Entscheidungsdatum: 24.10.2013
1. Ein Rechtsanwalt muss durch organisatorische Anordnungen sicherstellen, dass bei dem Versand von Schriftsätzen per Fax nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bei der Ermittlung der Faxnummer erfasst werden.
2. Die Kontrolle darf sich nicht darauf beschränken, die in dem Sendebericht enthaltene Faxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen zu vergleichen; vielmehr muss der Abgleich stets anhand einer zuverlässigen Quelle vorgenommen werden.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Landau vom 6. Juli 2012 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 97.022,61 €.
I.
Mit den Klägern am 1. März 2011 zugestelltem Urteil hat das Amtsgericht die in einer Wohnungseigentumssache erhobene Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger in deren Namen am 1. April 2011 Berufung eingelegt. Mit Faxschreiben vom 2. Mai 2011 (Montag) hat er beantragt, die Berufungsbegründungsfrist zu verlängern; infolge der Verwendung einer falschen Faxnummer ist der Antrag jedoch an das Amtsgericht versandt worden und erst am 3. Mai 2011 - verbunden mit einem Wiedereinsetzungsgesuch - bei dem Landgericht eingegangen. Begründet worden ist die Berufung am 1. Juni 2011.
Das Wiedereinsetzungsgesuch haben die Kläger unter Berücksichtigung eines weiteren - am 31. Mai 2011 eingegangenen - Schriftsatzes zunächst wie folgt begründet: Ein ihnen zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sei nicht gegeben. Entgegen einer allgemeinen organisatorischen Anweisung habe die sonst zuverlässige Kanzleimitarbeiterin die Telefaxnummer versehentlich nicht dem letzten zeitnahen Schriftstück des Landgerichts entnommen, sondern einem unmittelbar dahinter gehefteten Schreiben des Amtsgerichts. Es sei organisatorisch festgelegt, dass Telefaxsendungen anhand des Sendeberichts überprüft und Fristen erst nach Prüfung der ordnungsmäßigen Absendung gelöscht würden. Soweit die Beklagten meinten, es hätte darüber hinaus nochmals anhand des Sendeberichts und der Akte geprüft werden müssen, ob die verwendete Faxnummer stimme, würden die Anforderungen an die Organisation einer Rechtsanwaltskanzlei überspannt. Durch Eintragung des richtigen Empfängergerichts auf dem fristwahrenden Schriftstück und die Ermittlung/Eintragung der Telefaxnummer sei organisatorisch hinreichend sichergestellt, dass fristwahrende Schriftstücke an den richtigen Adressaten gelangten.
Von dem Landgericht darauf hingewiesen, dass zudem organisatorische Vorkehrungen dahin hätten getroffen werden müssen, dass auch die Richtigkeit der Faxnummer anhand des Sendeberichts und der Akte hätte überprüft werden müssen, haben die Kläger mit Schriftsatz vom 1. August 2011 vorgetragen, eine Besprechung mit der zuständigen Kanzleimitarbeiterin habe ergeben, dass es in der Kanzlei „tatsächlich und grundsätzlich“ ständige Handhabung sei, in der Akte die Übereinstimmung des Sendeprotokolls mit der im Schriftstück des Empfangsgerichts angegebenen Faxnummer zu kontrollieren. Soweit von den Klägern mit Schriftsatz vom 31. Mai 2011 die Auffassung der Beklagten zur Erforderlichkeit einer nochmaligen Überprüfung anhand des Sendeberichts und der Akte zurückgewiesen worden sei, habe es sich lediglich um eine Rechtsauffassung gehandelt.
Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Das Landgericht steht auf dem Standpunkt, dass auf der Grundlage des von den Klägern innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO vorgetragenen Sachverhalts ein den Klägern nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zu bejahen sei. Entnehme die Kanzleimitarbeiterin die Faxnummer einem gerichtlichen Schreiben, müsse durch organisatorische Anweisungen sichergestellt werden, dass nach der Versendung überprüft werde, ob die gewählte Nummer mit der in dem Schreiben enthaltenen übereinstimme und ob es sich bei dem Schreiben tatsächlich um ein solches des Empfängers handle. Auf den nach Verstreichen der Wiedereinsetzungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 1. August 2011 könne das Wiedereinsetzungsgesuch schon deshalb nicht gestützt werden, weil nach Fristablauf nur noch erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Tatsachen erläutert oder vervollständigt werden dürften. So liege es hier jedoch nicht, weil dem fristgemäßen Vorbringen der Kläger zu entnehmen sei, dass eine Weisung, den Sendebericht zur Kontrolle nochmals mit einer zuverlässigen Quelle abzugleichen, nicht existiert habe.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 574 Abs. 2 ZPO ist gegeben, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
a) Welche organisatorischen Vorkehrungen ein Anwalt bei der Versendung fristwahrender Schriftsätze per Fax treffen muss, wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht einheitlich beurteilt.
aa) Im Grundsatz besteht Einigkeit darüber, dass ein Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann genügt, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Dabei darf sich die Kontrolle des Sendeberichts nicht darauf beschränken, die auf diesem ausgedruckte Faxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, z.B. bereits in den Schriftsatz eingefügten Nummer zu vergleichen. Vielmehr muss der Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle, etwa anhand eines geeigneten Verzeichnisses vorgenommen werden, um auch Fehler bei der Ermittlung aufdecken zu können (vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. November 2012 - IV ZB 20/12, NJW-RR 2013, 305, 306 Rn. 9; Beschluss vom 27. März 2012 - VI ZB 49/11, NJW-RR 2012, 744, 745 Rn. 7; Beschluss vom 12. Mai 2010 - IV ZB 18/08, NJW 2010, 2811, 2812 Rn. 11; Beschluss vom 4. Februar 2010 - I ZB 3/09, VersR 2011, 1543, 1544 Rn. 14). Dem Erfordernis, durch organisatorische Anweisungen nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bei der Ermittlung der Faxnummer zu erfassen, kann allerdings auch dann genügt werden, wenn die Anweisung besteht, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der schriftlich niedergelegten zu vergleichen, die ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist. Dies setzt jedoch voraus, dass darüber hinaus die generelle Anordnung besteht, die ermittelte Nummer vor der Versendung zu überprüfen. Der Sendebericht muss dann nicht mehr zusätzlich mit der zuverlässigen Ausgangsquelle verglichen werden (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 - IV ZB 18/08, aaO, Rn. 14; Beschluss vom 4. Februar 2010 - I ZB 3/09, aaO, Rn. 18; wohl auch Beschluss vom 27. März 2012 - VI ZB 49/11, aaO). Infolge des vorangegangenen Abgleichs der auf den Schriftsatz übertragenen Faxnummer mit der zuverlässigen Ausgangsquelle ist die Nummer auf dem Schriftsatz nach diesem Abgleich bei wertender Betrachtung selbst als ausreichend zuverlässige Quelle anzusehen. Auch auf diese Weise ist sichergestellt, dass von den angeordneten Kontrollmaßnahmen sowohl Ermittlungs- als auch Eingabefehler rechtzeitig aufgedeckt werden können.
bb) Ob die Anforderungen, die an die Kanzleiorganisation zur Aufdeckung von Ermittlungsfehlern zu stellen sind, eine Abmilderung erfahren, wenn die auf den Schriftsatz übertragene Faxnummer - wie hier - entsprechend der organisatorischen Anweisung unmittelbar einem in der Akte befindlichen Schreiben des Berufungsgerichts entnommen wird, ist streitig. Nach der bisherigen Auffassung des VI. Zivilsenats soll in solchen Fällen ein Abgleich mit der zuverlässigen Ausgangsquelle entbehrlich sein, weil bei einer Entnahme der Faxnummer aus einem Schreiben des Berufungsgerichts das besonders hohe Verwechslungsrisiko, das bei der Auswahl aus elektronischen oder buchmäßig erfassten Dateien bestehe, erheblich verringert sei (Beschlüsse vom 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06, NJW 2007, 1690, 1691 Rn. 11 und vom 22. Juni 2004 - VI ZB 14/04, NJW 2004, 3491). Demgegenüber halten jedenfalls der erkennende und der IX. Zivilsenat auch in solchen Konstellationen an den allgemeinen Grundsätzen fest (Senat, Beschluss vom 30. September 2010 - V ZB 173/10, juris Rn. 9 und 12 - insoweit in MDR 2010, 1483 nicht abgedruckt; BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - IX ZB 34/10, NJW 2011, 312, 313 Rn. 8 ff.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04, NJW 2006, 2412, 2413; ohne Stellungnahme zu der Kontroverse BGH, Beschluss vom 23. Mai 2012 - VII ZB 58/10, juris Rn. 9 ff.).
b) Dass der VI. Zivilsenat zwischenzeitlich von seiner Rechtsauffassung abgerückt ist (s. unten 2. a) und damit die bis dahin entscheidungserhebliche Divergenz nach Einlegung der Rechtsbeschwerde entfallen ist, steht der Statthaftigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2006 - IX ZB 124/05, NJW-RR 2007, 400 Rn. 4).
2. In der Sache bleibt dem Rechtsmittel jedoch der Erfolg versagt. Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zu Recht versagt. Die Kläger haben ein ihnen nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht ausgeräumt.
a) Die von dem Berufungsgericht zugrunde gelegte Rechtsauffassung entspricht der des Senats, an der auch nach erneuter Überprüfung festgehalten wird. Ein Rechtsanwalt muss eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig an den richtigen Adressaten herausgehen. Das setzt in allen Fällen den Abgleich mit einer zuverlässigen Quelle voraus, weil nur so Ermittlungs- und Eingabefehlern wirksam begegnet werden kann. Den danach gebotenen Organisationsanforderungen genügt ein Abgleich des Sendeberichts nur mit der Faxnummer, die ein Kanzleimitarbeiter aus der Akte auf den zu versendenden Schriftsatz übertragen hat, nicht. Denn eine solche Handhabung führt in nicht akzeptabler Weise dazu, dass - durch nur geringfügigen Mehraufwand vermeidbare - Übertragungsfehler unentdeckt bleiben (Senat, Beschluss vom 30. September 2010 - V ZB 173/10, juris Rn. 12) und damit die Gefahr entsteht, dass - wie schon die wiederholte Beschäftigung des Bundesgerichtshofs mit dieser Frage (s. oben III.1. a) bb) belegt - eine in der Praxis relativ häufig auftretende Fehlerquelle nicht beherrscht wird. Gemessen an der Bedeutung fristgemäßer Verfahrensabläufe und dem geringen Mehraufwand des Abgleichs, der bei der Ermittlung der Faxnummer aus anderen Quellen ohnehin besteht, kann auch von einer Überspannung der Anforderungen, die an die Kanzleiorganisation eines Rechtsanwalts zu stellen sind, keine Rede sein. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Anfrage mitgeteilt, dass an der milderen Auffassung nicht weiter festgehalten wird (vgl. nunmehr auch BGH, Beschluss vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12, juris).
b) Dass vorliegend die Mitarbeiter der Kanzlei zu der erforderlichen Nachkontrolle angewiesen worden sind, haben die Kläger innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
c) Allerdings können erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben auch noch nach Ablauf der genannten Frist erläutert oder vervollständigt werden (Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369 mwN; Beschluss vom 30. September 2010 - V ZB 173/10, juris Rn. 7). Gibt es dagegen keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken im Vortrag, ist davon auszugehen, dass erforderliche organisatorische Maßnahmen nicht getroffen worden sind (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747, 748).
So verhält es sich hier, wenn man mit dem Berufungsgericht naheliegend davon ausgeht, dass das innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gehaltene Vorbringen bei verständiger Gesamtwürdigung so zu verstehen ist, dass lediglich Vorkehrungen getroffen worden sind, die einen Abgleich des Sendeberichts mit der auf den zu versendenden Schriftsatz übertragenen Faxnummer verlangen. Aber selbst wenn man den Schriftsatz vom 1. August 2011 als berücksichtigungsfähige Ergänzung oder Vervollständigung ansehen wollte, ergäbe sich kein anderes Bild. Denn es liegt auf der Hand, dass die nach Fristablauf vorgetragene nur „tatsächlich und grundsätzlich“ bestehende Handhabung einer Nachkontrolle hinter den Anforderungen zurück bleibt, die an eine ordnungsgemäße Kanzleiorganisation zu stellen sind. Geboten sind klare organisatorische Anweisungen des Rechtsanwalts, deren Verbindlichkeit für die Kanzleimitarbeiter außer Frage steht, weil nur so die Wichtigkeit der einzuhaltenden Schritte in der gebotenen Deutlichkeit hervorgehoben wird. Vor diesem Hintergrund kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger zumindest mitursächlich für den Fehler der Kanzleikraft geworden ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Januar 2011 - III ZB 55/10, NJW 2011, 859, 860 Rn. 15; BFH, Beschluss vom 13. September 2012 - XI R 13/12, juris Rn. 17 mwN).
d) Ein Organisationsverschulden lässt sich nicht mit Blick auf die bislang uneinheitliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verneinen. Bereits mit Beschluss vom 14. Oktober 2010 (IX ZB 34/10, NJW 2011, 312, 314 Rn. 12 [veröffentlicht Ende Januar 2011]) hat jedenfalls der IX. Zivilsenat mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass ein Prozessbevollmächtigter künftig nur dann dem Gebot des sichersten Weges genügt, wenn er sich zumindest bis zu einer höchstrichterlichen Klärung an der strengeren Auffassung ausrichtet. Daran fehlt es hier.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch
Roth Brückner