Entscheidungsdatum: 03.03.2015
1. Ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug ist als Unterschrift anzuerkennen, wenn der Schriftzug individuelle und charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt.
2. Ist ein Schriftzug so oder geringfügig abweichend allgemein von den Gerichten über längere Zeit als in sehr verkürzter Weise geleistete Unterschrift unbeanstandet geblieben, darf der Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass die Unterschrift den in der Rechtsprechung anerkannten Anforderungen entspricht.
3. Will das Gericht die über längere Zeit nicht beanstandete Form der Unterschrift nicht mehr hinnehmen, gebietet der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz über den Anspruch auf faire Verfahrensgestaltung hinaus gegenüber dem Rechtsanwalt eine Vorwarnung.
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 3. November 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 186.047,80 €
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz für seine Verluste aus Börsentermingeschäften. Das in erster Instanz ergangene Urteil des Landgerichts wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 5. Dezember 2012 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2012 legte dieser dagegen Berufung ein, die er innerhalb bis 5. März 2013 verlängerter Frist begründete. In der Berufungserwiderung rügte der Kläger unter anderem, die Berufung sei nicht form- und fristgerecht eingelegt worden, da sowohl Berufungsschrift als auch Berufungsbegründung nicht ordnungsgemäß unterschrieben seien. Im Schriftsatz vom 8. April 2014 wiederholte der Kläger die Rüge der fehlenden Unterschrift.
Mit Verfügung vom selben Tag, der Beklagten zugegangen am 25. April 2014, hat das Berufungsgericht die Beklagte darauf hingewiesen, dass fraglich erscheine, ob die Zeichen unter der Berufungs- und der Berufungsbegründungsschrift eine Unterschrift darstellten. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 7. Mai 2014 vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Das Berufungsgericht hat die Berufung und den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten verworfen. Gegen beides richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie in erster Linie die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts über die Verwerfung der Berufung erstrebt.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die auf der unzutreffenden Annahme einer nicht ordnungsgemäß unterzeichneten Berufungsschrift beruhende Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Beklagte in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfGE 79, 372, 375; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Das Berufungsgericht durfte die Berufung der Beklagten nicht gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit der Begründung verwerfen, die Berufungsschrift sei nicht ordnungsgemäß unterzeichnet und die Berufung damit nicht form- und fristgerecht eingelegt.
a) Die Berufungsschrift muss als bestimmender Schriftsatz im Anwaltsprozess grundsätzlich von einem beim Berufungsgericht postulationsfähigen Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein (§ 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4 ZPO). Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen (Senat, Beschlüsse vom 22. November 2005 - VI ZB 75/04, VersR 2006, 387 Rn. 5; vom 15. Juni 2004 - VI ZB 9/04, VersR 2005, 136 und vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 46/03, BGH-Report 2004, 406; BGH, Beschlüsse vom 26. April 2012 - VII ZB 36/10, NJW-RR 2012, 1140 Rn. 7; vom 26. Oktober 2011 - IV ZB 9/11, Rn. 6 bei juris; vom 28. August 2003 - I ZB 1/03, MDR 2004, 349, 350; Urteile vom 11. Oktober 2005 - XI ZR 398/04, NJW 2005, 3773, 3774; vom 31. März 2003 - II ZR 192/02, VersR 2004, 487, 488). Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (BGH, Beschlüsse vom 26. April 2012 - VII ZB 36/10, aaO, Rn. 7; vom 26. Oktober 2011 - IV ZB 9/11, Rn. 6 bei juris).
b) Eine den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügende Unterschrift setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzug voraus, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, der sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt. Dabei ist in Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, jedenfalls bei gesicherter Urheberschaft ein großzügiger Maßstab anzulegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2013 - VIII ZB 62/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 11 f.; vom 26. April 2012 - VII ZB 36/10, aaO, Rn. 8; vom 17. November 2009 - XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rn. 12; vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, VersR 2006, 1661, Rn. 8 mwN; Urteil vom 11. Oktober 2005 - XI ZR 398/04, NJW 2005, 3773, 3774).
c) Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Schriftzug auf der Berufungsschrift um eine Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 ZPO. Das Berufungsgericht ist an sich von zutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen; es hat jedoch die Anforderungen an die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf der Berufungsschrift überspannt.
aa) Ob die Berufungsschrift der Prozessordnung gemäß unterzeichnet ist, hat der Senat von Amts wegen zu prüfen. Die Zulässigkeit der Berufung ist eine Prozessvoraussetzung, von der das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung in seiner Gültigkeit und Rechtswirksamkeit abhängt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - IV ZR 36/52, BGHZ 6, 369, 370). Die hierfür erforderlichen Feststellungen trifft der Senat selbständig ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts (BGH, Beschlüsse vom 26. April 2012 - VII ZB 36/10, NJW-RR 2012, 1140 Rn. 9; vom 9. Februar 2010 - VIII ZB 67/09, MietPrax-Ak § 130 ZPO Nr. 1 Rn. 11 und vom 17. November 2009 - XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rn. 13; Urteil vom 24. Juli 2001 - VIII ZR 58/01, VersR 2002, 589).
bb) Bei dem vom Beklagtenvertreter bei der Unterzeichnung der Berufungsschrift verwendeten Schriftzug handelt es sich um eine formgültige, einfach strukturierte, gleichwohl aber vollständige Namensunterschrift. Das Berufungsgericht hat bei seiner abweichenden Beurteilung nicht hinreichend beachtet, dass für die Frage, ob eine formgültige Unterschrift vorliegt, nicht die Lesbarkeit oder die Ähnlichkeit des handschriftlichen Gebildes mit den Namensbuchstaben entscheidend ist, sondern es darauf ankommt, ob der Name vollständig, wenn auch nicht unbedingt lesbar, wiedergegeben wird (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2010 - VIII ZB 67/09, aaO, Rn. 11; vom 21. Februar 2008 - V ZB 96/07, Grundeigentum 2008, 539 Rn. 10 und vom 28. September 1998 - II ZB 19/98, VersR 1999, 467 unter II. 1.).
Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, dass die Unterschrift keinen lesbaren Namenszug erkennen lässt. Sie besteht, wie die vom Beklagten zur Akte gereichten Schriftproben zeigen, nach einem jahrzehntelangen sukzessiven Abschleifungsprozess nur noch aus zwei voneinander abgesetzten Strichbildern. Gleichwohl weist der vom Berufungsgericht zutreffend als ein auf dem Kopf stehendes, stark zugespitztes Häkchen und davon abgesetzt als Viertelkreis beschriebene Schriftzug individuelle Merkmale auf, der insbesondere wegen der ungewöhnlichen Strichführung keinen ernsthaften Zweifel daran aufkommen lässt, dass es sich um eine von ihrem Urheber zum Zwecke der Individualisierung und Legitimierung geleistete Unterschrift handelt. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten weist darauf hin, dass er seit Jahren in dieser Weise seine Unterschrift leiste und auch dem Berufungsgericht Schriftstücke aus anderen Verfahren und dem vorliegenden Verfahren bekannt seien, welche seine gleich geartete Unterschrift trügen. Das Berufungsgericht stellt denn auch nicht in Frage, dass die in der Akte befindlichen Schriftsätze des Prozessbevollmächtigten der Beklagten durchweg ein mehr oder weniger ähnliches Zeichen als Signatur aufweisen. All diese Unterschriften setzen sich aus der gleichen Kombination von Strichelementen zusammen und sind ähnlich gestaltet. Offenkundig gehen sie auf die immer gleiche mechanische Bewegung des die Unterschrift Leistenden zurück. Das Berufungsgericht zieht auch nicht in Zweifel, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten den Berufungsschriftsatz wissentlich und willentlich unterzeichnet und sodann dem Berufungsgericht zugeleitet hat. Dem Sinn und Zweck des Unterschriftenerfordernisses aus § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO, die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung zu ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck zu bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen, ist danach mit der Unterzeichnung der Berufungsschrift durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten Genüge getan.
cc) Hinzukommt, dass auch das Berufungsgericht an der Autorenschaft des Beklagtenvertreters keine Zweifel hegt. Eine großzügige Betrachtungsweise ist deshalb - wie dargelegt - ohnehin geboten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, VersR 2006, 1661 Rn. 8; vom 26. Februar 1997 - XII ZB 17/97, FamRZ 1997, 737). Die Urheberschaft des Prozessbevollmächtigten der Beklagten wird darüber hinaus bestätigt durch die maschinenschriftliche Namenswiedergabe nebst Berufsbezeichnung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, aaO Rn. 9; Urteil vom 10. Juli 1997 - IX ZR 24/97, VersR 1998, 340, 341 unter II. 2.c).
3. Die Berufung der Beklagten ist danach rechtzeitig und formgerecht eingelegt worden. Zwar hat das Berufungsgericht offen gelassen, ob die Berufungsbegründungsschrift ordnungsgemäß unterzeichnet ist. Jedoch bestehen nach den dargelegten Grundsätzen auch insoweit keine berechtigten Bedenken. Das Berufungsgericht hätte demnach die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Der Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Einer Entscheidung über den von der Beklagten wegen Versäumung der Berufungsfrist gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es nicht. Insoweit ist der Beschluss des Berufungsgerichts gegenstandslos. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht dem Beklagten von seinem Standpunkt aus jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist hätte gewähren müssen. Ein Rechtsanwalt genießt über den Anspruch auf faire Verfahrensgestaltung hinaus, der eine Vorwarnung gebietet, falls derselbe Spruchkörper die von ihm längere Zeit gebilligte Form einer Unterschrift nicht mehr hinnehmen will(BVerfGE 78, 123, 126 f.), einen verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz (BVerfG, NJW 1998, 1853). Ist daher, wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten glaubhaft vorgetragen hat und sich auch aus den Akten ergibt, der vom Berufungsgericht beanstandete Schriftzug so oder geringfügig abweichend bis dahin allgemein von den Gerichten, wenn auch nicht vom Berufungssenat, über längere Zeit als in sehr verkürzter Weise geleistete Unterschrift unbeanstandet geblieben, durfte er darauf vertrauen, dass die Unterschrift den in der Rechtsprechung anerkannten Anforderungen entspricht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. September 1998 - II ZB 19/98, VersR 1999, 467 f. und vom 21. Juni 1990 - I ZB 6/90, VersR 1991, 117). Dieses Vertrauen vermochte die Beanstandung des Klägers in der Berufungserwiderung nicht zu erschüttern. Das Berufungsgericht durfte den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung auch nicht wegen des Ablaufs der einjährigen Ausschlussfrist nach § 234 Abs. 3 ZPO verwerfen, weil die Ursache der Fristüberschreitung nicht in der Sphäre der Beklagten, sondern in der des Gerichts lag (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2008 - XII ZB 179/07, VersR 2008, 1088 Rn. 15 mwN).
Galke Diederichsen Stöhr
Offenloch Oehler