Entscheidungsdatum: 26.07.2016
Überträgt eine Kanzleiangestellte die anzuwählende Telefaxnummer des Gerichts aus einem in der Akte befindlichen Schreiben des Gerichts in einen fristgebundenen Schriftsatz, erfordert die Ausgangskontrolle, die Richtigkeit der gewählten Nummer auch nochmals darauf zu kontrollieren, ob sie tatsächlich einem Schreiben des Empfangsgerichts entnommen wurde (Anschluss an BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2010, IX ZB 34/10, NJW 2011, 312).
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20. August 2014 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 268.341,70 €.
I.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 200.000 € an die Klägerin verurteilt und festgestellt, dass der Rechtsgrund der Zahlungspflicht des Beklagten in einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung liegt. Gegen das ihm am 12. März 2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. Juni 2014 verlängert. Die auf den 12. Juni 2014 datierte Berufungsbegründung ging brieflich am 14. Juni 2014 auf der gemeinsamen Poststelle Justiz Nürnberg, der sowohl Oberlandesgericht als auch Landgericht angehören, ein. Bereits am 12. Juni 2014, einem Donnerstag, um 15.38 Uhr hatte die Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufungsbegründung per Fax übersandt, aufgrund eines Fehlers ihrer Rechtsanwaltsfachangestellten aber an die Telefaxnummer des Landgerichts, nicht des Berufungsgerichts. Das Landgericht leitete die gefaxte Berufungsbegründung mit Verfügung vom Folgetag, Freitag dem 13. Juni 2014, an das Berufungsgericht. Die Berufungsbegründung traf am Montag, dem 16. Juni 2014, bei der gemeinsamen Poststelle Justiz Nürnberg ein. Nach Hinweis der Vorsitzenden des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung sei verspätet, beantragte der Beklagte am 4. Juli 2014, ihm insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.
Zur Begründung dieses Antrags hat der Beklagte im Wesentlichen ausgeführt, die zuverlässige und sorgfältige Rechtsanwaltsfachangestellte seiner Prozessbevollmächtigten, Frau O., die in der Vergangenheit zu keinerlei Beanstandungen Anlass gegeben habe, sei mit dem Heraussuchen von Anschrift und Telefaxnummer des Berufungsgerichts betraut gewesen. Nach Fertigstellung des Schriftsatzes habe Frau O. die Telefaxnummer des Landgerichts eingefügt. Grund für das Versehen sei, dass Frau O. die - ebenfalls falsche - Telefaxnummer aus der Berufungsschrift wiederverwendet habe. Bereits dort habe sie versehentlich die Telefaxnummer des Landgerichts eingesetzt. Da die Berufungsschrift fristwahrend per Post eingegangen sei, sei dieser Fehler nicht aufgefallen. Frau O. habe bei der Ausgangskontrolle den Sendebericht nur mit der im Schriftsatz eingetragenen Telefaxnummer abgeglichen. Die Rechtsanwaltsfachangestellte habe (mehrfach) weisungswidrig gehandelt. In der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Beklagten bestehe die generelle Anweisung, beim Heraussuchen und Ergänzen von Telefaxnummern eines Empfängergerichts die Telefaxnummer anhand des letzten in der Handakte befindlichen, zeitnahen Schreibens dieses Gerichts zu ermitteln. Sofern sich ein solches Schreiben nicht in der Akte befinde, sei die Telefaxnummer auf der Homepage des Empfängergerichts zu ermitteln. Bei der Ausgangskontrolle sei anhand des Sendeberichts zu prüfen, ob die Sendung vollständig beim bezeichneten Empfänger angekommen sei, ob also die Zustellung des Telefaxes mit sämtlichen Seiten korrekt erfolgt sei und ob die richtige, dem Empfängergericht zugeordnete Faxnummer verwendet worden sei. Hierfür werde die Telefaxnummer des Empfängergerichts anhand des letzten in der Akte befindlichen Schreibens dieses Gerichts abgeglichen. Dem Wiedereinsetzungsantrag war eine entsprechende eidesstattliche Versicherung der Frau O. beigefügt.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 20. August 2014 hat das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das rechtzeitig eingegangene Wiedereinsetzungsgesuch bleibe in der Sache ohne Erfolg. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Beklagten, das dieser sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Es sei durch eine entsprechende Büroorganisation zu gewährleisten gewesen, dass eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer stattfinde. Vorliegend fehle es an einer ordnungsgemäßen Kanzleiorganisation, weil die eingesetzte Empfangsnummer vom Personal lediglich dahin abzugleichen war, ob sie mit der Nummer aus einem bei der Akte befindlichen - vermeintlich vom Berufungsgericht herrührenden - Schreiben übereinstimme, aber die weitergehende Prüfung, wer Absender des Schreibens ist, versäumt worden sei.
Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts vom 20. August 2014 wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsurteil vom 15. Dezember 2015 - VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 5), sind nicht erfüllt. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich; insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).
1. Das Berufungsgericht weicht - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - mit seiner Entscheidung nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab.
a) Zutreffend geht es davon aus, dass der Beklagte nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, dass ein ursächliches Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung, das dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, nicht vorliegt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Rechtsanwalt bei der Versendung fristgebundener Schriftsätze per Telefax durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird (Senatsbeschlüsse vom 27. März 2012 - VI ZB 49/11, VersR 2013, 208 Rn. 7; vom 12. Juni 2012 - VI ZB 54/11, VersR 2012, 1411 Rn. 7; vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12, VersR 2014, 1350 Rn. 7). Weiter ist zu fordern, dass auch bei der Entnahme der Telefaxnummer des Empfangsgerichts aus der Akte den Grundsätzen der selbständigen Prüfung der Empfängernummer folgend eine zweifache Prüfung durchgeführt wird, ob die gewählte Nummer mit der im Schreiben enthaltenen übereinstimmt und ob es sich bei dem Schreiben tatsächlich um ein solches des Empfängers handelt (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2010 - IX ZB 34/10, NJW 2011, 312 Rn. 10; vgl. Senat, Beschluss vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12, VersR 2014, 1350, 1351).
Diesen Anforderungen genügte die Kanzleiorganisation der Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht. Die Anweisung, die Zuordnung der Telefaxnummer anhand "des letzten in der Akte befindlichen Schreibens dieses Gerichts" abzugleichen, lässt offen, ob die Herkunft des Schreibens nochmals in einem zweiten Schritt zu überprüfen ist. Geboten sind aber klare organisatorische Anweisungen, deren Verbindlichkeit für die Mitarbeiter außer Frage steht, weil nur so die Wichtigkeit der einzuhaltenden Schritte in der gebotenen Deutlichkeit hervorgehoben wird (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - V ZB 154/12, NJW 2014, 1390 Rn. 15).
Zu Recht davon ausgehend, dass Hilfstätigkeiten geschultem Personal eigenverantwortlich überlassen werden dürfen (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - IX ZB 34/10, NJW 2011, 312 Rn. 6; vom 9. Juni 2015 - VIII ZB 100/14, juris Rn. 9), stellt das Berufungsgericht weiter richtig darauf ab, dass das Büropersonal stets wegen der häufig auftretenden Verwechselung der in einem Verfahren beteiligten Instanzgerichte angewiesen werden muss, die angegebene Faxnummer noch einmal auf ihre Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen. Nur so kann die bekannte Fehlerquelle beherrscht werden, dass fristgebundene Rechtsmittelschriften trotz richtiger postalischer Adressierung weiter per Fax an das Gericht der Vorinstanz geleitet werden. Diese Gefahr ist durch die zunehmende Vereinheitlichung des äußeren Erscheinungsbildes der Entscheidungen und Schreiben der Gerichte innerhalb der Bundesländer in den letzten Jahren noch größer geworden. Die genannten Anforderungen gelten auch für die Ausgangskontrolle.
Hätte eine entsprechende klare Anweisung bestanden, wäre der Rechtsanwaltsfachangestellten nicht verborgen geblieben, dass sie - wiederholt - die Telefaxnummer des Landgerichts und nicht des Berufungsgerichts eingetragen und verwendet hat. Der Organisationsfehler der Prozessbevollmächtigten des Beklagten ist damit zumindest mitursächlich für den Fehler der Büroangestellten geworden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 - VIII ZB 100/14, juris Rn. 12; vom 24. Oktober 2013 - V ZB 154/12, NJW 2014, 1390 Rn. 15).
b) Es liegt auch keine Abweichung von der Entscheidung des erkennenden Senats vom 23. April 2013 (VI ZB 27/12, VersR 2013, 830) vor, wonach eine unzumutbare, von Verfassungs wegen nicht hinzunehmende Zugangserschwerung zu den Gerichten vorliegt, wenn bei Bestehen einer gemeinsamen Post- und Faxannahmestelle der Zugang eines Telefaxes bei einem dem Verbund angeschlossenen Gericht nicht auch als Zugang beim ebenfalls der gemeinsamen Annahmestelle angeschlossenen Empfängergericht gewertet wird (vgl. BVerfG, 1 BvR 1784/05, auszugsweise abgedruckt in NJW-RR 2008, 446). Landgericht und Berufungsgericht teilen sich - mit anderen Justizbehörden - eine gemeinsame Postannahmestelle. Feststellungen zu einer gemeinsamen Telefaxannahmestelle liegen nicht vor. Zu Recht weist die Rechtsbeschwerdeerwiderung zudem darauf hin, dass der Beklagte in seinem Vortrag zur Wiedereinsetzung selbst davon ausgeht, dass das Telefax an die falsche Telefaxnummer gesandt wurde mit der Folge, dass die Berufungsbegründung verspätet beim zuständigen Gericht eingegangen ist.
c) Aus den gleichen Erwägungen heraus liegt der angefochtenen Entscheidung kein Rechtsanwendungsfehler zugrunde, der eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht stellt den von der Rechtsbeschwerde monierten - unzutreffenden - Obersatz, es gebe keine Vermutung, dass das Fax beim richtigen Empfängergericht eingegangen sei, wenn Gerichte sich Gebäude teilten und sich kein Eingangsstempel auf dem Telefax befinde, nicht auf. Der Beklagte geht selbst davon aus, dass das Faxschreiben versehentlich an das Landgericht gerichtet worden ist.
2. Die in der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge der Verletzung von Verfahrensgrundrechten erweist sich ebenfalls nicht als durchgreifend.
a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt keine grundlegende Verkennung der Rechtsprechung vor. Wie dargelegt geht das Berufungsgericht in Einklang mit den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon aus, dass die Prozessbevollmächtigte des Beklagten eine Kanzleiorganisation, die den strengen Anforderungen zur Vermeidung einer Fehlleitung fristwahrender Schriftsätze per Telefax genügt, nicht vorgetragen hat.
b) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, es sei unberücksichtigt geblieben, dass der Beklagte davon ausgehen durfte, dass die an das falsche Gericht gefaxte Berufungsbegründung noch am gleichen Tag beim Empfängergericht eingehe, überspannt sie die allgemeine Fürsorgepflicht der Gerichte (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Juni 2004 - VI ZB 75/03, VersR 2005, 247; BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - XII ZB 61/12, NJW-RR 2013, 701; BVerfG, NJW 2006, 1579). Zutreffend geht die Rechtsbeschwerde im Ansatz davon aus, dass Gerichte fehlgeleitete Schriftsätze im üblichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterleiten. Es besteht aber grundsätzlich keine Verpflichtung der Gerichte, fehlerhaft adressierte Schriftsätze, die am Tag des Fristablaufs und zumal zum Ende der normalen Geschäftszeiten eingehen, ohne Zuständigkeitskontrolle, gleichsam von Hand zu Hand an den vom Absender intendierten Empfangsort zu bringen. Jedenfalls mit der Übersendungsverfügung vom Folgetag, dem 13. Juni 2014, hat das Landgericht hier seiner Fürsorgepflicht durch eine Weiterleitung im Rahmen des üblichen Geschäftsganges genügt.
Galke Wellner Oehler
Roloff Klein