Entscheidungsdatum: 19.09.2017
Zu den Pflichten des unzuständigen Gerichts bei Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes.
Die Rechtsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 1. Juli 2016 wird auf Kosten der Kläger als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 160.000 €.
I.
Die Kläger nehmen die Beklagten auf Schadenersatz in Anspruch. Das klagabweisende Urteil des Landgerichts wurde ihrem Prozessbevollmächtigten am 18. April 2016 zugestellt. Gegen das Urteil haben die Kläger mit an das Landgericht gerichtetem und dort am 18. Mai 2016 gegen 13.00 Uhr eingegangenem Telefax Berufung eingelegt. Das Landgericht hat die Berufungsschrift nicht unmittelbar weitergeleitet. Am 2. Juni 2016 haben die Kläger mittels Telefax Berufung bei dem Oberlandesgericht eingelegt und die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 1. Juli 2016 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen, da die Versäumung der Berufungsfrist wegen nicht rechtzeitigem Eingang beim zuständigen Gericht nicht unverschuldet gewesen sei. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Auch wenn die Berufung wie hier noch nicht als unzulässig verworfen worden ist, kann gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden Beschluss gemäß § 238 Abs. 2 ZPO, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Rechtsbeschwerde eingelegt werden (BGH, Beschluss vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, VersR 2005, 96). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin weder in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Er beruht auch nicht auf einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Den Klägern wird insbesondere nicht der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert.
1. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Einlegung der Berufung bei dem hierfür unzuständigen (§ 519 Abs. 1 ZPO) Landgericht und die dadurch bedingte Versäumung der Berufungsfrist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger beruhen, welches diesen gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2016 - IX ZB 75/15, NJOZ 2016, 1582 Rn. 6 ff.; vom 20. April 2011 - VII ZB 78/09, NJW 2011, 2053 Rn. 9 ff. jeweils mwN). Dies zieht die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel.
2. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht darüber hinaus die Kausalität dieses Verschuldens für die eingetretene Fristversäumung bejaht. Sie ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht deshalb zu verneinen, weil sich das Verschulden des Prozessbevollmächtigten wegen einer nachfolgenden Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch das Gericht nicht mehr ausgewirkt hätte.
a) Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass ein unzuständiges Gericht, das - wie hier - zuvor mit der Sache befasst gewesen ist, verpflichtet ist, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geschieht dies tatsächlich nicht, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht. Mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichts wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus (st. Rspr. seit BVerfGE 93, 99; vgl. etwa Senatsbeschluss vom 22. November 2005 - VI ZB 15/05, AnwBl. 2006, 212; BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2016 - XII ZB 203/15, NJW-RR 2016, 1340 Rn. 12; vom 12. Mai 2016 - IX ZB 75/15, NJOZ 2016, 1582 Rn. 12; vom 28. Juni 2007 - V ZB 187/06, MDR 2007, 1276, 1277; vom 3. Juli 2006 - II ZB 24/05, AnwBl. 2006, 767 jeweils mwN). Dies setzt aber voraus, dass die fristgerechte Weiterleitung des Schriftsatzes im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs des angegangenen Gerichts möglich und damit zu erwarten gewesen wäre (BGH, Beschlüsse vom 17. August 2011 - XII ZB 50/11, NJW 2011, 3240 Rn. 27; vom 14. Dezember 2005 - IX ZB 138/05, AnwBl. 2006, 213 mwN), was die Partei in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch darzulegen und glaubhaft zu machen hat (BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2016 - IX ZB 75/15, NJOZ 2016, 1582 Rn. 13; vom 16. Januar 2014 - XII ZB 571/12, NJW-RR 2014, 699 Rn. 16 jeweils mwN).
Zu Maßnahmen außerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs besteht dagegen keine Verpflichtung. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse des Rechtsuchenden an einer möglichst weit gehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss (BVerfGK 7, 198, 200; BVerfG NJW 2001, 1343). Daher ist auch ein mit der Sache im vorausgegangenen Rechtszug befasst gewesenes Gericht nicht verpflichtet, die Partei oder ihre Prozessbevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist durch Telefonat oder Telefax von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 22. November 2005 - VI ZB 15/05, AnwBl. 2006, 212; BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2016 - XII ZB 203/15, NJW-RR 2016, 1340 Rn. 13; vom 13. September 2012 - IX ZB 251/11, NJW 2013, 236 Rn. 10; vom 4. April 2007 - III ZB 109/06, VersR 2008, 511 Rn. 14; BVerfG NJW 2001, 1343). Andernfalls würde den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien vollständig abgenommen und den hierfür nicht zuständigen Gerichten übertragen. Damit würden die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht überspannt.
Aus den von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Entscheidungen ergibt sich nichts anderes. Soweit der Bundesgerichtshof ausgesprochen hat, dass ein Gericht, dem die Weiterleitung des fristgebundenen Schriftsatzes im ordnungsgemäßem Geschäftsgang ohne weiteres möglich war, stattdessen auch einen Hinweis an die Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten erteilen kann (BGH, Beschluss vom 20. April 2011 - VII ZB 78/09, NJW 2011, 2053 Rn. 14), kann die Beschwerde daraus nichts herleiten. Denn daraus ergibt sich weder die Verpflichtung des Gerichts, einen Hinweis zu erteilen, noch eine Pflicht, außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs Maßnahmen zur Fristwahrung zu ergreifen. Aus dem gleichen Grund stellt die angefochtene Entscheidung auch gemessen an dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 2010 (VIII ZB 20/09, NJW 2011, 683 Rn. 14) keine strengeren Anforderungen an die Gewährung von Wiedereinsetzung als die höchstrichterliche Rechtsprechung. Denn auch in dieser, zudem einen Ausnahmefall betreffenden, Entscheidung wäre - anders als im Streitfall - eine Weiterleitung der Berufungsschrift an das zuständige Gericht im ordnungsgemäßen Geschäftsgang noch ohne weiteres möglich gewesen.
b) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts konnten die Kläger hier nicht erwarten, dass die am 18. Mai 2016 - dem letzten Tag der Berufungsfrist - gegen 13.00 Uhr bei der Geschäftsstelle des Landgerichts eingegangene Berufungsschrift bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch am selben Tag das Berufungsgericht erreichen werde.
c) Da die Frage, ob ein Gericht, das auf Grund seiner Fürsorgepflicht einen fristgebundenen Schriftsatz an das zuständige Gericht weiterzuleiten hat, verpflichtet ist, der Partei einen entsprechenden Hinweis zu erteilen, durch die dargestellte höchstrichterliche und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung bereits geklärt ist, kommt ihr entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch keine grundsätzliche Bedeutung zu (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2016 - II ZB 3/16, NJW-RR 2016, 1529 Rn. 16 ff. mwN).
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