Entscheidungsdatum: 14.03.2017
Zur ausreichenden Substanziierung einer behaupteten Geschäftsunfähigkeit.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. Mai 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 159.000 €
I.
Der Kläger begehrt die Rückzahlung von Geldbeträgen, die von seinen Bankkonten auf Konten des Beklagten sowie dessen verstorbenen Vaters überwiesen worden sind.
Der Kläger war Mieter einer Wohnung des Beklagten. Während des Mietverhältnisses kam es am 2. September und 3. November 2005 und 16. Juni, 2. November und 13. Dezember 2006 zu den streitgegenständlichen Überweisungen in Höhe von 20.000 €, 20.000 €, 34.000 €, 70.000 € und 15.000 €, insgesamt 159.000 €.
Der Kläger behauptet, der Beklagte habe die Abbuchungen durch Fälschungen veranlasst und dabei eine seelische Erkrankung des Klägers und den Umstand ausgenutzt, dass er zur Regelung seiner eigenen Angelegenheiten nicht in der Lage sei. Weder habe ein Rechtsgrund für die Überweisungen noch die von dem Beklagten behauptete Liebesbeziehung zwischen den Parteien bestanden. Die Überweisungen an den Beklagten seien ihm erst im Jahr 2010 bekannt geworden, nachdem sein Prozessbevollmächtigter die ihm von dem Kläger in einer Tüte übergebenen, teilweise noch ungeöffneten Schreiben mit Kontoauszügen geöffnet und durchgesehen habe. Der Beklagte hat geltend gemacht, der Kläger habe ihm das Geld geschenkt.
Das Amtsgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe erst im Jahr 2011 Kenntnis von den behaupteten Fälschungen erlangt. Denn es habe zumindest eine grob fahrlässige Unkenntnis vorgelegen. Das Unterlassen der Prüfung der präsenten Kontoauszüge erscheine geradezu unverständlich. Der Kläger könne auch nicht damit gehört werden, er sei aufgrund seiner Hilflosigkeit zur Prüfung der Kontoauszüge nicht imstande gewesen. Denn insoweit bleibe der Vortrag unsubstantiiert, weshalb auch das Beweisangebot auf Einholung eines Sachverständigengutachtens auf eine unzulässige Ausforschung hinauslaufe.
Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat - wie die Nichtzulassungsbeschwerde im Hinblick auf die tragende Begründung des Berufungsgerichts zur eingetretenen Verjährung, §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2, § 214 Abs. 1 BGB, zu Recht rügt - den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) dadurch in entscheidungserheblicher Weise verletzt, dass es die Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens zu dem Gesundheitszustand des Klägers unterlassen hat.
1. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Partei in der nach Art. 103 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (BGH, Urteil vom 29. Februar 2012 - VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 Rn. 14 mwN). Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (BVerfG, WM 2012, 492 Rn. 16; BGH, Beschluss vom 21. Mai 2007 - II ZR 266/04, WM 2007, 1569 Rn. 8; BGH, Urteil vom 29. Februar 2012 - VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 Rn. 16; jeweils mwN).
2. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht beanstandet, hat das Berufungsgericht hiergegen verstoßen.
a) Der Kläger hat - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend rügt - vorgetragen und durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt, er sei zur eigenständigen Regelung seiner Angelegenheiten bereits seit dem Jahr 1995 nicht imstande gewesen und habe diese auch nicht wahrgenommen. Er sei damals wie heute aufgrund einer seelischen Erkrankung nicht in der Lage, sich aktiv an Auseinandersetzungen zu beteiligen oder auf geschäftliche Dinge zu reagieren. Ein Sachverständigengutachter werde feststellen, dass seine Erkrankung seit vielen Jahren bestehe. Er hat ein Schreiben eines Bevollmächtigten seiner Geschwister vom 29. Mai 1995 an die Vormundschaftsabteilung des Amtsgerichts vorgelegt, mit dem vor dem Hintergrund einer anstehenden Erbauseinandersetzung angeregt wird, dem Kläger einen Betreuer zu bestellen, weil die Befürchtung bestehe, dass der Kläger sich wegen seiner seelischen Erkrankung nicht selbst werde helfen können. Er hat ferner ein Schreiben des sozialpsychiatrischen Dienstes der Stadt Frankfurt am Main vom 31. Mai 2011 vorgelegt, das unter anderem folgende Aussagen enthält:
"Grund für die vom Vermieter angestrengte Räumungsklage sei gewesen, dass (…) festgestellt worden sei, dass [der Kläger] in seiner 1-Zimmer-Wohnung so viele Bücher und andere Dinge gestapelt habe, dass statische Bedenken hinsichtlich einer Einsturzgefahr bestünden. Da [der Kläger] sich geweigert habe, diesem abzuhelfen, sei die Wohnungskündigung ausgesprochen worden, auf die er nicht reagiert habe. (...)
[Der Kläger] nahm bis Mai 2011 einige Beratungstermine im Amt für Gesundheit wahr. Es wurde hierbei deutlich, dass er mit der Regelung seiner sozialen Angelegenheiten überfordert ist. Er gerate immer wieder in "Ausnahmezustände", die Monate anhielten und während derer er "handlungsunfähig" sei. So habe er vor einigen Jahren ca. 12 Monate keinen Strom in der Wohnung gehabt, weil er es "nicht geschafft" habe, bei seinem Stromversorger vorstellig zu werden. Aktuell könne er seine Wohnung seit 2 Jahren nicht heizen, er habe sich nicht um Abhilfe bemüht. [Der Kläger] bestätigte, dass er in seiner Wohnung viele Bücher habe, es gäbe nur "einen schmalen Gang", auf dem er sich durch die Wohnung bewegen könne. Er schlafe "eigentlich im sitzen", weil nicht mehr Platz sei. (...) Er wirkte (...) mit dem gesamten administrativen Ablauf völlig überfordert. Die Wohnungssuche scheitert nicht an finanziellen Möglichkeiten, da [der Kläger] nach einer Erbschaft über erhebliches Vermögen verfügt. (…) [Der Kläger] gebrauchte viele phrasenhaft wirkende Stereotypien, er wirkte manieriert und teilweise bizarr in seiner Wortwahl und in seinem Verhalten. (…)
[Der Kläger] ist aufgrund seiner psychischen Erkrankungen nicht in der Lage, seine sozialen Belange eigenverantwortlich zu regeln. Mit der notwendigen Suche nach einer neuen Wohnung ist er völlig überfordert, es droht Ende 2011 die Obdachlosigkeit. Aufgrund seiner schizoiden Persönlichkeitsstruktur mit der Vermeidung von Kontakten zu anderen Menschen und extremem Rückzugsverhalten ist davon auszugehen, dass (…). Aus unserer Sicht ist die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung notwendig, um die völlige soziale Desintegration [des Klägers] zu verhindern."
Der Kläger hat ferner vorgetragen, er sei hilflos und gar nicht in der Lage, soziale Kontakte zu Dritten aufzubauen oder seine Interessen in irgendeiner Weise selbst wahrzunehmen. Der Beklagte habe die krankhafte Störung und die dadurch verursachte Hilflosigkeit des Klägers ausgenutzt, ihn als Vermieter mit dem Verlust der Wohnung unter Druck gesetzt und auf diese Weise dazu gebracht, Überweisungsträger über einen Betrag in Höhe von 10.000 € zu unterschreiben. Auch das hat die Nichtzulassungsbeschwerde als übergangen gerügt.
b) Das Berufungsgericht hat angenommen, dieser Vortrag sei unsubstantiiert und das Beweisangebot sei auf eine unzulässige Ausforschung gerichtet. Der Vortrag des Klägers sei vage und lasse keine Rückschlüsse darauf zu, aufgrund welcher konkreter Umstände es dem Kläger im Zeitraum von 2005 bis zum Ende des Jahres 2010 durchgängig nicht möglich gewesen sei, die übersandten Kontoauszüge zu prüfen. Das vom Kläger beantragte Sachverständigengutachten diene daher lediglich dazu, Hinweise auf den konkreten Zustand des Klägers im maßgeblichen Zeitraum zu erlangen.
c) Das verletzt den Kläger nach den dargelegten Grundsätzen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG. Der Kläger hat die Voraussetzungen einer Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB) dargelegt und unter Beweis gestellt, ohne dass das Berufungsgericht dem nachgegangen wäre.
aa) Ein Ausschluss der freien Willensbestimmung gemäß § 104 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist dabei darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil infolge der Geistesstörung Einflüsse dritter Personen den Willen übermäßig beherrschen. Substantiiert dargelegt ist ein solcher Ausschluss nach allgemeinen Grundsätzen, wenn das Gericht auf der Grundlage des Klägervorbringens zu dem Ergebnis kommen muss, die Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB lägen vor. Auf die Wahrscheinlichkeit des Vortrags kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 - XI ZR 70/95, NJW 1996, 918 unter II 2 b aa).
bb) Gemessen daran ist das Vorbringen des Klägers hinreichend substantiiert. Das Berufungsgericht hat den durch das Schreiben des Gesundheitsamts vom 31. Mai 2011 unterlegten konkreten Vortrag des Klägers zu dem Inhalt und der Dauer seiner Erkrankung unberücksichtigt gelassen und die Substantiierungsanforderungen in unvertretbarer Weise überspannt. Ob der Kläger an einer - möglicherweise dauerhaft bestehenden - Erkrankung leidet und ob diese dazu führt, dass er nicht in der Lage ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der Geistesstörung zu bilden und nach den gewonnenen Einsichten zu handeln, hätte das Berufungsgericht durch Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens klären müssen (vgl. Senat, Urteil vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08, NJW-RR 2010, 681 Rn. 13), zumal der amtsärztliche Bericht Beispiele für völlig unvernünftiges und selbstgefährdendes Handeln des Klägers enthält.
3. Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hätte nicht aus anderen Gründen von der Einholung eines Gutachtens absehen dürfen. Das gilt schon deshalb, weil es von Amts wegen verpflichtet ist, sich von der Prozessfähigkeit des Klägers zu überzeugen, § 51 Abs. 1 ZPO (Senat, Beschluss vom 9. November 2010 - VI ZR 249/09, VersR 2011, 507 Rn. 4). Eine etwaige Prozessunfähigkeit führt zwar weder zur Unzulässigkeit der Berufung noch zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (BGH, Urteil vom 4. November 1999 - III ZR 306/98, NJW 2000, 289, 291). Sie erfordert aber eine Übernahme der Prozessführung durch einen gegebenenfalls zu bestellenden gesetzlichen Vertreter (Senat, Beschluss vom 9. November 2010, aaO, Rn. 7). Eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers wäre zudem geeignet, dem von dem Beklagten behaupteten Schenkungsvertrag die Grundlage zu entziehen, §§ 516, 104 Nr. 2 BGB. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die weitere Rüge der Nichtzulassungsbeschwerde begründet ist, das Berufungsgericht habe auch durch die Zurückweisung des Vorbringens des Klägers zu dem Umfang der behaupteten Fälschungen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verstoßen, Art. 103 Abs. 1 GG.
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