftsatz begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2, 3 ZPO durch Beschluss vom 15. Juni 2009 als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde, mit der er sein auf Abweisung der Klage gerichtetes Berufungsanliegen weiterverfolgt.

II.

4

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Sie wirft die von der Rechtsprechung und Literatur bisher nicht beantwortete und über den vorliegenden Einzelfall hinaus klärungsbedürftige Frage auf, ob ein Fall der Säumnis vorliegt, wenn die nicht besonders geladene Partei in einem Termin zur mündlichen Verhandlung über ihren Einspruch gegen ein erstes Versäumnisurteil nicht erscheint, der in einer zugleich mit dem Erlass des Versäumnisurteils verkündeten Entscheidung für den Fall des Einspruchs bestimmt worden war.

5

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

6

a) Das Berufungsgericht hält die Berufung für unzulässig, weil der Beklagte einen Fall unverschuldeter Säumnis nicht schlüssig dargelegt habe, § 514 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 345 ZPO. Das erste Versäumnisurteil sei im Termin am 30. Juni 2008 in Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten des Beklagten verkündet worden. Gegen dieses Urteil habe der Beklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt, was wirksam auch schon vor der Zustellung des Versäumnisurteils habe geschehen können. Auf das Fehlen einer Ladung zum zweiten Verhandlungstermin am 15. September 2008 komme es nicht an. Die Ladung sei gemäß § 218 ZPO entbehrlich gewesen, weil das Landgericht in der Sitzung am 30. Juni 2008 für den Fall des Einspruchs in Anwesenheit des Beklagten und seines Prozessbevollmächtigten Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 15. September 2008 bestimmt habe. Der Beklagte habe keine Tatsachen vorgetragen, die bei dieser Sachlage Anlass für die Annahme bieten könnten, seine Säumnis in diesem Termin sei unverschuldet gewesen.

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b) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

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Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Beklagten nicht gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verwerfen dürfen. Die seine Entscheidung tragende Erwägung, der Beklagte habe einen Fall fehlender oder unverschuldeter Säumnis nicht schlüssig dargelegt, beruht auf einer fehlerhaften Anwendung des Rechts, § 576 Abs. 1 ZPO.

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aa) Im Ausgangspunkt zutreffend und insoweit auch von der Rechtsbeschwerde nicht beanstandet geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Zulässigkeit des Rechtsmittels nach § 514 Abs. 2 ZPO die schlüssige Darlegung voraussetzt, ein Fall der Säumnis habe nicht vorgelegen (BGH, Urteil vom 25. November 2008 - VI ZR 317/07, NJW 2009, 687, Rn. 6; Urteil vom 22. März 2007 - IX ZR 100/06, NJW 2007, 2047 jeweils m.w.N.).

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bb) Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Auffassung des Berufungsgerichts, ein Fall fehlender oder unverschuldeter Säumnis sei nicht schlüssig dargetan. Der von ihm unter Heranziehung unstreitiger und deshalb bei der Beurteilung der Schlüssigkeit zu berücksichtigender Tatsachen festgestellte Sachverhalt rechtfertigt den Vorwurf der Säumnis nicht.

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(1) Ein zweites Versäumnisurteil darf gemäß § 345 ZPO erlassen werden, wenn der Einspruchsführer im Termin zur Verhandlung über seinen Einspruch (erneut) säumig ist, weil er nicht erscheint oder nicht zur Hauptsache verhandelt. Säumnis in diesem Sinne setzt nach allgemein für den Erlass von Versäumnisentscheidungen geltenden Grundsätzen voraus, dass der nicht erschienenen Partei der korrekt anberaumte Termin ordnungsgemäß bekannt gemacht worden war (MünchKommZPO/Prütting, 3. Aufl., § 330 Rn. 10 ff., 13; Musielak/Stadler, ZPO, 6. Aufl., vor § 330 Rn. 6). Die Bekanntmachung erfolgt durch Ladung der Partei nach Maßgabe der Vorschriften in §§ 214 ff. ZPO, wobei gemäß § 218 ZPO eine Ladung zu solchen Terminen entbehrlich ist, die in verkündeten Entscheidungen bestimmt worden sind. Die ordnungsgemäß verkündete Terminsbestimmung ersetzt die Ladung; sie steht ihr in ihren Wirkungen gleich (MünchKommZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 218 Rn. 3). Fehlt es an beidem, darf - vorbehaltlich der Sonderfälle nach §§ 331 Abs. 3, 497 Abs. 2 ZPO - gemäß § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO kein Versäumnisurteil ergehen (Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 335 Rn. 3; Musielak/Stadler, ZPO, 6. Aufl., vor § 330 Rn. 6; MünchKommZPO/Prütting, 3. Aufl., § 335 Rn. 6 f.). Das gilt auch für das zweite Versäumnisurteil (MünchKommZPO/Prütting, 3. Aufl., § 345 Rn. 8).

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(2) Vor diesem Hintergrund meint das Berufungsgericht, für die Säumnis des Beklagten komme es gemäß § 218 ZPO auf das Fehlen einer Ladung nicht an, weil das Landgericht in der Sitzung am 30. Juni 2008 in Anwesenheit des Beklagten und seines Prozessbevollmächtigten durch verkündeten Beschluss für den Fall des Einspruchs Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 15. September 2008 bestimmt habe. Diese Erwägungen greifen zu kurz. Sie übergehen den von ihm selbst festgestellten Umstand, dass die Durchführung des verkündeten Termins von der Einlegung eines Einspruchs des Beklagten gegen das erste Versäumnisurteil abhängen sollte. Eine derartige Terminsbestimmung ist unzulässig. Sie entfaltet jedenfalls nicht die Wirkungen, die gemäß § 218 ZPO eine ordnungsgemäße Ladung entbehrlich machen und die Säumnis der im Termin zur Verhandlung über ihren Einspruch nicht erschienenen Partei begründen könnten.

13

(a) Das Gesetz sieht die vorsorgliche Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung über einen noch nicht eingelegten Einspruch der säumigen Partei gegen ein (erstes) Versäumnisurteil nicht vor. Termine werden gemäß § 216 Abs. 1 ZPO von Amts wegen bestimmt, wenn Anträge oder Erklärungen eingereicht werden, über die nur nach mündlicher Verhandlung entschieden werden kann. Für den Fall des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil setzt die Bestimmung eines Termins jedenfalls voraus, dass der Einspruch bei Gericht eingegangen ist. Das ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang der Vorschriften in §§ 341 Abs. 1 ZPO, 341a ZPO, wonach das Gericht einen unzulässigen Einspruch ohne erneute mündliche Verhandlung durch Urteil verwerfen kann und Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache gemäß § 341a ZPO nur dann bestimmen muss, wenn der Einspruch nicht als unzulässig verworfen wird. Daraus ergibt sich der gesetzgeberische Wille, dass die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil erst dann erfolgen soll, wenn das Gericht die Zulässigkeit des Einspruchs geprüft und diese entweder bejaht oder nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens entschieden hat, über den unzulässigen Einspruch mündlich zu verhandeln. Sie hat gemäß § 216 Abs. 1 ZPO zu unterbleiben, solange diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

14

(b) Voraussetzung für die Säumnis einer Prozesspartei ist die ordnungsgemäße Bestimmung des Termins, zu dem sie nicht erschienen ist (MünchKommZPO/Prütting, 3. Aufl., § 330 Rn. 11; Musielak/Stadler, ZPO, 6. Aufl., vor § 330 Rn. 6 f.). Daran fehlt es, wenn das Gericht den Termin in unzulässiger Weise zu einem Zeitpunkt anberaumt hat, in dem das Verfahrensrecht eine Terminsbestimmung nicht vorsieht. Die solcherart unwirksame Terminsbestimmung wird nicht dadurch zulässig, dass sie in einer verkündeten Entscheidung erfolgt. Aus § 218 ZPO, der die Entbehrlichkeit der Ladung, nicht die Wirksamkeit der Terminsbestimmung betrifft, folgt nichts anderes. Im Übrigen wäre jedenfalls eine vor der durch den Eingang des Einspruchs geschaffenen Verfahrenslage erfolgte Ladung der Parteien ebenfalls unwirksam; ihre Nichtbefolgung könnte die Säumnis der zum Termin nicht erschienenen Partei nicht begründen, § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Dann aber liegt es auf der Hand, dass die Wirkungen der Verkündung einer Terminsbestimmung nicht weiter reichen können als die der Ladung, die durch die Verkündung ersetzt wird.

Kniffka                                   Kuffer                                    Eick

                    Halfmeier                               Leupertz