Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 26.10.2010


BGH 26.10.2010 - VI ZR 307/09

Ausübung eines öffentlichen Amtes: Ärztliche Behandlung von Zivildienstleistenden


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
26.10.2010
Aktenzeichen:
VI ZR 307/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 9. Oktober 2009, Az: 4 U 149/08, Urteilvorgehend LG Kiel, 14. November 2008, Az: 8 O 22/08, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 35 Abs 1 ErsDiG

Leitsätze

Die ärztliche Behandlung von Zivildienstleistenden durch Vertragsärzte und Krankenhäuser mit Kassenzulassung im Rahmen der gesetzlichen Heilfürsorge erfolgt nicht in Ausübung eines öffentlichen Amtes .

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 9. Oktober 2009 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagten wegen ärztlicher Fehlbehandlung nach einem Badeunfall auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Der am 2. November 1973 geborene und im Jahr 1995 als Zivildienstleistender tätige Kläger erlitt in der Nacht vom 26./27. August 1995 nach einem Klassentreffen und nach Alkoholgenuss bei einem Bad im K.-See einen Badeunfall, bei dem er sich eine Fraktur der Halswirbelsäule zuzog. Er wurde zunächst notärztlich versorgt und anschließend in die Klinik der Beklagten zu 1 eingeliefert, wo er von den Beklagten zu 2 und 3 ärztlich betreut wurde. Nach seiner Verlegung in das Unfallkrankenhaus H. wurde der Kläger operiert. Er ist dauerhaft querschnittgelähmt und macht dafür die Beklagten zu 2 und 3 verantwortlich, weil diese im Rahmen der Eingangsdiagnostik die gebotene CT-Untersuchung der Halswirbelsäule unterlassen hätten, bei der die Fraktur erkannt worden wäre. Die Halswirbelsäule hätte umgehend durch entsprechende Lagerung und eine anschließende stabilisierende Operation entlastet werden müssen.

2

Nach vorgerichtlicher Korrespondenz mit dem Haftpflichtversicherer der Beklagten, dem Kommunalen Schadensausgleich Schleswig-Holstein (KSA), erhob der Kläger gegen die Beklagten im August 2000 Klage auf Zahlung eines Teilschmerzensgeldes von 400.000 DM nebst Zinsen. In der Klageschrift heißt es, er und die Beklagten bzw. der KSA seien übereingekommen, im Rahmen dieser Teilschmerzensgeldklage die höchst kontroverse Haftungsgrundproblematik, insbesondere die bestehende Kausalitätsproblematik abschließend zu klären bzw. klären zu lassen und nach rechtskräftigem Abschluss dieses Verfahrens in die Regulierung der weiteren immateriellen und materiellen Schadensersatzansprüche des Klägers einzutreten. Auf dieses Vorbringen gingen die Beklagten in dem Vorprozess nicht ein. Das Landgericht gab der Klage nach Beweisaufnahme durch Urteil vom 9. März 2006 statt, weil die medizinische Behandlung durch die Beklagten fehlerhaft gewesen sei. Das Unterlassen der CT-Untersuchung sei ein Befunderhebungsfehler, der für die dauerhafte Querschnittlähmung ursächlich sei. Den Beweis dafür, dass ein Ursachenzusammenhang nicht gegeben sei, hätten die Beklagten nicht erbracht. Dem Kläger komme wegen der unterlassenen Befunderhebung eine Umkehr der Beweislast zugute. Dabei könne dahinstehen, ob der Befunderhebungsfehler als grob zu qualifizieren sei. Die Beweislastumkehr greife jedenfalls deshalb ein, weil im Falle der gebotenen CT-Untersuchung die Fraktur der Halswirbelsäule erkannt worden wäre; mit hinreichender Wahrscheinlichkeit hätte sich deshalb ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde. Der Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Befundung und der dauerhaften Querschnittlähmung des Klägers sei auch nicht äußerst unwahrscheinlich. Die Berufung der Beklagten wies das Oberlandesgericht am 30. März 2007 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück.

3

In dem vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger ein über den im Vorprozess geltend gemachten Anspruch hinausgehendes Schmerzensgeld (Kapitalbetrag und Rente), die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich seiner materiellen und künftigen immateriellen Schäden sowie den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten. Er stützt sein Vorbringen auf die im Vorprozess getroffenen Feststellungen und macht geltend, zwischen den Parteien sei im Rahmen der Verhandlungen vor und während des Vorprozesses vereinbart worden, dass die in jenem Prozess zum Haftungsgrund getroffenen Feststellungen für die Parteien verbindlich sein sollten. Die Beklagten haben eine solche Vereinbarung in Abrede gestellt und geltend gemacht, ihrer Inanspruchnahme stehe Art. 34 GG i.V.m. § 839 Abs. 1 BGB entgegen, weil der Kläger zur Zeit der ärztlichen Behandlung Zivildienstleistender gewesen sei. Sie haben das Vorliegen eines Behandlungsfehlers bestritten und vorgetragen, für die Schädigung des Klägers sei ein etwaiger Fehler jedenfalls nicht ursächlich, denn es sei davon auszugehen, dass die Querschnittlähmung bereits bei dem Badeunfall eingetreten sei.

4

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte nur hinsichtlich der für die Vergangenheit begehrten Schmerzensgeldrente Erfolg. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in SchlHA 2010, 78 abgedruckt ist, bejaht eine Bindung der Parteien an die im Vorprozess getroffenen Feststellungen zur gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten für die infolge fehlerhafter ärztlicher Behandlung eingetretene Querschnittlähmung des Klägers. Aus dem Schriftwechsel ergebe sich, dass die Parteien vor Erhebung der Teilschmerzensgeldklage eine entsprechende Vereinbarung getroffen hätten. Selbst wenn dies nicht der Fall sei, seien die Beklagten unter Berücksichtigung des Inhalts der vorgerichtlichen Korrespondenz und ihres Verhaltens in dem über eine Dauer von sieben Jahren geführten Vorprozess in Kenntnis der von dem Kläger in der damaligen Klageschrift dargelegten Prozessvereinbarung jedenfalls nach Treu und Glauben gehindert, Einwendungen gegenüber ihrer Haftung dem Grunde nach zu erheben.

II.

6

Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

7

1. Der erkennende Senat kann die Frage, ob zwischen den Parteien die behauptete Vereinbarung über die Bindung an die im Vorprozess getroffenen Feststellungen zustande gekommen ist und welchen Inhalt sie gegebenenfalls hat, durch eigene Auslegung der Erklärungen ermitteln, ohne hieran durch die Wertung gehindert zu sein, die das Berufungsgericht insoweit vorgenommen hat. Dafür ist es im Ergebnis ohne Bedeutung, ob man die behauptete Übereinkunft mit ihrem Schwergewicht dem Verfahrensrecht oder dem materiellen Recht zuordnet. Sieht man nämlich in der behaupteten Vereinbarung in erster Linie einen dem formellen Recht zugehörigen so genannten Prozessvertrag, so unterliegt dieser als Prozesshandlung ohnehin der Auslegung durch das Revisionsgericht (BGH, Urteile vom 24. Januar 1952 - III ZR 196/50, BGHZ 4, 328, 334 und vom 6. März 1985 - VIII ZR 123/84, NJW 1985, 2335). Beurteilt man hingegen die behauptete Absprache vorwiegend als materiell-rechtliche Übereinkunft, so war ihre freie Würdigung nach den §§ 133, 157 BGB zwar zunächst Sache des Tatrichters. Da aber das Berufungsgericht die Erklärungen lediglich unter dem Gesichtspunkt einer umfassenden Bindungswirkung an die im Vorprozess getroffenen Feststellungen zum Haftungsgrund gewürdigt und eine andere vorliegend in Betracht zu ziehende Auslegungsmöglichkeit (s. unten Ziff. 2 f.) nicht geprüft hat, kann der Senat, da weitere Feststellungen insoweit nicht in Betracht kommen, die Erklärungen hinsichtlich ihres materiell-rechtlichen Gehalts selbst auslegen (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1975 - VII ZR 179/73, BGHZ 65, 107, 112; Senatsurteile vom 10. Oktober 1989 - VI ZR 78/89, BGHZ 109, 19, 22 und vom 20. Dezember 1983 - VI ZR 19/82, VersR 1984, 382).

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2. Die Auslegung der Erklärungen hat wie auch sonst von ihrem jeweiligen Wortlaut auszugehen, wobei jedoch der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen ist (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 2002 - VI ZR 230/01, VersR 2002, 474). Dabei sind insbesondere der mit den Erklärungen verfolgte Zweck (BGH, Urteile vom 28. Juni 1951 - IV ZR 93/50, BGHZ 2, 379, 385 und vom 23. Februar 1956 - II ZR 207/54, BGHZ 20, 109, 110) sowie die Interessenlage der Beteiligten (BGH, Urteil vom 14. Juli 1956 - V ZR 223/54, BGHZ 21, 319, 328) zu berücksichtigen. Geht es wie hier um den Abschluss und den etwaigen Inhalt einer Prozessvereinbarung, kommt dem Wortlaut der Erklärungen angesichts der weit reichenden Rechtsfolgen, die sich aus einem solchen Vertrag ergeben können, darüber hinaus besondere Bedeutung zu, weshalb solche Vereinbarungen üblicherweise im Einzelnen ausgehandelt und hinreichend ausformuliert zu werden pflegen. Deshalb ist es in solchen Fällen auch regelmäßig geboten, bei der Auslegung nur an die nächstliegende Bedeutung der schriftlich abgegebenen Erklärungen anzuknüpfen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte (etwa der Inhalt mündlicher Verhandlungen) für einen weitergehenden Parteiwillen gegeben sind (BGH, Urteil vom 23. April 1998 - III ZR 7/97, VersR 1998, 1291, 1293). Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Erklärungen nicht in jeder Hinsicht gerecht.

9

a) Eine ausdrückliche Vereinbarung des Inhalts, dass die Parteien eine Bindungswirkung hinsichtlich der im Erstprozess getroffenen Feststellungen zur gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten für die infolge fehlerhafter ärztlicher Behandlung eingetretene Querschnittlähmung des Klägers getroffen haben, ist nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht erfolgt. Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass an die Bejahung einer durch schlüssige Erklärungen getroffenen Prozessvereinbarung hohe Anforderungen zu stellen sind, wie sie etwa für das kausale Schuldanerkenntnis gelten (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juni 2008 - XI ZR 239/07, VersR 2009, 831). Mit diesen Anforderungen ist die Bedeutung, die das Berufungsgericht den Erklärungen beigemessen hat, nur teilweise zu vereinbaren.

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b) Das Berufungsgericht stellt maßgeblich auf den Inhalt des Schreibens der Bevollmächtigten des Klägers vom 28. Januar 1999 ab, in dem es heißt, das Teil-Klageverfahren werde zu einer gerichtlichen Entscheidung über die Haftungsgrundfragen führen. Diese Erklärung könnte für sich betrachtet so zu verstehen sein, dass der Kläger eine umfassende Bindungswirkung der in dem Erstprozess zu treffenden Feststellungen erstrebte. Die Revision weist jedoch mit Recht darauf hin, dass sich alle anderen Schreiben insoweit lediglich mit den Fragen einer Streitwertbegrenzung, der Erhebung einer Teilklage, der anzustrebenden Revisibilität der Entscheidung und dem zu erklärenden Verzicht auf die Einrede der Verjährung befassen. Eine Bindungswirkung der im Erstprozess zu treffenden Feststellungen zum Haftungsgrund wird ausdrücklich an keiner Stelle angesprochen. Das gilt auch hinsichtlich des in der damaligen Klageschrift enthaltenen Vortrags zur abschließenden Klärung der Haftungsgrundproblematik und zur weiteren Schadensregulierung, auf den die Beklagten in dem Vorprozess allerdings nicht eingegangen sind.

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c) Zutreffend weist die Revision auch darauf hin, dass im Falle einer Teilschmerzensgeldklage eine Bindungswirkung hinsichtlich des Haftungsgrundes für weitergehende Ansprüche in erster Linie im Interesse der obsiegenden Partei lag. Darüber hinaus entsprach ein solches kostengünstigeres Vorgehen in jedem Fall den Interessen des Haftpflichtversicherers, während der Kläger, der, wie der KSA wusste, rechtsschutzversichert war, das mit einer Klage auf Ersatz des gesamten Schadens verbundene weitaus höhere Kostenrisiko nicht scheuen musste. Dementsprechend war der Vorschlag, eine Teilklage zu erheben, auch von dem Haftpflichtversicherer der Beklagten ausgegangen.

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d) Gleichwohl kann den Erklärungen nach ihrem Sinn und Zweck und unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen eine Bindungswirkung nicht vollständig abgesprochen werden. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkennt, war die von den Beteiligten gewählte Vorgehensweise nur für den Fall sinnvoll, dass die vom Gericht nach sachverständiger Beratung zu treffende Entscheidung über die Frage eines ärztlichen Fehlers und gegebenenfalls seiner Ursächlichkeit für den Gesundheitsschaden des Klägers nach rechtskräftigem Abschluss des Rechtsstreits über die Teilklage von den Parteien und dem Haftpflichtversicherer der Beklagten als verbindlich geklärt betrachtet würde. Dementsprechend war beiden Seiten ersichtlich daran gelegen, durch Gewährleistung der Revisibilität möglichst eine höchstrichterliche Entscheidung herbeizuführen. Dieses Bestreben macht deutlich, dass die Beteiligten die sich stellenden medizinischen Fragen und die Bewertung des Ursachenzusammenhangs mit einem einzigen Rechtsstreit abschließend klären wollten. Insoweit ging es beiden Seiten ersichtlich um die Vereinbarung einer Bindungswirkung für etwaige weitergehende Ansprüche des Klägers, wofür nicht zuletzt auch sein Vortrag in der damaligen Klageschrift spricht, dem die Beklagten nicht entgegengetreten sind. Auch dieses prozessuale Verhalten kann entgegen der Auffassung der Revision als Indiz für eine entsprechende Abrede gewertet werden. Es kommt hinzu, dass die Beklagten in dem ersten Rechtsstreit nicht die Einrede der Verjährung erhoben haben. Zutreffend weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass der KSA sich in dem vorgerichtlichen Schriftwechsel für den Fall einer Teilklage lediglich dazu bereit erklärt hatte, auf die Erhebung der Verjährungseinrede zu verzichten. Dass die Beklagten die Einrede nicht erhoben haben, obwohl ein solcher Verzicht also ausdrücklich nicht erklärt worden ist, weist darauf hin, dass die Absprachen der Parteien nicht ausschließlich in Schriftform erfolgten.

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e) Haben der Kläger und der KSA eine Bindungswirkung der im Vorprozess ergangenen Entscheidung über die Frage eines ärztlichen Fehlers und gegebenenfalls seiner Ursächlichkeit für den Gesundheitsschaden des Klägers verabredet, bindet diese von ihrem Haftpflichtversicherer eingegangene Vereinbarung auch die Beklagten. Der Haftpflichtversicherer ist im Rahmen der ihm obliegenden Schadensregulierung zu jeder beliebigen Erklärung bevollmächtigt (vgl. Geigel/Münkel, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 13 Rn. 7) und somit auch zur Abgabe von Zusagen, die, wie hier, der Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits über die schadensrechtliche Abwicklung eines Versicherungsfalles dienen. Mithin können die Beklagten nicht mehr mit Erfolg einwenden, für die Schädigung des Klägers sei ein etwaiger ärztlicher Fehler nicht ursächlich, weil davon auszugehen sei, dass die Querschnittlähmung bereits vollständig bei dem Badeunfall eingetreten sei. Ebenso wenig können die Beklagten noch geltend machen, bei dem Gesundheitsschaden des Klägers handele es sich um einen so genannten "aufgepfropften" Schaden (vgl. OLG Hamm, VersR 1996, 1371 mit NA-Beschluss des erkennenden Senats vom 19. März 1996 - VI ZR 244/95), weil eine sofortige Diagnose der Fraktur allenfalls eine minimale, äußerstenfalls mit 10 % anzusetzende Verbesserung mit sich gebracht hätte.

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f) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der getroffenen Prozessvereinbarung indessen nicht entnommen werden, dass der im Erstprozess ergehenden Entscheidung zum Haftungsgrund eine weitergehende, also eine über die medizinischen Zusammenhänge und die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs hinausgehende Bedeutung zukommen sollte. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass die von den Beteiligten getroffene Prozessvereinbarung auch die Frage der Passivlegitimation der Beklagten umfassen sollte. Hinsichtlich dieser Frage sahen seinerzeit weder der Kläger noch der KSA oder die Beklagten Klärungsbedarf, denn alle Beteiligten gingen davon aus, dass etwaige Ansprüche des Klägers wegen einer ärztlichen Fehlbehandlung ausschließlich gegen die Beklagten gerichtet seien. Dass diese gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG von einer eigenen Haftung befreit sein könnten, ist von keiner Seite bedacht worden. Demgemäß befassen sich die vorgerichtlichen Schreiben ausschließlich mit der medizinischen Verantwortlichkeit der Beklagten und der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs für den Gesundheitsschaden des Klägers. Nur insoweit wurde eine Bindungswirkung angestrebt. Kann den vorgerichtlichen Schreiben und dem Vortrag des Klägers in der Klageschrift des Erstprozesses aber ein weitergehender Erklärungswille nicht entnommen werden, sind die Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit nicht mit dem Einwand fehlender Passivlegitimation ausgeschlossen. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von Fallgestaltungen, in denen eine beklagte Partei den Kläger über ihre Passivlegitimation getäuscht oder einen von ihr erkannten dahin gehenden Irrtum des Klägers bewusst aufrechterhalten hat (vgl. Senatsurteil vom 10. November 1970 - VI ZR 83/69, VersR 1971, 227; BGH, Urteil vom 7. Dezember 1989 - VII ZR 130/88, NJW-RR 1990, 417). Der Beginn eines Rechtsstreits legt den Parteien regelmäßig nämlich keine besonderen Pflichten zu gegenseitiger Rücksichtnahme auf, insbesondere nicht die Pflicht, sofort auf Bedenken gegen die Passivlegitimation hinzuweisen. Lediglich eine fortwirkende vertragliche Treuepflicht kann einem Beklagten gebieten, den Kläger über einen von ihm insoweit veranlassten Irrtum aufzuklären (Senatsurteil vom 5. Mai 1981 - VI ZR 280/79, VersR 1981, 779; vgl. auch Senatsurteil vom 7. Juli 1970 - VI ZR 189/68, BB 1970, 1026). Daran fehlt es hier. Die Frage, ob die Beklagten persönlich in Anspruch genommen werden können oder ob sie in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes tätig geworden sind und gemäß Art. 34 Satz 1 GG eine Haftungsverlagerung auf ihre Anstellungskörperschaft stattfindet, ist eine Rechtsfrage, die das Gericht von Amts wegen zu entscheiden hat.

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3. Der von den Beklagten nunmehr erhobene Einwand der Haftungsverlagerung hat jedoch keinen Erfolg. Die Beklagten sind bei der ärztlichen Behandlung des Klägers nicht in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes tätig geworden (Art. 34 Satz 1 GG). Für die Folgen der ihnen unterlaufenen ärztlichen Fehler haben sie vielmehr persönlich gemäß § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB, § 847 BGB a.F. einzustehen.

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a) Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines öffentlichen Amts darstellt, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2006 - III ZR 270/05, VersR 2006, 1684 m.w.N.). Der für die Annahme der Ausübung eines öffentlichen Amtes erforderliche enge Zusammenhang zwischen der Zielrichtung der hoheitlichen Aufgabe und deren Ausführung ist bei der Heilbehandlung von Zivildienstleistenden angesichts ihrer rechtlichen und praktischen Ausgestaltung nicht gegeben.

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b) Die ärztliche Heilbehandlung von Kranken ist regelmäßig nicht Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 GG (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 1974 - III ZR 131/72, BGHZ 63, 265, 270). Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht ausnahmslos. So ist anerkannt, dass die ärztliche Behandlung von Soldaten durch Truppenärzte im Rahmen der gesetzlichen Heilfürsorge Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe ist und damit in Ausübung eines öffentlichen Amtes erfolgt (BGH, Urteile vom 6. Juli 1989 - III ZR 79/88, BGHZ 108, 230, 233 und vom 12. November 1992 - III ZR 19/92, BGHZ 120, 176, 178). Auch die Behandlung eines Soldaten, die im Auftrag der Bundeswehr durch Ärzte eines zivilen Krankenhauses aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages auf Weisung des Bundeswehrarztes durchgeführt wird, stellt die Ausübung eines öffentlichen Amtes dar, so dass weder der behandelnde Arzt unmittelbar noch der Krankenhausträger auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann (BGH, Beschluss vom 29. Februar 1996 - III ZR 238/94, VersR 1996, 976).

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c) Diese für Soldaten geltenden Grundsätze können auf die Heilbehandlung von Zivildienstleistenden nicht entsprechend angewandt werden.

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aa) Allerdings erhalten Zivildienstpflichtige im Krankheitsfall von Gesetzes wegen entsprechend den Vorschriften für Wehrpflichtige freie Heilfürsorgeleistungen. So finden nach § 35 Abs. 1 ZDG auf den Dienstpflichtigen in Fragen der Heilfürsorge die Bestimmungen entsprechende Anwendung, die für einen Soldaten des untersten Mannschaftsdienstgrades, der aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst leistet, gelten. Wehrpflichtige Soldaten erhalten gemäß § 6 Satz 1 und § 10 WSG i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 1 BBesG im Rahmen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (VwV) zu § 69 Abs. 2 BBesG unentgeltliche truppenärztliche Versorgung. Nach VwV § 2 Abs. 1 umfasst die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung alle zur Gesunderhaltung, Verhütung und frühzeitigen Erkennung von gesundheitlichen Schäden sowie die zur Behandlung einer Erkrankung spezifisch erforderlichen medizinischen Leistungen dergestalt, dass alle regelwidrigen Körper- und Geisteszustände erfasst werden, die einer Behandlung bedürftig und einer Therapie zugänglich sind. Die Heilfürsorge ist dabei als Sachleistung ausgestaltet, so dass der Wehrpflichtige bei Krankheit keine Übernahme der gegebenenfalls angefallenen Behandlungskosten beanspruchen kann (vgl. VG München, Urteil vom 27. August 2009 - M 15 K 09.746,juris, Rn. 22 f.).

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bb) Da der Zivildienst im Gegensatz zur Bundeswehr jedoch nicht über einen eigenen Sanitätsdienst verfügt, ist in § 35 Abs. 3 ZDG bestimmt, dass das zuständige Bundesministerium Verträge mit Körperschaften und Verbänden der Heilberufe zur Sicherstellung der Heilfürsorge der Dienstleistenden abschließt. Ein solcher Vertrag wurde zwischen dem Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung abgeschlossen (Zivildienstbehandlungsvertrag). Zivildienstleistende erhalten auf der Grundlage dieses Vertrages und der gesetzlichen Bestimmungen Heilfürsorge durch Bereitstellung des Versorgungsangebots der Vertragsärzte und Krankenhäuser mit Kassenzulassung (vgl. auch § 75 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V). Damit steht den Zivildienstleistenden eine kassenärztliche Versorgung als Sachleistung zur Verfügung, die der truppenärztlichen Versorgung der Wehrpflichtigen entspricht und auf deren Inanspruchnahme der Zivildienstleistende in anderen als Notfällen verwiesen ist. Hierzu wird dem Zivildienstleistenden vor Beginn der Behandlung ein Behandlungsausweis bzw. ein Überweisungsschein ausgehändigt, der dem behandelnden Kassenarzt vorzulegen ist. Der Arzt rechnet seine Leistungen über die zuständige Kassenärztliche Vereinigung ab, die wiederum dem Bundesamt den angefallenen Gesamtbetrag in Rechnung stellt (VG München, Urteil vom 27. August 2009 - M 15 K 09.746, aaO, Rn. 23 f.).

21

cc) Wenn auch für Zivildienstleistende ebenso wie für Soldaten ein gesetzlicher Anspruch auf Heilfürsorge besteht, so ist diese in wesentlichen Punkten jedoch unterschiedlich ausgestaltet. Während der Soldat nicht das Recht der freien Arztwahl hat (BGH, Urteil vom 6. Juli 1989 - III ZR 79/88, aaO, S. 235), ist diese beim Zivildienstleistenden zwar nicht rechtlich, wohl aber faktisch gegeben (Brecht, Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst, 5. Aufl., § 35 ZDG Anm. 3). Bei Zivildienstleistenden läuft die Heilfürsorge, auch wenn sie im Interesse einer möglichst weitgehenden Gleichstellung mit derjenigen für Wehrpflichtige rechtlich als Sachleistung ausgestaltet ist, in der praktischen Durchführung auf eine Erstattung der Heilbehandlungskosten hinaus. Während die ärztliche Heilbehandlung von Soldaten vorrangig durch öffentlich bedienstete Ärzte und deren Hilfspersonen sowie Sanitätsbereiche und eigene Krankenanstalten der Bundeswehr erfolgt und andere Ärzte oder zivile Kliniken regelmäßig nur im Bedarfsfall zur Ersatzversorgung herangezogen werden (BGH, Urteil vom 6. Juli 1989 - III ZR 79/88, aaO, S. 235 f.), erfolgt die Heilbehandlung von Zivildienstleistenden primär durch niedergelassene Ärzte und zivile Kliniken. Diese geschieht bei der ärztlichen Behandlung von Soldaten im Auftrag und auf Weisung des Bundeswehrarztes (BGH, Beschluss vom 29. Februar 1996 - III ZR 238/94, aaO). Bei der ärztlichen Behandlung von Zivildienstleistenden fehlt es hingegen sowohl an einem entsprechenden Auftrag als auch an einer Weisung.

22

dd) Diese Unterschiede begründen auch hinsichtlich der Haftungsfrage eine abweichende rechtliche Einordnung dahingehend, dass die Heilbehandlung von Zivildienstleistenden anders als die der Soldaten nicht Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe ist. Deshalb erfolgt die ärztliche Behandlung des Zivildienstleistenden nicht in Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 GG (a.A.: Brecht, aaO).

23

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Galke                                   Wellner                                          Pauge

                   Stöhr                                         von Pentz