Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 27.01.2011


BGH 27.01.2011 - III ZB 55/10

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Ermittlung der genauen Uhrzeit bei der Telefaxübermittlung eines Frist wahrenden Schriftsatzes


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
27.01.2011
Aktenzeichen:
III ZB 55/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG München I, 30. Juli 2010, Az: 31 S 1678/10, Beschlussvorgehend AG München, 21. Dezember 2009, Az: 251 C 33619/08
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Soll bei der Ermittlung der genauen Uhrzeit zum Zwecke der Wahrung der Frist allein die Anzeige des in der Anwaltskanzlei verwendeten Faxgerätes ausreichend sein, muss diese Anzeige zuverlässig die maßgebliche Zeit wiedergeben. Ist dieses Faxgerät technisch nicht dafür ausgelegt, selbständig einen stetigen Abgleich mit der gesetzlichen Zeit vorzunehmen, hat der Anwalt dafür Sorge zu tragen, dass regelmäßig eine Überprüfung der Zeiteinstellung am Faxgerät stattfindet .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 31. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 30. Juli 2010 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 4.500,92 €.

Gründe

I.

1

Die Klägerin erwirkte einen Vollstreckungsbescheid gegen den Beklagten wegen einer Hauptsacheforderung in Höhe von 2.764,13 €. Nach Einspruch des Beklagten hob das Amtsgericht den erwirkten Vollstreckungsbescheid auf und wies die Klage ab. Zugleich verurteilte es die widerbeklagte Klägerin wegen einer Gegenforderung in Höhe von 1.736,79 €. Das amtsgerichtliche Urteil wurde der Klägerin am 14. Januar 2010 zugestellt. Fristgerecht legte sie Berufung ein. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. März 2010 beantragte sie die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum 12. April 2010. Dem Verlängerungsantrag wurde "antragsgemäß" stattgegeben. Die Berufungsbegründung ging per Fax am 13. April 2010 um 00.03 Uhr beim Landgericht ein. Auf dem beim Landgericht eingegangenen Fax war als Uhrzeit in der Absenderzeile 23.49 Uhr angegeben. Als Empfangszeit im Faxgerät des Landgerichts war 00.03 Uhr angegeben mit einer Dauer der Übertragung von zwei Minuten und 16 Sekunden.

2

Nach Hinweis auf die mögliche Verspätung des Eingangs der Berufungsbegründung hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie macht geltend, dass ihr Prozessvertreter um 23.30 Uhr die Uhrzeit an seinem Computer kontrolliert habe. Danach habe er noch einmal die Anzahl der Seiten, die Nummerierung und die Formatierung der Berufungsbegründung durchgesehen und sie noch zweimal kopiert. Daraufhin habe er den Schriftsatz zur Versendung in das Faxgerät eingelegt und die Uhrzeit anhand der Faxgeräteanzeige überprüft, die zu dem Zeitpunkt 23.40 Uhr angezeigt habe. Er habe darauf nochmals den Schriftsatz durchgesehen und nach Angabe des Faxgeräts um 23.49 Uhr das Fax an das Landgericht versandt. Um 23.51 Uhr sei der Sendebericht ausgedruckt worden, der die vollständige und rechtzeitige Übertragung des Berufungsbegründungsschriftsatzes bestätigt habe.

3

Nachdem ihr Prozessvertreter von dem verspäteten Zugang des Faxschreibens erfahren und von der zuständigen Richterin auf eine mögliche unrichtige Zeiteinstellung des Faxgeräts aufmerksam gemacht worden sei, habe er festgestellt, dass die Faxuhrzeitanzeige um acht Minuten und 20 Sekunden nachgehe. Das Faxgerät habe immer einwandfrei gearbeitet. Er sei davon ausgegangen, dass die Zeitanzeige des Faxgeräts korrekt sei. Es habe sich im Nachhinein herausgestellt, dass die Zeiteinstellung durch den Verantwortlichen des für die Wartung des Faxgeräts eingesetzten Dienstleiters fehlerhaft erfolgt sei. Niemandem sei die falsche Zeiteinstellung aufgefallen. Sie sei bislang nicht bedeutsam geworden.

4

Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

5

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, noch ist sie geeignet, der Fortbildung des Rechts zu dienen; auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).

6

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einer fälschlicherweise angenommenen Uhrzeit durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Für deren Überprüfung sei jedoch der sachbearbeitende Rechtsanwalt verantwortlich. Dieser habe sich, ohne die tatsächliche Uhrzeit zu überprüfen, auf die Einstellung des Faxgeräts verlassen, welche aufgrund von Stromausfällen, möglicher falscher Einstellungen etc. nicht verlässlich gewesen sei. Eine Überprüfung der Uhrzeit anhand der Uhrzeitanzeige auf dem Computer, welche nach eigenen Angaben auch zunächst erfolgt sei, hätte auch bei einer Person, welche keine Armbanduhr trage, mit geringem Aufwand erfolgen können und müssen. Zwar dürfe die Frist für die Berufungsbegründung vollständig ausgeschöpft werden; das Ausnutzen der Frist bis zur Grenze erhöhe aber die Sorgfaltspflicht, welche hier nicht beachtet worden sei.

7

2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

8

a) Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist nicht eingehalten. Die Berufungsbegründung ist erst am 13. April 2010 beim Landgericht eingegangen. Die Frist lief aber nach Verlängerung am 12. April 2010 aus.

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Zwar war das amtsgerichtliche Urteil am 14. Januar 2010 zugestellt worden, so dass ursprünglich die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1, § 222 Abs. 2 ZPO am Montag den 15. März 2010 ablief. Rechtzeitig hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 12. März 2010 eine Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufungsbegründung "um einen Monat, mithin bis zum 12.04.2010" beantragt. Die Frist wurde "antragsgemäß" verlängert. Mit einer "antragsgemäßen" Verlängerung macht das Berufungsgericht den Verlängerungsantrag zum Inhalt der Fristverlängerung selbst, auch wenn die Frist im Antrag fehlerhaft berechnet ist (Senatsbeschluss vom 30. April 2008 - III ZB 85/07, NJW-RR 2008, 1162 Rn. 2). Das Berufungsgericht ist - ohne dies zu problematisieren - davon ausgegangen, dass die Frist "um einen Monat" ab dem Datum des Fristverlängerungsantrags selbst, dem 12. März 2010, und nicht ab Ablauf der Begründungsfrist verlängert werden sollte. Die Klägerin hat dieses Vorverständnis des Berufungsgerichts nicht in Frage gestellt und ist im Verfahren selbst davon ausgegangen, dass ihr Fristverlängerungsantrag so auszulegen ist; auch hat sie in der Rechtsbeschwerde insofern keine Rügen erhoben. Ausgehend von diesem Vorverständnis des Verlängerungsantrags ist aufgrund der "antragsgemäßen" Verlängerung die Berufungsbegründungsfrist "nur" bis zum 12. April 2010 verlängert, mithin mit der am 13. April 2010 eingegangenen Berufungsbegründung nicht eingehalten worden.

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b) Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht im Ergebnis davon ausgegangen, dass an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist die Klägerin nicht ohne ihr Verschulden verhindert war. Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten dem eigenen Verschulden der Klägerin gleich.

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Es kann insoweit dahinstehen, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am Abend des 12. April 2010 nach 23.30 Uhr in jedem Fall nochmals zum Abgleich der korrekten Uhrzeit neben dem Ablesen der Anzeige im Faxgerät verpflichtet gewesen ist. Hiergegen richten sich im Wesentlichen die Angriffe der Rechtsbeschwerde. Der Senat kann diese Frage hier offen lassen, da auch ohne dies ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist vorliegt. Auszugehen ist dabei von dem Maßstab, dass die die Wiedereinsetzung begehrende Partei die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2010 - XII ZB 334/10, Rn. 7) glaubhaft zu machen hat (§ 236 Abs. 2 ZPO). Die Partei hat deshalb ein für die Fristversäumung ursächliches eigenes Verschulden oder das ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verschulden auszuräumen. Verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 177/10, juris Rn. 12 f m.w.N.).

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Im vorliegenden Fall hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist nicht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in jedem Falle eine anderweitige Überprüfung der Uhrzeit (anhand einer Armbanduhr; Computeranzeige etc.) hätte vornehmen müssen und sich unter keinen Umständen allein auf die Anzeige des Faxgeräts hätte verlassen dürfen.

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Vorliegend ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass die Nichteinhaltung der Frist auf einen Organisationsmangel in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückzuführen ist. Grundsätzlich ist ein Rechtsanwalt verpflichtet, durch entsprechende Organisation seines Büros und die notwendigen Einzelanweisungen das Möglichste zu tun, um Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen auszuschließen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 1988 - VI ZB 12/88, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 8 und vom 19. November 1997 - VIII ZB 33/97, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 59). Die aufzuwendende Sorgfalt durch den Rechtsanwalt ist bei Ausschöpfung der Rechtsmittelfrist bis zum letzten Tag wegen der damit verbundenen Gefahren erhöht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rn. 7).

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Für die Frage, ob ein Schriftsatz noch rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, ist die gesetzliche Zeit im Sinne der §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Zeitbestimmung vom 25. Juli 1978 (BGBl. I S. 1110, 1262) maßgebend (BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 - VII ZB 8/03, NJW 2003, 3487). Wenn ein Rechtsanwalt die Fristen bis zu den letzten Minuten vor Ablauf des für die Berechnung der Frist maßgeblichen Tages ausnutzen will, hat er durch entsprechende Vorkehrungen zur Wahrung seiner erhöhten Sorgfaltspflicht dafür Sorge zu tragen, dass die technischen Voraussetzungen für eine Fristwahrung gegeben sind. Dies bedingt, dass dem korrekten Erfassen der maßgeblichen Zeit besondere Bedeutung zukommt. Hierauf ist deswegen besonderes Augenmerk zu richten. Soll bei der Ermittlung der genauen Uhrzeit zum Zwecke der Wahrung der Frist allein die Anzeige eines Faxgerätes ausreichend sein, muss diese Anzeige zuverlässig die maßgebliche Zeit wiedergeben. Wenn deshalb ein Gerät in Gebrauch ist, das technisch nicht dafür ausgelegt ist, selbständig einen stetigen Abgleich mit der gesetzlichen Zeit vorzunehmen, gehört es zur anwaltlichen Sorgfalt, dass regelmäßig eine Überprüfung der Zeiteinstellung am Faxgerät stattfindet. Ansonsten kann, worauf das Berufungsgericht zu Recht hingewiesen hat, durch Bedienungsfehler, wegen eines Stromausfalls oder wegen üblicher Ungenauigkeit bei langen Zeitabläufen die vom Faxgerät angezeigte Zeit in erheblicher Weise von der tatsächlich rechtlich maßgebenden Zeit abweichen.

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Im vorliegenden Fall hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht dargelegt, dass das von ihm benutzte Faxgerät technisch dahin ausgerüstet war, selbständig einen Abgleich mit der gesetzlichen Zeit vorzunehmen. Der Prozessbevollmächtigte hat geltend gemacht, die fehlerhafte Zeitanzeige sei auf eine Fehlbedienung der das Faxgerät wartenden Firma zurückzuführen. Nicht dargelegt hat er insoweit, wann diese Überprüfung stattgefunden hat bzw. welcher Zeitraum seit dieser Prüfung bis zum 12. April 2010 vergangen ist. Ebenfalls hat er nicht dargelegt, dass sein Büropersonal eine Kontrolle des Faxgeräts hinsichtlich der Richtigkeit der Zeitanzeige vorgenommen oder jedenfalls von ihm die Anweisung erhalten habe, dies in bestimmten Zeitabständen zu tun. Aufgrund dieser Umstände war nicht gewährleistet, dass die Zeitanzeige im Faxgerät hinreichend mit der gesetzlichen Zeit übereinstimmt. Der Rechtsanwalt der Beklagten durfte sich deshalb bei der Überprüfung, ob die Berufungsbegründung noch rechtzeitig an das Landgericht übersandt werden könne, nicht allein auf die Zeitanzeige des Faxgeräts stützen. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass das Verstreichen der Berufungsbegründungsfrist durch ein Anwaltsverschulden verursacht wurde.

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Im Ergebnis zutreffend ist damit das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Versäumung der Frist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beruht, das ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

Schlick                                 Dörr                               Wöstmann

                   Seiters                             Tombrink